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Nr. 276+ 41.Jahrgang Ausgabe A Nr. 142

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Zentralorgan der Vereinigten Sozialdemokratifchen Partei Deutschlands

Redaktion und Verlag: SW 68, Lindenstraße 3 Fernsprecher: Redaktion: Donhoff 292-295

Verlag: Dönhoff 2506-2507

Sonnabend, den 14. Juni 1924

Vorwärts- Verlag G.m.b.H., SW 68, Lindenstr. 3 Postscheckkonto: Berlin 375 36 Bankkonto: Direktion der Diskonto- Gesellschaft, Depofitentasie Lindenstraße 3

Doumergue Präsident der Republik.

Painlevé unterlegen.

Paris , 13. Juni. ( Eigener Drahtbericht.) Die Nationalver­jammlung in Bersailles hat mit 515 von 860 Stimmen den Senats­präsidenten Do umergue zum Präsidenten der Republik gewählt. Kammerpräsident Painlevé erhielt 309 Stimmen des kartells der Linken, die sich bereits am Donnerstag auf dem Borkongreß auf feinen Namen vereinigt hatte. Die Kommunisten gaben ihre 21 Stim­men ihrem Genoffm Camelinat. Doumergue hai demnach außer den Stimmen der Demokratischen Linten des Senats die gesamten Stimmen der Gemäßigten und der Reaktion beider Häuser des Parlaments erhalten.

Painlevé war der erste, der Doumergue nach der Wahl beglück­wünschte. Unter dem Beifall der Nationalversammlung umarmten fich beide. Die kommunisten deuteten nach Bekanntgabe des Er­gebnisses ironisch auf die Radikalen und riefen: ,, Amnestie!", während die Abgeordneten der Mitte die Marseillaise und die Sozialisten die Internationale anfimmten, unter deren Klängen die Sigung geschlossen wurde.

In Begleitung des Ministerpräsidenten Marsal begab fich Doumergue darauf nach Paris , wo er an der Porte Dauphine von dem Kommandanten von Paris empfangen und von einer Kavallerie­estorte ins Elysee geleitet wurde, aus dem Millerand bereits aus­gezogen war. Nach seiner Ankunft im Elysee empfing Doumergue den Ministerpräsidenten, der ihm die Demission des Kabinetts über gab, die angenommen wurde.

Der neue Präsident der französischen Republit, Gaston Dou mergue, war nicht weniger als sechsmal in seiner politischen Bauf­bahn Minister. Er wurde am 1. Auguft 1863 in Aigues- Vives geboren, ist also 61 Jahre alt. Seine politische Laufbahn begann er als Rolonialbeamter in Cochinchina. Zum erstenmal wurde er im Jahre 1893 in die Kammer gewählt; unter Combes wurde er 1902 Rolonialminister. Nach dem Rücktritt Combes' schied er aus der Regierung aus. 1906 tehrte er als Handelsminister zurüd. Als 1909 Clemenceau Briand Plah machen mußte, trat auch Dou mergue zurüd. Inzwischen war er von 1905 bis 1906 Präsident der Kammer und wurde nun in den Senat gewählt. Im Jahre 1913, nach dem Sturz des Kabinetts Barthou , wurde er von Prä­

fident Poincaré mit der Kabinettsbildung beauftragt. Dieses Kabinett, in dem Caillaur die Führerrolle hatte, trat im Juli 1914 zurück. Während des Krieges gehörte Doumergue einige Zeit dem Kriegskabinett an, 1921 war er Finanzminister.

Die Schadenfreude der Rechten. Paris , 13. Juni. ( Eigener Drahtbericht.) Die letzten 48 Stunden find für die Linke in Frankreich wenig ruhmreich gewesen. Der Mangel an Disziplin in den Reihen der Radikalen und Radikal­fezialen des Senats und die offene Auflehnung eines der Führer gegen die offiziellen Beschlüsse des Vorkongresses hat es dem Natio. nalen Block ermöglicht, seine Revanche für die Niederlage des 11. Mai und 11. Juni zu nehmen. Gewiß: Doumergue , der neue Präsident, ist ein Reaktionär. Er hat sein Leben lang für die Demokratie gefämpft. Die Reaktion hat ihm seine aftive Mitarbeit an dem großen Reformwerk Combes', der Trennung von Kirche und Staat, lange nicht vergessen, und als Ministerpräsident hat er 1913 den von der Rechten mit unversöhn­lichem Haß verfolgten Caillaug zu seinem Finanzminister ge­macht. Als Präsident der demokratischen Linken des Senats und des Senats selbst hat er zwar mancherlei pathetische Ansprachen von start nationaler Färbung gehalten.

In den innerpolitischen Fragen dagegen hat er sich ftets als zu­verlässiger und überzeugungstreuer Demokrat gezeigt, der erst in den letzten Wochen durch seine attive Beteiligung an dem Kampf gegen den Nationalen Blod und durch das entschiedene Eintreten für das Kartell der Linken Beweise der Loyalität seiner Gesinnung gegeben hat. Den Verlockungen ber Macht aber hat Doumergue nicht zu widerstehen vermocht. Mit der Weigerung, sich dem Beschlusse des Bortongreffes zu unter­werfen, der Painlevé zum offiziellen Kandidaten der Linken erhob, hat Doumergue seine eigene politische Bergangenheit verraten und schnöden Berrat an der Demokratie begangen. Doumergue mußte wissen, und die Führer des Kartells, die am Freitag drei­mal vergeblich versucht hatten, ihn zum Berzicht zu bewegen, haben ihm keinen Zweifel darüber gelassen, daß er nur mit Hilfe der Gemäßigten, des Nationalen Blocks und der Royalisten den Sieg über den Kandidaten der Linken davontragen könne. Er hat trotzdem feinem persönlichen Ehrgeiz alles geopfert, wofür er seit Zeiten gefämpft hatte, die Demokratie und die eigene Bergangenheit. Der Nationale Blod triumphiert. Er ist bescheiden geworden feit dem 11. Mai. Noch vor wenigen Wochen würde die Wahl eines Doumergue ins Elysee das Wutgeheul des Nationalen Blocks erregt haben. Heute feiert er bereits als großen Sieg, daß er die Wahl Painlevés durch sein Eintreten für einen anderen Politiker ber Linden zu vereiteln vermochte.

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Herriot wird ernannt werden und annehmen.

Bevorstehende Betrauung Herriots.

Paris , 13. Juni. ( Eigener Drahtbericht.) Herriot , der nach der Demission Marsals von Doumergue empfangen wurde, dürfte spätestens am Sonnabendvormittag mit der Bildung des Kabinetts beauftragt werden. Es wird angenommen, daß er die Kabinetts beauftragt werden. Es wird angenommen, daß er die Regierung bereits bis Sonnabendabend gebildet hat und sie am Montag unter Verlesung seiner Regierungserklärung der Kammer

vorstellt.

Paris , 13. Juni. ( WIB.) Unmittelbar nach Beendigung des Wahlaktes ersuchte Präsident Doumeroue den Abg. Herriot, ihn nach Schließung der Nationalversammlung sobald als möglich aufzusuchen.

Der große Tag in Versailles .

Paris , 13. Juni. ( EP.) Versailles und die Umgebung des Schlosses hatten heute das Aussehen, als ob der Belagerungs= 3 u stand verhängt sei. Auf Schritt und Tritt Polizisten zu Fuß oder zu Pferd, sowie Truppenabteilungen. Im ganzen sind

600 Polizisten, fünf Regimenter und ein Radfahrerbataillon aufgeboten. Die meisten Abgeordneten und Senatoren find mit Extrazügen von Paris nach Bessailles gefommen. Zahlreiche im Automobil, so die meisten Minister. Der Drdnungsdienst, der weitaus schärfer war, als bei früheren Präsidentenwahlen, wurde vom Innenminister de Selves und dem Direktor der Sicherheitspolizei geleitet. Doumergue fam um 11.10 Uhr an. Er wurde vom Senatspräsidium empfangen. Es verlautete, daß auch Caillaur in Versailles angekommen sei, allerdings unter einem Dednamen. Um 1 Uhr begaben sich die Abgeordneten in Gruppen nach dem Schloß. Die Nationalversammlung wurde um 2 Uhr von Doumergue als Senatspräsident eröffnet und zwar im foge­nannten Kongre Bjaal, der bis zur Revolution als Theater des Königs diente. Doumergue verlas zunächst die Verfassungs. artikel über die Präsidentenwahl. Dann wurde der Wahlausschuß ernannt und nachher durch das Los der alphabetische Buchstabe,

womit der Namensaufruf der Abgeordneten und Senatoren eröffnet werden soll. Das Los bestimmte den Buchstaben J. Als erster wurde der Abgeordnete Ignace aufgerufen, der jedoch abwesend war.

Doumergues Antrittsrede.

Paris , 13. Juni. ( EP.) Nach der Präsidentenwahl hielt der Bizepräsident des Senats eine Ansprache an Doumergue , in der er rühmend der politischen Vergangenheit des neuen Präsidenten ge­dachte und ferner erklärte:" Ihre Bergangenheit ist wohl eine Garan. tie dafür, daß Ihre Tätigkeit als Präsident die Grenzen der Derfassungsmäßigen Bollmachten nicht überschreiten wird und daß Sie diese in Uebereinstimmung mit dem Wohle des Landes ausüben werden." Diese offenbare Anspielung auf Millerand wird von der Linfen lebhaft begrüßt. Darauf hielt François Marsal eine Ansprache, worauf Doumergue mit einigen Worten erwiderte. Er erklärte, daß er das Vertrauen, das man in ihn gesetzt habe, zu rechtfertigen wissen werde. Er gebe der National versammlung die

Zusicherung, daß er die Berfaffung respektieren und daß er über den Parteien stehen werde, um als unparteiischer Schiedsrichter zu wirken. Niemand mehr als er werde sich vom Willen des Parlaments leiten lassen, das der Ausdruck der nationalen Souveränität sei. Diese Erklärung wurde mit anhalten dem Beifall aufgenommen.

Darauf lehrte Doumergue in einem Automobil nach Paris zurüd. Seinem Wagen fuhr ein mit Polizisten besetztes fleineres Automobil Auf der ganzen Strecke fanden Sympathielundgebungen des Publikums statt. Doumergue ist im Elysee um 6,35 Uhr ange­kommen. Eine Truppenabteilung erwies ihm die militärischen Ehren. Der Einzug im Elysee wurde durch 101 Kanonenschüsse be­fanntgegeben. Eine nach Tausenden zählende Menschenmenge hatte sich vor dem Elysee eingefunden. Am Abend besuchte Doumergue die Präsidenten der beiden Häuser des Parlaments.

Ablehnung der Militärkontrolle?

Englische Warnung.

London , 13. Juni. ( Eigene Funkdepesche.) ( Eigene Funtdepesche.) Der Berliner Korrespondent des Daily Telegraph " meldet, daß die offiziös dementierte Meldung über eine deutsche Ablehnung der Militär­tontrolle von einer Persönlichkeit des Auswärtigen Amts stamme. Es ist wohl anzunehmen, daß die dem Rorrespondenten gemachte Mitteilung nicht eine Indiskretion, sondern einen un. geschickten Versuchsballon des Auswärtigen Amtes zur Erkundung der Auslandsmeinung darstellt. Der Manchester Guardian" rollt die Frage der Militärkontrolle der deutschen Luft

fahrt auf und stellt ausdrücklich fest, daß trog illegaler Truppen­ausbildung unzweifelhaft tein ernsthafter Grund zum Alarm ge. geben sei. Der deutsche Vorschlag, die Militärkontrolle dem Bölkers bund zu übertragen, sei in mancher Beziehung ausgezeichnet.

Trotzdem müsse sich Deutschland den Realitäten unterwerfen und

erkennen, daß

Deutschlands gegenwärtige zweideutige Haltung für die Alliierten unannehmbar

sei. Ein Berharren in dieser Haltung wäre eine Unterstützung der jenigen, die glauben, daß Deutschland etwas verberge. Deutsch­ land zerstöre damit einen Teil der ihm freundlichen Gesinnungen in Frankreich , das angstvoll die Blide auf die kommenden Reichstags. verhandlungen richte, da Anlaß zu der Furcht bestehe, die Natio nalisten fönnten die Regierung zu dem Wahnsinn einer 21b­lehnung der Militärfontrolle nötigen.

Doumergue, der Senatspräsident, ist mit großer Mehrheit gegen Painleve, den neuen Kammerpräsidenten, zum Präsidenten der französischen Republik gewählt worden: von einem Teil der Linken, weil er bei ihr persönliche Sym­pathien hat und weil sie zu feiner republikanisch- fortschrittlichen Gesinnung Vertrauen hegt, von der gesamten Rechten

er nicht. Painlevé heißt.

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weil

Bainlevé war der Kandidat der Sozialisten lieber als er. Painlevé ist von den beiden Kandidaten der und der linken Linken", darum war der Rechten jeder andere aktivere Politiker, das disqualifizierte ihn in den Augen eines Teils der Radikalen, die eine möglichst unpersönliche Erschei nung an der Spize des Staates haben wollen, damit die über­ragende Stellung der Kammer feine Berdunkelung erfährt.

Andererseits wurde das Eintreten der Rechten für Dou mergue als das kleinere Uebel u. a. auch durch den Umstand bestimmt, daß im Fall der Wahl Wainlevés zum Präsidenten der Sozialiſt Paul Boncour Kammerpräsident geworden

wäre.

dem lehrreichen Fall Millerand hätte indes auch Bainlevé Nach der Tradition der Verfassung und vor allem nach nichts anderes sein können, als was Doumergue zweifellos fein wird: ein lonales, streng auf politische Zurückhaltung bedachtes tonstitutionelles Oberhaupt einer parlamentari schen Demokratie. Doumergue, der mit den Stimmen der Rechten gewählt ist, wird entsprechend den Mehrheitsverhält niffen des Parlaments Herriot , den Führer des Links. blocks, zum Ministerpräsidenten ernennen, und dieser wird ihm, dem Parteifreund, nicht verweigern, was er Millerand, dem Gegner, abgeschlagen hat. Herriot wird die Ernennung zum Ministerpräsidenten annehmen, und dann wird das Ge­ficht der französischen Politik nicht von Doumergue und der Kongreßmehrheit vom 13. Juni, sondern von Herriot und der Kammermehrheit des 11. Mai bestimmt werden.

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Der neue Präsident der französischen Republik vollendet am 1. Auguſt ſein 61. Lebensjahr. Er ist von Beruf Rechts­anwalt, wurde zuerst im radikalen Kabinett Waldeck. Rousseau Minister und hat dann noch verschiedenen ande ren Rabinetten angehört, ohne jemals eine entscheidende Rolle zu spielen. Seine verbindliche Natur hat es ihm ermöglicht, zugleich persönlicher Freund von Poincaré und von Caillaur zu sein. Während des Krieges hat er wie so viele bürgerliche Politiker Deutschlands auch eine annerio­nistische Belastung erfahren, indem er in diplomatischen Ber­handlungen mit Rußland tätig war, bei denen das Rheinland eine Rolle spielte. Inzwischen hat er als Mitarbeiter füd­französischer Blätter, wie der" Depêche de Toulouse" für die einst auch Jean Jaurès schrieb, scharf gegen die Ruhr. befeßung protestiert, und bei den letzten Kammerwahlen hat er durch sein entschiedenes Eintreten für den Linksblod so­gar in sozialistischen Kreisen Sympathien gewonnen.

Gegenüber diesen weichen und etwas verschwommenen Konturen, die das Charakterbild Doumergues aufmeift, er scheint Painlevé , der neue Kammerpräsident, als eine scharf umrissene Persönlichkeit. Die Rechte haßt ihn tödlich, ja er ist in ihrer Bhantasie sogar mit einer Art von" Dolchitoßlegende" behaftet, da er im Jahre 1917 als Ministerpräsident gegen den Willen des Generalstabes die Einstellung der allzu opferreichen Stürme auf den Chemin des Dames durchfekte, von denen die militärischen Führer einen entscheidenden Erfolg erhofft hatten. Dadurch und durch sein tapferes Einstehen für den zu Unrecht verbannten Minister Malvy ist er bei Daudet und den Seinen beinahe in den Ruf eines Defaitisten" geraten. Noch in letter Zeit hat er sich so in seinem vielbeachteten Inter­Diem mit dem Pariser Mitarbeiter bes Borwärts" als ein entschiedener Anhänger der deutsch - französischen Ver.