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Nr. 272 41.Jahrgang Ausgabe A nr. 140

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Zentralorgan der Vereinigten Sozialdemokratifchen Partei Deutschlands  

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Donnerstag, den 12. Juni 1924

Millerands Rücktritt vollzogen.

Freitag Wahl des neuen Präsidenten.

V. Sch. Paris  , 11. Juni.  ( Eigener Drahtbericht.) Während die nur dreizeilige Demissionsbotschaft Mille­rands im Senat lautlos aufgenommen wurde, veranstal­teten seine Anhänger in der Kammer eine Sympathiekund gebung für ihn, die zu heftigen Lärmszenen führte. Wie ein Mann standen die 200 Abgeordneten der Minderheit bei der Berlesung der Botschaft auf, worauf die Linke in höhnisches Gelächter und lebhafte zurufe ausbrach. Das ganze Schau spiel dauerte jedoch kaum fünf Minuten. Die nächste Sigung wurde auf Sonnabend festgesetzt.

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Kommunistisches Hasardspiel.

Bon P. Garwy.

In Moskau   hat dieser Tage der 13. Kongreß der Russi­ schen   Kommunistischen Partei seinen Abschluß gefunden. Aehnlich den Sowjetkongressen haben die Parteifongresse der durch würden ängstliche Radikale topfscheu gemacht werden russischen Kommunisten schon längst den Charakter dekorativer und sich um die Führer der alten Ordnung" scharen. Veranstaltungen angenommen und sich in eine Fiktion der Aber die hauptsächlichste Hoffnung der französischen   Nationa- Parteidemokratie verwandelt. Wie das ganze Land wird auch listen liegt bei den deutschen   Nationalisten. Nichts die herrschende Kommunistische Partei   nach bonarpartistischen wäre denen erwünschter, als die Eröffnung einer neuen Re- Methoden regiert. Das ist jene berüchtigte Bolschewisierung gierungsfrise in Deutschland  , als der Eintritt der Deutsch der Partei", die jetzt von der Kommunistischen Internationale nationalen, als neue Deutsche Tage" mit Brandreden in allen Ländern, insbesondere in Deutschland   durchge= Ludendorffs, als Schwierigkeiten bei der Annahme der durchführt wird und von der die Kommunisten erwarten, daß sie das Sachverständigengutachten bedingten Gefeße im Reichs- fie der erträumten Weltrevolution näherbringen würde. tag und als eine Ablehnung der legten gemeinsamen Militär- Die Zusammensetzung des Kongresses war von vorn­herein bestimmt einerseits durch die erbarmungslose Säu­kontrollnote der Entente. berung" der Partei von allen oppositionellen Elementen und andererseits durch die statutenwidrige Verleihung des Wahl­rechts an 200 000 proletarische" Mitglieder, die auf Befehl der Parteidiktatoren zur Auffüllung des Mitgliederbestandes mobil gemacht wurden. Kein Wunder, daß nach dieser Ope= rationen auf dem Kongreß vollste Harmonie" herrschte, daß alle von der regierenden Clique vorgeschlagenen Beschlüsse einstimmig" angenommen wurden, und daß der Kongreß mit Enthusiasmus die hundertprozentige bolschewistische Einig­feit" demonstrierte, die Sino wjem von ihm verlangte. Wo war nun die Opposition, die noch vor einem halben Jahr so viel von sich reden machte, und auf die man in Rußland   wie im Auslande solche Hoffnungen gesezt hatte? Sie erlitt auf dem Kongreß eine heftige Niederlage. Freilich war sie vor dem Parteitag zum Teil forrumpiert worden durch hohe Ernennungen, zum Teil terrorisiert worden durch die gegen sie eingeleiteten Verfolgungen und Maßregelungen. Auf dem Kongreß selbst trat deshalb die Opposition in sehr dezimiertem und geschwächtem Zustande auf. Ihre Wort­führer Trotti, Preobraschensti, Radek und Souvarine   übten nicht Kritif, sondern suchten immer wie­der ihre Haltung zu rechtfertigen. Uebrigens legten sie auch nicht, wie erwartet wurde, ein reumütiges Schuldbekenntnis ab, so daß dem Kongreß nichts weiter übrig blieb, als den Sieg des Parteiapparates über die desorganisierte Opposition zu be= fräftigen und einen feierlichen Bannfluch gegen ihre klein­bürgerlichen Verirrungen" zu schleudern.

Diese Demonstration der Minderheit war jedenfalls ein Symptom dafür, daß sie den Kampfteineswegs auf­Morgen treten die Linksparteien beider Kammern zu gibt. Sie bildet vielmehr eine geschlossene Front von zirka fammen, um den Kandidaten der Linken für die Präsidentschaft 200 Mann, die fanatisch auf die Bolitik des Nationalen Blocs der Republik zu bestimmen. Bisher galt als ernstester Anwärter und ihres Führers eingeschworen ist. Millerand selbst hat in der neue Präsident der Deputiertenkammer, Painlevé, der einem offenen Brief an die französischen   Wähler unmittelbar vor allem die Deputierten der Linken fast geschlossen hinter sich nach seinem Rücktritt feine Absicht fundgegeben, den Kampf hat. Allerdings gilt in den Augen vieler Senatoren Painlevé neu aufzunehmen. Er dürfte sich sogar sehr bald in Lothrin- als eine etwas erponierte Persönlichkeit. und sie würden den gen als Abgeordneter wieder wählen lassen und die Minder: Senatspräsidenten Doumergue vorziehen. Dieser hat seine An­heit wird dann in ihm den hervorragenden und gehänger hauptsächlich im Senat, allerdings auch eine gewisse An­fürchteten Führer besigen, der ihr gegenwärtig in der zahl in der Kammer. Es ist möglich, daß sich die beiden Richtun­Kammer noch fehlt. Die Minderheit hofft, mit der Zeit immer gen auf feinen von diesen Namen einigen können, und für diesen stärker zu werden, indem es ihr gelingt, eine Anzahl von un- Fall gilt als ein ernsthafter Anwärter der Senator Pams, der ficheren Elementen der neuen Mehrheit, also gewissermaßen bereits 1913 als Kandidat der Linken nur knapp Poincaré   bei ficheren Elementen der neuen Mehrheit, also gewissermaßen den rechten Flügel des Linksblocks, zum Abbrödeln zu bringen der Präsidentenwahl unterlag. Die Anwärter der Minderheit und zu sich herüberzuziehen. Sie spekuliert dabei vor allem find noch nicht genau bekannt. Man spricht vom ehemaligen und zu sich herüberzuziehen. Sie fpekuliert dabei vor allem stolonialminister Lebrun, vom früheren Kammerpräsidenten auf zwei Momente: einmal die kommunistische Dema gogie, die natürlich nicht versäumen wird, durch unerfüll- Beret und auch neuerdings vom Vorjizenden der Repara­bare Forderungen, Streifs und dergleichen die Sozialisten und fionskommiffion Barthou  . damit auch die Regierung Herriot   zu tompromittieren. Das

( Weitere Nachrichten auf der 3. Seite.)

Die Eröffnung des Parteitags.

Mit einem würdigen, stimmungsvollen Auftakt hat gestern der inne wird, wie viele unserer besten Männer wir in der tnappen Berliner   Parteitag begonnen.

Geit Jahrzehnten hai die deutsche   Sozialdemokratie ihre Partei­tage nicht mehr in Berlin   abgehalten. Die Saalfrage hatte zum großen Teil schuld daran. Die Revolution hat mit Saalverwei gerung und Saalbontott aufgeräumt; in den Parlamenten der Republik   ist die Sozialdemokratie an Stärke obenan und die Barla­mentsgebäude der Reichshauptstadt stehen in der fißungsfreien 3eit den politischen Parteien zur Verfügung. In so großer 3ah! maren gestern abend Berliner   Parteigenoffinnen und-genoffen zur Eröffnung unseres Parteitages in das Landtagsgebäude an der Prinz- Albrecht Straße gekommen, daß die geräumigen Tribünen nicht ausreichten und rings um die Bantreihen der Abgeord meten noch viele Hunderte im Saale   standen.

Das Bild August Bebels blidt von der Stirnwand auf fchwarzrotgoldenem Untergrund, von der roten Fahne überragt. Zu beiden Seiten Fahne an Fahne. Man sieht die Feldzeichen der einigen Partei vor der Spaltung, man erbfidt SPD.  - und USP.­Fahnen aus den Jahren des Konflikts, und schon sind auch neue Fahnen der wiedergeeinigten Partei zur Stelle. Erwartungsvolles Schweigen liegt über der Versammlung, als turz nach 6 Uhr ein Klingelzeichen ertönt. Die Sänger der Fichte- Georginia fetzen mit einem Beethovenchor ein und lassen ein Kampflied Uthmanns folgen. Dann begrüßt Franz Künstler   die Delegierten und Gäste im Namen der Berliner   Organisation. Anders als bei den Parteitagen im Reiche unterläßt der Vorsitzende der örtlichen Parteiorganisation, einen Abriß der lokalen Parteigeschichte zu geben. Mit Recht, denn Berliner   Parteigeschichte zu erzählen, hieße ja, das Leben der deutschen   Sozialdemokratie schildern. Und das ist in diefem Kreise überflüssig. So richtet Künstler den Appell an den Parteitag, die Partei zu neuen Kämpfen und Siegen zu rüsten und läßt die Gegner rechts und links nicht im umflaren darüber, daß alle Hoff nungen auf Streit und Zerreißung in der deutschen   Sozialdemokratie eitle Flausen sind.

Für den Parteivorstand hält Artur Crifpien die Eröffnungs­rede. Er läßt die dramatisch bewegte Geschichte der deutschen   Politik in den eineinhalb Jahren seit dem Nürnberger   Einigungsparteitag rerüberziehen, er spricht über den Reichstagswahlkampf und die fläglichen Bolitikusse bei der Regierungsbildung. Er hebt die Be­deutung der bevorstehenden Entscheidungen über das Sachver ständigengutachten und über die Verteilung der Laften seiner Erfüllung hervor und er würdigt in eindrucksvollen Worten Die Uebereinstimmung aller sozialdemokratischen Parteien der Welt über die einzig mögliche und allein gerechte Lösung der Reparations. frage.

Nun wählt der Parteitag Otto Bels und Wilhelm Ditt mann zu Vorsitzenden und Wels gedenkt in ergreifenden Worten unserer Toten. Obwohl er nur die bekanntesten nennt, geht ein Schreden durch den Saal, als man in dieser Namenshäusung

Spanne Zeit feit Nürnberg   verloren haben.

Erst nach dieser Trauerfundgebung werden Schriftführer und Mandatsprüfungstommiffion gewählt, und nun folgt die Reihe der Begrüßungsansprachen unserer ausländischen Gäste. De Broudère, unser belgischer Freund, von der jüngsten Wiener Tagung der Inter­nationale auch mit ihrer Vertretung beauftragt, eröffnet den Reigen. Stürmischer Beifall begrüßt ihn. Toni Sender   überseßt seine Rede, die eine würdige Antwort aus Crispiens Anrufung der Internationale ift. De Broudère zeigt, wie die Interessen der arbeitenden Menschen in allen Ländern übereinstimmen, wie aber auch die kapitalistische Offensive in allen Ländern die gleichen Argumente und Methoden benutzt.

Unbedingte Solidarität bis zur Erreichung einer gerechten Lösung des Reparationsproblems fichert der Sprecher der Internationale der Deutschen Republik und den deutschen   Sozia­listen zu.

Die englische Arbeiterpartei, fieggefrönt und fampfgewohnt, spricht durch Genoffin Bell ihre Grüße, Wünsche und Hoffnungen an die deutsche   Partei aus.

Der internationale Jugendsekretär Voogd übermittelt die Freundschaftsbezeugungen der Holländer. Ebenso wie Boodg in deutscher Sprache wendet sich unser dänischer Genosse Andersen an den Parteitag mit einer Schilderung der Aufgaben und Pläne der dänischen Arbeiterregierung und mit der unbe­dingten Zuversicht auf neuen Aufstieg der deutschen   Sozialdemokratie. Dann spricht Bohl herzliche Worte, der Führer der deutschen   Berg­arbeiter in der Tschechoslowakei   und Vorstandsmitglied der deutschen  Sozialdemokratie in dieser Nachbarrepublik. Im Namen der ruffi­fchen Sozialdemokratie hob Genosse Dan, im Namen der Sozial revolutionäre Genoffe Lewien die Bedeutung der deutschen   Sozial­demokratie für die Kämpfe der ruffischen sozialistischen   Arbeiter hervor.

Wels dankt all diesen Rednern in brüderlichem Geist und der sichert ihnen, daß ihre Hoffnungen auf die deutsche   Partei keine Ent­täuschung erfahren werden.

Als nun die Tagesordnung des Parteitages festgesetzt wird, fommt es zu einem kleinen Gepläntel, von Martwald Frankfurt hervorgerufen, das aber schnell in allgemeiner Heiterfeit untergeht, die durch eine Bemerkung von Otto Wels   verursacht wird, aber auch allgemeiner Unwille beendet die Episode.

Mit großem Beifall nimmt der Parteitag ein Begrüßungs. telegramm der Organisation Reichsbanner Schwarz- Rot Gold" entgegen und Jubel löft die Mitteilung des Vorfizenden aus, daß dieser republikanische Schutzbund bereits drei Biertel Millionen Rämpfer hat.

Unter den Klängen der Internationale endet die Eröffnungs figuing. Heute um 9 Uhr früh beginnen die eigentlichen Verhand lungen.

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Aber der Sieg über die Opposition war nur ein defo­rativer Effekt, der mit den Mitteln des Terrors und der Ein­schüchterung erzielt worden war. Jene Schicht der Parteimit­glieder, die heute den Sieg der herrschenden Clique bekräf tigte, besteht zu einem großen Teil aus Leuten, die innerlich mit dem Kommunismus gebrochen haben, aber vorläufig mit dem Strom schwimmen- bis ein 9. Thermidor oder ein 18. Brumaire für sie anbricht.

Die Opposition ist besiegt, aber die Krise. ist geblieben. Die Krankheit der Kommunistischen Bartei ist nicht geheilt, sondern nur nach innen getrieben. Jene hef­tigen ökonomischen und sozialen Gegensätze, die in den letzten Jahren herangereift waren, bis sie vor einem halben Jahr plöglich in der stürmischen Parteidiskussion zum Ausbruch ge= langten, wirken trotz der gewaltsam im Lande wieder herge­stellten Grabesstille weiter fort. Und was in Wirklichkeit an erster Stelle auf der Tagesordnung des Moskauer Partei­fongresses stand, war die durch diese Widersprüche herauf­beschworene Krise der kommunistischen   Diktatur. Auf dem Kongreß wurde viel über die Erfolge der Sowjetregierung in der auswärtigen Politik gesprochen. Die Sowjetdiplomaten sprachen starke Worte gegen Deutsch­ land  , dem sie damit drohten, daß sie früher als Stresemann den Weg nach Paris   finden" würden; sie beschimpften Mac­donald, weil er feine besondere Eile zeigt, der Sowjetdele­gation um ihrer schönen Augen willen eine Anleihe von Hun­derten von Millionen zu bewilligen; sie hielten. schließlich waffenklirrende Drohreden gegen Polen   und Rumänien   und begründeten ihren außenpolitischen Offensingeist immer wieder mit dem Hinweis auf die Belebung der russischen Industrie, den Aufschwung der Landwirtschaft, den erfolgreichen Gang der Währungsreform. Aber alle diese offiziellen Lobes­erhebungen vermochten nicht die Tatsache zu verbergen, daß es im Lande 1 300 000 Arbeitslose gibt, und daß die natio­nalisierte Industrie, die jetzt nur einen Ertrag von 25 Proz aufweist, vor dem Zusammenbruch steht, wenn nicht schleu­nigft ausländische Anleihen realisiert werden.

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Im Lande selbst wächst eine unruhige verzwei­felte Stimmung. Auf dem Kongreß mußten Sinow­ jew  , Kamenem u. a. fonstatieren, daß die Unzufrieden­beit, fowohl in der Arbeiterschaft, Bauernschaft wie bei der studierenden Jugend und den Beamten an Umfang und Stärke zunimmt. Zum ersten Male sahen sich die kommu nistischen Diktatoren zu der Feststellung genötigt, daß diese Unzufriedenheit einen politischen Charafter an nimmt. Aber im Grunde handelt es sich augenblicklich weniger um die demokratischen Anforderungen der entrechteten, nieber­gedrückten Massen als um den schreienden Widerspruch zwi­