Nr. 97 41. Jahrgang
Das Gericht der Verlorenen.
1. Beilage des Vorwärts
Bolizeipräsidium. Eingang Dirdfenstr. 16. Amtsgericht. Im
abgegrenzten Raum hinter der Barriere 30 bis 40 Menschen von 18 bis 70 Jahren. Zerknitterte Anzüge, ebenso che Gefichter- Bettler. Stimmung faft gemütlich. Sie stehen dem Richter ohne Spannung gegenüber. Was sollte ihnen auch passieren? Rönnen fie etwas dafür, daß sie betteln und im Asyl für Obdachlose nachten? Sollen fie etwa stehlen gehen? Maffenbetrieb. Jede Verhandlung bauert nur eine halbe bis eine Minute. Eine wie die andere. Der Richter ruft den Namen aus, als Antwort hallen aus dem Munde des Angeklagten feine Geburtsdaten entgegen. Sie haben gebettelt?"„ Ja!"„ Sind Sie vorbestraft?" Je nachdem:„ Ja," Nein." Herr Amtsanwa't, Ihr Antrag."„ Ein Tag Haft." Urteil:„ Ein Tag Haft für verbüßt." Angenommen?" Bawohl." Freigelaffen. Nächste Sache. Name, Geburtsdaten, Borstrafen, Antrag, ein Tag Saft für verbüßt, angenommen, freigelaffen. Nächste Sache usw. uim. Sechzigjährige, Fünfzigjährige, Achtzehnjährige, Kranke, Invalide, Bucklige, noch fräftige Arbeitslose, Berlotterte, Arbeitsscheue ufm. Sind Sie für Betteln vorbestraft, ethalten sie sieben, vierzehn Tage Haft. Einer ist 28mal vorbestraft": wegen Bettelns.
Obdachlose aus dem Asyl in der Fröbelstraße. Borgeführt, weil sie nach der ersten Berwarnung länger al vierzehn Tage im Asyl zugebracht haben. Sie hätten sich um Obdach und Arbeit bemühen müssen. Es droht ihnen Haft als Strafe für ArbeitsIche u. Arbeitsscheu! Daran glaubt weder Richter noch Amtsanwalt. Einem Neuling legt der Amtsanwalt sogar die Antwort in den Mund:„ Sie haben sich doch bemüht und konnten feine Arbeit finden." Die anderen wissen, worauf es ankommt. Sie sagen die Wahrheit: haben sich bemüht und konnten nichts finden. Wer weiß; rielleicht haben sie sich auch nicht bemüht. Einige, die besonders Gewissenhaften, weisen sogar Bescheinigungen vor. Der Amtsanwalt fiellt feinen Strafantrag. Wie sollte er es auch tun. Es hieße nicht die Menschen, sondern die Arbeitslosigkeit anflagen. Kontrollmädchen. Sieben an der Zahl. Ohne Schminke, übernächtigt, grau, aufgebraucht durch die Straße, noch jung. Sie haben sich nicht zeitig der Sittentontrolle gestellt, zwei, fünf, sechs Tage versäumt; haben Straßen betreten, die sie nicht begehen sollen. Vorbestraft. Erhalten fünf bis fünfunddreißig Tage Haft Anges nommen: bald lächelnd, bald unter stillschweigendem Proteft. Eine von ihnen hat sogar vor furzem einen Kellner geheiratet und glaubt, als ehrbare Ehefrau, nun sich der Polizei nicht mehr stellen zu müssen. Fünfzehn Tage Haft...
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So geht es Tag für Tag. Vierzig bis hundertfünfzig Bettler und Obdachlose werden allein in Berlin- Mitte täglich vorgeführt. Amisrichter, Anwalt, Gerichtsschreiber, Gerichtsdiener, Kanzlei, Berge von Alten. Schupoleute sammeln die Bettler auf, bringen sie in die Polizeireviere, von dort in das Polizeipräsidium, dann vor den Richter. Bozu? Weshalb werden die einen vor das Gericht geschleppt und die anderen nicht? Entweder ist allen das Betteln verboten oder niemandem. Ist aber das Betteln nicht eine traurige Notwendigkeit, wo Staat und Kommune nicht. sorgen und nicht sorgen fönnen? Ist das Almosen nicht ein nichtssagender Tribut, mit dem sich das Publikum vom Verbrechen lostauft? Und würde das Geld, das der Apparat zur Bekämpfung des Bettelns toftet, nicht beffer zur Unterstügung der Notleidenden verwandt werden? Es sind Verordnungen, die aus einer Zeit stammen, wo geordnete Verhältnisse den Menschen Arbeit und Obdach gewährten. Könnte auch mit diesem Geld, das die Vorführung fostet, nicht im Asyl für Mit Kleidern, Fahre Obdachlose so manchem geholfen werden? farten und dergleichen mehr. Fragen, die eine Antwort wert sind.
Seefisch- Konfum. Das Ernährungsamt ber Stadt Berlin teilt mit: Wie der Verein der Fischhändler Groß- Berlin e. B. mitteilt, sind in den nächsten Tagen erhebliche Zufuhren an Gee. fischen zu erwarten. Insbesondere find reichlich am Markt: Frische grüne Heringe, Nordsee- Seelachs, Kabeljau und Goldbarsch. Infolge dieser Zufuhren ist mit einem vorübergehenden Rüdgang der Frischfischpreise zu rechnen. Das Publitum wird auf diese günstige Eintaufsgelegenheit hingewiesen.
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Im Stod stant es scharf nach Abort. Die Bärterin lippenloser, strichdünner Mund im festen Gesichtschloß eine Tür auf. Sie schritten durch einen großen Saal, in dem zwanzig zwei Meter breite, drei Meter lange und zwei Meter hohe, engmaschige Drahtgitterzellen nebeneinander standen. Dazwischen die Gänge, wie in einer Menagerie. In jeder Drahtzelle eine Gefangene. Frauen, junge Mädchen und, gleich bei der Eingangstür, in zwei nebeneinander stehenden Käfigen je eine Siebzigjährige. Alle in grauen Leinensäcken. Der Raum zwischen den gleichhohen Zellen und der Saaldede war leer.
Einige Gefange schritten auf das Leben zu: drückten die Gefichter gegen das Drahtgeflecht. Blidende Augen. Eine Siebzehnjährige mit verwüstetem Gesicht lockte mit Zeigefinger und Daumen und sagte zweimal: Schnauzel!" Der Schnauz wedelte mit dem Schwanzstumpf.
Den ganzen Tag macht sie sichs," rief die Siebzigjährige der Bärterin nach Immer hat das junge Luder die Finger unterm Rod."
Sie schritten durch die entgegengesetzte Tür hinaus, in einen langen Gang, an dessen Ende rot ein Gaslicht brannte. Links und rechts: 3ellentür neben Zellentür, jede mit einem Beobachtungsfenster.
Schon als die Wärterin den Schlüssel fuchte, stellte der Schnauz die Vorderpfoten gegen die Zellentür. Sein Maul öffnete fich, die Zunge erschien, Spize nach oben gebogen.
Bimmernd schlüpfte er, durch die Beine durch, voran. Und es wäre Katharina unmöglich gewesen, ihn nicht zuerst zu begrüßen. Denn seine Liebe mar stürmischer. So stürmisch, daß er unter Katharinas Lieblofungen nicht lenge stillhalten fonnte, sondern hin- und herrafen mußte, von der Fensterwand zur Zellentür, beim Benden jedesmal ausglitschend auf bem glatten Betonboden.
Sogar der strichdünne, lippenlose Mund ließ Zähne sehen. Sie hatten einander nur die Hand gereicht. Sehen fonnte Jürgen sich nicht. Die Pritsche blieb tagsüber an die Wand geschnallt.
Heute war bei mir, hergeschickt natürlich von meinem Bater, der Jrrenarzt."
Der Doppelfrauenmord aufgeklärt. Der Täter, ein Schutzpolizeiwachtmeister, geständig. Der Mord an den Frauen Trautmann und Hoffmann, der die Kriminalpolizei um so mehr vor eine schwierige Aufgabe stellte, als zwischen der Tat und ihrer Entdedung schon mehrere Tage lagen, ist trotzdem durch die umfassenden und eingehenden Ermittlungen ter vereinigten Mordkommissionen, der Kommissare Dr. Riemann Braschwitz , Quooß- Wächter und ihrer Beamten rasch aufgeklärt worden.
Mittwoch, 27. februar 1924
stellung wieder zu sich. Jezt entschloß er sich die einzige Zeugin, die betrunkene Frau Trautmann aus dem Wege zu schaffen und führte dieses Verbrechen gleichfalls aus. Die goldene Uhr nahm er mit, weil er sie im Wohnzimmer auf dem Fußboden liegend sah als er
Frau Trautmann umbrachte. Wie lange er nach der Tat noch auf der Straße umhergegangen und wann er in die Kaserne zurüdgefehrt ist, ohne daß ihn jemand sah, will er selbst nicht mehr missen. dieses Geständnis in allen Bunften, namentlich in bezug auf das Motiv des Berbrechens an Frau Hoffmann richtig ist, be darf noch genauer Klarstellung. Mit dem Mord an der Frau Liebau in der Lynarstraße will Gerth nichts zu tun haben. Das entspricht wohl auch der Wahrheit.
Renderung des Mieterschuhgesehes.
Durch eine Verordnung vom 14. Februar 1924 ist das Mieterschußgefeß in zwei Bunften geändert worden. Den Ges meinden ist die Berpflichtung auferlegt worden, auch Inhabern Don Räumen in öffentlichen Gebäuden, die zur Räu zuweisen. Ferner wird bestimmt, daß die Entscheidung über die mung verurteilt sind, beschleunigt eine Erfahwohnung an Kosten bei der Aufhebungstlage, fofern die Kosten ganz oder teilweise dem Vermieter auferlegt find, angefochten mer. den fann, falls der Wert des Beschwerdegegenstandes den Betrag von 30 Goldmark übersteigt.
Verdacht auf einen Wachtmeister der Schußpolizei. Die Nachforschungen lenkten, wie wir schon furz mitteilten, den Es ist dies der 26 Jahre alte, aus Bromberg gebürtige Wachtmeister Bruno Gerth, der früher Arbeiter war, den Weltkrieg mitmachte, und seit drei Jahren bei der Gruppe Süd der Schuz. polizei in der Kaserne in der Friesenstraße stand, ein Mann, der bei feinen Kameraden sehr beliebt war, und sich bisher teilten, hatten die vereinigten Mordkommissionen festgestellt, daß nichts hatte zuschulden kommen laffen. Wie wir früher schon mitFrau Trautmann und Frau Hoffmann in der Nacht zum Donnerstag um 12 Uhr mit einem Wachtmeister der Schußpolizei noch in einer Schantwirtschaft in der Nähe des Hauses Schleiermacherstr. 15 gewesen und endlich mit ihm in der entgegengesezten Richtung meggegangen waren. Nach und nach kamen die Beamten auch auf den Namen dieses Wachtmeisters. Es war schon auffallend, daß er sich nicht gemeldet hatte, obwohl er öffentlich als Zeuge gesucht wurde. Dazu tam fein Verhalten nach der Entdeckung des Verbrechens. Im Bürgersaal des Berliner Rathauses sprach vor einer großen, Am Sonntag besuchte nur Gerth wieder ein Lokal in der Gneisenau- sehr interessierten Zuhörerschaft Frau Dr. med. Bergmann über straße, in dem er auch am Mittwoch spät abends, wie die Kriminal- die Montessori - Schulen in Amsterdam . Frau Dr. Montessori hat in polizei bereits festgestellt hatte, gewesen war und gezecht hatte. Als Amsterdam einen Ausbildungskursus in ihrer Methode soeben der Wirt und andere Gäste ihn darauf aufmerksam machten, daß abgeschlossen, an dem sich über 100 Frauen und Männer beteiligten. diese beiden Frauen ermordet worden waren, hörte er das schwei- Mit großer Begeisterung hat man in Holland die Erziehungs. gend an. Er tat auch seinen Dienst weiter, ohne über das Ber- methode der großen italienischen Bädagogin aufgenommen. In zahl brechen eine Aeußerung fallen zu lassen. In feinem Schrank fanden reichen holländischen Städten sind Montessori - Kinderhäuter entstanden. die Mordkommissionen allerlei Schriften masochist in Amsterdam blühen zurzeit a cht tommunale Anstalten für Kinder fchen, sadistischen, erotischen Inhaltes. Das bewies von 3-6 Jahren; außerdem ist eine kommunale Elementarklasse in an sich noch nichts, gab aber nach Lage der Dinge jetzt doch zu Borbereitung. Bon privater Seite sind bereits drei Elementarflaffen errichtet worden, in denen die Grundgedanken der neuen Erziehungs Die Rommissionen forschten nun dem Vorleben des Wacht- methode folgerichtig auf alle Unterrichtsgegenstände ausgedehnt wer meisters nach und stellten durch Bernehmung von mehreren Beu- den. Die Gementartlaffe umfaßt die Kinder von 7-10 Jahren. ginnen mit denen er in näheren Beziehungen gestanden hat, fest, In den Schulräumen spricht ein reiches naturwissenschaftliches Andaß er, ein hübscher, stattlicher und fräftig gebauter Mensch, durch schauungsmaterial zu den Kindern, fie treten gleichiam in ein fleines Ausschweifungen in der Jugend, besonders in der naturwissenschaftliches Museum. Auf Tischen und Wandbrettern find Schulzeit, fich gefchlechtlich vollständig zerrüttet ausgestopfte Bögel, Muscheln, Korallen, Insekten usw. aufgestellt, hat. Ein Mädchen löfte deshalb auch die mit ihm geschlossene BerDer Einblid der Kinder in die Tierwelt wird vervollständigt durch lobung, aber feines trennte sich trotz seines Unvermögens gern von wöchentliche Führung durch den Zoologischen Garten. Die Führun ihm. Es fam weiter hinzu, daß man bei Gerth eine Drillichjacke gen übernimmt der Direktor des Zoologischen Gartens selbst. In fand, an der sich ein Blutwifcher zeigte. Noch schwerer als reger Selbsttätigkeit erwerben sich so die Kinder umfassende natur der Blutwischer an der Drillichjacke wog ein Fund in der Wohnung geschichtliche Kenntnisse. Die Kinder werden nicht gezwungen, an der Ermordeten. Neben der Leiche der alten Frau Trautmann lag diefen Führungen teilzunehmen Hält den einen oder den anderen eine fleine zusammenklappbare Patentschere. Mehrere Kameraden Berths erklärten, daß sie diese bei Gerth wiederholt gesehen Schüler irgendein besonderes Studium gefesselt, so überläßt man hätten. Endlich fand man aber bei Gerth selbst noch eine fleine wird nur sehr selten erteilt. Ebenso erwerben sich die Kinder in ihn ruhig seiner augenblicklichen Beschäftigung. Kollektivunterricht goldene Damenuhr, auf die die Beschreibung paßte, die den anderen Fächern, z. B. Geographie und Geschichte, ihre Kennt Beugen von der der Frau Hoffmann gaben. Alle diese Ermittlun niffe großenteils durch Selbststudium. gen waren Gerth zunächst unbekannt. Er bestritt die Tat und gab nur den gemeinsamen Besuch mit den Frauen in den beiden Lofalen zu. Nachdem der Gerichtschemiker Dr. Brüning das Blut an der Drillichjacke bestimmt als Menschenblut erkannt hatte, hielten die Mortkommisionen dem Verhafteten gestern abend das Belastungsmaterial in seinem ganzen Umfange und seiner ganzen Schwere vor. Da legte er ohne zusammenzubrechen ein Geständnis ab.
denken.
Hiernach will er allerdings Frau Hoffmann nicht in fadistischer Luft, sondern in einem Streite getötet und dann auch die Frau Trautmann, die Zeugin seiner ersten Tat, beseitigt haben. Wie Gerth sagt, machten ihm die Folgen seiner Jugendver irrungen das Leben schwer. Frau Trautmann und ihre Tochter lernte er in einem Lofal fennen, in dem getanzt wurde. Die Frauen forderten ihn auf, fie in ihre Wohnung zu begleiten. Er hatte nicht die Absicht, dieser Einladung zu folgen, und tat es schließlich doch unter der Einwirkung des Aitohols. In der Woh nung angefommen, brachten er und Frau Hoffmann die Frau Trautmann zu Bett. Sie war so betrunken, daß sie erbrechen mußte. Er legte unterdessen Mantel, Helm, Säbel und Pistole ab und ging mit Frau Hoffmann in die Küche, die ihn fragte, wie viel Geld er denn noch habe. Darüber tam es zum Streit und zur Bluttat. Wie das alles in furzer Zeit vor sich gegangen jei, will Gerth nicht wissen. Erst als er jah, was er angerichtet hatte, tam er nach seiner Dar
Die Wärterin stand bei der Tür, ohne sich anzulehnen, blidte blicklos. ,, Das ist so zu verstehen, daß meinem Vater eine geistesfrante Tochter lieber wäre als die Schande, eine Sozialistin zur Tochter zu haben.... Ich ging auf das Gerede gar nicht erst ein, schickte ihn gleich wieder fort, was ihn natürlich auch nicht von meinem Gesundsein überzeugte."
Der Schnauz hatte sich etwas beruhigt. Er lag, offenen Maules atmend, die Vorderpfoten vorgestreckt, blickend auf den Betonboden, überzeugt, daß seine Leiden nun zu Ende seien: er hierbleiben oder Katharina mitgehen werde. Auch sie steckte in einem grauen Leinensack, etwas fleidfamer gemacht dadurch, daß sie die Bluse beim Hals eingeschlagen hatte.
Bei dem ersten Tone, den die Bärterin sprach, erhob sich der Schnauz und bellte. Die Versicherungen Katharings, daß fie in einer Woche tommen werde, nützten nichts. Der Schnauz stemmte sich mit allen Bieren und mußte so von Jürgen hinausgeschleift werden.
Das ist nicht erlaubt." Die Wärterin deutete auf den schwachen Schatten, durch dessen Vorhandensein das Vorhandensein von Brüsten vermutet werden konnte. Immer wenn der zu Besuch kommt diese Dummheit!"
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Katharina nahm den Einschlag heraus, so daß der Sac wieder rund um den Hals anschloß.
Direktor
„ Sie können es gar nicht erwarten, was! melben," hörte Katharina noch. Die Tür fiel ins Schloß. Schon überquerte Jürgen den Hof, halb springend. um noch vor Ablauf der Besuchszeit die Männerabteilung zu erreichen. Blieb aber plötzlich stehen: Durch das Tor rollte, gezogen von zwei schweren Pferden, ein auch oben zugebretteter Raftenwagen, aus dem rüdwärts ein startes Gestänge ragte, gleich einem Stüd Eisenbahngleis, stabilisiert durch ein eisernes Querstück an der Stirnfeite Der Fuhrmann pfiff. Der Wagen rollte durch das sich eben auftuende zweite Tor in den Hof der Männerabteilung und weiter durch das dritte Tor in den Zuchthaushof, in dem am nächsten Morgen eine Hinrichtung stattfinden sollte.
Sefündlich hatten alle Empfindungen Jürgens Körper perlaffen. Er wollte die Genossen mit seinem Zustand nicht belasten, umfehren, fonnte aber nichts wollen. Selbsttätig trugen die Beine ihn weiter, der Tür zu.
So schritt er, in den Knien kraftlos, zusammen mit zwei Bärtern, die eine Art Tragbahre, beladen mit mehr als hun dert Weißblechschüsseln, schleppten, den Gang vor.
Der Wärter, der Jürgen führte, ein großer, alter Mann, der, im Rücken gebogen, mit jedem tnieweichen Schritt, den
Das Uebungsmaterial für das Rechnen wurde von Fran Dr. Bergmann in Lichtbildern vorreführt; der vorgeschrittenen Zeit wegen mußte die Vorführung des Grammatifmaterials unterbleiben, Die meisten Lichtbilder zeigten die fleinen 3-6jährigen Kinder bei ihrer Arbeit, wie wir sie auch hier im Berliner Montessori - Kinderbaus, Bi'mersdorf, Nachodſtraße, III. Gemeindeschule, beobachten können. Vom Standpunkt der Aerztin hob fie immer wieder die Borteile hervor, die gerade die förperliche Entwicklung bei diefer Erziehungsmethode nimmt, die sich trefflich den geistinen und körperlichen Bedürfnissen der Kinder anpaßt. Die Zuhörerschaft tankte Frau Dr Bergmann mit reichem Beifall für die guten Darstellungen, die von dem feinen und tiefen Eindringen dieser pädagogisch ge. schulen Aerztin in den Geist der neuen Erziehungsmethode zeugten.
Kundgebungen für freie Körperfalfur. Donnerstag, den 28. Februar 7 Ubr abends in Sochs Feitfälen in Spandau ( am Hauptbahnhof ) eine berufen von den Deutschen Werten Spandau Haielhorst. Thema: Körperbildung- Nadtfultur. Referent Lehrer Genosse Adolf Koch . Aussprache, ( Unloftenbeitrag). Freitag, den 29. Februar, 7 Uhr abends, Arminius , ballen, Bremer Straße 71( Moabit ) einberufen von den freien Gruppenfür Körper fultur. Redner: Dr. med. Bra az. Lehrer Wilhelm Schran, Adolf Koch , Rudolf Teßmann über Jugend und Körperbildung „ Chaos Echampetübl oder Körperftolz- Gefundheit und Körperpflege" oder Aufstieg".( Keine Aussprache. Untoftenbeitrag).
er tat, müden Blides auf sein Leben zu treten schien, schloß wortlos die Zellentür auf und gleichzeitig reichte mortlos ein Essenträger die verrostete Blechschale Jürgens jungem Ge nossen, der den Inhalt, eine schwarze Brühe, wortlos in den Abortfübel goß. Die Brotscheibe legte er auf den Klapptisch. " Das Zeug zu faufen hat gar keinen Wert." Er geriet beim Erblicken Jürgens sofort in Erregung. Die Brühe foll das Abendessen vorstellen. Mittags gibt's einen Mansch, den du frißt, weil du mußt. Und morgens diefelbe Zichorienbrühe und auch ein Stück Brot. Das ist alles."
Besuch."
viele
„ Sie dürfen nicht über das Essen schimpfen zu einem " Ein paar Monate hältst du das ja aus. Aber da sind Wenn Sie davon weitersprechen..."
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müssen."
•
die schon lang sigen und noch viele Jahre fizzen muß der Besuch sofort raus aus der Zelle." " Die, also die müssen verhungern. Die müssen glatt verreden. Du machst dir feinen Begriff, Genosse, wie die Leute aussehen."
Sie haben zu schweigen jetzt!"
" Darüber mußt du in unserer Zeitung schreiben, Genosse!" rief er Jürgen nach, der die Nummern der Bellen nannte, in denen seine zwei anderen Genossen waren. Der Bärter schritt schon auf die Treppe zu. Die Besuchszeit ist vorbei."
Der grüne Wagen, in dem die Gefangenen vom Polizeiund vom Untersuchungsgefängnis in das ständige Gefängnis übergeführt werden, war eben angekommen. Zehn Berurteilte, Frauen und Männer, standen in dem Bureauraum, wo die Personalien aufgenommen wurden. Die Gefangenen mußten ihre legten Habfeligkeiten abgeben, die männlichen auch ihre Hosenträger abknöpfen. Wärter schleuderten den Gefangenen die graue Anstaltskleidung in die Arme. Gesprochen wurde nichts.
Die Maschine funktioniert, dachte Jürgen und schritt der Ausgangstür zu. Da schoß ein fchon älterer, stoppelbärtiger Mann mit schwärenbeseztem Gesicht und verschleimten Augen aus dem Bureau heraus, zuckte fuchend hin und her, spähenden Blickes, der blighell offenbarte, daß er die Hölle, in die er fommen sollte, schon tannte, und schoß Jürgen nach, bestrebi, auch die aussichtsloseste Situation nicht unversucht vorübergehen zu lossen, um der Freiheit willen. Denn war er erst in der Zelle, dann gab es feine Zufallsmöglichkeiten mehr.
Die Wärter lachten. Unwirsch stieß ihn einer zurüd. ( Fortsetzung folgt.)