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Abendausgabe

Nr. 299 41. Jahrgang Ausgabe B Nr. 150

Bezugebebingungen und- Ruzeigenprelje find in der Morgenausgabe angegeben Redaffion:$. 68, Lindenstraße 3 Ferasprecher: Dönhoff 292-295 Tel- Adresse: Sozialdemokrat Berlin  

Vorwärts

Berliner Dolksblatt

5 Goldpfennig

50 Milliarden

Freitag

27. Juni 1924

Berlag und anzeigenabteilung) Geschäftszeit 9-5 Uhr

Berleger: Borwärts- Berlag GmbH. Berlin   SB. 68, Lindenstraße 3 Fernsprecher: Dönhoff 2500-2507

Zentralorgan der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands  

Herriots Friedensplan.

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Gegenseitige Sicherungsverträge mit Deutschland  .

Der Londoner New Leader" und das Berliner   Tage-| sichern, wer sich durch Gewalt sichern will, fann sich nicht gleich­blatt" veröffentlichten heute morgen eine Unterredung des be- zeitig durch Vertrag sichern! fannten englischen Pazifisten Norman Angell   mit Herriot  , die geeignet ist, in der ganzen Welt ungeheures Aufsehen zu erregen. Denn in dieser Unterredung entwickelte Herriot  Pläne, die auf nicht mehr und nicht weniger als auf die Ver­wirklichung der Kantschen Idee des ewigen Friedens hin­auslaufen.

Nach einigen bedauernden Vorbemerkungen über den geringen Eindruck, den die Ruhramnestie in Deutschland  gemacht habe, obwohl diese Handlung nicht ohne Schwierig: feifen" geschah, und über diplomatische Fehler Deutschlands   in der Vergangenheit, erklärte Herriot  , er wünsche das Sicher­

Daily Mail" nennt es flar, daß Herriot   in seiner Unter­redung mit Norman Angell   die Vorschläge dargelegt habe, die er Macdonald inoffiziell unterbreitet habe, deren Erörterung aber bis übrigen in London   der Ansicht,

daß die Julikonferenz nicht lange Zeif brauchen werde, um zu Günstige Informationen seien beim Foreign Office bezüglich der An­Beschlüffen zu gelangen. fichten der in Betracht kommenden Regierungen einschließlich der amerikanischen   eingegangen.

Aus dieser Betrachtung ergibt sich zweierlei: Deutschland  darf gegenüber einem Plan, der ganz Europa   ein neues nach der Londoner Konferenz verschoben worden sei. Man ſei im glüdlicheres Zeitalter verheißt, niemals die Rolle eines Mephisto spielen, der einer heilsam schaffenden Gewalt die falte Teufeisfauft entgegenstreckt. Und dann ganz positiv: Aus dem Plan Herriots ergeben sich aussichtsreiche Möglichkeiten für eine Verkürzung der Besayung s- fristen, für eine Neuorientierung der   europäischen Politit, die   Deutschland zum Gleichberechtigten einer fried­lichen Gemeinschaft macht.

heitsproblem nach den Grundsägen des Bölkerbundes zu lösen, die gewisse deutsche Staatsmänner vor dem Kopf tragen. Es amerikanische Arbeit darstelle, bessere die gesamte Lage der Dinge.

und zwar auf folgende Weise:

Gemäß Artikeln 10, 16 und 21 schlagen wir vor, daß die Alliierten einen gemeinsamen und gegenseitigen Beistandsvertrag schließen, und dann schließlich, wenn gewisse, noch bestehende Schwie rigkeiten überwunden sind, sich erbieten,   Deutschland zu einem Teil­nehmer dieses Vertrages zu machen, ihm seine Vorteile und seine Ver­pflichtungen anbieten.

Auf die Frage, ob das etwa nur bedeute, daß   Deutschland ein Mitglied des Bölterbundes werden solle, erwiderte   Herriot: Nicht lediglich ein Mitglied des Völkerbundes. Das ist elementar. Sondern ich meine auch, daß es   Deutschland offen stehen folle, diesem Batte gegenseitiger Garantie bei autreten. Daß wir   Deutschland den Schuh, den er gewährt, zu­geflehen werden, wenn es die Verpflichtungen übernimmt, die er auferlegt.  

Herriot teilte Norman   Angell mit, daß er sich der Bereit­willigkeit Nollets, feinen Plan zu unterstützen, bereits ver­fichert habe. Norman   Angell entwickelte sodann seine eigene Auffassung dieses Planes:

Es ist also dringend nötig, daß die Bretter entfernt werden, ist dringend nötig, daß wir aus dem Stadium des ängstlichen Lavierens, des Schielens auf innerpolitische Schwierigkeiten endlich herauskommen. Seit Rathenaus Tod hat die   deutsche Außenpolitik eigene Ideen überhaupt nicht mehr entwickelt, stets hat sie die Initiative der anderen Seite überlassen. Auch jetzt erscheinen   Herriot und Macdonald nicht nur als die den, die die Welt für ihre Ideen zu interessieren und zu er­physisch Mächtigen, sondern auch als die geistig Führen wärmen verstehen, während   Deutschland ungefähr in der Psychologie des Kaninchens im Käfig verharrt.

M

Auch die Schnelligkeit, mit der   Kellogg und Logan zu ameri kanischen Vertretern ernannt worden seien, werde in diplo­matischen Kreifen als ein Beweis dafür angesehen. Die Tatsache, daß der Dawesbericht zum großen Teil, vielleicht zum größten Teil, Der diplomatische Berichterstatter des Daily   Telegraph", dem zufolge der amerikanische Botschafter   Kellogg befugt sein werde einzugreifen, wenn er der Ansicht sei, daß   amerikanische Interessen berührt würden, schreibt: Wenn   Mussolini nicht in der Lage wäre, als Vertreter   Italiens nach   London zu kommen, so werde erwartet, daß der italienische Botschafter in   London und der ständige Unterstaatssekretär des italienischen auswärtigen Amtes, Senator Contarini, Delegierte werden.

Bürgerblock gegen Arbeiterschaft.

Schuld daran trägt vor allem die nationalistische Agitation, Zu den Kämpfen im   Berliner Rathaus. die eine sinnlose Aktivität der Außenpolitik verlangt und da mit jede sinnvolle, wohlüberlegte verhindert. Dieser Bann muß feines besonderen Rufes. Sie ist sicher nicht schlechter als Die   Berliner Stadtverordnetenversammlung erfreut sich gebrochen werden!   Deutschland muß zu dem Plan Herriots andere Barlamente, aber sie hat den Ruhm, mit der Ver­feinen eigenen geistigen Anteil beitragen und für seine Beranstaltung wirklichung einstehen in einer Form, die der Ehre und den anstaltung von Radaufzenen führend vorangegangen zu fein. Die Abneigung, die gegen   Berlin im Lande, Lebensintereffen aller beteiligten Völker, auch des deutweit verbreitet ist, tut ein übriges, um das Ansehen schen, entspricht. des   Berliner Rathausparlaments nicht gerade สิน heben. Aus dieser Stimmung heraus kann die Auffassung

Gerade weil uns so gut bewußt ist, daß der   deutsche Natio: Keine militärischen Verpflichtungen zwischen England

nalismus und   deutsche Waffen die große Gefahr für   Europa und   Frankreich sind, wünschen einige von uns auf dieser Seite des Kanals,   Deutschland Schutz für seine gesetzmäßigen Rechte zu ge­währen. Denn jede Nation, die das nicht hat, die nicht einmal das Recht auf unparteiisches Urteil in Streit fragen hat, die feinen Schuß als ihre eigene Stärke besißt, muß faft sicher einen gefährlichen Nationa lismus entwideln, muß fast sicher auf dem Versuche, ihre eigene Kraft auszubauen, beharren. Die einzige Hoffnung, das zu verhindern, ist, daß   Deutschland eine andere Sicherheit verschafft wird als feine eigene Stärte, die, wenn sie neu geschaffen wird, be­timmt   Frankreich bedrohen wird. Mit anderen Worten, gerade zu dem Zwede,   Frankreich endgültig Sicherheit zu schaffen, wollen wir für   Deutschland ein anderes Sicherheitsmittel als seine eigene Macht ausfindig machen. Sie verstehen, daß diefer Grundsay, dem, mie ich glaube, hier so viele anhängen, von wesentlicher Bedeu­tung ist?  

Herriot antwortete:

Jawohl, und ich bin vollkommen einverstanden.

Es wird notwendig sein, daß man sich in   Deutschland mit diesem Vorschlag ernst, eindringlich und entgegen tommend beschäftigt. Nichts wäre verhängnisvoller als eine Wiederholung der Fehler, die gegenüber dem Haager Schiedsgerichtshof gemacht wurden, von dessen Beschlüssen Wilhelm II  . in einer Randbemerkung erklärte, er werde auf fie sch...."

"

Die sozialdemokratische Reichstagsfraktion hat gestern eine Interpellation eingebracht, in der die Regierung gefragt wird, ob sie bereit sei, den Antrag auf Aufnahme in den Völkerbund noch vor dem 1. September zu stellen. Mit diesem Antrag und seiner Annahme wäre die elementare" Grundlage für die Verwirklichung von Herriots Plan ge­schaffen, alles weitere müßte dann Gegenstand von Verhand­lungen innerhalb des Völkerbundes sein.

Die Schwierigkeit für den Abschluß von Sicherungsver­trägen mit   Deutschland liegt auf   deutscher Seite in dem doppelten Umstand, daß die Gebietsverlust e, die Deutsch­  land durch seine Niederlage erlitten hat, noch schmerzlich nach wirken und daß ein Teil der staatsrechtlich bei   Deutschland verbliebenen Gebiete noch unter der militärischen Befehung der Sieger steht.

Beide Fragen werden voneinander zu trennen sein. Darf  Deutschland das Odium auf sich nehmen, zur Wieder gewinnung des Verlorenen auf einen neuen Krieg hinzufteuern, von dem niemand weiß, wann er fommen und ob er für   Deutschland siegreich sein wird? Würde ein solcher Krieg nicht Opfer fordern, die den möglichen Gewinn um ein Vielfaches übersteigen?

Und die zweite Frage: Gibt es für   Deutschland eine andere Möglichkeit, das Joch der Befazung möglichst rasch abzu­schütteln als durch Berträge? Darüber kann kein Zweifel ſein: ein gegenseitiger   deutsch- französischer Sicherungsvertrag bei gleichzeitigem Verbleiben von Besatzungstruppen auf deut schem Boden wäre ein Widerspruch in sich selbst. Wer sich durch Vertrag sichern will, tann sich nicht durch Gewalt

und   Frankreich.

Condon, 27. Juni  .( WTB.) An den Premierminister wurde im Unterhaus eine Anfrage wegen der Zusage gestellt, die er nach einer in der belgischen Presse verbreiteten Meldung   Herriot gegeben haben soll und die auf den Fall eines gegen   Frankreich gerichteten Angriffs Bezug nehme. Macdonald erklärte, es bestehe ganz und gar teine Berpflichtung zu einem militärischen Defensiv bündnis. Die Absicht sei gewesen, daß das britische und fran­  zösische Kommuniqué über die Besprechungen in   Chequers denselben Inhalt haben sollte, nämlich, daß   Herriot und Macdonald bezüglich der ihnen vorliegenden Fragen und der Methode durch sie einer Lösung näher gebracht werden sollen, sich in vollkommener Ueberein­ftimmung befanden.

Das Echo in England.  

London, 27. Juni  .( WTB.) Herriots Unterredung mit Norman   Angell, insbesondere sein Eintreten für den Eins schluß   Deutschlands in einen gegenseitigen Garantievertrag, sowie seine Erklärung, daß auch General Nollet bereit sei, den Grundsatz der Breise viel beachtet. des Einschlusses   Deutschlands in diesen Bakt zuzustimmen, wird in

Westminster Gazette" begrüßt die Erklärung des fran­  zösischen Bremiers, betont jedoch, daß   Herriot seine Politik gestern in der Kammer mit viel größerer Zurüdhaltung aus einandergefeßt habe. Das liberale Blatt wirft dann Macdonald einen so wichtigen Blan gegeben habe. Das englische Volk habe ein vor, daß er der Deffentlichkeit feine Informationen über Recht darauf, die Politik der Regierung zu kennen. Unbestimmte amtliche Communiqués, die einige Tage hinter den   französischen Ent­hüllungen nachhinften, seien schlimmer als wertlos. Macdonalds gestrige Antwort im Unterhaus habe von den Auslegungen, die  Herriot den Versicherungen Macdonalds gegeben habe, nichts weg­erklärt und habe das Unterhaus ebenso jest wie immer über die Cinzelheiten seiner Politit im Dunkeln gelaffen.

Daily Chronicle" schreibt, in Anbetracht der Zahl und Verschiedenheit der Herriot- Interviews, die in der   französischen und der belgischen Presse erschienen seien, fönne man nicht jeder Silbe des im New Leader" veröffentlichten Interviews das Gewicht bei­meſſen, das man ihm in einem andern Falle hätte beimeffen können. Sicherheitsfrage solle gelöst werden erstens durch den Völ­Die darin dargelegte Politif sei jedoch flar: Das Problem der terbund und zweitens durch einen gemeinsamen und gegenseitigen Unterstügungsvertrag zwischen den Al­liierten", dem beizutreten   Deutschland schließlich eingeladen wer­den solle. Diese Absicht werde zweifellos die   britische Haltung erheb. lich beeinflussen, denn ohne diesen Einschluß   Deutschlands würde England kaum irgend etwas dieser Art unterstützen.   Herriot dürfe sich nicht täuschen.

Jahre   Poincaré

hätten in England Wirkungen hervorgebracht, die nicht so leicht zu verwischen seien. Die Erfahrungen der Partnerschaft mit   Frankreich feien so gewesen, daß sie England nicht ermutigten, sie auszudehnen. an habe nicht nur gesehen, wie   Frankreich den Versailler Bertrag in   Ruhrgebiet gebrochen habe, wie es fich über die Wünsche und fondern man habe auch gesehen, wie   Frankreich England auf fast jedem anderen wichtigen Punkte der Welt entgegen gearbeitet, es verlegt oder sogar verraten habe auf den Ron­ferenzen von   Lausanne, in   Genua, Tschanat, Angora und   Washington.

Boden gewinnen, als ob es sich bei den kämpfen, die sich jetzt

dort abspielen, um mehr oder minder unwichtige und neben­fächliche Krakeelereien handele. Das äußere Drum und Dran tann leicht die Aufmerksamkeit von dem Kern der Ausein= andersetzungen ablenken.

Nach außen hin erscheint als unmittelbarer Anlaß zur ießigen Krise der Berliner Stadtverordnetenversammlung der Streit um die Geschäftsführung des sozialdemokra tischen Stadtverordnetenvorstehers. 3war glaubt in den bür­gerlichen Parteien fein Mensch an die moralische Entrüstung, die man über unseren Genossen Haß zu markieren beliebt. Haß ist ein Mann, der viel zu lange im öffentlichen Leben steht, und als unparteiisch und objektiv bekannt ist, als daß die Anwürfe, die gegen ihn gerichtet werden, bei ernst zu nehmenden Leuten irgendwelchen Boden finden könnten. Die Auseinandersetzungen über die Handhabung der Geschäfts­ordnung sind vielmehr lediglich ein Vorwand, um von dem eigentlichen Kern der Sache abzulenten.

Im   Berliner Rathaus handelt es sich um nichts anderes als um den jetzt geschlossenen Kampf der bürgerlichen Par­teien gegen die Sozialdemokratie und gegen die Arbeiterschaft. Das Eindringen der Arbeiterbewegung in die Verwaltung der größten   deutschen Stadt soll soweit als irgend möglich rück­gängig gemacht werden. Seit Jahren kämpfen die bürger­lichen Parteien um dieses Ziel.

Jahre 1921 gebildet hatte, und mit einer schwachen Mehrheit Der Bürgerblock, der sich bei den letzten Wahlen im von fünf Stimmen ins Rathaus einzog, ist freilich niemals imstande gewesen, aus eigener Kraft ernsthaft etwas Positi­ves zu leisten. Einmal war die Mehrheit viel zu schwach und außerdem waren die Gegensäge zwischen den bürgerlichen Fraktionen viel zu start, als daß sie zu positiver Kom­munalarbeit hätten zusammenhalten können. Es genügt, dar­auf hinzuweisen, daß der Etat Jahr für Jahr gegen die Stimmen der größten bürgerlichen Fraktion angenommen wurde und daß ohne die positive Mitarbeit der beiden sozial­demokratischen Fraktionen von Anfang an das Haus ar= beitsunfähig gewesen wäre. Namentlich die Deutsch­nationalen haben in ihrem fanatischen Kampf gegen- die Sozialdemokratie allzu oft die Grenzen dessen überschritten, was selbst ein so robuster Sozialistenfeind wie der Volks= parteiler v. Ennern für möglich hielt. Sie standen unter der Führung ihres rühmlichst bekannten Pfarrers Koch, einer der unsympathischsten Figuren im   Berliner Stadtparlament, der, sehr im Gegensatz zu seinem christlichen Beruf, seine Hauptaufgabe in der Inszenierung von Radaufzenen sah und der allzu oft der eigentliche Drahtzieher all der stür­mischen Tumulte gewesen ist, über die dann die deutschnatio­nale Presse sich heuchlerisch entrüftete. Seitdem der be­sonnenere frühere 3wedsverbandsdirektor Dr. Steiniger in den Reichstag eingezogen ist, hat dieser Parteidemagoge kleinsten Kalibers das heit wieder in der Hand und diktiert mit seinem rücksichtslofen Draufgärgertum den bürgerlichen Parteien das Gesetz der Handlung. Aeußerlich haben zwar die Demofraten gelegentlich versucht, eine von der deutschnatio­naien Demagogie unabhängige Haltung zu markieren. Es ist