Einzelbild herunterladen
 

Abendausgabe

Nr. 20541. Jahrgang Ausgabe B Nr. 104

Bezugsbedingungen und Anzeigenpreise find in der Morgenausgabe angegeben Rebattion: SW. 68, Lindenstraße 3 Fernsprecher: Dönhoff 292-295 Tel.- Adresse: Sozialdemokrat Berlin

Vorwärts

Berliner Volksblatt

5 Goldpfennig

50 Milliarden

Freitag 2. Mai 1924

Berlag und Anzeigenabteilung. Geschäftszeit 9-5 Uhr Berleger: Borwärts- Verlag Gmb. Berlin SW. 68, Lindenstraße 3 Fernsprecher: Dönhoff 2506-2507

Zentralorgan der Vereinigten Sozialdemokratifchen Partei Deutschlands

Das Gutachten der Sachverständigen.

Ein Ruf zur nüchternen Betrachtung und klaren Entscheidung.

=

Wir haben den früheren Reichswirtschaftsminister, Ge noffen Rudolf Wissell , den Spitzenkandidaten der sozial­demokratischen Reichstagswahlliste in Niederbarnim , gebeten, seine Ansicht über das Sachverständigengutachten darzulegen. Er du es in folgenden Ausführungen: Reine Versammlung, in der mir ein Deutschnationaler oder Deutschvölkischer entgegentritt, in der nicht im Anschluß an meine Erörterung des Sachverständigengutachtens von meinen Gegnern die glatte Ablehnung der Vorschläge dieses Gutachtens verlangt wurde. Die Zustimmung zu den Vor­Schlägen des Gutachtens würde ein neues Versailles für das deutsche Bolt bedeuten, neue Bedrückungen würden die Folge fein, die Parole fönne nur sein: Ablehnung und darüber hin­aus: Befreiung vom Versailler Diktat, Befreiung des Ruhr gebiets und aller dem deutschen Stammlande entrissenen urdeutschen Gebiete und der Kolonien. Mit einer Berant wortungslosigkeit sondergleichen werden die wichtigsten Lebensfragen des deutschen Volkes behandelt, die geradezu erschütternd sein müßte, wenn man nicht die hemmungslose Agitation der rechtsgerichteten Kreise fennen würde. Der Hinweis, daß die Ablehnung dieses ersten Versuchs, das Re­parationsproblem aus den Bann einer rein politischen Ein­ftellung herauszureißen und es auf den Boden nüchterner wirtschaftlicher Betrachtung zu stellen, uns in der ganzen Welt in den Verdacht böslichen Zahlungsunwillens bringen werbe, verschlägt nichts. Daß erneute 3wangsmittel gegen uns in Anwendung fommen würden, daß an eine Wieder erlangung von Rhein und Ruhr nicht zu denken sei, daß die bortige Wirtschaft für das übrige Deutschland verloren wäre, daß die Währung und Finanzen mit abfoluter Sicherheit er neut in Unordnung fommen würden, eine zweite Infla tionszeit mit ihren verheerenben Wirkungen das Land in die schwersten Budungen werfen, daß von wirtschaftlichem Kredit der Welt teine Rede sein werde, vermag ebensowenig in die Hirne der Neinsager" einzubringen, wie ein Lichtstrahl in Erz. Das Erste, das Deutschland tun muß, ist... Ka = fernen zu bauen, so schloß eine deutsch nationale Frau in Freienwalde ihre Distuffifionsbemerfungen gegen mich. Lebhafter Beifall ihrer freilich nicht zahlreichen Freunde ward ihr zuteil. Und im übrigen ist das A und O aller Aus­führungen: Freie Wirtschaft.

Der Inhalt der Vorschläge der Sachverständigen ist furz zusammengefaßt folgender: Wenn Deutschland leisten foll, so ist das nur möglich bei einer restlosen Wiederher stellung der deutschen Wirtschaftshoheit. Zu diesem 3wed find die dem entgegenstehenden Maßnahmen rüdgängig zu machen oder zu ändern. Das ist die erste Voraus fegung um den deutschen Reichshaushalt auszugleichen, die Währung dauernd zu stabilisieren und den inneren und äußeren Kredit Deutschlands wiederherzustellen.

Der Reichshaushalt Deutschlands fann nur im Gleich gewicht gehalten werden, wenn die geforderten Leistungen fich im Rahmen der deutschen Leistungsfähigkeit halten. Die Sanierung der Staatsfinanzen muß durch Aus­Schöpfung aller Steuer- und Einnahmequellen versucht werden; die Sanierung der Währung soll durch eine neue Notenbant geschehen. Wenn all das geschehen ist, fann im ersten Normaljahr nach fünf Jahren Deutschland voll leisten. Bis dahin sollen die Leistungen 1 Milliarde, 1,2, 1,2, 1,750 und dann 2,5 milliarden betragen. Als Einnahmequellen für die Reparationsleistungen sind vorgesehen: die späteren leberschüsse des Reichshaushalts, die Erträge der Eisenbahn, bie in eine Aktiengesellschaft umzuwandeln ist, deren Leitung jedoch in deutschen Händen bleibt, eine besondere Berkehrs­Steuer und Erträge der Industrie.

Die Industrie soll mit einer Hypothet von 5 Milliarden Goldmart belegt werden, deren Berzinsung als Reparations­leiftung dient.

Das im allerwesentlichsten die Borschläge der Sachver­ständigen. Einstimmig, also mit Zustimmung der fran­ zösischen Vertreter, sind sie gemacht worden. Zum ersten Male hat wirtschaftliche Vernunft gesprochen. Weil das der Fall, haben sowohl der Reichsverband der deutschen Industrie wie der Zentralverband des Großhandels sich auf den Boden dieser Vorschläge gestellt, d. h., die Kreise, die bis­her der Leistung widerstrebt haben, bis die Gesamtverpflich­tungen Deutschlands festständen, haben nun auch erkannt, daß Einsicht auch auf deutscher Seite vonnöten ist, um zu einer Regelung zu kommen, bei der Deutschland wieder aufleben funn.

Die Sachverständigen haben festgestellt, daß Zahlungen nach außen nur aus dem Ueberschuß der Wirt fchaftsbilanz bewirkt werden können. Die gelt es also zu einer möglichst aktiven zu gestalten. Und das führt uns zu der im Wahlkampf immer und immer wieder erörterten Fragé, ob das durch eine freie oder eine mehr oder minder gebundene Wirtschaft möglich ist. In der Agitation von rechts wird die Not unserer Zeit auf das Herrschen marristischer Grundfäße zurückgeführt. Dabei wird unsere Wirtschaft ausschließlich vom

Gesamtwirtschaft Deutschlands jeder einzelne Teil derselben sich den Gesamtinteressen unterordnen. Die Freiheit, das Einzelinteresse hat seine Grenze, wo es mit den Gesamt­interessen in Kollision gerät. Freiheit im einzelnen, aber Nicht Freiheit der Bindung an das Allgemeinintereffe. Wirtschaft, sondern ihre Bindung an die Pflicht den sozialen Intereffen des ganzen Volkes zu dienen, das muß die Lofung der nächsten Zeit sein. Weil sich aus dem Sachverständigengutachten beginnende wirtschaftliche Ein­sicht und Vernunft ergibt, dürfen wir selbst sie nicht vermissen lassen.

Erwerbstrieb und dem Gewinnstreben angetrie-| fularistischer Geist nicht aufkommen darf, so muß auch in der ben. Das, was dem einzelnen am meisten materiellen Vorteil verspricht, wird von ihm getan, auch wenn es volkswirtschaft lich das Berkehrteste ist. Die Einzel- und die Privatintereffen gelten und nicht die Rücksichten auf das Allgemein mohl. Soziale Intereffen müßten zurückstehen zugunsten der Geltung des Individualismus. Dieser auf das rein Profitliche gerichtete Geift hat in den letzten Jahren gegolten, d. h. die Grundsätze der bürgerlichen Wirtschaftslehre und fein marristischer, fein sozialistischer Geist. Der hat die aus dem verlorenen Kriege erwachsene Not gesteigert. Die Annahme, daß die Durchführung der Grundsäge, die durch ihre Geltung in der Wirtschaft ein so gerüttelt Maß von Schuld an der traurigen Lage des deutschen Volkes bewirkt haben, uns aus dieser traurigen Lage würde heraushelfen können, ist eine geradezu utopische. Freie Wirtschaft muß zur Aus­beutung des Volkes führen, und zwar zu einer um so intensiveren, je größer die auf einer Wirtschaft ruhenden äußeren Lasten sind.

In welchen Kreis gehört das Kreuz?

Auf den amtlichen Wahlzetteln steht die Bereinigte Sozialdemokratische Partei

in Berlin ( Crifpien- Heimann) an erster Stelle( oben links) in Potsdam II( Teltow- Beestow: Zubeil Bernstein) an zweiter Stelle( oben Mitte)

in Potsdam I( Niederbarnim: Wiffell- Breitscheid ) an dritter Stelle( oben rechts).

Du bekommst ben amtlichen Wahlzettel im Wahllotal vom Bureau( nur der amtliche Jetfel ift gültig). Dann gehst Du in die Wahlzelle, machst Dein Kreuz, stedst den Zettel in den Umschlag und gibst ihn ab. Bleistift mitnehmen! Ber eine Brille nicht vergessen!

braucht:

Was sind diefe Lasten anders als die Wegnahme eines Teiles der Gütererzeugung. Im Falle der Reparationsleistungen eine Begnahme zugunsten der deutschen Gläubiger. Ob diese Wegnahme direkt geschieht oder durch Steuern erfolgt, ist ganz einerlei: Geschieht's direkt, sucht der Unternehmer den Ausfall durch Verlängerung der Arbeitszeit der Arbeitnehmer bis zu dem nur irgend zu erreichenden Aus­maß wettzumachen. Und wenn es durch Steuern geschieht, fucht der Erzeuger die auf ihn entfallende abzuwälzen oder, wenn das nicht möglich ist, durch Steigerung der Preise auch) bis zu dem nur irgend zu erreichenden Ausmaße auszugleichen. Beides bedingt eine größere Belastung der arbeitenden Schichten.

Unsere Wirtschaft hat bisher noch nicht den technisch­crganisatorisch möglichen höchsten Wirkungsgrad er. reicht. Der ist durch Verlängerung der Arbeitszeit auch nicht zu erreichen, denn die bewirkt keine ihr entsprechende Steige­rung der Gütererzeugung. Dieser Steigerung ist nur zu er reichen durch Ausnußung der technisch- organisatorischen Ber­befferungsmöglichkeiten. Bisher erfolgte sie nicht.

Streichung der alliierten Schulden? Schwenkung des amerikanischen Finanzkapitals. London , 2. mal.( WTB.) Daily Telegraph berichtet aus Nero Bort, daß die National City Bant, das größte Finanz­inftitut in den Vereinigten Staaten , öffentlich gemeinsam mit ande­ren finanziellen und kaufmännischen Unternehmungen für die Ver­minderung bzw. Streichung der alliierten kriegs­fchulden an Amerifa eintritt. In ihrem Monatsbericht weist die Bank die Amerikaner darauf hin, daß die Annahme des Reparations­plans der Sachverständigen ein formelles Erfuchen von feiten Euro­ pas um Verminderung der Schuld an die Bereinigten Staaten nach sich ziehen werde, und daß die Amerikaner bereit sein müßten, eine Antwort zu erteilen. Der Bericht betont, daß der Sachver­ständigenplan eine wesentliche Berminderung der Reparationsfumme bedeute.

Die Erklärungen der National City Bank, die hier als Bortführerin der maßgebenden Kreise des amerikanischen Finanztapitals auftritt, find außerordentlich charakteristisch für den Stimmungsumfchwung, der sich jetzt in den Bereinigten Staaten vollzieht. Die Zurückhaltung, die bisher von den maßgebenden Politikern der Bereinigten Staaten in der Reparationsfrage geübt wurde, ging vor allem darauf zu­rüd, daß das amerikanische Finanzfapital die Aufrollung der interalliierten Schuidenfrage fürchten. Ange­fichts des ungeheuren Einflusses der Bankmagneten auf die amerikanische Politik zogen sich die offiziellen Regierungsver­treter bei allen bisherigen Versuchen einer gemeinsamen Regelung der Reparationsfrage auf den Standpunkt der Nicht­einmischung zurüd. Jetzt jedoch, nach der Ausarbeitung des Sachverständigenberichtes, scheint diese Phase der amerita, nischen Politik ihrem Ende entgegenzugehen.. Die Tatsache, daß die führenden Banfleute Ameritas sich auf eine Erörterung der interalliierten Schuldenfrage einzurichten anfangen, weist darauf hin, daß auch die amerikanische Politik von ihrem bis­herigen Standpunkt der Nichteinmischung" in die europäischen Angelegenheiten nicht mehr lange festzuhalten gedenkt. Dieser Umstand fann für die Lösung der Reparationsfrage wie für die weitere Entwicklung der europäischen Bofitift von ent­scheidender Bedeutung werden.

Keine neue deutsche Note.

Entgegen einer Meldung der Times" vom 28. April 1924 erfährt Wolffs Telegraphisches Bureau , daß die deutsche Re­gierung nicht beabsichtigt, aus Anlaß der Antwortnoten der alliierten Regierungen an die Reparationskommission zu Ein­zelheiten des Sachverständigengutachtens in einer neuen Note Stellung zu nehmen.

Condon, 2. Mai. ( WTB.) Einer Agenturmeldung aus Totio zufolge hat die japanische Regierung beschlossen, an der Errichtung geplanten deutschen Währungsbant teilzunehmen und burch Verkauf von Bargeld im Auslande der Einladung der Bank von England , sich mit 500 000 Bfund zu beteiligen, ftattzugeben.

Wir haben in letzter Beit einen Abbau so außerordentlich vieler Beamten, Arbeiter und Angestellten erlebt. Dieser Ab. bau ist motiviert worden mit der Notwendigkeit der Ausschaltung aller für die Produktion und Leistungsfähigkeit eines Beber triebes nicht absolut gebotene Faktoren. Wie viele fol­cher Fattoren aber sehen wir nicht noch in un­serer Wirtschaft! Die Verhältnisse, in denen die ein­zelnen Faktoren der Wirtschaft vor dem Kriege zueinander standen, find ganz außerordentlich stark verschoben. An der Verteilung der gegenüber der Vorkriegszeit so wesentlich geringeren Warenmenge beteiligt sich heute eine ganz wesent Diese Personen lich größere Personenzahl als früher. zehren, ohne direkt produktiv tätig zu sein, an der Volks­produktion! Hier liegt eine wesentliche Ursache der hohen Preise. Allein durch eine zweckmäßigere Warenverteilung ließe sich ein erheblicher Preisabbau erzielen. Und er ließe sich auch erreichen, wenn das Streben nach einer Steigerung der Produktion und der Verbilligung derselben und das Streben nach technisch- organisatorischer Verbesserung der Wirtschaft nicht an den Toren der einzelnen Unternehmung halt machte.

Was für die einzelne Unternehmnug für den Unternehmer als selbstverständlich gilt, das sollte verstärft für das ganze Unternehmen der droßen deutschen Bolts wirtschaft gelten. Hier die unproduktiven Faktoren aus­wirtschaft gelten. Hier die unproduktiven Faktoren aus­zumerzen, Zusammengehöriges zusammenzufaffen und ratio nell gesamtwirtschaftlich zu arbeiten, würde Deutschland wesent. lich stärken tönnen. Wie in einem einzelnen Unternehmen jeder Teil sich dem Rahmen der Gesamtheit einzupassen hat, an die Interessen des Gesamtbetriebes gebunden ist und parti.

Der belgische Besuch in London . London , 2. Mai. ( WTB.) Der Brüffeler Korrespondent der Times" schreibt, der Besuch der belgischen Minister in London und fein Einfluß auf die internationale Lage habe gestern nachmittag das Hauptgesprächsthema in den Wandelgängen der belgischen Kammer und des belgischen Senats gebildet. Wenn auch die Minifter erklärt hätten, fie fämen nicht als Vermittler zwischen Großbritannien und Frankreich zum britischen Premierminister, so sei doch die allgemeine Anficht, daß fie in der Lage sein könnten, den französischen und den britischen Standpunkt über derartig wichtige Frage, wie die Be­fetzung des Ruhrgebiets, zu verföhnen. Für Belgien sei die Be­fegung des Ruhrgebiets stets Mittel und nicht Zwet gewesen. Die belgischen Truppen würden nicht einen Tag länger als notwendig im Ruhrgebiet bleiben. Sobald greifbare Garantien durch Deutschland gegeben worden feien, und zwar hauptsächlich Garanfien materiellen Charatters, werde das augenblickliche Regime im Ruhrgebiet radikal verändert werden. Es bestehe fein Zweifel, daß Theunis und Symans hofften, Macdonald zu zeigen, daß Großbritannien eine große Rolle bei der Herbeiführung der gewünschten Veränderung spielen könne. Das Problem der Wiederherstellung der wirtschaftlichen Einheit Deutschlands , wie sie von den Sachverständigen geplant sei, werde sicher in Checquers aufgeworfen