Nr. 15941. Jahrgang
Hunde und Kinder.
1. Beilage des Vorwärts
Wer über Belästigung der Menschen durch Hunde flagt, wird meist von Leuten, die sich Hunde halten, raschfertig zum Hunde feind" gestempelt. Man kann die Hunde lieben( sie verdienen es!) und braucht deshalb doch noch lange nicht alle ihre Lebensäuße= rungen als angenehm und erfreulich zu empfinden, z. B. nicht ihr nächtliches Gebell und Geheul oder ihre gelegentlichen Attacken auf fleine Kinder. Mancher hält sich einen Hund und möchte danach schon als Hundefreund gelten, handelt aber an seinem Hund gar nicht so, wie ein Freund des Hundes es müßte. Und mancher treibt wieder seine Hundefreundlichkeit so weit, daß sie zur Rücksichtslosigfeit gegen Menschen wird und Menschen zu Feinden der Hunde machen kann. An diesen hundefeindlich wirkenden Hundehaltern
fich als Erzieher zu betätigen, wäre für die Tierschutzorganisationen eine lohnende Aufgabe, und sie hätten dabei auf den Dank aller wahren Hundefreunde zu rechnen. Schüßt die Hunde vor den Freunden", die ihnen nur Feinde schaffen!
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Ein Hundefreund" dieser Art wohnt in der äußeren Schönhauser Borstadt am Arnimplag. Sein Hund ist gefürchtet bei Kindern und bei den um ihre Kinder besorgten Eltern, Mitte März wurde auf dem Bürgersteig ein dreijähriges Mädchen von dem großen und kräftigen Lier, das auf die Straße hinausstürmte, angefallen und durch Bisse schwer verlegt. Das Kind, dem das Gesicht zerfezt war, mußte dofort in ein Krankenhaus gebracht werden, und dort wurde, da man Tollwut für möglich hielt, auch die Schuhimpfung ausgeführt. Nach der fürzlich erfolgten Entlassung aus dem Krankenhaus haben wir das Kind gesehen und wir fonnten uns überzeugen, dast durch die Bisse des Hundes die Mange vom Mundwinkel bis zum Ohr aufgerissen und auch das Ohr verletzt worden war. Das Gesicht des hübschen Mädchens wird jetzt durch arge Narben entstellt, die wohl niemals ganz schwinden werden. Der Hundehalber ist zwar schadenersatzpflichtig, aber was es foftet, bezahlt für ihn die HaftpflichtversicheMan antworte uns hier nicht, daß Kinder sich eben hüten müssen, Hunde zu reizen. Daß sie das nicht dürfen, werden alle verständigen Eltern ihren Kindern einschärfen. Aber diesem schüchternen Kind, diesem winzigen Büppchen von drei Jahren die Schuld zuschieben zu wollen, wäre ja Wahnsinn. Nein, wer einen so ge= fährlichen hund hält, der hat die Pflicht, hinreichend dafür zu sorgen, daß fein Schaden angerichtet wer den kann. Und wenn diese Pflicht nicht erfüllt wird, dann ist es nur recht und billig, daß der Schuldige gebührend zur Berantwortung gezogen wird.
Wahrscheinlich wird jetzt auch dem Verfasser dieser Zeilen das Schicksal blühen, zu den Hundefeinden" geworfen zu werden. Zur Beruhigung derer, die zu schnellem Berdämmungsurteil bereit sind, fei es gefagt: faum irgendein Hundehalter kann so, wie er, in die Hunde verliebt sein. Aber das darf nicht blind machen gegen die Sünden der Hundehalter, die einen Hund nicht zu erziehan verftehen und einen Hund zu haben nicht wert sind.
Die verräterische Schneespur.
Durch einen besonderen Glückszufall ist eine Konfektionsfirma auf rasche Weise wieder in den Besitz der ihr durch einen nächtlichen Einbruch gestohlenen 52 Ballen Tuch gelangt. In der Nacht des 7. Januar d. Js. bemerkte der Wächter eines Grundstücks in der Wallstraße, daß in dem Hause ein Einbruch verübt mar. Die sofort benachrichtigte Polizei fonnte auch auf eine sehr leichte Weise die Verfolgung der Diebe aufnehmen. Es hatte nämlich in der Nacht starf geschneit und in dem frischen Schnee war eine Wagenspür zurückgeblieben, der die Beamten folgten. Die Spur führte bis zu einem Grundstück in der Manteuffelstraße vor die Remise des Händlers Franz Dominas. Der Wagen mit en Tuchballen befand sich in der Remise und das Pferd war bereits abgeschirrt. Die Remise selbst war zugeschlossen. Als der Besizer der Remise am nächsten Morgen um 8 Uhr verhaftet murde, wollte er von der ganzen Sache nichts wiffen. Er behauptete, daß er in der Nacht in der Zentralmarkthalle gewesen sei. Gegen über der Anklage wegen Einbruchsdiebstahls brachte der Verteidiger vor dem Amtsgericht Mitte einen Zeugen herbei, der gesehen haben wollte, daß drei fremde Männer vor dem Stall sich auf gehalten hätten. Der Verteidiger behauptete nun, daß frühere Angestellte des Angeklagten sich einen Nachschlüssel verschafft haben müßten, um sich damit das Fuhrwerk des Angeklagten zur Benehung des Diebstahls herauszuholen. Beim Rücktransport müßten die Diebe gemerft haben, daß sie verfolgt worden seien und den Wagen mit Inhalt in die Remise zurückgefahren haben, um die
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( Nachdruck durch Malit- Berlag, Berlin .)
Der Bürger.
Von Leonhard Frank . Schluchzen stieß ihn. Da fühlte er sich innerlich berührt und ließ sich führen, hinauf in das Zimmerchen, das er als Kind und Jüngling bewohnt hatte. In der Hand den filbernen Leuchter, den nach bestandenem Abiturienteneramen die Tante ihm mit den Worten geschenkt hatte:„ Wenn ich tet bin, bekommst du alles," betrat er scheu die Kammer, in der seit vielen Jahren kein Mensch mehr gewesen war.
Ueber dem versessenen Lederkanapee hingen noch, oval gerahmt und symmetri'ch zu einem grozen Oval geordnet, die vergilbten Photographien der Familie Kolbenreiher. Und auf dem Bücherbrett standen verstaubt die Reisebeschreibungen in bilderreichen Umschlägen. Die Luft war stockig wie in einer
Totentammer.
Der große, schwergewordene Mann blickte, tief erschüttert pon dem Befuche bei feiner Jugend, atembenommen die verblaßten Wände an und seinen riesenhaften Schatten. Und begann, traumwandlerisch, sich wie ein Jüngling zu benehmen, räumte. durchhebt non innerlichem Weinen, die Bücher heraus, ordnete sie wieder hinein und schlich, den Zeigefinger am gespizten Munde, mit der Schreckensvollen Reise ins Erdinnere" zum Kanapee. Ein irr- schlaues Lächeln im Ge. ficht, erhob er sich noch einmal, 30g mit seinem Taschenmesser einen Riß um die Kerze herum, zwei Zentimeter unter dem Docht, und begann zu lesen.
Nein, nein, ach, nein, das hilft Ihnen nicht." Jürgen blickte auf Die Stimme hatte so traurig und mitleidig geflungen. Das hilft mir nicht," flüsterte er weinend.„ Das hilft mir nicht."
Bor ihm lag, weit hingebreitet, ein fremdes Stück Land, entzweigespalten durch einen gewaltigen Abgrund. Rechts war eine blanke Asphaltfläche. In der Mitte stand ein gelbes Streichholzfhähtelchen.. Are Schulkameraden, Geschäftse freunde und Bekannten Jürgens schritten auf das gelbe Schächtelchen zu, in dem eine Banknote lag. Auf dem Schächtelchen stand das Wort„ Achtung". Von allen Seiten famen fie herbei und verbeugten sich vor dem Streichholzschächtelchen, ftießen einander weg, verteugten sich.
Entdeckung zu verhindern. Der Amtsanwalt hielt den Angeflaten mindestens der Beihilfe schuldig. Der Angeklagte hatte aber mit seiner Verteidiung Glück, denn der Richter hielt den Nach erbracht und entschied sich troy des Vorliegens der schwersten Berweis der Beteiligung des Angeklagten an dem Diebstahl nicht für dachtsgründe für eine Freisprechung.
Die eifersüchtige Freundin.
Eine Liebestragödie.
Am 9. September vorigen Jahres wurde in einem Hotel in Charlottenburg ein Liebespaar vergiftet aufgefunden. Während die 20jährige Friseurin Klara Pech bereits tot war, gab ihr Beliebter, der Operntenor Viktor Lipp, noch schwache Lebenszeichen und konnte im Krankenhaus schließlich ins
Deffentliche Wählerversammlungen
heute, Donnerstag, den 3. April, abends 7% Uhr: Wilmersdorf : Bismard- Gymnasium, Pfalzburger Str. 30/31. Referent: Schriftsteller Gerhart Seger . Buchholz: bei Kähne, Berliner Straße 39. Referent: Bezirks verordneter Herm. Lempert. Wittenau : Lokal Friedrich Schulze, Oranienburger Str. 88/89. Referent: Landtagsabgeordneter Lüdemann.
Donnerstag, 3. April 1924
Weise erworbenen Einkünften gelebt zu haben. Die Anschuldigung ging von der eifersüchtigen Freundin Takas aus, die in ihrer Strafanzerge behauptet hatte, daß Tafa ihr wenige Tage anwalt Dr. Anderssen bezeichnete diese Behauptung der im vor ihrem Ende ein dahingehendes Geständnis abgelegt hatte. Rechtsübrigen jeg: nicht auffindbaren, angeblid) in Italien befindlichen Beutungszeugin als einen Racheaft aus Eifersucht. Der Angeklagte selbst versicherte dem Gericht, daß er derart in Taka verliebt gewesen sei, daß er den Gedanken, sie im Verkehr mit anderen Männern zu wissen, gar nicht hätte ertragen fönnen. Ueberdies sei er bis furz vor dem Vorfall in fester Stellung bei hiesigen Theatern gewesen. Wenn er gewußt hätte, daß Laka„ heimlich auf den Strich" gehe, würde er das Verhältnis keineswegs fortgesetzt haben. Das Gericht gewann die Ueberzeugung von der Grundlosigkeit Staatstaffe frei. Der Haftbefehl wurde aufgehoben. der Anschuldigung und sprach Lipp auf Kosten der
Völkischer Radau.
Und was WIB. zu melden weiß...
Zu dem völkischen Radau bei der gestrigen Beerdigung perbreitet das Wolff- Bureau eine ziemlich überflüssige Metdes in französischer Gefangenschaft verstorbenen Willi Drener dung, die den Eindruck erwecken soll, als ob die gesamte Ber. anstaltung völlig ruhig verlaufen sei. Trotzdem muß selbst das effiziöse Bureau zugeben, daß es zu„ einiger Unruhe" gekommen ift. Es ist zweifellos ein Skandal, wenn in Berlin Hitler - Leute eine derartig ernste Kundgebung zu Beschimpfungen derselben Republit, die den Toten, der für sie starb, ehrt, mißbrauchen können. Die WTB.- Meldung hat folgenden Wortlaut:
Freitag, den 4. April, abends 7½ Uhr: Spandau : Konkordia- Säle, Klosterstraße 13/15. Referent:„ Ein Berliner Mittagsblatt veröffentlicht in großer Aufmachung Dr. Rud. Breitscheid. einen Bericht über Zusammenstöße nach der gestrigen Trauerfeier Steglih: Paulsen- Gymnasium, Arndtstraße. Referent: auf dem. Anhalter Bahnhof. Demgegenüber wird von zuständiger Niederschöneweide : Aula Mädchenschule, Berliner Straße. wehr die Bahnhofstraße von der Schutzpolizei vorübergehend abge Dr. Paul Levi. Seite festgestellt, daß die Feier selbst ohne jede Störung in würdigster Form verlief. Erst als nach dem Abmarsch der ReichsReferent: Eduard Bernstein. sperrt wurde, um zu verhindern, daß ein Teil der Berbände mit wehenden Fahnen hinter der Reichswehr hermarschierte, entstand verübergehend einige Unruhe. Das Gedränge benußte ein junger Mann, um eine schwarzrotgoldene Fahne herabzureißen. Seine Persönlichkeit wurde festgestellt, ebenso einige andere junge Leute in seiner Umgebung, die mit GummiPnüppeln bewaffnet waren. Der Zwischenfall blieb somit ohne ernstere Folgen."
Tagesordnung in allen Versammlungen:
Der Kampf um den neuen Reichstag!
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Deffentliche Wählerinnenversammlung
heute, Donnerstag, den 3. April, abends 7 Uhr: Neukölln: Aula Kaiser- Friedrich- Straße 4. Tagesordnung: Mieter- und Wohnungsfragen( mit Lichtbildern). Referent: Stadtverordneter Gufschmidt.
Leben zurüdgerufen werden. Das Pärchen hatte sich entschlossen, gemeinsam in den Tod zu gehen, indem es große Mengen Morphium und Kokain nahm. Die verstorbene Klara Bech spielte mehrere Jahre in der Berliner Lebeweit eine gewisse Rolle. Sie war unter dem Namen„ Tata" dort sehr bekannt Bald war fie Lebedame, bald Landstreicherin. Sie trieb sich in nächtlichen Rofainhöhlen und Kaschemmen herum. Das zierliche hübsche Mädchen fand immer wieder Leute, die sich ihrer annahmen und sie hochzubringen versuchten. Sie hielt es aber auf jeder Arbeitsstelle nur kurze Zeit aus. Als sie bei einer Razzia aufgegriffen worden war, hatte ein Polizeifommiffar ihr in feinem Haushalt eine Stelle ge= geben. Die Sucht nach Zigaretten und Kokain trieb fie aber bald wieder auf die Straße. Schließlich war sie von einer älteren Frau, einer Sekretärin Inge A., aufgenommen worden, die zu ihr eine gewisse Neigung gefaßt hatte. Eines Tages lernte sie den Sänger Lipp kennen, der mit ihr ein Liebesverhältnis einging. Die Freundin verfolgte beide aber in ihrer Eifersucht und fuchle das Paar auseinanderzubringen, so daß beide den Entschluß faßten, gemeinsam aus tem Leben zu scheiden. Für den wieder ins Leben zurückgerufenen Lipp hatte der Fall noch ein böses Nachspiel. Nachdem gegen ihn zunächst eine Boruntersuchung geführt worden war, weil er seiner Geliebten Gift beigebracht hoben sollte, was sich aber als grundlos erwies, wurde er jetzt aus sechsmonatiger Untersuchungshaft dem Strafrichter des Landgerichts III unter Anschuldigung der Zuhälter ei vorgeführt. Er wurde beschuldigt, die Berstorbene seinerzeit auf die Straße geschickt und von ihren auf diese
Auf der andern Seite des Abgrundes: eine milde Wiese. Darauf weidete ruhig ein altes Pferd. Weiter rückwärts ist die Wiese wild, und da, wo sie mit dem Himmel zusammengeht, find Jugend, Begeisterung, Ziele, feurig beleuchtete Gefichter: Jünglinge, die unter Hingabe ihres Lebens sich bemühen, das Pferd, das die Liebe ist, über den gewaltigen Abgrund weg zu den Bürgern zu schaffen.
" Die bemerken es ja gar nicht. Und aus diesem unheimlichen Grunde ist es den Jünglingen ganz unmöglich, das Pferd über den Abgrund herüberzuschaffen," sagte Jürgen.
Da wurde seine Hand gezwungen, ein Streichholzschächtelchen au entleeren und eine Banknote hineinzulegen. Er stellte das Schächtelchen auf den Fußboden, verbeugte sich. Die Fäuste zur Brust hochgehoben, sprang er in gleichmäßigem Trabe um das Schächtelchen herum. Die Villa zitterte. Jürgen feuchte und schwizte, verbeugte sich, rannte weiter im Kreise.
Die Uhr schlug zehn. Die Macht der Gewohnheit beendete sofort den Tanz." Schlafen," sagte er, verzerrten Gesichtes gähnend und feuchend in einem. Griff nach dem Leuchter.
Stand bei der Tür, als ob er eben eingetreten wäre. Sein Kopf war frei. Ich muß die Kammer einmal gründlich durch lüften laffen," sagte er und ging in das Schlafzimmer. Bunft acht Uhr betrat er am andern Morgen das Bureau. Erst nachdem er einen halben Kanzleibogen vollgeschrieben hatte, hörte er mitten im Worte auf. Ich wollte ja Ich wollte ja nicht mehr ins Bureau gehen.. Aber ist denn das möglich? Halte ich das aus? Oder halte ich das nicht aus?" Weder noch!"
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Da wurden die drei Beamten von einem Knall in die Höhe gerissen: Jürgen hatte das Tintenfaß durch das zerFrechende Fenster hinunter in den Lichthof geschleudert. Ein Tintentropfen rollte langsam an der Stirn herunter, am tobfüchtig glozenden Auge vorbei, über die dicke Backe.
Wenn Sie fo'che Sachen machen, zieht man Ihnen ja die 3wangsjade an. Nun find Sie selbst aber schon eine 3wangs jacke von Ihrem Selbst. Sie würden also über die Rwangsiade eine Rwangsiede angezogen bekommen. Bedenken Sie, welch entfehliche Hilflofigkeit." Die Stimme hatte vorwurfs voll und dabei sehr milde geklungen.
,, Jawohl, da ist es schon besser, ich gehe wieder," fagte Jürgen und ariff nach feinem ute. Die zwei ingen Beamten machten unabgewandten Blickes mit den Beinen ein
ander aufmerksam.
Wie es im Anschluß an die Rundgebung auf dem Anhalter Bahnhof zuging, beweist auch die Zuschrift eines Augenzeugen. Er schlossen und uniformiert vorbeizogen, ein och auf die Reputeilt mit, daß, als er am Bayerischen Plazz, wo die Hitler - Leute ge 61it ausbrachte, er brutal von diesen völkischen Heldenjünglingen zu Boden geschlagen wurde. Nachdem sich der Mißhandelte Dom Boden erhoben hatte, erklärte er tapfer, er werde sein Hoch wiederholen, was er auch tat. Die Folge war eine neue Mißhandlung. Die Hitler - Leute hatten sogar den Mut zu sagen, Polizei nahm hierbei eine passive haltung ein. daß sie Hochrufe auf die Republik nicht geftatten. Die anwesende Solche Vorgänge tragen natürlich dazu bei, den 5) a ß und die Ber achtung, die die republikanische Bevölkerung gegen diese Art voy Bolfsgenossen" empfindet, erheblich zu steigern. Sie steigern aber auch den Billen zur Abwehr, und das ist das einzige Gute bei der ganzen Sache.
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Der Auslandsbrief in der Unterhose. Bei einem Befuche ieiner Geliebten wurde ein 29 Jahre alter verheirateter Postschaffner Alfred Bortwald verhaftet, der wegen Unterschlagung von Auslandsbriefen gesucht wurde. Bortwald wurde vor acht Tagen entlarvt, als er auf dem Bostamt 21 einen Auslandsbrief für einen anderen Bestellbezirt unter die von ihm auszutragenden Sachen gefchmuggelt und dann in der linterhofe veritedt hatte. Bei ihm fand man eine Reihe von Schecke, die er aus unterschlagenen Auslandsbriefen entwendet hatte, noch mehr aber bei seiner Geliebten, bei der er sich aufzuhalten pflegte. Während der Durchsuchung dieser Behausung, die aus einem Stüd eines Hausflurs besteht, fand er Gelegenheit zu entwifchen und flüchtete nach dem Grunewald . Nur ab und zu fam er zur Nachtzei zu feiner Geliebten, um sich mit Nahrungsmitteln versorgen zu laſſen. Bei einem dieser Befuche wurde er von Beamten der Kriminalpostdienststelle überrascht und festgenommen. Wieviel der Verhaftete im ganzen erbeutet hat, ist noch nicht festgestellt.
Von einer fremden, hinter seinem Rüden stehenden Machi wurde Jürgen durch die Straßen geschoben zum Nervenarzt
Bein übergeschlagen, beide Ellbogen so auf die Seffellehnen gestüßt, daß die gefalteten Hände und das Kinn vor der Brust zusammentrafen, hörte der schweigende Neurologe dem Patienten zu. Und Jürgen empfand Dankbarkeit diesem Manne gegenüber, der offenbar alles schon zu wissen schien und sich dennoch alles erzählen ließ.
,, Na," unterbrach der Professor und schnellte, ein abschließendes, vertrauenerweckendes Lächeln im Gesicht, vor, griff nach Jürgens Puls. Der Sprungdeckel des goldenen Chronometers gab mit einem beruhigenden Knacken das 3iffernblatt frei. Die Arztaugen blickten zur Decke.
Das Herrchen saß schwarz auf dem Tintenfaß aus schwarzem Marmor und schüttelte verneinend und mitleidig das Röpfchen.
,, Und jetzt die Zunge!" Jürgen streckte die Zunge heraus. ,, Sie sind vollblütig und haben. leider trotzdem, ich sage es Ihnen auf den Kopf zu, täglich Suppe gegessen, Fleisch). " Wachsweiche Eier zu essen, hat mein Hausarzt mir ge
auch Eier! Stimmt das?"
raten."
Das überhörte der Profeffor. So viel über Ihren förperlichen Zustand. Und was Ihren seelischen Zustand betrifft, über den, wie Sie sich ausdrückten, Sie keine Kontrolle mehr zu haben glauben, so ist dazu zu sagen, daß es, streng naturwissenschaftlich gesprochen, einen feelischen Zustand in Ihrem Sinne gar nicht gibt, aus dem einfachen Grunde, weil es, streng naturwissenschaftlich gesprochen, verstehen Sie, eine Seele, in dem Simme, wie Sie sie auffassen, nicht gibt."
Er blickte Jürgen ermunternd an, als wolle er sagen: Sehen Sie, fo einfach ist diese Sache, wenn man sie wissenfchaftlich betrachtet.
„ Es gibt mur Körper, Herr Kolbenreiher, Körper, angefangen bei dem mit Bernunft und Bewußtsein, bedachten, höchft entwickelten Tier, nämlich dem Menschen, zurück über den Affen, das Pferd, den Esel, den Hund, den Wurm, die Schnafe, die Laus( wenn Sie gestatten), die Pflanze und den leblofen Dingen, bie, ebenso wie die Pflanzen, die Tiere und wir, aus Atomen bestehen. Das ist, von der Naturwissenschaft aufgebaut und bis in die letzten Winkel durchleuchtet, der für uns alastlar gewordene Kosmos, in dem die mittelalterliche Hypothese Seele", wie Sie sie auffaffen, feinen Raum mehr hot." ( Fortsetzung folgt.)