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Ausgabe A e. 112
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Sonnabend, den 10. Mai 1924
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Das Volk entscheide!
Der Beschluß des Sozialdemokratischen Parteivorstandes.
Der Beschluß des Sozialdemokratischen Parteivorstandes,| Ganzes" sind und als solches nur angenommen oder abgelehnt, die Frage der Annahme oder der Ablehnung des Sachverstän: nicht aber verändert werden fönnen. digengutachtens einem Volksentscheid zu unterbreiten, ist wie ein frischer Windstoß in die dumpfe Atmosphäre der deutschen Politik hineingefahren. Er sagt allen Barteien und allen einzelnen Bolfsgenossen, daß fie um eine flare, eindeutige Entscheidung nicht herumtommen werden.
Für die weitere Entwicklung ist es notwendig, die hauptsächlichsten Bestimmungen der Verfassung über den Bolksentscheid fennen zu lernen. Der Volfsentscheid muß nach Art. 73 der Verfassung herbeigefürht werden, wenn ein Zehntel der Stimmberechtigten das Begehren nach Einbringung eines Gelegentwurfes stellt. Diesem Boltsbegehren muß ein cusgearbeiteter Gesetzentwurf zugrunde liegen, der von der Regierung unter Darlegung ihrer Stellungnahme dem Reichstag zu unterbreiten ist. Der Volksentscheid findet nicht statt, wenn der Entwurf im Reichstag unverändert angenommen wird. Soll durch Volksentscheid eine Verfaffungsänderung herbeigeführt werden, so ist die Zustimmung der Mehrheit der Stimmberechtigten erforderlich.
Die Sache wird sich also folgendermaßen abspielen: Der formulierte Antrag der Sozialdemokratischen Partei wird erit dem Reichstag vorgelegt werden. Nimmt der Reichs tag ihn nicht an, so entscheidet das Bolf..
Zunächst werden demnach die Parteien des Reichstags genötigt sein, zu dem sozialdemokratischen Entwurf durch die Abstimmung flar Stellung zu nehmen. Erst wenn diefe Stellungnahme negativ ausfällt, fommt das Bolt zu Wort
Hierbei wird die Frage auftauchen, ob zur Annahme des Entwurfs die einfache Mehrheit genügt, oder ob zweidrittelmehrheit notwendig ist, weil der Entwurf als verfassungs ändernd betrachtet wird. Unseres Erachtens wird durch die Annahme der Sachverständigenvorschläge eine Verfassungsänderung nicht bewirkt, da die Eisenbahnen tatsächlich dem Eigentum des Reiches nicht entzogen werden. Sollte indes die entgegengesetzte Auffassung durchdringen, so wäre die Annahme des sozialdemokratischen Antrags im Reichstag unwahrscheinlich, und ebenso wäre es bei Neuwahlen schwierig, die Opposition auf weniger als ein Drittel der Reichstagssige zurückzudrängen und dadurch einen annahmefähigen Reichstag zu schaffen. Dagegen ist es im höchsten Grade wahrscheinlich, ja nach unserer lleberzeugung gewiß, daß der Volksentscheid den Anforderungen der Verfassungsänderung genügen würde, da die Annahme des Gesezentwurfs durch mehr als die Hälfte der Stimmberechtigten zu erwarten ist.
Der Schritt der sozialdemokratischen Partei ist notwendig geworden, weil die Reichstagswahlen für die wich figfte außenpolitische Frage fein flares Bild ergeben haben und weil Versuche zutage ireten, dieses Bild nur noch immer mehr zu verwischen. Bill Deutschland nicht das Spiel Boin. carés spielen, der offensichtlich nach Mitteln sucht, um seine Politik des wirtschaftlichen und militärischen Terrors weiter fortsetzen zu können, dann muß es die Vorschläge der Sachverständigen als das unteilbare Ganze", das sie darstellen, tlar und ohne Borbehalte annehmen. Die Befreiung der befegten Gebiete von dem auf ihnen lastenden besonderen Druck ist fein Borbehalt", der zu machen ist, sondern eine von den Sachverständigen selbst flar formulierte Boraussekung für eine Durchführung ihres Plans. Und gerade diese Voraussetzung ist es, die uns die Vorschläge annehmbar, ja ihre Annahme direkt zu unserer Pflicht machen.
Nicht darum handelt es sich, dem Feindbund Dienste zu leisten"," sich dem Ausland gefällig zu erweisen", oder wie sonst die verlogenen Schlagworte der nationalistisch- tommu nistischen Agitation heißen, sondern dem zweierlei Maß ein Ende zu machen, mit dem das bejezte und das unbesetzte Gebiet gemeffen wird, Lasten und Verpflichtungen auf das gonze Reich gleichmäßig zu verteilen, den Sanktionen, den Drohungen, den Konflikten ein Ende zu bereiten und damit Die außenpolitischen Voraussetzungen zu schaffen, von denen aus ein sozialer Neuaufstieg des deutschen Volkes überhaupt erst möglich wird.
Niemand verkennt, daß sich bei der Ausführung der Sachverständigenvorschläge Schwierigkeiten ergeben tönnten, die fich auch durch den besten Willen von deutscher Seite nicht beheben laffen. Dann wird es Reit sein, zur Beseitigung diefer Schwierigkeiten neue Verhandlungen einzuleiten, um durch Berständigung zu einem Ausgleich zu kommen. Jetzt aber fann, wenn nicht die Ruhrbesetzung und die durch sie bedingte wirtschaftliche Unsicherheit verewigt werden soll, über nichts anderes mehr verhandelt werden, als über die Art der Durchführung der Vorschläge, die ein„ unteilbares
Es ist möglich, daß die endgültige Entscheidung im Sinne der Annahme schon im Reichstag getroffen wird und daß sich die Volksabstimmung dadurch von selbst erledigt. Aber auch die Verhandlungen und die Abstimmung im Reichstag find jetzt unter den Schatten gestellt, den das große Ereignis
Arbeiter und Angestellte!
millionenweise bavonlaufen, werden, um für die Sache der gesunden Bernunft Partei zu ergreifen.
Alle Parteien, alle Bolksgenossen, vor allem aber un sere Parteigen offen selbst werden gut tun, fic) schleunigst zur bevorstehenden großen Entscheidung zu rüsten. Diese Entscheidung foll in aller nüchternheit gefällt werden ohne Phrasenrausch und Demagogie. Wenn die Gegner als Folge der Annahme eine ganze Hölle an die Wand malen wollen, mögen fie es tun, wir werden uns hüten, dem deutschen Bolf als Folge den Himmel zu versprechen. Wir wissen sehr genau, daß die Durchführung der Sach3m deutschen Kohlenbergbau ist am 7. Mai d. 3. die ge- verständigenvorschläge teine Annehmlichkeiten mit sich bringt, jamie Arbeiterschaft ausgesperrt worden, um ihr das Recht wir wissen aber ebenso genau, daß diese Annahme das einzige auf die Siebenstundenfchicht unter Tag und die Achtstunden praktisch mögliche Mittel ist, um dem deutschen Volk. Erschicht über Tag zu entreißen. Die Bergherren des Ruhrreviers Leichterungen gegenüber dem bisherigen Zustand zu begründen ihr Borgehen mit den ihnen durch die Micumver- verschaffen, und daß die Ablehnung, die von verantwortungsträge auferlegten Caften. Sie wollen diefe Lastenlosen Demagogen empfohlen wird, das endgültige Hinabgleiten aber völlig auf die Arbeiter abwälzen. Seit in den hoffnungslosen Ruin nach sich zieht. Monaten haben fie Arbeitszeitverlängerungen erzwungen, die Löhne ständig herabgefeht und durch fortgesetzte Tarifbrüche die Urbeiter gereizt. Jetzt soll dieser Zustand durch Zwangsfchiedsspruch verewigt und auch auf die an den Micumverträgen nicht beteiligten Reviere ausgedehnt werden. Die Berg arbeiter haben sich nicht geweigert, wirtschaftlich notwendige Ueberarbeit zu leisten. Sie haben schon monatelang leberstunden verfahren und waren auch jetzt dazu bereit, fofern ihnen das Recht auf die Siebenstundenfchicht tariflich gewährleistet ist. Das Grubentapital will aber feine tarifliche Anerkennung von Arbeiter rechten. Es verlangt die willenlose Unterwerfung der Grubensflaven. Noch ehe die Bergleute zu dem Schiedsspruch des Arbeitsministeriums Stellung nehmen konnten, warfen die Zechenherren die Belegschaften auf die Straße. Das Recht ist auf feiten der vergewaltigten Bergarbeiter, die sich gegen diesen Ueberfall zur Wehr setzen.
Die deutsche Wirtschaft wird durch diese Aussperrung ganz unabsehbar geschädigt. Keine Mehrarbeit wird diese enormen Berlufte deden können, die der Kohlenerzeugung dadurch zugefügt werden.
Die Urbeiterschaft darf die Bergarbeiter nicht ihrem Schidjal überlassen. Die unterzeichneten Bundesvorstände. rufen die Arbeiter und Angestellten auf, für die Ausgesperrten in allen Orten unverzüglich Samm lungen einzuleiten. Die Ortsausschüffe des ADGB . und die Ortskartelle des Af- Bundes werden ersucht, diese Sammlungstätigkeit durch geeignete Organisation und Propaganda fofort in die Hände zu nehmen. Die eingehenden Gelder find an die Adresse: Allgemeiner Deutscher Gewerkfchaftsbund, Hermann Kube , Kajjierer, Berlin S 14, Jnjelftraße 6, zu übermitteln.
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Der Kampf gegen die Bergarbeiterschaft ist der Hauptangriff auf den von der deutschen Arbeiterschaft verteidigten 2chtstunden tag. Dieser Angriff muß zunichte gemacht werden! Deutsche Arbeiter und Angestellte, helft uns diesen aufgezwungenen Kampf gewinnen!
Der Bundesvorstand
des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes . Der Vorstand des Allgemeinen Bundes freier Ungestelltenverbände.
der angekündigten Boltsabstimmung vorauswirft. Die Bararteien wissen, daß ihre Stellungnahme von ihren Wählern fontrolliert werden wird. Und da mag vielleicht jetzt schon man. chem der Helden ein Grauen beschleichen, die im Wahlkampf ihr Unannehmbar" brüllten, nachher aber sehr geschwind schon viel fleiner geworden sind.
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Es kann gar kein Zweifel daran sein, daß unzählige Wähler, die bei den Reichstagswahlen deutsch national, völtisch oder tommunistisch gewählt haben, bei dem Bolfsentscheid für die Annahme der Sachverständigen vorschläge stimmen werden. Im befekten Gebiet zumal wird sich kein Mensch, der seine fünf Sinne auch nur einigermaßen beifammen hat, der Notwendigkeit der Annahme entziehen fönnen.
Die nationalistischen und fommunistischen Agitatoren haben im Wahlkampf die Wahl ihrer Bartei gefordert aus hundertundeinem Grunde. Sie waren in der Lage, die Disfussion über die Sachverständigenvorschläge, fobald sie für sie brenzlich wurde, auf ein anderes Gebiet zu lenten. Das wird ihnen in dem Kampf um den Boltsentscheid nicht mehr möglich sein, da gibt es fein Ausweichen mehr. Und da werden sie dann erleben, daß ihnen ihre Anhänger gleich
Mit seinem Beschluß, die Frage der Annahme oder der Ablehnung der Sachverständigenvorschläge nötigenfalls von der lehien Instanz, dem Bolf entschieden zu lassen, hat der Sozialdemokratische Barteivorstand fenen verantwortungslosen Demagogen den Handschuh hingeworfen. Die Verfassung gibt uns Mittel an die Hand, ihrem schamlosen Treiben Half zu gebieten, und wir sind entschlossen, fie anzuwenden. Das wird auf die Phrasenhelden er nüchternd wirken wie auf den Trunkenen ein faltes Bad.
Der Beschluß des Parteivorstands gibt flare Richtlinien für die sozialdemokratische Aktion, und er schafft eine neue politische Lage. Es bleibt abzuwarten, wie fich die Parteien des Reichstags zu ihr stellen werden. Auf alle Fälle: der Kampf ist mit den Wahlen nicht zu Ende, er fängt jetzt erst recht an, er wird sich zu äußerster Heftigkeit steigern und voraussichtlich an die Energie unserer Organisationen und jedes einzelnen Parteigenossen die größten Anforderungen stellen. Das deutsche Volk muß auch in jenen Teilen, die uns als Partei noch scharf ablehnend gegenüberstehen, es fich abgewöhnen, dem ersten besten Demagogen nachzulaufen, es muß lernen, mit politischen Tatsachen zu rechnen. Dabei wollen wir ihm Führer und Helfer sein!
Die Aufnahme in der Presse.
Die meisten bürgerlichen Blätter beschränkten sich gestern S abend darauf, den Beschluß des Parteivorstandes, der ihnen wohl erst knapp vor Redaktionsschluß zuging, tommentarlos wiederzugeben. Nur die„ Berliner Volkszeitung" bemerkt:
Der fozialdemokratische Borschlag über die Frage der Annahme oder Ablehnung des Sachverständigengutachtens einen Bolfsentscheid herbeizuführen, hat auf den ersten Blid etwas Be ftechendes. In der Tat haben viele Parteien, insbesondere auch die Splittergruppen, durch ihre Agitation das klare Entweder- Oder,
vor das das deutsche Bolt gestellt war, getrübt. Aber auch jetzt noch
suchen Parteien, denen der Wahlkampf Erfolge gebracht hat, um den
Kern der Dinge herumzureden. Der sozialdemokratische Borschlag fönnte leicht gemiffe Barteien, ihrer unmittelbaren Ber= antwortung entfleiden, und es ist doch fraglich, ob das auch im Intereffe des Ganzen gelegen ist.
SP
Das Bedenken der Bolkszeitung" erledigt sich wohl durch den Hinweis auf die Bestimmung der Verfassung, nach der die Reichstagsparteien als solche der Entscheidung gar nicht Sie müssen im Reichstag Stellung nehmen und ihre Stellungnahme dann gegebenenfalls vor ausweichen können. ihren Wählern im Kampf um den Volksentscheid rechtfertigen. So werden die Ablehner feineswegs ihrer Berantwortung entlastet, sondern das gerade Gegenteil ist der Fall.
Die Bossische Zeitung" geht in ihrer ersten Morgenausgabe von derfelben irrigen Auffassung aus, wie die„ Volkszeitung", kommt aber doch zu dem Schluß:
Wir bezweifeln nicht, daß ein solcher Dolfsentscheid nicht nur eine große Mehrheit im Sinne der Erfüllungspolitik erbringen wird, fondern darüber hinaus auch eine überwältigende Kundgebung des Willens zum friedlichen Aufbau. Bar allem im besetzten Gebiet weiß man, daß die Ablehnung der Gutachten nicht eine Erleichterung der Lasten bringt, sondern nur ihre einseitige Berteilung in der Weise, daß das unbesetzte Gebiet zunächst scheinbar frei bleibt, während die Reparationsprovinzen" bis aufs Mart ausgebeutet würden.
Auf der anderen Seite versichert der Hug. ibergsche ,, Tag" in feiner Nachtausgabe, die glatte Annahme der Borschläge mürde geradezu eine Selbstaufgabe" bedeuten. Aber auch man höre!„ das Mein in seiner fategorisch ablehnenden und alle anderen Möglichkeiten ausschließenden Form würde die Nation gleichfalls in eine außenpolitische
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