Abendausgabe
Nr. 213 41. Jahrgang Ausgabe B Nr. 108
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Vorwärts
Berliner Dolksblatt
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Mittwoch
7. Mai 1924
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Zentralorgan der Vereinigten Sozialdemokratifchen Partei Deutschlands
Hergts großes Wunder.
Das Regierungsprogramm der Deutschnationalen.
Der Borsigende der Deutschnationalen Partei, Herr handlungen zwischen den beteiligten Staaten die politischen von Hergi, hat gestern den ehemaligen Pressechef der Kapp- den wirtschaftlichen Fragen zu trennen; find diese doch einRegierung und jezigen Redakteur des„ Berliner Lokal- fach untrennbar miteinander verbunden, greifen sie doch tausendfach anzeigers" J. W. Harnisch empfangen, um diesem als dem ineinander. Soweit von Deutschland wirtschaftliche Konzeffionen Würdigsten sein Programm zu offenbaren. Der„ Lokal- Ronzeffionen, über deren Maß verhandelt werden müßte er anzeiger" gibt es heute unter der Ueberschrift„ Das deutsch - wartet werden, sind diese doch ganz unmöglich, solange nicht die nationale Regierungs programm" wieder. Da es für großen staatspolitischen Grundfragen, von denen die Weiteregiſtenz das ganze Volf, auch für die Arbeiter, nicht uninteressant ist, Deutschlands als Nation und als Staat abhängt. zu erfahren, wie es regiert werden soll, ist es notwendig, die entscheidenden Stellen diefes politischen Dokuments in breiter Ausführlichkeit mitzuteilen.
Herr Hergt forderte zunächst in ziemlich diftatorischer Weise die Uebergabe der Regierung an seine Partei, indem er erklärte:
Diese Reichstagswahlen sind jetzt gewesen, und sie haben uns gur Megierung berufen. Der flare Sinn dieser Boltsentscheidung fann gar nicht verkannt werden, und ich hege auch gar teine Befürchtungen, daß irgend jemand ernstlich versucht sein gar keine Befürchtungen, daß irgend jemand ernstlich versucht sein follte, ihn verkennen zu wollen.
Herr Hergt ist also erfreulich demokratisch geworden, er beruft sich auf Boltsentscheidungen. Allerdings ist die Art, wie er die letzte Boltsentscheidung interpretiert, etwas eigenartig. Es ist durchaus teine feststehende Regel der Demokratie, daß eine Partei, weil sie bei den Wahlen Stimmen und Mandate gewonnen hat, schon deshalb unbedingt zur Regierung berufen fei. Sie müßte erst für sich allein die Sie müßte erst für sich allein die Mehrheit gewonnen haben, dann wäre dieser Anspruch berechtigt. Troß des Mandatszuwachses bildet die deutschnationale Frattion weniger als ein Biertel und nicht viel mehr als ein Fünftet des ganzen Reichstags. Ein Biertel des Bartaments hat nicht das Recht, den übrigen drei Vierteln Bartaments hat nicht das Recht, den übrigen drei Vierteln feinen Willen aufzuzwingen.
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Sollte der Grundsaz gelfen, daß die Partei, die den ftärksten Zuwachs hat, zur Regierung fommt, jo müßte Herr Hergt logischerweise zugunsten von Werner Scholem auf die Reichstanzler- Anwartschaft verzichten.
Herr Hergi gibt felbst zu, daß die Wahlen noch gün ftiger" hätten ausfallen fönnen. Insbesondere findet er es feineswegs genügend, wenn nur 27 Size aus dem marristischen Lager in das vaterländische hinüber gewandert find. Der Marrismus“ ist also am Ende noch nicht ganz tot, und Herr Hergi wird noch sehen, wie lebendig Herr Hergt wurde nun war er es nicht schon zuvor? nach dem Bericht des Lokalanzeiger"-Mannes sehr ernit". indem er folgende bedeutungsvolle Worte aussprach:
er in der Oppofition werden wird.
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Das deutsche Boll ist autoritär, es will regiert werden, es verlangt nach einer starten hand, die feine Geschide leitet. Eine Regierung, die dieses tief in den besten Eigenschaften des deutschen Boltes begründete Sehnen erfüllt hätte, haben wir praktisch seit fünf Jahren nicht gehabt. Eine solche Regierung wird die Rechtsregierung, die jest tommen mird, weil sie tommen muß, aber fein. Und wenn mir als Rechts- Opposition schon erreicht haben, was erreicht worden ist, dann dürfen wir mit Zuversicht hoffen, daß die Rechtsregierung das große Wunder bringen wird, das sich jeht angebahnt hat, aber noch nicht ganz Wirklichkeit geworden ist.
Herr Hergt darf uns Sozialdemokraten glauben, daß wir auf allerhand Wunder" gefaßt find. Wir haben das baye rische Bunder erlebt, wir haben foeben das medlen burgische Wunder bewundert, wir haben schon einige Erfahrungen mit den Staatsmännern, die ihre" starfe Hand" extra für die Zeitungen photographieren laffen.
Nunmehr wird aber die Sache noch spannender, denn nun setzt der Mann mit der starten Hand auseinander, wie er das große Wunder" vollbringen wird.
Nachdem Herr Hergt Herrn Stresemann einige Liebenswürdigkeiten gefagt, der als Außenminister und Mann der großen Koalition doppelt geschlagen fei, und sich über die extremistisch- völkische Richtung" Ludendorffs mit schnip pischer Geringschägung geäußert, fommt er endlich auf den springenden Bunft:
Man scheint in ten objektiveren Kreisen des Auslandes zu hoffen und man hat ein Recht dazu, daß unter entscheidendem Einfluß der Deutschnationalen eine deutsche Außenpolitik getrieben werden wird, die den Lebensnotwendigkeiten und dem Lebenswillen des deutschen Volkes unbedingt Rechnung trägt, aber andererseits geeignet ist, eine befriedigende Lösung der deut schen Gesamtfrage auf dem Wege fchleuniger Verständigung
Weiter, was ich vielleicht an erster Stelle hätte nennen sollen: Dem deutschen Bolt fönnen wirtschaftliche Lasten in größerem Ausmaße nicht zugemutet werden, und wir werden sie ihm niemals zumuten, bevor die häufig genannten Ehrenpunkte befriedigend gelöst worden sind. Und dann:
Rückkehr des Reichspräsidenten .
Berlin , 7. mai. Der Reichspräsident ist heute früh aus Mergentheim nach Berlin zurüdgetehrt.
Die Mandate der Splitterparteien. Zur Frage der Mandatzuteilung in den Wahlkreisverbänden.
Genosse S. Kagenstein, der in der National versammlung Berichterstatter über das Wahlgefeh war, sendet uns die folgenden Darlegungen:
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In Nr. 210 des„ Borwärts" wird die Meinung, daß Auf teinen Fall wird sich je eine deutschnational beeinflußte eine Partei, die in feinem Wahlkreis 60 000 Stimmen erRegierung dazu hergeben, Bersprechungen mit ihrer Unterhalten hat, durch Listenverbindung im Wahlkreisverband ein schrift zu decken, von deren unerfüllbarteit fie nach pflicht- Mandat erhalten könne, als unrichtig bezeichnet. Das ist sie mäßiger Prüfung überzeugt ist. Damit spreche ich ja nur eine aber nicht. Wenn§ 31 des Reichswahlgesetzes von Zuteilung Selbstverständlichkeit aus. Das Ausland wird die Gewißheit eines weiteren" Mandats spricht, so bezieht sich das haben, daß, wenn mit ihm Vereinbarungen unter deutschnationaler weitere" nicht auf die betreffende Partei, als ob diese Mitarbeit zustande kommen, das Bersprochene auch gehalten werden schon vorher ein Mandat in einem der beteiligten Wahlkreise wird, womit sichere Grundlagen für das Nebeneinanderleben der erhalten haben müßte, sondern auf die Gesamtheit Staaten gegeben sein werden und nicht immer wieder neue( kon fliftsstoffe entstehen fönnen. Staaten gegeben fein werden und nicht immer wieder neue kom der unter die verschiedenen Parteien verteilten Mandate, denen aus den Reststimmen weitere zugefügt werden. Und. zwar auf je 60000 vereinigte Reststimmen ein Sig, was feinen Sinn hätte, wenn es sich um nur eine Bartei handelte, die ja in diesem Falle nie mehr als einen Siz gewinnen kann. Es hätte auch feinen Sinn, im Geseze mindestens 30 000 Stimmen in einem Kreise zu fordern, wenn die Wahl eines Abgeordneten, d. h. 60 000 Stimmen, Boraussetzung wären. Bei der Beratung des Wahlgesetzes in der Nationalver( Bd. 333, S. 5332) ausgeführt: sammlung( am 22. April 1920) hat der Berichterstatter
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Zusammengefaßt: Der Vertrag von Versailles wird nicht/ zerrissen. Das zweite Bersailles", die" Berfilavung" wird nicht rundweg abgelehnt, es wird darüber verhandelt. Das ominöse Pazifistenwort erständigung" entgleitet unbedenklich dem Gehege der Zähne. Nur über einen Bunft spricht sich Herr Hergt nicht mit genügender Klarheit aus. Er spricht von einer Aufforderung zu Verhandlungen". Worüber fachlichen Inhalt der Sachverständigenvorschläge, die bereits aber find wir aufgefordert zu verhandeln? Nicht über den als unteilbares Ganzes" angenommen find, also auch nicht über die 55 he der Lasten, die uns auferlegt werden follen, fondern über die Ausführung des Gutachtens.ber
Die vereinigten Reststimmen
formiten dann der
Bartei zugute, sofern in den vereinigten Wahlkreisen Quotient von 60 000 erreicht wird."
Ebenso wird bei der Reichsliste von den fleinen Gruppen gesprochen, denen es nicht gelungen ist, in einem Bahlkreis oder Wahlkreisverband einen Siz zu gewinnen. oder Wahlkreisverband einen Siz zu gewinnen. Diese Auslegung hat von feiner Seite in der Beratung
Benn Herr Hergt fagt, daß die politischen von den wirtschaftlichen Fragen nicht zu trennen find, fo fagt er nur, was die Sachverständigen sagen, was die Regierung Mary fagt und was die Sozialdemokraten sagen. Aber anders steht es mit den wirtschaftlichen Fragen selbst, mit der Höhe der Lasten. Hier gibt es nach unserer Ueberzeugung- wir wür- Widerspruch erfahren. Der zuständige Minister Koch hat den uns freuen, wenn wir uns irren würden im wesentlich( S. 5336) ohne Einschränkung auf die Angaben des Belichen nichts mehr zu handeln, sie müssen zunächst einmal über- richterstatters bezogen. Want des Herrn nommen werden oder die ganze schleunige Verstän= digung“, die Herr Hergt herbeiführen will, fliegt in die ehrenvoll ein solcher Zuwachs für den Reichstag sein mag. Luft. Sie fliegt in die Lust, trotz der eindringlichen Versiche nach den Ergebenissen in Berlin und Botsdam 2 unzweifelhajt. Brauns Doppelmandat.
rung des Herrn Hergt, er würde in vorteilhaftem Gegensatz zu den bisherigen Reichskanzlern ein Re a lpolitiker der Erfüllung und ein ganz zuverlässiger Zahler werden.
Bleibt Herr Hergt bei dem, was er gesagt hat, so wird er nur sich und feine Partei tompromittieren, ohne etwas anderes zu erreichen, als die Isolierung Deutschlands und seinen vollständigen wirtschaftlichen und politischen Ruin. Wir werden dann das große Wunder haben, wir werden unser blaues Wunder erleben!
Aber wird es dabei bleiben? Herr Hergt befindet sich in einer rasenden Entwicklung. An ihm selber vollziehen sich Wunder, und man darf an weitere glauben. Nur muß er sich beeilen und sich flar darüber sein: Eine Erfüllungspolitik, die mit nationalistischen Rebensarten verschleiert wird, tostet dem deutschen Bolt nur, aber fie bringt ihm nichts!
Was Herr Hergt weiter über seine innere Politik gesagt hat, ist so inhaltlos und vorsichtig gewunden, daß man es getrost übergehen fann. Was auf diesem Gebiet von einer Regierung Hergt zu erwarten ist, weiß man ohnehin. Dafür ist, was in Bayern passierte, nur ein fleiner Borgeschmad gewesen. Im Reich geht es um die Gestaltung der Sozialpolitik, um die Verteilung der Steuer Lasten, und so wird der fonservative und ehemalige Finanzminister Dreitlassen- Breußens für die Großgrund Großgrund befizer, die Kapitalisten, die Arbeitgeber, die Hauswirte schon der richtige Mann sein. Reichsregierung Hergt, das heißt: Fort mit den Resten des Achtstundentags! Die Arbeitgeber wieder Herren im Hause! Lebensmittelzölle! Möglichst hohe Verbrauchssteuern, möglichst niedrige Besitzsteuern!
Danach ist z. B. die Wahl des Herrn Kunze, so wenig
Der preußische Ministerpräsident Abgeordneter für Düffeldorf- Weft.
Befonntlich ist der preußische Ministerpräsident, Genosse Otto Braun , sowohl in Ostpreußen wie im rheinischen Wahlbezirk Düsseldorf Weft als Spitzenkandidat gewählt worden.
Genosse Braun wird die Wahl in Düsseldorf annehmen. An feiner Stelle wird dann für Ostpreußen der dritte Kandidat auf der Bauteiliste, Parteifekretär Hermann Schulz Königsberg , in den Reichstag einziehen.
Wer ist der Sieger?
Die Germania " beschäftigt sich mit der Ausdeutung des ErSie wendet sich gegen die Aufgebnisses der. Reichstagswahl. fassung, daß die Wahl einen starken Rud nach rechts bedente. Dabei geht sie von den Voraussetzungen aus, daß der Inhalt der Parteien von 1924 ein anderer sei als der von 1920. Damals sei die Deutsche Boltspartei cine Rechtspartei gemefen, heute sei fie eine Mittelpartei. Auf dieser Grundlage berechnet sie, daß die bürgerliche Mitte ihre Stimmen von 9 798 188 im Jahre 1920 auf 10 442 042 Sie zieht die SchlußStimmen im Jahre 1924 gesteigert habe. folgerung:
,, Einer ausgesprochenen Rechten von 8 426 265 Stimmen steht eine Mitte von 10 442 042 Stimmen gegenüber. Die Psychologie des deutschen Wählers zeigt. also, abseits von verwirrenden Parteinamen untersucht, eine kleinere Rechte und eine größere Mitte als 1920. Das wird man festhalten müssen, denn der politische Inhalt des Wahlergebnisfes liegt vor allem in dem großen Unterschied des wirklichen Inhalts der 1920 und 1924 der Deutschen Boltspartei, Bayerischen Volks partei und anderen Gruppen erteilten Stimmen."
Erfüllungspolitik durch Hergt heißt: Erfüllung nur durch die breiten Massen! Nach der Verfassung, die Herr Hergt beschwören muß, In dieser Berechmmg liegt eine Abwehr der Machtanwenn er Reichslangler werden mill, fann eine Regierungspräche der Deutschnationalen . Die wirkliche Abwehr nicht im Amte bleiben, wenn ihr der Reichstag das Bertrauen jedoch besteht nicht in Zahlendeutungen. Ebenso wie der wirkliche
herbeizuführen. Unjere grundsägliche Stellung zum Sachver versagt. Herr Hergt hat sich noch nicht darüber ausgesprochen, politische Inhalt der errechneten bürgerlichen Mitte wird sie zutage
ständigengutachten ist mehrmals ganz programmatisch und unzweideutig ausgesprochen worden, und ich nehme an, daß bie Reichstagsfraktion den Standpunkt der Parteifeitung fich zu eigen machen wird.
Wir setzen dem Gutachten und der Aufforderung zu Berhandlungen nicht von vornherein ein rundes Unannehmbar" entgegen,
wohl cber Borbehalte, die ganz unverzichtbar find. Wir gehen davon aus, daß es unmöglich ist und daher auch von dem Gutachten gar nicht beabsichtigt sein tann, für die Ber
Sein Berhältnis zu den„ Marristen" ist von vornherein treten müffen bei den Berhandlungen über die Regierungsbildung gegeben. Den Bölkischen hat er bereits einen staatsmännischen und den fünftiger. politischen Kurs. Tritt versetzt. Er braucht, um eine verfassungsmäßige Regierung zu bilden, die Unterstügung der bürger- Die Fraktionen des Reichstags. lichen Mittelparteien. Es geht wahrscheinlich nicht ohne Demokraten, es geht sicher nicht ohne Boltspartei und Rentrum.
Man darf den Aeußerungen dieser Parteien zum Regierungsprogram des deutschnationalen Führers mit Interesse entgegensehen.
Nach den amtlichen Veröffentlichungen des Reichswahlleiters im Reichsanzeiger" find bisher- außer den von uns schon genannien Mitgliedern der sozialdemokratischen Frattion folgende weitere Abgeordnete sicher gewählt:
Zentrum: 65. Dr. Fleischer, Dr. Höfle, Buchholz, Schulte, Dr. Perlitius, Willens, Iligta, Erhardi, Zipper, Dr. Brauns,