Nr. 204 ❖ 41. Jahrgang
1« Seilage des vorwärts
VoMerstag,l.Nlai 1924
Der foZmlististhe Arbeiter und die Religion. Das Ergebnis einer Rundfrage in Groß-Berlin.
Was btd«utet heute noch die Kirche für den Arkwit-er, W!« stellt er sich zu den Fragen der Religion? Das waren die leiten- den Grundze>danten. die die obig: Rundfrage veranlagt«». Klar« imqejchntinkte Antworten aus möglichst weiten proletarischen Kreisen sallien dazu dienen, endlich einmal die Beziehungen zwischen Religion, Kirche und Proletariat der Wahrheit gemäß klarzulegen oder doch wenigstens den Anfang dazu machen. Die mehr oder minder differenzierten Fragen umfaßten alle Zweige kirchlichen Lebens, wie Gebet, Liturgie, Predigt, Abendmahlsfeier und religiös« chand- lungen jeder Art. Ei« baten um Stellungnahme zu der Gestalt Jesu und den göttlichen Dogmen. Und gaben schließlich in den großen Weltanschauungsfragen über Tod und Leben erschöpfende Möglichleiten für die neuen Problem« einer Verbindung zwischen Christentum und Sozialismus. Die Antworten. Di« Antworten waren sehr zahlreich. So verschieden sie auch j« noch Temperament und persönlich« Stellungnahme waren, «ins war allen gemeinsam, die E r n st h a f t i g k e t t, mit der diescs wichtige Thema aufgenommen wurde und der deutliche Wille, auch hier zu einer ehrlichen und klaren Entscheidung zu kommen. Allerd'ngs war von vornherein klar, daß die Ulehrzahl der Arbeiter die Suche, in ihrer heukigen Form wenigstens, rundweg ablehnte. chier spielt sicher das stark« Erlebnis des Krieges eine Hauptrolle, die leider nur zu oft gerade die berufenen Träg« des Christentums zu Hetzaposteln werden ließ, die den blutigen Frevel als gottgewollt« Gegebenheit verkündeten und auf beiden Seiten die Waffen gegen- einander segneten. Da zitiert einer einen Pfarrer: „Herr Gott gib uns den Sieg— Deutsch, über alles.* Und«ine Frau schreibt von ihrer Erschütterung, als sie das Buch eines Geistlichen las, der den Zmpori von chinesischen Sulla forderte, um die deutschen Arbeiter kirre zu machen. Dabei aber hüteten sich die meisten vor Verallgemeinerungen. Es ist eben das System, das den einzelnen Pfarrer nicht anders reden läßt, als zum tön«!! den Verkünder schöner Worte, die kein« Wahrheit bedeuten. Dieser Vorwurf, daß die Kirche zu sehr Dienerin des Staates, ja geradezu des Mammons geworden ist, daß sie nur ein Instrument der herrschenden kreise geworden ist, kehrt immer wi<&«. Und selbst, wenn sie wollte, könnte sie doch nicht Helsen . Es ist auch bezeichnend, daß der evangelischen Kirche RutkstSndlg- feif In allen Lebensfragen und Unduldsamkeit mehr vorgeworfen wird, als der katholischen, die doch wenigstens auch den armen Menschen etwas gelten läßt. Die fibkehc von See Phrase. Die Predigten in ihrer jetzigen Form werden entschieden abge- lehnt. Kein« religiösen Phrasen. Menschheitsgedenken soll der Pfarrer aussprechen. Die Verbitterung des vom Alltag Ge- narrten und Gequälten klingt gerade hier oft erschütternd in Schmerz und Klage gegen eine Kirche,.die nur Moralzedanken ort- zapft und zu allen Schandtaten des Kapitalismus Za und Amen sagst* Umgekehrt aber auck erkennen viele dankbar die Ehrlich. keit und den reinen Willen einzelner Pfarrer an, die oft zu ganz besonders festen und menschlich wertvollen Freund- fchaften zwischen Arbeiter und Prebiger führt«. Interessant war auch die Stellungnahme zum Gebet..Es erstickt in uns das Bette, das freie Selbstgefühl,* schreibt einer..Sein(Rott, kein Gebet Hilst. nur der Mensch, wenn er guten willen» Ist,* ein anderer. Em dritter tadelt da» Gebet als Ausdruck persönlicher Wünsche, die immer nur eine Beeinträchtigung der ebenso berechtigten Wünsche anderer ist. Wenn man betet, soll es ein Gebet für alle Menschen seini so ver- stcht es ein alter Arbeiter. Die Bibel als göttliche Offenbarung wird enlschieden abgelehnt. Sie ist den ineisten, und sie geben fast alle eine wissenschaftliche Begründung dafür, ein Zeitspiegel, ein lehrreiches Dokument der menfchllchen Geschichte. Einzelne Schriften werden wegen ihrer Reinheit und hohen Ethik gelobt und häufig gelesen, so z. B. die Bergpredigt, die Psalmen und das Johannes-Evangelium ..Das
neue Testament hat zuerst den großen Sinn des Lebens auf- gedeckt, für das Ganz« zu wirken," meint einer..Das Evangelium der Nächstenliebe ist die große Möglichkeit des Lebens!* schreibt ein anderer sein« Anstchr, Die Person Jesu steht allen nahe, .EHrist.iS. unser großer Bruder und Borlämpfer sür Mrnschcn- rechie," nennt ihn«in einfacher Arbeiter. Die Tragik des Kreuzes- todes wird stark empfunden. Seine reine schlicht« Menschlichkeit versteht vielleicht gerade der Prolet, der mit einer neuen Sehnsucht ein« neue Welt will! Aber kein göitliches Dogma wird anerkannt,
und geistig« Führer immer wieder die Rackien: Hoeckel, Darwin und Bürget auftauchen. Nicht zu vergessen- Goethe, den sie alle lieben. ,/Was Gott ist? fragen sie euch Ich glaube-- Gott ist die Sehnsucht," sagt«in« ganz jung« Arbeiterin.— Aus dieser Einstellung erfolgen dann die praktischen Fragen wie Austritte»« der Kirche, den übrigens über bv Proz. aller Antwortend!? vollzogen hatte«. Die Gründe für den Austritt waren fast imrnet nicht politischer oder materieller Art, sondern innerer. Besonders der Krieg hat hier viele zum Bruche getriebc«.
das ist eine Erfindung yon Pfaffen in späterer Zeit. Und vielleicht faßt ein Wort am besten diesen Zwiespalt des modernen Menschen: .Nichts trennt mehr von der Kirche und nichts verbindet so sehr als er* Die„neue Velt". Einer sagt« es mit klaren Worten:.Sein Gott fleht im Mittelpunkte unserer Welt, aber eine große Liebe zum Menschen und unser aller Herzenswunsch, eine neue bessere Menschheit zu schassen." Einen persönlichen Gott kann es für den kausal denkenden Wen- schon nicht mehr geben.„Gott ist für euch der Vater.*„Gott ist das Prinzip der Entwicklung vom Gutm zum Besseren,' so lauten die Urteil«, hier ist die modern« Dentwest« auf Naturwissenschaft» licher Grundlage deullich sichtbar. Wie überhaupt als Lebenshüter
Z-s-
di« nvch aus alter Gewohnheit in der Kirch« geblieben waren. Ebsnfo wird den weltlichen Schulen entschieden der Borzug vor den religiösen gegeben.„Sie erziehen unser« Kinder besser für das Leben und zur großen Gemeinschaft,* ist«in« häufig wiederkehrende Ant- wort. Di« neu« Religion muß ein« unbedingt« Bejahung zum Dies- seit» haben, zur Lebensbejahung, das ist der Grundton aller Ant- warten auf dies« Frage. „Religion ist die Sehnsucht nach Freude und Freiheit. *„Religion ist der Wille zum Guten.* In diesem Zusammenhange bewerten sie auch den Sozialismus als den brennenden Willen zum Ziele einer neue«,, reineren Welt? Slllerdings glaubt man nicht, daß die alten geistigen Führer an diesen Auf- gaben helfen können. Sie sind, wie überall, in engen nationalen Grenzen gefangen—„das Proletariat aber hat den Drang, die Menschheit als ein Ganzes zu gewinnen, das ist unsere Religion."
Die Müchklinge. Romau von Johannes Linnankoski.
Alles war genau so gegangen, wie er geplant hatte. Das Gehöft war endlich schuldenfrei und sein Verbleiben in der Familie gewährleistet; verschwunden war die schwere Last, deren Gewicht er ran seinen Jugendjahren an gespürt hatte. Ja noch mehr— seinen Kindern war ein reiches Erbe ge- sichert, da Uutela nicht mehr viele Jahre vor sich haben und wegen seines Alters nicht einmal mehr Kinder erwarten konnte. Denn gerade da steckte bei seinem Plane der Knoten, daß ein junger Schwiegersohn eine eigene Familie gegründet hätte, während Uutela doch alles ungetrennt mit in die Masse brachte. Und Uutela brachte nicht nur Vermögen, sondern zugleich sozusagen neues Leben mit ins 5i>aus— Keskitalo mußte sich sagen, daß er seit langer Äfit kewen so vergnüglichen Sommer gehabt hatte. Auch die Sohne kamen trefflich mit ihm aus. Weshalb auch nicht mit einem solchen Mann, der sich immer gleich blieb, immer lächelte und schaffte wie ein junger Bursch— gerade jetzt war er mit einer großen Fuhre Hafer nach Tavastehns unterwegs. Und das junge Paar schien sehr gut auszukommen— genau wie er es sich gedacht hatte, als die anderen ein wenig zweifelten. Warum auch nicht mit einem solchen Mann! Es war doch ein glücklicher Gedanke, Uutela zum Schwiegersohn zu nehmen! schloß er, mit einem solchen ver- schmitzt selbstzufriedenen Lächeln in den Zügen, wie wenn dies ein Griff gewesen sei, dessen Genialität er allein von Grund aus zu erfassen vermochte. Die anderen sahen es nur oberflächlich an, und er hatte es nicht für notwendig gehalten, eine Erklärung zu geben. Es war dämmerig in der Küche geworden. Keskitalo bemerkte kaum, daß feine Gattin, die„alte Frau", wie sie letzt genannt wurde, hereintrat. Sie kam fast geschlichen und zögerte an der Tür. Ueber- raschung, Kummer und Angst spiegelten sich zu gleicher Zeit auf ihrem Gesicht. Dos entging Keskitalo nicht. „Was gibt's denn?" fragte er. „L> wehl" jammerte die Frau, die Hände windend. �Jetzt wird's schlimm gehen../
„Was wird schlimm gehen?" Keskitalo stand auf, wie um zu Hilfe zu eilen. „Werd nicht böse, Vater!" flehte sie.. Da wurde auch Keskitalo unruhig: „Aber sag's doch in Gottes Namen!" „O weh, Vater! Es ist mit Manta.. stammelle die Frau unzusammenhängend. Keskitalo fühlte, wie es ihm die Brust zusammenschnürte. Er begriff noch immer nicht, nur wie durch die Einflüsterung eines unruhigen Gewissens ahnte er etwas. „Ich habe schon einige Zeit Verdacht gehabt... obwohl sie versucht hat, es zu verheimlichen," erklärte die Frau hastig. „Eben jetzt bin ich dahintergekommen... Aber werd nicht böse, Vater!" Keskitalo fühlte sich erzittern. Jetzt verstand er— alles begann in seinen Gedanken durcheinanderzugehen. „Wo ist sie?" fragte er. „In der Stube.— Aber werd nicht böse... laß uns ver- suchen herauszufinden, wie es eigentlich ist." Sie gingen hintereinander eilig durch den Vorgang. Die Tochter stand wie versteinert beim Ofen, mit dem Blick am Boden und das Gesicht aschgrau. Keskitalo fühlte, wie es ihn würgte. Er hatte gedacht, etwas über Uutela zu fragen, jetzt war das unnötig. Nur jemand, der eine große Sünde begangen hatte, konnte so aussehen. „Ist es wahr?" brachte er mit Mühe hervor. „Ja.. antwortete die Tochter kaum hörbar, den Kopf noch tiefer senkend. Keskitalo wurde es schwarz vor den Augen, und es er- griff ihn eine furchtbare Wut. Seine eine Hand krampfte sich zur Faust zusammen. .Lieber Vater, lieber Vater, um Gottes willen nicht!" flehte die Frau, nach seinem Arme fassend. „Was hast du getan, Ruchlose?" Er war so außer sich, daß er einhalten mußte, um Atem zu holen. Der Tochter, die bisher bleich wie Leinwand gewesen, schlug plötzlich eine brennende Röte ins Gesicht. „Weshalb hast du mich gezwungen... obwohl ich ge- weint und gebeten habe.. jagte sie abwehrend, immer noch auf den Fußboden blickend. „Ich dich gezwungen? Du weißt selbst, der Hof wäre dahingewesen und..." Der Satz blieb unvollendet. Keskitalo wußte selbst nickt mehr, was er denken sollte. Vor einer Weile hatte er die
Großartigkeit seines Planes bewundert— jetzt war er schwach- voll zertrümmert. Wie wenn er selbst schuldig und eben aus frischer Tat ertappt worden wäre... „Wenn es doch von Uutela ist...?" fiel die Frau ein, indem sie beruhigend nach ihrem Manne und dann wie nach einer letzten Rettung nach ihrer Tochter blickte. Als ob in diesem Augenblick der böse Geist in die Tochter gefahren wäre! Sie hob den Kaps, anstatt Scham erschien Trotz und Wut auf ihrem Gesicht. „Von Uutela!" rief sie. wie wenn sie grimmige Lästerung zurückgewiesen hätte.„Uutela hat nichts damit zu schaffen!" Keskitalo glaubte, er müsse zu Boden sinken. Am meisten entsetzte ihn der Ausdruck im Gesicht seiner Tochter. „Herr Gott!" jammerte er.„In der Familie Keskitalo ist noch kein einziger schlechter Mensch gewesen." Die Tochter wurde noch erregter. „Jetzt ist einer da!" yef sie mit unnatürlicher Stimme, selffam die Augen rollend. Keskitalo trat einen Schritt auf sie zu: „Still, oder ich schlage dich tot!— Von wem ist es?" keuchte er. „Mag es sein, von wem es will!" rief die Tochter mit funkelnden Augen— wie wenn sie wahnsinnig gewesen wäre. Keskitalo wollte zuschlagen. Aber er fühlte sich so krast- los, daß er nicht imstande gewesen wäre, die Hand zu er- heben. Seine Brust fiel gleichsam zusammen, und er bekam einen Hustenanfall. Die alte Frau begann ihn leise auf die Schultern zu klopfen, damit der Anfall schneller vorüberginge. Als ihm schließlich leichter wurde, sank er, rot im Gesicht, ermattet auf die Bank. „So machen? die Huren," seufzte er wie vor sich hin, „essen, wischen sich den Mund und sagen: ich habe nichts getan!" Der Tochter zitterte das Kinn, sie wandte sich jäh ab, bedeckte sich das Gesicht mit den Händen und ging eilends hinaus. » „Herr Gott, Herr Gott , wo soll man hier einen Trost finden?" klagte die Frau, neben ihren Mann auf die Bank sinkend. Keskitalo saß lange Zeit, mit dem Kopf in den Händen vor sich hinstarrend. Es kam ihm vor, als schwanke der Fußboden unter ihm wie die Wellen auf dem See. (Fortsetzung folgt.)'