Abendansgabe
Nr. 156 41. Jahrgang
5 Goldpfennig
50 Milliarden
Dienstag
= Vorwärts=
Ausgabe B Nr.78
Pub in ber Morgenausgabe angegeben
Bezugsbedingungen web ngeigenprete
Redaktion: SW. 68, Cindenstraße 3
geralprecher: Dönho 292-293.
Berliner Volksblatt
1. April 1924
Berlag and anzeigenabteilung Geschäftszeit 9-5 Uhr
Cindenstraße 3
Zentralorgan der Vereinigten Sozialdemokratifchen Partei Deutschlands
Ludendorff freigesprochen.- Hitler, Pöhner, Kriebel, Weber: 5 Jahre Feftung, aber nach 6 Monaten Freilassung mit Bewährungsfrist. Die anderen 1% Jahre Festung, sofortige Freilassung mit Bewährungsfrist.
München , 1. April. ( BS.) Um 10,5 Uhr verkündete der Borsitzende des Boltsgerichts, Landgerichtsdirektor Neidhart, folgendes Urteil: Die Angeklagten Hitler , Pöhner,& riebel, Weber werden wegen gemeinsamen Hochoerrats- zu
je 5 Jahren Feftungshaft
fowie zu einer Geldstrafe von je 200 Goldmart verurteilt. Die erlittene Untersuchungshaft wird angerechnet: bei Hifler mit 4 Monaten 2 Wochen, bei Weber mit 4 Monaten 3 Wochen, bei Böhner und Kriebel mit je 2 Monaten 2 Wochen Die Angeklagten Röhm, Frid, Brüdner, Pernet und Wagner werden wegen Beihilfe zum Hochverrat zu
je einem Jahr, 3 Monaten Festungshaft and zu einer Geldstrafe von je 100 Goldmart verurteilt. Die erliftene Untersuchungshaft wird bei Röhm und Frid mit je 4 Monaten 3 Woden, bei Brüdner mit 4 Monaten einer Woche, bei Pernet und Wagner mit je 2 Monaten 3 Wochen angerechnet.
Sämtliche vorgenannten Angeklagten werden zu den
Koften des Verfahrens verurteilt.
wird freigesprochen. Die often des Verfahrens werden, soweit er in Frage fommt, der Staatstaffe auferlegt. Die Haftbefehle gegen Frid, Röhm und Brüdner werden mit fofortiger wirtung aufgehoben. Die Angeklagten Brüdner, Röhm, Pernet, Wagner und Frid erhalten für den Strafreft Bewährungsfrist bis zum 1. April 1928,
Die Berurteilung sowohl wie der Freispruch erfolgte mit
Stimmen. sr
dorffs, der vor Gericht fo wirre politische Reben hält, wie er, für seine Handlungen nicht voll verantwort fich fei. Sie haben das nicht offen ausgesprochen, aber die Tatsache, daß sie den jugendlichen Stieffohn Luden dorffs verurteilten, ihn selbst, den erfahrenen Schlachten lenter", aber frei ausgehen ließen, ist die scharffte Brandmartung für den Intellett dieses Helden! Nur unter folchem Gesichtswinkel ist der Freispruch überhaupt juristisch zu begreifen. Denn daß die Richter aus feelischer Betlommenheit etwa vor den nationalistischen Radau helben zum Freispruch gekommen wären, darf man um ihrer selbst willen nicht annehmen und daß fie geistige Beschränkt heit dieses Nationalheros nicht gut ins Urteil schreiben fönnen, versteht sich schon mit Rüdsicht auf den Kriegsruhm" von felber. Also behilft man fich mit juristischen Flohknadereien, bie niemanden, nicht, einmal die. Richter selbst, überzeugen werden.
Daß, die übrigen Angeklagten ob der Milde des Urteils herzlich erstaunt fein, merden, darf man annehmen. 3war hört sich das Strafmaß von fünf Jahren für die Hauptver brecher sehr hart an. Aber nach einem halben Jahre Sommerfrische sollen fie fchon bei Bewährung Strafaufschub erhalten. Sie sehen alfo bald ihrer Befreiung entgegen und nehmen einstweilen Blumentörbe und Liebesgaben von ihren Freunden und Freundinnen in Emp fang. Ganz wie beim Theater!
Inzwischen hat bas deutsche Bolt Ursache, sich die Bor gänge und Nachflänge noch einmal sehr ernstlich zu überlegen: Der Kampf gegen die Republit, der Hochverrat ist von den Angeklagten und zahlreichen anderen, die nicht angeflagt waren, eingestandenermaßen feit fünf Jahren vorbereitet und geführt worden. Sie haben nie ein Hehl daraus gemacht, daß fie ihren ganzen tiefgründigen Haß Den Angeklagten Hifler, Pöhner, Weber und Kriebel wird richten gegen die aus dem militärischen Zusammenbruch er tach Berbüßung eines Straffeiles von 6 Mo- wachsene Republit. 3mar haben sie umfängliche Gehälter naten Feftungshaft Bewährungsfriff für den und Pensionen von diefer Republik bezogen und teilweise Nebeneinnahmen in Schweizer Franten von nicht unbeträcht Strafreft in Aussicht gefteilt. licher Höhe. Aber sie sind deshalb nicht rot vor Scham geworden, sondern haben ihre bewaffneten Banden gebildet, die ein Schreden für ganz Bayern wurden, ganz wie die ftreifenden Landsknechtsscharen nach Beendigung des Dreißig Nach dem wochenlang andauernden Schmierenpathos besjährigen Krieges. Sie haben- und das ist der Rernpuntt Boltsgerichtstheaters folgt jetzt ein tagenjämmerlicher Schluß des Ganzen- diefes gefeßwidrige Treiben beginen und fort Lossow, Seißer und Kahr laffen sich entschuldigen. Sie sind seßen dürfen unter den Augen und mit freudwilliger Hilfe wie weiland Graf Leicester rechtzeitig verschwunden und der bayerischen Regierung. Diese feit den Kapptagen fozia werden erst später wieder in der Ordnungszelle auftauchen, liftenreine und antimarristische" Regierung ist mit die sie zur Heimstait der Meineidigen und der Butschiften aus schuldig an dem Verbrechen des Hochverrats, den die Hitler , dem ganzen Reiche gemacht hatten. Sie müffen jegt vor ihren Böhner und Ludendorff am 8. November begingen. Sie hat eigenen Böglingen in die Fremde flüchten, während die An- die Hitler- Banden so lange geduldet und mit ihnen als einer geflagten ihrer Strafen" harrten. gleichberechtigten Macht verhandelt, daß den Butschisten schließlich selbst der Glaube fommen mußte, fie wären eine wirkliche Macht. So tam es, daß das von allen Republikanern vorausgefehene Ereignis für die Regierungstreise um Kahr und Knilling überraschend hereinbrach, daß erst in der Nacht vom 8. zum 9. November, als Knilling bereits verhaftet war, die Gegenmaßnahmen getroffen wurden, die schließlich den Butsch zusammenbrechen ließen.
Segt ist das Urteil verfündet. Und zwar am 1. April, bormittags 10 Uhr. Wenn nicht der heutige Dienstag feit langem baffir festgefeht worden wäre, würde man versucht fein, die Meldung über die Strafen zunächst für einen Aprilscherz zu halten. Aber es ist bitterer Ernst damit: die Haupt angeflagten find zu Festungshaft mit Bewährungsfrist, der Hauptangeklagte aber freigesprochen worden. Die Herrschaften, die seit Wochen Agitationsreden gegen das Reich, die Republik und alle ihre Vertreter halten durften, haben den Ausgang der großen Komödie sicher erwartet. Denn fie ließen sich vorher noch gemeinsam photographieren. Das Bildnis der Helden wird bald auf allen völlischen Wahlflug blättern zu sehen sein, wie sie auf dem Hof des sogenannten Gerichts ein bißchen Ronterfeien spielen.
Und Ludendorff ist freigefprochen! 3um zweiten Male geht dieser Hochverräter durch Zufall" frei aus. Bie beim Kapp- Butsch wird auch diesmal Erich Lindström Ludendorff daherftolzieren fönnen als ein Mann, dem„ nichts bewiesen" ist. Bei einer Borliebe für die Juden wird ihm ficher selbst die Erinnerung an jenen Alten auftauchen, der ftola von fich erklärte: 3d habe 70 Jahre in Dftromo gelebt, un man fann mer nir beweisen.
Trotzdem wird Erich Ludendorff von allen Angeklagten fich am unglidlichsten fühlen. Bas das Gericht zur Be gründung seines Freispruchs auch fagen mag, bie Tatsache allein fpricht für fich, daß man ihn, ben„ größten Deutschen ", wie er fich mit Stolz nennen läßt, frei ausgehen ließ, während alle, die mit ihm putschten, wenigstens der Form nach ver urteilt wurden. Wenn er ein Schulbub wäre, dem nach dem Strafgesetzbuch erst der Nachweis erbracht werden muß, daß er die zur Erkenntnis der Strafbarkeit seiner Handlungen erforderliche Einsicht" besessen habe, oder wenn er mit dem Jagdschein des§ 51 ausgerüstet wäre, hätte er nicht anders behandelt werden fönnen, als er durch dies Bolksgericht behandelt worden ist. Zweifellos waren die Richter der Mei hung, daß ein Mann von der führenden Tätigkeit Luben
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Kahr, Lossow und Seißer haben sich den erwarteten Dvationen nach dem Urteilsspruch entzogen. Sie find in fonni gere Gefilde enteilt. Aber der Trümmerhaufen, den sie durch Duldung und Unterſtüßung schaffen halfen, bleibt! An ihn hat das Reich, hat das ganze Bolt zu tragen. Die Folge dieser Duldung und Unterstützung ist die 3er brochene Reichseinheit, die Bayern sozusagen außer halb der Reichsgemeinschaft gestellt hat. Die Justizgemeinschaft ist fo gut wie aufgehoben. In Bayern wird ein eigenes Recht gesprochen; Reichsrecht gilt nur noch nach Bedarf. Die banerische Regierung fonnte, ohne von dem Siz des„ teichsverderbenden, internationalen Marrismus Berlin zur Drd nung gerufen zu werben, deutsche Reichsgefehe außer Kraft fetzen. Sie konnte die bayerische Division der Reichswehr zur Meuterei veranlassen, indem fie fie felbft in Pflicht" nahm. Rura, bie bayerische Regierung hat ben Rampf gegen bas Reich mit ebenso verderblichen Mitteln geführt, wie die Hitler- Ludendorff, die dem„ Generalstaatstommiffar" das Springen lehren wollte.
Und schließlich darf in diesem Zusammenhange auch der Sünden der Reichsregierung nicht vergeffen werden, die in ihrer Bauderstellung auch verharrte, als bas Feuer in München bereits lichterloh zum Himmel schlug! hätte die Reichsregierung mur einmal sich zum entschiedenen Bupaden aufgerafft, nur einmal einen Bruchteil der über Schüffigen Energie entfaltet, die sie in Sachsen und Thüringen verpulverte, so wäre der nationalistische Sauftall" in
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München längst aufgeräumt gewefen. Da ihre bürgerlichen Glieder aber stets versagten und lieber den Austritt der Sozial demokraten aus der Regierung hinnahmen, als gegen Bayern die Reichsautorität zu wahren, so haben sie dadurch selbst zu dem Zusammenbruch beigetragen, der durch den Hittler- Prozeß offenbar wurde.
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Die Berurteilten frohlocken. Ludendorff hat Ursache, fich zu schämen, weil gerade er freigesprochen wurde. Und die Offiziere aus der Infanterieschule, die als Zeugen mit chwarzweißroter Rotarde statt des Reichsadlers vor Gericht erschienen, haben damit offen bekundet, daß fie auf eine Republik , deren Schwäche durch die eigene Regierung befundet wird, ebenso herabsehen, wie die Ludendorff. Hitler , Böhner und ihr ehrenhaftes Gefolge!
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Die Urteilsbegründung.
In der Begründung des Urteils heißt es: Im September 1923 mar aus den Sturmabteilungen der Nationalsozialistischen Arbeiterpartei und„ Oberland" und der Reichsflagge der Deutsche Rampfbund gebildet worden. Die Reichsflagge" trat bald aus dem Bund wieder aus, worauf fich die Reichs- Kriegsflagge", bestehend aus den nichtbane. tischen Mitgliedern der Reichsflagge", konstituierte und Kampfbund- Mitglied wurde.
3wed und Ziel des Kampfbundes
ergibt sich aus einer Rundgebung auf dem Deutschen Tag in Nürn berg nom 2. September 1923. Sie find der Niederschlag einer Beltanschauung, die in fchroffitem Gegensatz steht um margis. mus. Programm ift die Vernichtung der Weimarer Verfassung und des durch sie vertörperten parlamentarischen Systems, und Be feitigung aller Folgen der Revolution von 1918, insbesondere der auf ihr fuhenden und in ihrem Geiste tätigen Regierung. Ins die Freiheit erkämpft werden müsse durch die nationale Selbsthilfe des Boites, baß aber der in Weimar errichtete deutsche Staat nicht Träger dieser deutschen Freiheitsbewegung sein fönne. Für die Sturmabteilungen " Nationalsozialistischen Arbeiter.
partei" ist
ber
diefes Ziel noch näher bezeichnet worden in dem Nachrichtenblatt Nr. 2 vom 26. Oftober 1923. Danach hat Hitler am 23. Oktober die politische Lage dahin aufgefaßt, daß ber Kampfbund im Gegensatz zu der engftirnigen, rein auf bane. rifche Abwehr eingestellten Bolitit der Kräfte hinter der banerifchen Diftatur" nur den Weg gehen fönne: Aufrollen der deutschen Frage in letzter Stunde von Bayern aus, Aufruf einer deutschen Freiheitsarmee unter einer deutschen Regierung in München , Durchführung des Kampfes in ganz Deutschland bis zur Hiffung der Berlin zum Zeichen der Befreiung Groß- Deutschlands . Leiter des Kampfbundes waren die Angeklagten hitler und Kriebel Erfterer war zugleich Borstand der Nationalsozialistischen Arbeiter partei. Neben ihm fungierte der Mitangeklagte Brüdner. Führer von Oberland" war der Mitangeklagte Dr. Weber, Führer der Reichsfriegsflagge" ber Mitangetlagte Rohm. Die Mitangeklagten Cubendorff. Pöhner und Frid flanden, ohne Mitglieder einer der im Kampfbund vereinigten Berbände zu sein, dem Bunde nahe.
Am 26. September 23 wurde nach Aufgabe des passiven Ruhr. widerstandes vom banerischen Gesamtministerium auf Grund des Art. 48 der Reichsverfassung, nach§ 64 der Bayr. Berfassungsurkunde der Regierungspräsident von Oberbayern , Dr. v. Kahr, zum Ge neralstabsfommissar bestellt und ihm die vollziehende Gewalt über
tragen.
Als seine Aufgabe betrachtele Kahr ebenfalls den Kampf gegen den Marrismus und die Schaffung eines überparteilschen in feinen 3ielen nach rechts gerichteten und von dem Drud und den wechselvollen Einflüffen des Parlaments befreiten Direktoriums. Während fich fofort die übrigen vaterländischen Berbände hinter Kahr stellten, verhielt sich der Kampfbund" zunächst abwartend. Auch in ber Folgezelt wurde trotz einer ganzen Reihe von Besprechungen, die in enger Fühlung mit Rahr, meift von den Zeugen von Lossow und . Seißer als den Vertretern der staatlichen Machtmittel. nämlich der Reichswehr und Landespolizei, mit den Bertretern des Kampfbundes geführt wurden, jetenfalls
fein restloses Einvernehmen erzielt.
Es behaupten aber die Angeklagten, auf Grund dieser Be sprechungen und gewiffer Maßnahmen des Generalstaatsfommiffars, sowie Lossows und Seißers, und der über die Besprechungen unter fich gepflogenen Unterredungen, an denen( außer Ludendorff , Wagner und Bernet) auch die Mitangeklagten, die an jenen Besprechungen nicht teilgenommen hatten, unterrichtet wurden, der Ueberzeugung gewefen zu sein, daß im Grunde Einverständnis mit Kahr , Cossom und Seiker befiehe, daß diefe aber von sich aus nicht die Entschlußfraft aufbrächten, das gemeinsam Gewollte in die Taf umzusehen. Dieses gemeinsam Gewollte war nach der Behauptung der Anaeflagten Hitler , Dr. Weber, Kriebel und Böhner, furz gefagt, die Lösung der deutschen Frage, entsprechend dem schon erwähnten Kampfbund. Programm, also in ber Weise, baß in Banern eine großdeutsch ein geftellte, von den Feffeln des Barlamentarismus befreite
nationale Reichsdiktatur ausgerufen und mit brachialer Gewalt nach Berlin , dem Sih des relchsverderbenden internationalen Margismus, vorgetragen werbe. Das Instrument hierzu sollte die nationalarmee sein, als beren Grundstod die gefamte Reichswehr fomie die Landespolizei