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Nr. 67.

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12. Jahrg.

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Berliner Bolksblatt.

Zentralorgan der sozialdemokratischen Partei Deutschlands .

Redaktion: SW. 19, Beuth- Straße 2.

Politische Ideale.

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Mittwoch, den 20. März 1895.

Expedition: SW. 19, Beuth- Straße 3.

Sie

gemeine Wohl vorhanden ist." Apponyi nannte ausgeprägte| und nur auf den Weckruf politischer Charaktere warten, politische Charaktere aus der Geschichte, er nannte Bis- um sich zu entfalten, auszubreiten, alles zu umfassen, um Habsucht macht schmutzig die Hände, das Gemüth, den marck, das Idol der deutschen Bourgeoisie, nicht. Er alles mit dem Leben und dem Willen des Volkes zu durch­Charakter, die Gesinnung. Das hat unsere Bourgeoisie an wußte weshalb. tränken, davon fehlt ihnen jede Ahnung. Sie haben fich erfahren, obgleich sie diesen Zusammenhang niemals Das deutsche Prozenthum bereitet eben hündische Er- ja auch keine Gelegenheit, dort zu lauschen, wo der Herz­zugestehen will, der sie gewissermaßen doch geschichtlich ent- gebenheitsbezeugungen für seinen Heros vor, weil es eins schlag des Volkes pulfirt. Stumm's Salons, Bachem's schuldigt. Eine Klasse, deren traurige historische Rolle mit ihm ist in der Nichtunterordnung unter das all- Betstuben und Richter's Aftenzimmer sehen ja tein Volk. darin besteht, den Besiz um jeden Preis festzuhalten und gemeine Wohl, in der brutalen Hervorkehrung des eigenen Wenn ein bischen politische Phantasie in diesen Köpfen zu mehren, und zwar den ausbeutenden Besitz, muß Nuzens, im Verrath an allem Guten und Wahren im Bolts vorhanden war, so ist es längst erstickt von der kon innerlich schmutzig werden. In dem fortwährenden leben und in der Skrupellosigkeit bei der Wahl der politischen ventionellen Luft jener geschlossenen Räume. Und so standen Kampf um den Besit, in welchem sie steht, richten Mittel. Bismarck und das deutsche Bürgerthum haben und stehen diese Muster deutscher Bourgeois fassungslos und fich alle ihre Justinkte unbewußt auf den Erwerb eben keinen politischen Charakter mehr im Sinne Apponyis. unfähig, zu begreifen, vor dem Bild, das wir uns als Politifer und seine Vergrößerung. Die Liebe, das Wohlthun, Bum 1. April wird das Bacchanal der Satten und Zahlungs- mit frischer Volksphantasie malen von der Zukunft, die die Kunst sie sind nur Mittel, entweder den Besitz direkt fähigen um ihren macht und reichthumgesättigten Beschüßer wir erstreben, und die wir uns in den Hauptzügen malen zu vergrößern, oder ihn leidlich zu verherrlichen. Sobald gefeiert, weiter nichts. Wer die Volkskräfte kennt, wer dem müssen als Politiker, nicht als Stubenhocker. die Kunst den Befiz angreift, dann föllert" cs die Wohl der Mehrzahl des Staates dient, steht abseits, wie wollten den Zukunftsstaat todtschlagen und jetzt schlägt sie Bourgeoisie hat mit ihr nichts mehr zu thun. Wer selbst die Sozialdemokratie, die ihren politischen Charakter durch noch nachträglich ein bürgerlicher Idealist todt, indem er sie als tapitalistischer Pionier mitten im Erwerbskampfe steht, die fortwährende Berührung mit dem Wahren und Guten bezeichnet als das, was sie sind, als phantasielose Zynifer ist gewöhnlich auch am meisten von der Schmutzvergiftung im Volte bewährt und verstärkt. Das ist die eine Nutz- und beschränkte Opportunisten. Sie habens um den Zu­angesteckt. Das trifft die bürgerlichen Emporkömmlinge, alle, anwendung aus Apponyi's Vortrag. funftsstaat und die jämmerliche politische Gegenwart des die aus eigner Kraft" groß geworden sind, die Kommerzien Die andere giebt ein Nachspiel zu allen Zukunfts- deutschen Bürgerthums verdient. räthe und sonstigen Kämpfer ums Eigenthum". Derjenige staats- Debatten und führt über die enge Gegenwart hinaus. In Ungarn hat die Bourgeoisie in ihren besseren Theil der Bourgeoisie, der alt überkommene Besitz hat, der Sie beleuchtet nachträglich noch den unendlich engen Horizont Theilen noch Zeit, politische Ideale zu pflegen, wenn auch nicht direkt im Schmutz der modernen Erwerbsjagd steht, hat der Gegner, mit denen wir uns herumschlagen müssen. nur in Reden, weil ihr das Proletariat noch nicht so nahe noch eher wenigstens ein paar reinliche Charaktere. Es giebt da Apponyi sagte auch noch:" Zur Erreichung der höchsten auf die Hacken gerückt ist. Wie lange noch? Auch dort und dort einen Aristokraten, ein Glied der obersten Bourgeoisie, staatsmännischen Eigenschaft, zur obersten Leitung des werden die Grafen Apponyis bald als Utopisten" gelten die noch anständig denken können. Aber sie sind selten Schicksals einer Nation ist der Ueberblick über sämmtliche und aussterben, selbst als politische Schöngeister, wie sie geworden, diese ritterlichen Bourgeois mit ihren Spuren Zweige des nationalen Lebens und die Voraussicht ihrer bei uns ausgestorben sind. einer gewissen Ueberlegenheit und Noblesse der Gesinnung gesammten Entwickelungsthätigkeit, das heißt überblickende gegenüber dem kapitalistischen Bad. Sie sind in Deutsch Voraussicht nothwendig. Und was ist eigentlich diese Vor­Land als politische Männer ausgestorben. Im Auslande aussicht? Nichts anderes, als das Schauen eines Bu begegnen wir ihnen noch manchmal. Und eine Rede, die der standes, der heute noch nicht ist, sondern erst in Zukunft Berlin , 19. März. ungarische Graf Apponyi , der geistreiche Führer der dortigen sein wird. Es bedarf wohl kaum des Nachweises, Die heutige Sihung des Reichstages wurde durch Opposition, türzlich in Peft gehalten hat, erinnerte daß bei der Schaffung eines so großartigen Bildes eine Reihe von Reden Bebel's, dem Richter sekundirte, ge­uns ein wenig an diese Schattirungen innerhalb der die Mitwirkung der Phantasie unbedingt nothwendig ist. fennzeichnet. Die Herren Kayser und Marschall sowie die Bourgeoisie. Ein Politiker, der sich ein solches Bild nicht zu schaffen ver- Rolonial- Enthusiasten waren nicht in der Lage, die Wirkung Graf Apponyi hat in einem Budapester literarischen mag, lebt entweder in den Tag hinein oder folgt nur der Reden Bebel's abzuschwächen. Birkel türzlich über" Politik und Aesthetik" gesprochen. individuellen Eingebungen und Parteiſtrömungen; er wird In seinem Vortrag kamen Spuren einer freien Empfindung zynischer Opportunist oder beschränkter Doktrinär." Weiß Berathung der Sekundärbahn- Vorlage fortgesetzt. Im Abgeordnetenhause wurde heute noch die erste zum Ausdruck, die unseren bürgerlichen Kreisen längst ver man nun, weshalb gerade Eugen Richter vom Schicksal wieder wurden viele Bahnbauwünsche vorgetragen; auch loren gegangen find. Einmal feierte er den politischen dazu bestimmt war, sich den Kopf am sozialistischen ging der Minister, Herr Thielen, auf einige der Wünsche Charakter, auch als Schönheitsforderung im Kampfe um Bukunftsstaat einzurennen? Weil er der Typus, die Staatsmacht. Wie der Künstler seinen Gestalten Wahr das Musterbild des bürgerlichen Philifters ist, der und Beschwerden kurz ein- ohne daß es aber zu irgend heit einprägen muß, so der Politiker sich selbst. Apponyi in den Tag hinein lebt". Und bemerkenswerthen Debatten gekommen wäre. Fortsetzung sagte: Wenn der Staatsmann die Größe seiner Nation Stumm, und alle die wackeren Kämpen der deutschen der Berathung ist Mittwoch.- auf eine feste Grundlage stellen will, so ist es nicht genug, Bourgeoisie mit ihm. Der eine ist mehr zynischer Bundesrath. In der am 18. d. Mts. abgehaltenen daß er die Volfskräfte erkennt, ihnen Ziele steckt und zur Opportunist", der andere mehr beschränkter Dottrinär". Plenarsizung des Bundesraths wurde dem Gesetz­Erreichung derselben die geeigneten Mittel wählt. Er muß vor allem auch bei der Feststellung jener Ziele und bei der Auswahl der Mittel das Gute und Wahre im Bolke heben. Und dies wird er nur erreichen, wenn auch in seiner eigenen Thätigkeit das strenge Festhalten am Guten und Wahren, die bedingungslose Unterordnung des Jchs unter das all

somme

Bachem, und

Sie alle fennen die Stuben, in denen Geld gemacht wird, und sie glauben damit das wirthschaftliche Leben der Nation zu kennen. Ihr Ueberblick über sämmtliche Zweige des nationalen Lebens" reicht ungefähr so weit, als sie ihr Er werbstrieb als Bourgeois geführt hat. Welch'ungeahnte Kräfte im Volt schlummern, theilweise schon ganz leise schlummern Räume besteht durchschnittlich aus ungefähr 150 Personen, Männer und Frauen durcheinander, auch Kinder sieht man darunter, die Sträflingen gehören und nirgends weiter ein [ Nachdruck verboten.] Unterkommen gefunden haben, während ihre Eltern im Kerker sich befinden. Wenn irgendwo, dann paßt der be­tannte Dante'sche Spruch: Laßt die Hoffnung hinter Euch,

Feuilleton.

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Skizzen aus dem südamerikanischen Hinterlande. die Ihr eintretet," auf die Facade dieses Gebäudes.

Ein Blatt

südamerikanischer Geschichte.

Dolitische

Uebersicht.

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entwurf wegen Abänderung des Branntweinsteuer­

eseyes vom 24. Juni 1887 die Zustimmung ertheilt. Die Entwürfe von Gesezen für Elsaß- Lothringen wegen der in die der Amtsfautionen, sowie der Antrag Preußens wegen Ab­Geburtsregister einzutragenden Vornamen und wegen Bestellung änderung der Ausführungs- Instruktion zum Viehseuchen - Gesez wurden den zuständigen Ausschüssen überwiesen.-

herzige Person sich des Eingekerkerten erinnert und ihm eine Hoje oder ein Hemde schenkt.

Schrecklich ist es, wenn ein Tobsüchtiger sich unter der Menge befindet, der unbarmherzig von den rohen Soldaten mit Kolbenstößen traktirt wird.

Schauderhaft sieht es im Innern dieser Zellen aus. Ein Kleines vielleicht einen Fuß im Quadrat haltendes Fenster, das oben unter dem Dache der niedrigen Räume angebracht ist und ein noch kleineres in der Thür der Zelle liefert die zum Athmen nöthige Luft in den zwölf Stunden, die die

In diesem Kerker versammelt sich fast alles, was das Land an schweren Verbrechern zusammenbringt. Man hat noch zwei Dependenzen, eine in Villa Hayes, auf der In In der Nähe der Asuncioner Kathedrale und hart an der dianerseite und eine andere hoch im Norden für verurtheilte Gefangenen hier zu verbringen haben. Wir sehen uns in zu dem todten Flußarme des Paraguayflusses abfallenden Verbrecher auf dem Fuorte Olimpo, einer kleinen Jusel- der Belle umber. Auf bloßer Erde vielleicht einen schmutzigen Böschung erhebt sich das düstere einstöckige Gebäude, das festung in dein Paraguayfluß. Aber der Kerker in Asuncion Lappen unter sich, legt man sich hier zum Schlaf nieder. schon in den Zeiten der Lopez und des Dr. Francia als ist der größte und nimmt außer den verurtheilten Ver- Wo man feltener Weise einen kleinen mit Leinewand be­öffentlicher Kerker diente. Die Tyrannen besaßen allerdings brechern in denselben Räumen auch die in Untersuchungs- spannten Schlafrock erblickt, kann man sicher annehmen, daß noch Privatkerker in den dumpfigen Rellern der alten Reiter- haft befindlichen Personen auf, ebenso diejenigen, die er ein Geschenk ist. Grauenhaft wird die Situation, wenn faserne, die heute abgerissen ist, und auf deren Platz man leichtere und kürzere Haftstrafen abzumachen haben, und in der Nacht diese Räume ihre menschliche Beute auf­eine neue Kaserne gebaut hat; in diesen ließen sie miß- ebenso die Wahnsinnigen oder die Personen, die nehmen. Nicht selten sind diese unglücklichsten aller Menschen liebige politische Personen oder persönliche Feinde lang- man für wahnsinnig hält. Der Raum im Kerker gezwungen, die ganze Nacht in ihrem eigenen Kothe zu ver sam verfaulen oder unter grausamen Henkerqualen thin- ist klein und die Anzahl der Zellen ist ge- bringen. Unbeschreiblich und jeder Schilderung spottend ring. Treten wir eines Morgens mit dem Alcaiden, wird die Lage dieser Menschen, wenn eine Epidemie unter

morden.

Der Kerker hat seine Front gegen ein Hintergebäude der die Thüren derselben öffnet, hinein und sehen uns die ihnen ausbricht. Schreiber dieses, der lange Zeit in diesem der vor ihm verlaufenden Straße. Sie bildet mit dieser Welle der Unglücklichen an, die sich aus ihnen ins Freie Gefängniß alle Tage Besuche machte, erinnert sich noch heute eine Art von Sackgasse; denn von da führt nur ein schmaler ergießt. Wir sehen mit Erstaunen, daß aus einer Belle, mit Schrecken an den Anblick, den ein Deutscher gewährte, Steig zu dem zerklüfteten Sandhügel der Chacarita, die mit die dem Anschein nach nicht mehr als fünf Personen faffen der im schwersten Typhus zehn Tage lang total zahllosen kleinen schmuzigen Ranchos besetzt ist. Die Front tönnte, mehr als zwanzig sich herausdrängen. Und wie nackt auf seinem Gesichte in seinem Unrathe lag, zeigt zwei Eingänge, in denen die aus etwa fünfundzwanzig sehen diese aus! Hier sehen wir einen dunkelbraunen Ver- bedeckt von tausenden von Fliegen und anderem Soldaten bestehende Wachmannschaft umhersteht oder umher- rückten, der, wie der Kerkermeister uns versichert, schon un geziefer. Der Mann starb auch so. Kein Mensch küm­fißt. Ungefähr ein halbes Duhend derselben halten mit ge- denkliche Zeit sich hier aufhält. Er ist vollkommen nackt merte sich um ihn. Zur Schande der fremden Vertretungen ladenen Gewehren und aufgepflanztem Bajonnet im Junern ohne jedes Kleidungsstück und läuft ohne sich um sei es gesagt, daß keiner von ihnen es je über sich ge­des Gefängnisses Wacht. Das Innere des Kerkers ist ein jemand zu bekümmern in einem fort von einer nommen hat, gegen die furchtbaren Qualen, denen hier ihre

Uns

großer Hof, der gegenüber der Front eine hohe Mauer Ecke des Hofes nach der andern. Die größte Anzahl Landsleute erliegen, zu demonstriren. Gegen zehn Uhr hat, hinter der die Böschung jäh abschießt. An der Gefangenen, wenn sie nicht gerade frisch angekommen am Vormittag erscheint ein Wärter, der die tägliche Fleisch­den beiden Langfeiten liegen die Bellen der Gefangenen, sind, ist mit halb verfaulten stinkenden Lumpen bekleidet, ration, in kleine Stücke geschnitten, anbringt. Man wirft die morgens um fünf Uhr geöffnet werden, um ihren leben- die von Schmuß und Ungeziefer starren und nicht genügend sie den Gefangenen vor, wie man in Menagerien wilde digen Inhalt auf den Hof auszuspeien, um ihn um 5 Uhr ihre Blößen verhüllen. Sie werden nur gewechselt oder er Bestien füttert. Dazu giebt es einige Kolben rohen Mais nachmittag wieder aufzunehmen. Die Bewohnerschaft dieser setzt, wenn irgend einmal ein Verwandter oder eine barm- und ab und zu etwas Paraguaythee. Was die Gefangenen