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Abendausgabe
Sr. 20341.Jahrgang
= Vorwärts
Ausgabe B Nr. 102
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Berliner Volksblatt
5 Goldpfennig
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Mittwoch
30. April 1924
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Zentralorgan der Vereinigten Sozialdemokratischen Partei Deutschlands
Rußland und die deutschen Wahlen.
Neue Instruktionen an die KPD .
Ein russischer Genosse, der erst vor furzem Ruß -| Bulgärmarristen aus der Schule Lenins die komplizierten land verlassen hat, schreibt uns:
Je näher die deutschen Reichstagswahlen heranrüden, desto stärker wird die Unruhe und Verwirrung in Moskau . Sowohl der allmächtige Sino wje w wie der soeben zurüd gefehrte Trofi erörtern immer wieder in langen Reden und Artikeln die deutschen Angelegenheiten.
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Drei Fragen beschäftigen hauptsächlich die russischen bol schemistischen Führer: der Ausgang der deutschen Reichstagswahlen, die Perspektiven der Revolution in Deutschland und die Taktik der deutschen Kommunistischen Partei. All diese Fragen hängen felbstverständlich eng miteinander zusammen und laufen im Grunde genommen in der Frage über Sein oder Nichtsein der deutschen Kommunistischen Partei zu fammen. Am einfachsten wird anscheinend die Frage der deut= fchen Wahlen in Moskau gelöst. Mag der Hitler- Ludendorff: Prozeß in München , ebenso wie der Ausgang der Wahlen in Bayern , Thüringen , Medlenburg die ungeheure reaktionäre Gefahr in Deutschland aufgedeckt haben, die selbst von der Erefutive der Kommunistischen Internationale in ihrem Schreiben an den Parteitag der KPD. zugegeben wird für die patentierten Hüter der Weltrepolution in Moskau steht der Hauptfeind nicht außerhalb der Reihen der Arbeiterklasse, nicht auf dem äußersten rechten Flügel der junkerlich- bürgerlichen Reat tion, sondern in den Reihen des Proletariats felbst. Die deutschen Kommunisten verkündete das Haupt der Kommunistischen Internationale, Sino wjew, in der Sigung des Petersburger Sowjet müssen in der bevor stehenden Wahltampagne alle ihre Kräfte anspannen, um der deutschen Sozialdemokratie einen entscheidenden Schlag zu versetzen; endgültig jedoch wird der Streit mit ihr entschieden werden auf den Barrikaden und im Bürger trieg." Die Sache ist also recht einfach: Die deutschen Kommunisten geben mit der Parole des Bürgerkrieges innerhalb der Arbeiterklasse zu den Wahlen und erringen den Steg. Der Erfolg bei den Wahlen ist gesichert. Dennoch wird der groß mäulig siegessichere Sinomjem von heftigen inneren 3weifeln geplagt. Was soll geschehen, wenn die täppische, ungefchidte KPD. auch diesmal den Sieg verscherzt"? Für alle Fälle läßt Sinowiew eine Hintertür offen. Wenn die PD. wenig Stimmen und Mandate erhält, so wird das für fie, nach den Worten Ginowiews, nichts anderes als eine Episode bedeuten, da sie ihr legtes Wort nicht auf dem parla mentarischen Kampffelde, sondern auf den Barrikaden sprechen wird".
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Probleme der auswärtigen Politik und des internationalen Befreiungsfampfes des Proletariats lösen". An die Stelle einer Prüfung der realen Kräfte und der objettiven Entwid lungstendenzen fehen sie ihre utopischen Erwartungen und ihren rein religiösen Glauben in die wunderbare Kraft der Gewalt als der„ Geburtshelferin der Geschichte". Nur ein Mann, ber, wie Tropfi, gleichzeitig Utopift und Jafobiner ist, kann beispielsweise folgenden Saz aussprechen:„ Würde Macdonald den Sizungsfaal des Unterhauses betreten, das fommunistische Programm in die Hand nehmen, mit der Faust auf den Tisch schlagen und sagen: Nehmt das Programm an oder ich jage Euch zum Teufel!", so würde man England nach zwei Wochen nicht mehr wieder erkennen!"
Angesichts einer folchen lächerlichen Unkenntnis der euro -) päischen Berhältnisse braucht man sich nicht zu wundern, daß die Bolschewisten im Kreml , die sich noch immer fälschlich auf Marr berufen, dem fubjettiven Willensfattor, der für sie in der bolichemistischen Partei verförpert ist, eine so ungeheure Bedeutung beimessen. Nach dem Kriege, erklärte Troyti, jei in ganz Europa eine revolutionäre Situation vorhanden gewesen. Woran mangelte es? Es fehlte nur eine bolsche wistische Partei. Das war das größte unalüd. Ferner sei die Situation im Herbst vorigen Jahres in Deutschland für einen Sieg des Proletariats außerordentlich günstig gewesen. Boran mangelte es dann? Wiederum fehlte eine bolichemistische Partei, es fehlte ein Führer, wie ihn die russischen Kommunisten im November 1917 gehabt haben!
Dię russischen Kommunisten, die nicht im Geiste von Mary, sondern im Geifte von Bakunin handeln, stellen sich nicht die einfache Frage, warum eigentlich trop aller Bemühungen der Kommunistischen Internationale und der Ströme russischen Goldes, die in die Taschen ihrer Söldlinge fließen, weder in Deutschland noch in den übrigen westlichen Ländern feine bolichemistische Partei nach russischem Muster herangezüchtet werden fann und fein Führer erscheint, der Lenin ähnlich fähe. Daß es in diesem Punkte um Deutschland schlecht bestellt fei, ist von den russischen Kommunistenführern mehrfach anerkannt worden. Auch Trokki gibt zu, daß die KPD. treu und ergeben ihre Aufgabe erfülle. Aber ihr fehle die Moskauer Festigkeit, um nicht wiederum, wie im Herbst vori gen Jahres, die revolutionäre Gelegenheit zu verpassen".
Leitung täglich wechselnder Diftatoren anvertrauen, die ihr von außen her aufgezwungen werden.
Mögen deshalb Sinowjew und Trohki schon jetzt den Wahls sieg ihrer Gesinnungsfreunde in Deutschland feiern und den offe nen Bürgerkrieg gegen die Sozialdemokratie proffamieren. Die weitere Entwicklung wird ihnen bittere Enttäuschun gen bringen. Keinerlei vorübergehende Erfolge, die sich aus der Berbitterung breiter proletarischer Schichten ergeben, können die Tatsache verschleiern, daß die deutsche Komunu nistische Partei feine Zukunft hat. Die einzige Maffenpartei des deutschen Proletariats, die seine Gegenwart und feine Bufunft verkörpert, ist und bleibt die deutsche Sozial demokratie!
Sie leugnen alles.
Die Kommunisten handeln nach der Devise: immer nur feste ableugnen und lügen, vielleicht macht unsere rech heit doch auf die Dummen, die nicht alle werden, noch Eindruc. Nach dieser Parole behandelt sie die Mitteilungen über die Aufdeckung einer ihrer Partei angegliederten Geheimorgani fation, die u. a. auch dem menschenfreundlichen Zweck der„ Befeitigung" Unbequemer dient. Wenn die Sozialdemokratie darauf. hinweist, daß die KPD. sich von einem Teil der Arbeiterbewegung zum regelrechten Banditismus entwickelt hat, dann wird gefchrien über sozialdemokratische Denurziationen. In Wirklichkeit tönnen die Kommunisien gar nicht leugnen, daß fie neuerdings die " Beseitigung" Unbequemer sich zur Aufgabe gemacht haben.h: einem langen Entrüftungsartitet der Roten Fahne" heißt es mörtlich:
uns mif
„ Wir Kommunisten verhehlen nicht, daß wir alten Mitteln gegen den Spigelapparat der Regierung und dem sozialdemokratischen Polizeipräsidenten zur Wehr sehen. Jeder Bolizeifpigel, der es wagt, fich in die Reihen unserer Partei einzus fchleichen, seht sein Leben aufs Spiel. Wir kommy, nisten perhehlen nicht, daß wir keine Pazifiſten find, weher im Stampf gegen unsere inneren, noch gegen die äußeren Feinde.
Daß die Kommunisten feine Pazifisten sind, ist allerdings un bestreitbar. Messerstechereien liegen ihnen näher. Allerdings werden sie nicht verlangen tönnen, daß man sie noch zur ernst zu nehmenden Arbeiterbewegung rechnet. Lächerlich ist es, wenn Leute, die ganz offen die Schaffung bewaffneter Organisationen gegen die Staatsgewalt propagieren, die dem freien Wahlrecht das Maschinengewehr gegenüberstellen. fich als verfolgte unschuld ausgeben und glauben, dadurch bet irgend jemanden Sm pathie erwecken zu können. Wie sehr der Banditismus in der KPP. überhand nimmi, zeigt eine Meldung der„ Leipziger Bolkszeitung vom Dienstag, den 29. April:
Der Vorwurf ist schwer. Aber was soll die arme KPD . ſie tun, um diese Vorwürfe gegenstandslos zu machen? Hat fie nicht der russischen Partei in allem sklavisch nachgeahmt? Hai sie nicht auf Befehl aus Moskau gehorsam ihre Barolen, ihre Tattit geändert, eine Führergarnitur durch die andere erfeßt, einmal um das andere ihren Kurs geändert? Wie lange ist es her, daß sie auf Befehl aus Moskau den linken Kurs" ein schlug und sich unter das Kommando von Ruth Fischer und Werner Scholem ftelite? Und nun, schon nach wenigen Wochen, werden diese Helden der revolutionären Phrase von Sino w jew desavouiert, der sie als äußerst unreife Elemente ohne marristische Schulung" bezeichnet und gleichzeitig anfündigt, daß ein Konflikt zwischen der Kommunistischen Internationale und dem linken Flügel der KPD .„ absolut unvermeidlich" sei. Was ist die Ursache dieser plötzlichen Wandlung? Was Radek vorausgefagt hat, ist eingetreten: Der„ linfe Kurs" erwies fich mit dem Gang der Ereignisse nicht vereinbar. Erbünde der RBD. zu handeln, die sich seinerzeit auf Grund des Betführte die deutsche Kommunistische Bartei in eine Sadgaffe. Die Wahlkampagne deckte die ganze Unfähigkeit der revolutionären Phrasenmacher in der KPD. auf. Je mehr sich die wirtfchaftlichen Verhältnisse in Deutschland befestigten, desto deutlicher trat die Tatsache hervor, daß die kommunistischen Katastrophenpolitiker die Fühlung mit der Masse verloren und ihre Bartei immer mehr in eine Seckte verwandelten.
Wie steht es aber mit der Frage der Barrikaden und der Machteroberung in Deutschland ? In diesem Punkte fühlen sich die Führer der Kommunistischen Internationale recht unsicher. In ihrem Schreiben an den Barteitag der KBD. heißt es aller dings, daß die grundlegende Einschäzung der Situation die alte geblieben sei: der Kurs gehe in der Richtung zur Revolution. Die deutsche Kommunistische Bartei müffe deshalb chne überflüssigen Lärm mit allen Mitteln das Werf der Bewaffnung der Arbeiter fortfeßen und keinesfalls die Frage des bewaffneten Aufstandes von der Tagesordnung abfezen". Aber dies alles find nur leere Worte. In Wirklichkeit stellen sich die Moskauer Führer der Kommunistischen Internationale auf einen langjamen, schleppenden Gang der Ereignisse ein. Deshalb empfiehlt auch Sinewjem der KBD., daß fie für alle Fälle gerüstet sein müsse, d. h. somohl für die Revolution wie für eine längere Atempause". Ueber diese zwei Perspektiven der deutschen Revolution sprach auch Troli in einer großen Bersammlung in Tiflis . Welchen Weg diese Entwicklung einschlagen werde, hänge davon ab,„ ob England Deutschland gestatten werde, zu atmen oder nicht". Tritt der letzte Fall ein, so werde sich alles zwangsläufig entwickeln: die deutsche Mark würde ins BodenAngesichts dieser veränderten Situation hat die Kommulose stürzen, die Preise würden in die Höhe schnellen, Hüngernistische Internationale erneut einen Frontwechsel vorgenomund Arbeitslosigkeit würden in den Arbeitervierteln herrschen. men. Sie schiebt jekt das Zentrum der KPD. in den Gleichzeitig jedoch würden die Kommunisten die Nuznießer der neuen Lage sein; die soziale Revolution würde nicht nur in neuen Lage sein; die soziale Revolution würde nicht nur in Deutschland , sondern in ganz Europa zum Siege gelangen. Was geschieht aber, wenn die Entente Deutschland eine Atempause gewährt? Dann, ja dann würde für einen fommu. nistischen Putsch kein Boden vorhanden sein. Trogki fürchtet einen solchen Ausgang, denn das hieke ia, die Perspektive der Revolution preisgeben und einem sündhaften Menichewismus" nerfallen. Der brave Marschall Tropki rettet deshalb die Situation, indem er im Falle einer Verständigung zwischen der Entente und Deutschland die revolutionäre Perspektive auf England überträgt. Die geringste Erleichterung der Lage Deutschlands ", erklärte er, wird unvermeidlich die Krife in England verschärfen, das schon heute Millionen Arbeitslofe zählt.o aber Krise und Arbeitslosigkeit herrschen, ist der Brden für einen fommunistischen Butsch und für die Macht ergreifung gegeben.
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Die Aeußerungen Trogtis find charatteristisch für die Badenioja Leichtfertigteit und Unwiffenheit, mit der die
Vordergrund und erklärt sowohl dem rechten wie dem linken Flügel den Krieg. Ferner verlangt sie, daß man aus den Gewertschaften nicht austrete, den Kampf um Einzelforderungen nicht einstelle, an der Taktik der Einheitsfront festhalte und nicht wieder solche nationalistischen Dummheiten mache wie im vorigen Jahre während des Schlageter- Rummels.
Wir zweifeln nicht, daß die gehorsame KPD. auch jetzt treu und bieder dem Befehl aus Moskau nachkommt und eine halbe Shwenkung nach rechts macht. Aber auch dieses Manöder wird ihr nicht viel helfen. Die Wirklichkeit ist stärker als die strategischen Künfte Sinowjems. Eine bolschewiftische Bartei nach russischem Muster fann in den Verhältnissen West europas durch keinerlei Manöver hervorgezaubert werden. Eine Sedie von berufsmäßigen Spaltern und Butschisten kann eine Zeitlang mit auswärtiger Hilfe qufrechterhalten werden. Aber eine proletarische Massenpartei fann in der politischen Verhältniffen Westeuropas auf die Dauer nicht Gettenpolitif treiben und sich auf Gnade und Ungnade der
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,, Am Freitag abend wurde, wie aus Limbach berichtet wird, int Rußdorf in der Leichenhalle eine Riste mit Dynamit und sonstigem Sprengmaterial, Zündschnur, fertigen und baibfertigen Zündern, Sprengkapfeln aus Gußeifen ufw. aufgefunden, führende Limbacher Kommunisten werden mit der Sache in Zusam menhang gebracht. Mehrere Verhaftungen sind vorgenommen; Die Berhafteten sind Angehörige der RBD., geben aber an, außerdem einer kommunistischen Geheimorgani [ ation anzugehören und nichts verraten zu dür. fen, da sie bei Berrat.von den anderen Angehöri gen der Geheimorganisation beiseite geimafft werden würden. Es scheint sich um eine der illegalen Geheimbots der KPD. gebildet haben. Es werden noch weitere Depots hier vermutet; die Spuren der Herkunft weisen nach der fommuni ftifchen Sprengstoffzentrale hohenstein Ernstthal. Bie berichtet wird, find die Depots innerhalb Limbachs oft gewechselt worden wegen der Berratsgefahr, bis man endlich einer Stifte auf die Spur fam."
Die Mitteilung des Wolfffchen Telegraphenbureaus, daß der Mörder des in Berlin vor einiger Zeit erschossenen Friseurs Rausch nicht mit einem Russen Peters identisch ist, sondern einwandfrei als der Berliner Arbeiter Neumann festgestellt ist, wird von der " Roten Fahne" als Zusammenbruch des Cholera- Wahlbluffs" in großer Aufmachung mitgeteilt. Bei dieser Gelegenheit wird Neumann als„ getaufier Agent provakateur" bezeichnet. Diese Wethoden der frechen Ableugnung find bei den Kommunisten nicht neu, fie machen auf niemanden mehr Eindrud. Die KPD. wird sehr genau wissen, wer mit Neumann zufammengearbeitet hat, und sie sollte deshalb mit ihren Lügen etwas vorsichtiger sein. Sie könnte höchstens dazu zwingen, daß in die internen Zusammenhänge der aufgedeckten Geheimorganisation jetzt schon etwas genauer hineingeleuchtet wird. Ihre Ableugnungen werden ebensowenig Eindruck machen wie die Versuche der Deutschvölkischen, ihre Schulb an den zahllosen Fememorden, die sie auf dem Gewissen haben, zu verdeden.
Rechtsradikale Sprengstoffattentate.
Hamburg , 30. April .( III.) Die rechtsrabifalen Spreng ftoffattentate, die im Jahre 1922 in Hamburg gegen fommunistische Geschäftshäuser und den kommunisten Thälmann ausgeführt wur den, fommen in der nächsten Zeit vor dem Staatsgezimtshof zur Berhandlung,