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Nr. 232 41. Jahrgang

1. Beilage des Vorwärts

Das Haus des deutschen   Volkes.

dem Wilhelm I.   auch die Ausführung des Baues übertrug. Am 9. Juni 1884 wurde die Grundsteinlegung vollzogen, und am 5. De­zember 1894, also volle zehn Jahre später, die Schlußsteinlegung durch Wilhelm II.  

Volkshaus oder Kaiserhaus?

Sonntag, 18. Mai 1924

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den Plenarsizungssaal, den unser Bild zeigt, und der jetzt beinahe für die große Zahl der Abgeordneten zu klein ist, so daß man ein paar Gänge einziehen muß. Unser Bild weist deutlich die Zweitei­lung jedes Parlamentes auf. Im Vordergrund die Tische dey Ab geordneten. Von diesen getrennt, eine Estrade, die links vom Be fchauer die Regierungsmitglieder einnehmen, rechts die Mitglieder ordneten den berühmten Tisch des Hauses", dahinter den Tisch für des Reichsrates. Man sieht unmittelbar vor den Sitzen der Abge­die Stenographen  . Darüber erhebt sich der Stand für den Redner, und über diesem thront der, der den ganzen gewaltigen Apparat meistern soll, der Reichstagspräsident, ein Amt, das bisher unser Genosse Löbe zur größten Zufriedenheit aller Parteien man fich wirklich einmal ausnahmsweise ganz einig Rechts und links von ihm die Schriftführer. In dem oberen Stockwerf laufen um den übrigens ganz und gar holzgetäfelten Saal die schmalen und wenig Raum bietenden Tribünen für das Publikum und die Presse. Der Saal wird erhellt durch ein Ober­lichen gewaltigen, aber viel zu niedrigen Kuppel, auf deren Höhe die licht, das wiederum fein Licht bekommt über der darüber befind vergoldete sogenannte Laterne thront, die wiederum als höchster Bunft des ganzen Gebäudes, 75 Meter über dem Straßenniveau der Sterblichen, die goldene Kaiserkrone auch heute noch aufweist. Die Obergeschofse.

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hierin ist ausgeübt hat.

Der jungen Generation, die nur das pompöie Reichstagshaus| leer aus. Preisträger war vielmehr der Architeft Paul Ballot,| Linfen   gelangt man in den wichtigsten Raum des ganzen Hauses, am Königsplay tennt, ist es nicht befannt, daß sich das erste Reichs. tagshaus des neuen Deutschen   Reidstages an einer ganz anderen Stelle befand, an der heute viel mehr Menschen vorübergehen, als an dem neuen Reichstagsgebäude. Der erste Sigungssaal des Reichs­tages befand sich nämlich auf dem Hof der ehemaligen Por= 3allanmanufaktur in der Leipziger Straße nahe dem Leipziger Pich, den im Jahre 1871 der Architekt Hihig in aller Eile durch den Haupteingang enthält. Von dieser Regel machte das In der Bankunst gilt eine Regel, nach der die Hauptfassade auch Glasüberdeckung in einen Sigungsfaal verwandelte. An diesen Reichstagsgebäude   eine gründliche Ausnahme. Die Hauptfaffade höchft primitiven und dem neuen gecinten Reich wirklich nicht ganz wurde nach dem Königsplatz verlegt. Dort befindet sich die große würdigen Räumen mußte sich der Reichstag   über 30 Jahre genügen Freitreppe mit den beiden Rampen, die zu den fünf großen Bor­Leffen, auch ein Beweis dafür, wie die Monarchie die Bolksvertretung talen emporführen, die überdacht werden von dem auf fechs großen einschätte. Denn bereits am 11. Mai 1871 hatte der Reichstag   den forinthischen Säulen ruhenden Giebelfeld. Und diese großartig wir­Bau eines Reichstagshauses beschlossen. Aus dem dann veranstals fende Hauptfront mit ihren gewaltigen, den Boftsvertretern Einlaß tea internationalen Preisausschreiben ging ein Architekt gemährenden Türen erfüllte und erfüllt überhaupt feinen 3wed. Die deutscher Herkunft und mit dem ganz deutschen   Namen Bortale sind immer geschlossen und gewähren niemanden Bohnstedt als Sieger hervor. Und nun leistete man sich, auch damals Eintritt. Nur vor zwei Jahren öffneten sie sich und ließen den er­schon aus nationalen" Gründen, einen Schwabenstreich. Dieser des Bolkes. Nun sollte man meinen, daß dem Schaugepränge Ge­mordeten Minister Rathenau auf seiner legten Fahrt aus dem Haufe Baumeister Bohnstedt stammte von deutschen   Eltern in Petersburg  , nüge getan märe und daß die zweite wichtige Längsfront, die nach hatte in Deutschland   studiert, war aber formalrechtlich ein geborener der Sommerstraße zu gelegene, dem Eingang der Boltsvertreter vor­Ruffe. Und ein Russe" fonnte doch unmöglich den Auftrag zum behalten geblieben wäre. Aber weit gefehlt. Von mo aus hätte Bau des Deutschen   Reichstages befommen. Kurz und gut. die denn S. M. der Erledigte und sein Hof das Gebäude betreten sollen? Entscheidung über den Bau wurde verschleppt, im Jahre 1882 wurde und so konstruierte Herr Wallot an der zweiten Hauptfront des Ge­ein neuer, diesmal ganz nationaler Wettbewerb bäudes, an der Oftfeite, die pompöfe Auffahrt für den Hof und den cusgeschrieben. und zwar nur für Architekten, deren Muttersprache Bundesrat. Bon hier ging es zu der Tribüne mit den zugehörigen die deutsche war. Die heute übliche völkische Deutschblütigkeit spielte Borräumen. Heute sind diese Räume den Vertretern der auswär­bamals also noch gar feine Rolle. 189 Entwürfe gingen ein. Auchtigen Mächte, den Diplomaten, eingeräumt, die auf diese Weise im Bohnstedt hatte sich wieder mit vollem Recht beworben, ging aber Haufe des deutschen   Bolkes eine würdige Stätte haben. Auch der Reichspräsident benutzt bei besonderen Anlässen diese Tribüne. Der Eingang für die wichtigsten, in der kaiserlichen Zeit aber doch nebensächlich behandelten Personen, die Reichsiagsabgeordnetan, war eben auch ein Nebeneingang. Und da die ganze Gebäudeanlage dar­auf zugeschnitten ist, mußte es leider bis zum heutigen Tag so bleiben. Für die Mitglieder des Reichstages, des Reichsrates und der Reichsregierung ist alfo der Eingang 2 in der Simonftraße da, dem Brandenburger Tor   am nächsten gelegen. Der Vorraum meist insofern ein besonderes Gepräge auf, als er rechts und links von je vier gewaltigen Bronzemännern flantiert wird, ehemaligen deut schen Kaisern. Der fünstlerische Eindrud dieser im Dämmer farbiger Scheiben liegenden Halle mit den ragenden überlebensgroßen Figuren ist bedeutend und vielleicht der stärkste, den das ganze Haus zu vermitteln hat. Bon diefer Halle aus, an die sich die Kleider ablagen anschließen, fönnte man am besten einen Rundgang durch das Haus antreten. Jedoch ist für diese Zwecke der Nebeneingang 5 am Reichstagsufer da. Dort findet alle Tage, an denen feine lenar­fihung stattfindet, nachmittags um 2 Uhr eine Führung durch die Haupträume des Hauses statt, Sonntags hingegen um 1 Uhr. An Tagen von Plenarsizungen finden die Führungen früh um 9 Uhr statt. Bertrauen wir uns nun einer solchen an.

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DEM DEUTS

Reichstagskuppel und Giebelfeld der Hauptfassade

Die Flüchtlinge.

Roman von Johannes Cinnantosti,

nirgends.

" Hanna, Hanna! Ich bin ja hier- ich gehe nirgends Da erwachte sie gleichsam und fah Uutela an. In dem Blid mar Dant, Leiden, Kindesliebe.

Kannst du jetzt wieber?" fragte Uutela, fie leise auf die Füße stellend und sie fast tragend zu der Bank führend. Sie versuchte zu lächeln, mar aber so matt, daß er sic immer noch mit dem Arm stützen mußte.

" Sie tun doch nichts, Uutela?" fragte sie langsam, taum

hörbar.

Nein," antwortete er und fant schwer auf die Bank nieder. Wir sind allzumal Sünder..

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Ein Rundgang.

Nach einem furzen Treppenanstieg steht man überrascht und gefeffelt sor einem Anblid, ben man in Berlin   taum zum zweiten Male bat. Vor dem Beschauer öffnet sich eine 10 meter breite und 17 Meter hohe von Zonnengewölben überhedte repräsentative Wandelhalle, die sich alsbald zu einem zu einer achtedigen, von Ober­licht erhellten Kuppelhalle erweitert, an die sich eine gleiche Wandel­halle wie die erste von denselben Ausmaßen anschließt. Diese drei prachtnollen Räume von insgesamt 97 Meter Länge durchmeffen% ber Gesamtlänge des Hauses, die 137 Meter beträgt. Sogleich zur rechten Hand, mit den Fenstern nach dem Königsplay. befinden sich der Schreib- und der Lesesaal, beide geschmückt mit Gemälde deuts scher Städte und Landschaften. Die Führung sollte hier etwas länger vermeilen, damit man ruhig genießen fann. Das eigene Poffamt des Reichstages schließt sich an. Unmittelbar darauf betritt man den Kuppelfaal, in deffen Mitte noch immer das Standbild Wilhelms I. steht, unter dem sich der Schlußstein des Hauses befindet. Bon einer Estrade hängt eine große schwarzrotgoldene Jahne herab. Der Ruppelraum wird ausgefüllt durch einen 160 Zeniner schweren Kronleuchter. Zur Rechten befinden sich die schon erwähnten, immer verschloffenen Türen des Hauptportals nach dem Königsplaß, zur

Bon den Rändern des ebenen Landes und von den Hän­gen der Anhöhen blidte der falternfte, leise feufzende Wald herüber.

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Inmitten diese Dede, auf dem meiten Eis eines schmalen Sees schritt ein einfamer Mann dahin- vornübergebeugt,

die Hände in die Taschen eines furzen Rodes geschoben.

Der wenig befahrene Weg war nach einem Schneetreiben Schatten, der, seinen schwankenden Schritten folgend, hin und uneben und holperig. Der Wanderer starrte auf seinen furzen her fladerte.

Doch gehen mir zurüd. An die Kuppelhalle schließen sich die Restaurationsräumlichkeiten, von denen der erste von den demokratisch­republikanischen Parteien einschließlich der Kommunisten, der Ed­raum von den Rechtsparteien einschließlich der Regierungsmitglieder bevorzugt wird. Ueber eine Treppe, vorbei an der erwähnten Kaiser­halle des Südeinganges, gelangt man in den Borjaal für die Re­gierung, dem ein gleichartiger Raum für den Reichstagsvorstand auf der anderen Seite gegenübersteht. Diese Räume machen mit ihren hohen dunkel getönten Holzgestühlen mit farbigen Leder­füllungen einen überaus vornehmen Eindruck. Der ehemalige Bundesratssitzungsjaal an der Südostecke weist beachtenswerte Deckengemälde von Raffael Schuster- Woldan   auf. Alle diese Räume lichkeiten befinden sich im sog. Hauptgeschoß. Im 3 wischen geschoß befinden sich die schon erwähnten, übrigens ganz unzu­länglichen Räume der Presse, während allerdings der Schreib- und Lesesaal der Presse ein Raum von intimer, behaglicher Innenwirkung ist. Im Obergeschoß befinden sich die Sigungsfäle der Fraktionen und Kommiffionen, darunter der Hauptausschuß( früher Budget) faal. Im Fraktionsfaal der Bolkspartei ftehen in großem Halbrund die

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Plenarsitzungssaal

jetzt, wo ihm nach der Wendung der Wind ins Gesicht peitschte.

Und so zog ihm sein ganzes früheres Leben bis zu dieser Nacht durch das Gehirn. Die freudlosen Kinderjahre des vaterlosen Knaben, der Kampf, das Mißgeschick und die Er­folge der Jahrzehnte, die Arbeitsfreude, das verjüngende

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Alter, das gewiffermaßen gegen das Ende zu wärmer und tiefer wurde wie sich die Furchen eines guten Pflügers von Jahr zu Jahr vertiefen. Nun dies!

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Wir glauben Herrscher und Herren über unser Leben zu sein," fuhr er in seinem Sinnen fort. Da fommt eine fleine Biegung auf dem Wege der Vorsehung, und alles zer­losgeschelft ein anderer Mann ergreift die Zügel und sagt: ich bin hier Herr!"

,, So bin ich jetzt auch," dachte der Mann, ebenso losge­riffen und schwankend." Der Wind schnitt ihm heftiger ins Gesicht, aber er fühlte Barum mußte dies geschehen?" dachte er wieder. Mein Leben ist makellos und ehrbar

es nicht.

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Er fühlte in diesem Augenblick die Hand der Vorsehung. Menschen von hinten auf die Schulter legt, so schwer und er­groß und mehrere Klafter breit, wie sie sich ungesehen dem

Es fam ein erdrückendes Gefühl der Scham über ihn fo fügen. Weshalb mußte gerade mich dieser Stoß treffen?" drückend, daß er sich nicht von der Stelle rühren fann und

wegen dessen, was er vorhin gedacht und gesprochen hatte, fo daß er das Mädchen nicht mehr ansehen fonnte, sondern sich abwandte. Heiße Tränen begannen langsam auf die Fenster­bant zu tropfen, auf die er sich mit dem Ellbogen lehnte.

Das Mädchen fant auf die Diele, indem es den Kopf in bie Hände gegen die Bank drückte, und begann bie lange zu­rückgehaltenen Tränenftröme ihres schweren Herzens auszu­

weinen.

11.

Er bemerkte plöglich die mondbeschienenen Uferabfäße unmittelbar vor sich und machte Halter war an das Ende

des Gees gekommen.

" Hier müßte ich umfehren," feufzte er schwer. Aber was habe ich denn dort noch zu tun!" daß er, wenn ein Eisloch vor im gewesen wäre, ebensogut vor­Er fühlte eine solche Einsamkeit und Debe in der Seele, wärts und in dieses hinein hätte treten fönnen wie umfehren. Es war Nacht geworden. Ich habe mich immer gewundert, wie die Menschen so Der Mond zog scharf gespitzt feine Straße. Die Sterne flim etwas tun können. Jest wundere ich mich nicht mehr. Wenn merten stechend. Der Himmel war falt und hoch. man in der Welt nichts mehr hat, dann... Und ich habe Karoliina Hnten lagen die öden Schneeflächen. nichts habe niemanden, der mich vermißte ausgenommen..

Hier und dort inmitten des weißen Feldes fchlief ein ein fames Geböit. Neben den Gehöften hielten dunkle, gespen­ftliche Schatten Bocht.

Ueber das Feld hin aber ging ein böser Wind, nächtig rauh und einsam.

Er tam aus der engen Pforte der Anhöhen still mie ein Seufzer, verbreitete sich aber auf dem Feld zu einem falt fräftigen Blasen. Er fegte weite Streden bloß, bis er irgendwo auf einem durch Bestöber angefchwellten Weg oder an der Wand eines Hügels einen Armvoll losen Schnee fand -auf der grauschimmernden Dede lief eine weißschimmernde Welle.

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Der Wind ging ihm wie talte Nadeln durch den Körper num, wo er stehen geblieben mar, spürte er ihn. Er wandte sich langsamt um. Es ist ja einerlei, wohin ich gehe," bachte er.

Aber seine Gebanten waren bei der Erinnerung an seine Schwester in neue Spuren eingebogen.

Nun haben sie mir noch einmal den Balg ins Geficht geworfen!" fchäumte er bitter auf. Und vielleicht auch den Knecht. Vielleicht den Balg des Knechtes zu dem früheren Knecht und Balg! Das wäre erst etwas!"

Er war so erregt, daß er kaum Atem zu holen vermochte

"

ihr Gewicht füllt.

,, Und geschieht dies nun mit Gottes Willen?" dachte er wieder. Was will er von mir? Ich dächte, es wären andere vor mir zu ermahnen gewesen so hat es mir geschienen. was bezweckt er hiermit?"

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So sehr er auch grübelte, diesen 3med konnte er nicht be greifen. Ruchlose Menschen so schloß er haben sich hier in Sünden herumgewälzt und dann ihr Elend einem Unschul­bigen auf den Naden geladen.

Das ist doch ein merkwürdiges Sichten!" rief er in Ge­danten aus. Man sucht und versucht sein Bestes- und dann ein solches Ende. Hat man dafür gelebt? Was ist dann das Leben?"

Er war in feinen Gedanken stehen geblieben. Er hob den Kopf und blidte sich, wie nach einer Antwort suchend, um. Aber niemand antwortete. Alles war so falt, öde und stumm mie feine eigene Seele.

" Das Leben," Schloß er, was ist es weiter als der Beg bort. Es schlängelt sich und windet sich vorwärts, und dort fieht man schon nichts mehr von ihm. Und der Mensch ist wie die Schneeförner dort, die der Wind vor sich hertreibt. Jetzt dorthin nach einer Weile hierher- je nachdem wie sie der Wind herumwirft."

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Er ging wieder vorwärts.

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( Fortsetzung folgt.)