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Die volksparteiliche Provokation.

Herr v. Hallensleben als Sparsamkeitsapostel Zu den gestrigen Sturmszenen in der Stadtverordnetenverfamm­lung schreibt die Germania":

Als Herr v. Hallensleben bie Rednertribüne bestieg, erhob sich fofort auf der Linken ein großer Lärm. Zurufe wie Schieber usw. mochten seine weiteren Ausführungen unmöglich. Herr v. Hallens­leben hatte nämlich vor einiger Zeit eine Rechnung dem Magistrat zugesandt, in der er für einen einzigen notariellen 2ft nicht weniger als 320 000 m. in Rechnung stellte. Man war deshalb nicht allein in fommunistischen Kreisen der Ansicht, daß er recht wenig geeignet fel, über Sparmaßnahmen zu sprechen, sondern begegnete derfelben Ansicht auch in bürgerlichen Kreisen. Im Weltestenausschuß erklärte die Deutsche Volkspartei  , daß sie die Redner für die einzelnen Fragen bestimme und perließ proteftierend die Sigung. Selbstver ständlich ist der Standpunkt der Deutschen   Bolkspartei der richtige, wenn sie sich in ihre internen Parteiangelegenheiten nicht drein reben lassen will, er ist aber ebenso unrichtig, wenn man Rücksicht darauf nimmt, daß es vor allem darauf ankommt, daß die Stadt­berordnetenversammlung prattische Arbeit leistet. Wir fönnen uns nicht vorstellen, daß die Fraktion der Boltspartei nicht damit rechnete, daß thr Sprecher gerade wenigstens von einem Teil des Hauses als völlig ungeigneter Sachverständiger in den zur Dis­fuffion stehenden Fragen abgelehnt wurde. Man hatte deshalb allgemein den Eindruck, daß es sich hier um eine Herausforderung handle, zumal dieselbe Fraktion die Methode der Spren. gung einer Sigung bekanntlich vor kurzem, als die Affäre Leß zur Diskussion stand, ebenfalls angewandt hatte."

Der Kuriositä: halber verdient erwähnt zu werden, baß nach etner Mitteilung des Tag" eine Reihe von bürgerlichen Fraftio. nen" die Absicht haben soll, einen Mißtrauensantrag gegen den Genossen Reimann einzubringen, weil er die geftrige Sigung unter dem Einbrud der allgemeinen Erregung geschlossen hat. Wir missen nicht wer diese mehrere bürgerlichen Graftionen" fein sollen. Bielleicht fühlt sich der Herr Pfarrer Kod befonders qualifiziert, über die Ordnung im Rathaus zu machen. Die Deutsche Volkspartei  hat sich übrigens nicht nur in dem von der Germania  " erwähnten Fall als Schleppenträgerin der Deutschnationalen erwielen Sie versucht neuerdings bei jeder Gelegenheit, ihr Ent gegenkommen gegen die Koch- Partei zu beweisen. Noch in der legten Cigung unterstützte sie z. B. die deutschnationale Fraftion bei ihrer allerdings gescheiterten Obstruktion gegen die Delegation hach Münster  . Sie verhinderte auf diese Weise mit den Deutsch nationalen, daß das Zentrum einen Vertreter erhielt.

Im übrigen ist der ziemlich allgemeine Brotest gegen Herrn p. Hallensleben feineswegs etmos vereinzeltes. Auch schon andere Redner anderer Fraktionen find unter dem allgemeinen Widerspruch per Stadtverordnetenversammlung zum Abtreten gezwungen worden. So z. B. der deutschoölkische Herr Stube, als er mit nicht zu über bietender Frechheit der Sozialdemokratie vorwarf, sie habe sich nach der Revolution an die Erb'chaft herangedrängt. Die Volkspartei täte gut und handelte zweifellos in ihrem eigenen Interesse, wenn sie aus dem Falle Hallensleben seinen Prestigefall machte. Der Erfolg würde nur der sein, daß die famose Rotartats. rechnung des Herrn Hallensleben noch mehr als bisher weiten Kreifen der Deffentlichkeit bekannt würde. Bielleicht überlegen sich Die Herren v. Eynern und Freunde, ob das wirklich in ihrem Inter­effe ift.

Die Lehrerkammerwahlen in Berlin  .

Die Lehrerkammerwahlen bilden die einzige Gelegenheit, um von Zeit zu Zeit ein einigermaßen zuverlässiges Bild von der schul­politischen Einstellung der Lehrerschaft zu erhalten. Das Ergebnis ber gestrigen Berliner   Wahlen entsprach im großen und ganzen den gehegten Erwartungen. Die große Sammelliste des Lehrerverbandes besaß nach wie vor die größte Anziehungskraft, fie errang genau bie Hälfte der 40 Site. Schulpolitisch gesehen vereint sich

Die

hier freilich ein absonderliches Gemirr der verschiedenartigsten An­chauungen, da man weiß, daß das Verbandsprogramm der Weltlich feit der Schule durchaus nicht von allen Mitgliedern auch nur prinzipiell vertreten wird. Die freige wertschaftliche Liste meist eine erfreuliche Vermehrung der Stimmen gegenüber der ( früheren sozialistischen   Lehrerverbandsliste auf, sie brachte es nur auf zwei Size, und sie gibt fein Bild von der Zahl der sozialistischen  Behrer in Berlin  , weil ein Teil von ihnen, vielleicht sogar der größere Teil, in dem neutralen" Lehrerverband organisiert ist. Chriftlich- Nationalen, in denen Reihen Arm in Armes geht nichts über eine einheitliche Schulpolitik!- Zentrum und Deutsch nationale fämpfen, steigerten gleichfalls ihre Stimmenzahl und er rangen zehn Size( acht Deutschnationale, zwei Zentrumsleute), der Rest der Gesamtstimmen fiel auf die Liste der Lehrerinnen. Alles In allem fein allzu erfreuliches Bild von der politischen und ins. besondere fulturpolitischen Einsicht der Lehrerschaft in der Reichs­hauptstadt.

Die Heiratsfabrik v. Häußler- Danziger.

In der heute fortgefeßten Berhandlung gegen den Rechtskonsu. lenten Guald D. Haußler und den Kaufmann Paul Danziger vor dem Schöffengericht Berlin- Mitte, die unter großem Andrang des Publikums stattfand, wurden die Angeklagten zu einer Reihe weiterer Fälle von Namensehen vernommen. Sie gaben im allge­Das meinen den Sachverhalt, wie ihn die Anflage darlegt zu.

Treiten der Angeklagten wird besonders in einigen Fällen dharaf­terisiert. Am 1. Februar 1919 schloß Danziger, obwohl er ver­heiratet war, unter dem Namen von Waldenburg auf Beran. faffung von Häußler auf dem Standesamt II Lichtenberg gegen Bergütung von 5000 m. eine Namensehe mit der lebigen Ratharina R. Diese Ehe wurde im Januar 1920 rechtsträftig wieder geschieden. Dem Standesamt wurde eine fälschlich ausgefüllte Ge burtsurfunde auf den Namen v. Waldenburg vorgelegt. Danziger unterzeichnete bei dem Trauungsaft alle Urkunden mit dem Namen v. Waldenburg. 14 Tage nach der Eheschließung trat Danziger unter dem Namen Graf von Einsiedel   von neuem in den Stand der Ehe, und zwar bei dem Standesamt Wilmersdorf  . Die zur Gräfin von Einsiedel gemachte junge Frau brauchte nur 2500 Mart zu zahlen. Auch ein Gütertrennungsvertrag, der beim Notar abgeschlossen wurde, wurde von Danziger mit dem Namen v. Ein siedel unterzeichnet. Nach Behauptung Danzigers waren an diesem " Ehegeschäft" auch von Häußer und die inzwischen verstorbene Mitangeschuldigte, die Malerin Anny von Hohendorff geb. Buzer, beteiligt. Der Angeklagte von Häußler bestritt dies jedoch. Eine weitere Ehe wurde nach derselben Art im März 1919 von Danziger unter dem Namen v. Strachwiz vor dem Standesamt I abgeschlossen. Diesmal wurde für die Namensche eine Ver. gütung von 12000 m. gezahlt. Auf Veranlassung der Rechts­anmäte Dr. Grüneberg und Müller Stromeŋer wird über den Geisteszustand der beiden Angeklagten ein umfangreicher Zeugen, und Sachverständigenbeweis angetreten.

Wohnhäuser als Lotteriegewinne? Wie die Juninummer Der Mieter" mitteilt, schwebt beim preußischen Finanzministerium und beim Wohlfahrtsministerium ein Plan des Industriellen Wilhelm Rosenkranz aus Holzminden  zur Genehmigung einer Deutschen Wohnhäuser Lotterie. Das Wohlfahrtsministerium hat bereits die Einzelheiten der Idee nachgeprüft, für durchführbar erachtet und befürwortet. Die Ge. minne sollen nur in Wohnhäusern im Bauwerte Don 15 000 m. bestehen. Die Häuser werden von der Lotterie. Gesellschaft errichtet und dem Gewinner schlüsselfertig übergeben. Der Gewinner fann sich unter verschiedenen Bautypen den ihm zu­fagendsten, auch den Ort, wo gebaut werden soll, aussuchen. Weitere Wünsche sollen möglichste Berücksichtigung finden. Der Preis für das Los einschließlich Lotteriesteuer wird eine Rentenmarf betragen. Mit Hilfe dieser Lotterie sollen durch Schaffung von Kleinbauer.

stelben in Größe von 30-50 Worgen auch Moors und Dedländereten Internationaler Gewerkschaftskongreß.

tultiviert werden. Man wird nähere und offizielle Mitteilungen aus den beteiligten Ministerien abwarten müssen. Ohne Zweifel würde eine solche Lotterie in allermeitesten Kreisen mehr Antiang finden als die höchst unbeliebte Hauszinssteuer, deren Millionenerträgnisse einstweilen noch aufgespeichert werden. Es wäre originell, wenn durch die Wohnhäuser- Lotterie die Bautätigkeit schneller belebt wird als durch die Mietsteuer.

Gegen die Arbeitsdienstpflicht.

Der Bund entschiedener Schulreformer hatte gemeinschaftlich mit dem Bund der Kriegsdienstgegner eine Protestversammlung gegen die geplante Arbeitsdienstpflicht ber Jugendlichen verca: staltet. Der erite e ner Dr. Siller, waste fich aus grundsäglichen Ces wägungen gegen die Arbeitsdienstpflicht. Sollte die Dienstpflicht bezreden, die Drohnen der Gefeilico: zu: Arbeit anzuhalten, würde sie den Sozialismus bedeuten. Die Väter dieser Maßnahme sind aber von folchen Gedankengängen weit ent­fernt. Man will die Jugend für Arbeiten verpflichten, für die infolge ihrer Unbeliebtheit billige frete rbeitsfräfte nicht zu haben sind. Die Verwendung von Jugendlichen für Arbeiten, die für die persönliche Eignung des Einzelnen ungeeignet find, ist cbzulehnen Die Arbeitsdienstpflicht zeigt gerade den Unentidel. ten, Werdenben ihr brutalftes Gesicht; hier können entstehende Kultur werte vernichtet werden. Arbeitsdienstpflicht ist ein neues Wort für Staatssflaverei Eine Steigerung der nationalen Produktion durch die Pflichtarbeit ist ausgeschlossen. Der Industrie und der Landwirtschaft tommt es lediglich darauf an, billige Arbeitsfräfte zu erhalten, die beliebig gegen die freie 2rbeiterschaft vermendet werden können. Die Arbeitsdienst pflicht schränkt die persönliche Freiheit ein, sie unterbindet schöpferische Kräfte, sie wirkt verdummend und reaktionär; durch fie wird die Gefahr eines neuen Krieges vergrößert. Lohnbrückerei und Hemmung statt Förderung der Produktion sind ihre Folgen.- Esch ba ch lehnte die Arbeitsdienstpflicht vom Standpunkt des Ge­wertschafters ab. Er erinnerte baran, daß bev: its die Spigen förperschaften der Berliner   Gewerkschaften diese Pflichtarbeit ab gelehnt haben. Das Bestreben der Befürworter geht dahin, aus der Jugenddienstpflicht eine allgemeine Arbeitsdienstpflicht zu machen Ernst Thrasolt   sprach vom Standpunkt der Kriegs­bio ftgegner: Arbeitsdienstpflicht bedeutet Rafernierung der Arbeit, des Körpers und des Geistes. Als Vertreterin der weib. lichen Jugend lehnte Henny Schumacher die Arbeitsdienstpflicht ab. Die freigeistige weibliche Jugend habe das Problem im Sinne freier Gemeinschaftsarbeit fchon gelöst.- Dr. Fabian protestierte im Namen der geistigen Berufe. Er erklärte, daß der 3wang, ber die Werkstudenten in die Fabriken treibt, schon schlimm genug wäre. 2n Stelle des frankly itshalber nicht erschienenen Sanitätsrats Gen. Dr. Julius burger berlas Genoffe Destre ich ein Manuskript, in dem Juliusburger sich nicht für Arbeitstienstpflicht, sondern für eine Nähr pflicht des Staates gegen seine Glieder aus. spricht. In feinem zusammenfassenten Schlußwort stellte Defireich die Forderung nach einer Gestaltung der Arbeit als Lebenszwed und Bebensfinn.

Die zahlreich Versammelten befundeten ihre Stellung zur Arbeitsdienstpflicht mit der Zustimmung zu einer Entschließung, in der die Dienstpflicht abgelehnt wird.

Das Sommer- Programm des Berliner   Senders.

Die Sendegesellschaft des Berliner   Senders, die Fundsbunde, hat eine Umstellung ihres Sendeprogramms vorgenommen und ste hofft damit den Ansprüchen ihrer Hörerschaft während der Sommer­monate besser gerecht zu werden durchweg heiter gestimmt, Das neue Programm ist Gute Musit wird nicht nur, wie bisher, ein Streichorchester, sondern in abwechselnder Folge auch ein Blasorchester zu Gehör bringen. Auch die Zeiten, zu denen die Dar bietungen stattfinden, werden in die späteren Abendstunden verlegt.

An drei Abenden der Woche wird außerdem, bis eine halbe Stunde Dor Mitternacht, Tanzmusit stattfinden. Wir wollen hoffen, daß die Funkstunde auch hierbei ben Wünschen vieler ihrer Hörer Rechnung trägt und nicht ausschließlich Regertänze bringt.

Die Zofe aus dem Karußjee. Am Sonnabend, den 31. Mai 1924, wurde im Karußsee in Erfner die Leiche einer unbekannten weiblichen Berson gelandet. Wahrscheinlich liegt Selbstmord vor. Es handelt sich um eine Person weiblichen Geschlechts im Alter von 20-24 Jahren. Sie hat dunkelblondes Haar und blaugraue Augen. Besondere Merkmale fehlen. Betleidet war die Zote mit abge­tragenen schwarzen Schnürstiefeln, schwarzen Strümpfen, rosa Strumpfbändern, weißleinenem Hemd, weißer Untertaille, blauen Tritothofen, blauen Trikotunterrod, blau und braun gestreiftem Ober­ rod   und weißer Waschbluse. Meldungen werden im Bolizeibureau Ertner im Zimmer 5 entgegengenommen, wo auch Lichtbilder von der Toten eingesehen werden können.

Freie Schulgemeinde des 6. Verwaltungsbezirtes Berlin- Kreuzberg. Barteigenossen und Vorwärtslefer deren Kinder die Schulen 28. 217. 60. 236. besuchen, werden gebeten, ihre Adresse an D. Müller, Mitten. walder Straße 16 einzusenden.

Eine braune Lederbrieftasche ist am Dienstag, den 27. Mat, abends, nach Schluß der Beamtenversammlung in der Brauerei Friedrichshain   ab­handen gefommen. Sie enthielt ungefähr 220 Goldmart Berbandsgelder, das Mitgliedsbuch vom Wertmeisterverband mit Funktionärfarte, das Mit aliebsbuch der Sozialdemokratischen Partei mit Funktionärfarte und andere Legitimationen. Der ehrliche Finder wird gebeten, die Brieftasche bei Wohlthat, Tegel  , Spandauer Str. 92, abzugeben.

Piraten in China  . Nach einer Meldung der Central News" aus Hongkong   haben chinesische Piraten 100 Mitglieder der portu­giesischen Kolonie in und bei Macao   gefangen genommen. Später versuchten die Piraten fich eines Schiffes zu bemächtigen, wurden aber von der Besagung zurückgeschlagen. Sie ließen 20 Tote zurüd. Die Erbitterung unter den Piraten war so groß, daß sie aus den 100 Gefangenen die Frauen und Kinder herausfuchten und diese nieder megelten.

Wetter für morgen.

Berlin   und Umgegend: Etwas wärmer, noch überwiegend bewölft, ohne Niederschläge von Bedeutung. Deutschland  : Langiame Temperaturzunahme, im Dsten troden, im Besten und Süden vereinzelt leichte Regenfälle

Sport.

Ringkampfabend in Treptow  . Im Innenraum der einen Stennbahn stand gestern abend der ostpreußische Riese kornas dem eitländischen Meisterringer Jan Jaago gegenüber. In einem 41- Minuten- ampi murde der erst im Berlauf des Treffens besser werdende Kornat von dem flinten Jaago durch einen plößlichen Doppelnelson mit Uebermirs am Boden, auf der Matte festgehalten. Technich wurde von beiden sehr gut gerungen. Betromitich Rußland besiegte den alten, sich zäb ber­teidigenden Karl Saft erit nach 35 Minuten. Renter- Estland   und filipp. Charlottenburg   standen sich 14 Minuten in scharfem Kampf. in freiem Stil, gegenüber, bis es dem ausgezeichneten Renter gelang, Pfilipp durch plökliches Zurüdreißen festzuhalten. Der Besuch war gut.

Groß- Berliner Parteinachrichten.

5. Areis Friedrichshain. Achtung Bildungskommissionsmitglieder! Auf die am Sonn ag früh erscheinende Bekanntmachung unter Barteinachrichten achten. 57. Abt. Charlottenburg  . Donnerstag, den 6. Junt, abds. 8 Uhr, ermeiterte Bor standssigung bei Kapschinsti, Krummeftr. 47.

97. Abt. Neukölln. Die Funktionärsigung findet erst morgen, Donnerstag, abends 72 Uhr, bel Rohr statt. 122. Abt. Biesdorf  . Der Zahlabend findet nicht heute, Mittwoch, sondern erst Wittwoch, den 11 Juni, statt.

128.- 130 Abt. Bankow. Donnerstag, 7%, Uhr, Funktionärtonferenz. Jugendheim Bankow, Breiteftr. 32. Alle Standidatenvorschläge für die Elternbeiratswahlen find bestimmt mitzubringen.

J. St. Wien, 8. Juni.  ( Eigener Drahtberist.) Der Kongreß steht unter dem Eindruck des Borstoßes bet Engländer wegen der Aufnahme der Verhandlungen mit den Russen. Der Vorstoß wurde heute verstärkt durch eine Gr.

flärung der englischen Delegation gegen die Ver tretung der Berufssefretäre im 30 B. Gestern abend hatte die Konferenz der Berufsjefretäre beschlossen, brei Bertreter als Mitglieder in die Grefutive des JGB. zu entfenben, um ein besseres Einvernehmen und die Bermeidung von Unstimmigkeiten zu erzielen, wie sie sich aus dem Anschluß ruffischer Gewertschaften an einige Berufsinternationalen ergeben hatten. Dieser Vorstoß der Engländer foll offenbar zur Annahme ihres Standpunktes in der Russenfrage zmingen, er hat aber die Verstimmung nur verschärft.

Zuerst sprach Nygaard- Dänemart gegen den englischen An­trag. Willhorn- England meint, durch die Haltung des JGB., der es abiehnt, auf die Anträge Moskaus   zu antworten, würde die Tür für immer geschlossen. Die Verhältnisse in Rußland   wechseln aber unter Umständen schnell, deshalb solle man die Tür offenbalten. Anderens falls müßten die Engländer gegen den Bericht stimmen. Die Situation ist ähnlich wie 1896, als den Anarchisten die Tür für immer ge­schlossen wurde. Man müsse jetzt einen ähnlichen Konflikt vermeiden.

Lenoir- Frankreich   bedauert, daß die 3eit mit der Russen­frage pergeudet werde. Niemand habe bisher Einmendungen gegen die Aktion des JGB. erhoben. Heute werde verlangt, daß man auf den Bernichtungsfrieg mit einer Demütigung antworte. Fim. men war früher übermäßig scharf gegen die Kommunisten, heute ist er übermäßig nachgiebig. Wir verwechseln nicht bie russische Revolution mit dem Betteln der Kommunisten um Auf­nehme der diplomatischen Beziehungen zu dem faschistischen Italien  . Wir lehnen faschistische Methoden in bezug auf die Beziehungen zu Rußland   ab, find aber ebenso gegen bolichemistische Methoden in den Gewerkschaften. Wenn die russischen Gewerkschaften bie Freiheit der Aktion haben werden, so können wir zusammen. arbeiten, ohne Bedingungen, die uns demütigen.

Nachdem die beantragte Statutenänderung einer Kom­mission überwiesen war, berichtete Oudegeeft über die Beziehungen zu den Berufsfefretariaten. Für die Berufsfekretariate müßten die selben Bedingungen gelten wie für andere Organisationen. Wir müssen die Hintertüre schließen, durch die die russischen Williams- England teilt darauf den Beschluß der Engländer mit, daß Methoden in unsere Gewerkschaften gebracht werden fönnen. fie gegen die Bertretung der Berufsfefretäre im 382. stimmen werden. Zur alleemeinen Ueberraschung stimmen bei der 2 6. ftimmung am Nachmittag neben den Engländern auch die Bel gier, Holländer und Franzosen   gegen die Teilnahme der Berufssekretäre; doch erfiären die drei legteren sich gegen die Gründe der Engländer.

Vom Brauereiarbeiterstreik.

Die Zahl der Streifenden beträgt rund 7000. Zu Ausschreis tungen ist es bisher nicht gekommen." Die Technische Nothilfe ist eifrig bemüht, all die Arbeiten zu besorgen, die von den Unterneh

mern als Notstandsarbeiten bezeichnet, von den Streifenden jedoch abgelehnt wurden, weil es in Wirklichkeit feine Notstandsarbeiten sind. Die wirklichen Notstandsarbeiten werden von den Brauerei arbeitern ausgeführt.

Die Löhne betragen für Angelernte 29 M., für Fahrer 30 M. und für Gelernte 33 M. Die Brauereien wollen je 2 m. zulegen. Die Arbeiter fordern 40 m. für Angelernte, 42,50 M. für Fahrer und 45 M. für Gelernte.

Die Streifleitung hat dem Schlichter auf dessen Anfrage mitgeteilt, daß sie zu Berhantungen bereit ist. Sind auch die Unternehmer dazu bereit, dann kann es schon morgen zu Berhand­

lungen lommen. Solche sind bisher noch nicht eingeleitet.

Wie sehr berechtigt" die im Morgenblatt gekennzeichnete Be richterstattung des WIB. in diesem Falle ist, geht daraus hervor, daß die Berliner   Brauereiarbeiter seit 37 Jahren jest z um zweiten Male in den Streif eingetreten sind.

Neichstag und Arbeitszeitverordnung.

Dem neuen Reichstag ist bei seinem Zusammentritt ein sehr entschieben gehaltener Protest des AFA- Bundes( Allgemeiner freier Angestelltenbund) zugegangen, der sich gegen die vom Reichs. arbeitsminister am 17. April 1924 erlassenen Ausführungs. bestimmungen zur Berordnung über die Arbeitszeit wendet. Nach Auffassung des Af- Bundes sollen diese Ausführungsbestim mungen" tatsächlich Aenderungen und im Sinne der Angestellten Verschlechterungen der bestehenden Berordnung bewirken, und es wird vom Reichstag eine sofortige Revision dieser Ausführungs­bestimmungen verlangt.

Die Berliner   Eisenbahner fordern Lohnerhöhung.

Nachdem schon in der vergangenen Woche eine Konferenz ber Funktionäre und Betriebsräte des Deutschen Eisenbahner- Ber bandes, Ortsgruppe Berlin   sich mit der dringend notwendigen Erhöhung der Löhne beschäftigte, nahm am Dienstag Abend eine äußerst start besuchte Mitgliederversammlung zu der eingeleiteten Bewegung Stellung. Nach dem Bericht des Bevollmächtigten Winkler und einer ausgedehnten Aussprache verurteilte hier fammlung einmütig die bisherige Verzögerung der Ver. handlungen durch die Reichsbahnverwaltung und fordcrie cute sofortige den Lebensbedürfnissen entsprechende Lohnerhöhung. Unter dem Eindruck der Regelung der Beamtengehälter, die von der Regierung in einer die untere Beamtenschaft direkt provo­zierenden Weise unter völliger Nichtachtung der Organisationsvor schläge, getroffen wurde, brachten die Versammelten zum Ausdruck, daß sie eine etwaig geplante gleiche Bergrößerung der Staffelung der Arbeiterföhne unbedingt ablehnen. Der Unterschied zwischen den Lohngruppen I( 64 Bf.) und VII ( 40 Bf.) beträgt jetzt schon 24 Pf. für die Stunde; die Arbeiter erhalten also rund 40 Broz. weniger. Eine weitere Bergrößerung ist unannehmbar, wobei besonders hingewiesen sei, daß nach dem plan losen Abbau es gerade die niedrigft bezahlten Arbeiter. gruppen sind, denen bei dem jeßigen Bersonalmangel und verstärkten Berkehr, von der Berwaltung in geradezu unverantwortlicher Weise Arbeitsschichten von 12 Stunden ohne Pause auf. erlegt werden, für die sie aber nur 9 Stunden bezahlt erhalten. Die Versammlung warnt deshalb die Reichsbahnverwaltung bavor, die dringend notwendige Rohnerhöhung hinauszrzögern oder eine weitere Staffelung durchzuführen und sie ersucht ferner bie Verbandsleitung, solchen Bestrebungen den stärksten Widerstand entgegenzusehen.

Zwangskost im Städtischen Krankenhaus in Schöneberg  .

Die Verwaltung des Krankenhauses lehnt es ab, eine von der zentralen Magistratsverwaltung getroffene Anordnung durchzuführen. Es fönnte den zuständigen Stellen überlassen bleiben, die Verwaltung des Krankenhauses zur Raison zu bringen, wenn dieser Kompetenz­ftreit nicht auf dem Rüden der Arbeiter des Betriebes aus getragen würde.

Eines Tages ordnete die Berwaltung des Krantenhauses an, daß das gesamte Personal zwangsweise an der Anstalts­beföstigung teilnehmen müsse. Da jedoch die Gesindeord. nung nicht mehr besteht und außerdem zwischen dem Magistrat unb bem Verbande der Gemeinde- und Staatsarbeiter ausdrücklich ver einbart ist, daß kein kost zw ang besteht, weigerte sich ein Teil des Personals, der Anordnung der Berwaltung Folge zu leisten.

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