Abendausgabe nt.301 ♦ 41. Jahrgang Ausgabe B Nr. 151
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Zentralorgan der Sozialdemokratifchen parte! Deutfcblands
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Der Reichstag vollzog zu Beginn seiner Sonnabendsitzung an der deutschvölkischen Fraktion ein« geradezu Vernich» tende moralische Hinrichtung Im Geschästsordnungsaus» schuß war ein Antrag der Nationalsozialisten angenommen worden, der oerlangt, daß die Privatklageverfahren der Bankiers Dr. Karl Melchior und Max Warburg in Hamburg gegen das deutschvoltisch« Reichstagsmitgiied Fritsch fürd ie Dauer der Sitzungsperiode aufgehoben wird. Lobe beantragte als B e r e i ch te rst a t t e r, dem Antia> Ordnung sausschusses zu entsprechen. Ais Abgeor aber dann Lobe unter wachsender Bewegung des feine Verwunderung darüber aus, daß die Fraktion,� der Herr Fritsch angehört, einen Antrag stelle, der verhindern soll«, daß der Beweis für die Behauptungen von Fritsch angetreten werd«. Der Tatbestand ist folgender: Fritsch hatte in den Jahren 1922 und 1923 die schwer st en Beleidigungen über W a r b u r g und Melchior ausgesprochen, ihnen Landesverrat, schwere Ehrlosigkeit, Schiebungen in das Ausland, Schwächung Deutsch- lands durch absichtliche finanzielle Schädigungen vor dem Krieg«, Verlängerung des Krieges durch Verhinderung enes Friedens mit Rußland und ähnliche Verbrechen auch noch dem Kriege vorge» morsen. Als Warburg und Melchior klagten, �it Frusch sein« Behauptungen am 7. Februar 1923 unter dem Ausdruck tief st en Bedauerns zurückgenommen. Schon am 13. Mai 1923 hat er aber seine Behauptungen wiederholt. Auf die neue Klag« wurde der erste Termin auf den 24. September 1923 festgesetzt. Fritsch erschien nicht. Der nächste Termin am 28. Januar 1924 mußt« ausfallen, weil durch die Verordnung der Reichsregierung vom 9. Januar olle diese Prozesse bis April 1924 sistiert waren. Als dann zum 27. Mai d. I. der dritte Termin sestgesetzt war. fand sich Fritsch wieder nicht ein. Der Prozeß wurde auf den 1. Juli vertagt. Run versteckt sich Flritsch. der inzwischen in den Reichstag gewählt ist, hinter seine Immunität. Loebe schloß, man müßte doch annehmen, daß sie. die Deutschvölkischen, keinen sehnlicheren Wunsch haben, als die Warburg und Melchior zu entlarven, jetzt aber drücken sie sich in da, Gegenteil von Tapferkeit und das Gegenteil von Wahrheit. (Stürmischer Beifall links und in der Mitie.) Der deutschvölkische Abgeordnete Henning findet das Berhalten feiner Fraktion und ihres Fritsch ganz richtig. Er erzählt lange Geschichten, wie ihn«in jüdischer Richter behandelt habe, als er dos Hakenkreuz vor Gericht trug, und erklärt, daß sein« Partei .kein vertrauen zu den inler national veeseuchten Richtern >ab«.(Stürmische Heiterkeit im ganzen Hause, mit Ausnahme der llationals ogialisten.) Loebe antwortet Henning, es komme doch hier nicht in Betracht, die Juden zu schützen, sondern im Gegenteil wolle man den National- sozialisten die Gelegenheit geben, ihre Beweise vor Gericht zu führen. In den Prozessen Helfferich gegen Erzberger habe man sich nicht hinter der Meinung verkrochen, daß Amtsgericht« für solche hochpolitlsch«« Fragen nicht zuständig seien. Di« Anzweifelung der Lbfeknvuat der deutschen Gericht« durch Nationalsozialisten sei nicht ernst zu nehmen. Erst kürzlich habe eia deutsches Gericht einen Angeklagten wegen veieidiaung Ludendorffs ,n 130 000 M. Strafe ver- urleilt, wahrend die Gerichte Beleidigungen des Reichspräsi- denken gemeinhin mit 30 AI. zu ahnden pflegen. Es bleib« bestehen, daß Fritsch sein« Behauptungen früher mit Be- dauern zurückgenommen habe und sie dann später wiederholt habe Loebe fordert die Nationalsozialisten auf, doch die Juden nicht ,u schützen, sondern der gerichtlichen Untersuchung freien Lauf zu losten, damit Judo endlich entlarvt werd«.(Stürmische Aeiter� keit und lebhafte Zustimmung.) Der Demokrat Haas fragt den Dölkischen Henning, ob er es für anständig halte,«ine Behauptung zurückzunehmen und dann zu wiederholen. henuiag drückt sich an der Antwort vorbei und zeigt durch anti- semitische Flegeleien, daß Abgeordneter Haas ihn viel zu hoch ein» geschätzt hat. Von diesem Henning und seiner Fraktion gilt nach ihrem heutigen Verhalten das variiert« Wort: Nicht treu, nicht ritterlich, nicht bieder, nur unbeschreiblich dumm. Abgeordneier Brodauf beantragt die Zurückweisung des An- träges an den Ausschuß. Lobe(Soz.) stellt fest, daß nach den Akten Fritsch in zehn Monaten keinerlei Beweisantrag gestellt habe. Das Mißtrauen gegen jüdische Richter scheine sich bei den Nationalisten aber nicht aus jüdische Rechtsanwälte zu erstrecken, denn Wilhelm II. und auch völkische pslegleu zu ihrm Prozessen jüdische Rechlsanwälta zu nehmen. Nachdem der Kommunist Svenen gegen den An' a Brodauf auf Zurückverweisung an den Ausschuß gesprochen hatte und nachdem im Rahmen mehrerer persönlicher Bemerkungen PräsSient Wallras seinem Fraktionskollegen, dem Abgeordneten Roth, unbegreiflicher- werfe Gelegenheit zu einer mehr als zehn Minuten langen sachlichen Red« gegeben hatte, die zahlreich« Beschimpfungen des Staatsgerichtshofes und des gemeuchelten Rothe. nau enthielt, wurde im Hammelsprung abgestimmt. 128 Abgeordnete stimmten für den Antrag, Brodaus, 124 dagegen. Der Geschäftzordnungsousschuß wird sich also« r n« u t mit der Frage der Aufhebung der Immunität beschädigen müssen. Gegen den Antrag Brodauf stimmten Deutschnotionale, Deutschvölkische und Kommunisten. Wie eng die Geistesverwandtschaft zwischen Manchen Kommunisten und den antisemitischen Völkischen ist. beweist
ein Zuruf des kommunistischen Abgeordneten Stetter cm den demokratischen Abgeordneten Brodauf. den er irrtümlich für einen Juden hielt:„Wenn man Sie sieht, könnte man allerdings antisemitisch werden," Auf Vorschlag des Ausschusses wird hierauf ohne Debatte die Einstellung des Verfahrens gegen die kommunistischen Abgeordneten Buchmann, Florin und Schlecht beschlossen. Di« vom Oberreichsanwalt nachgesuchte Genehmigung zur Zeugenvernehmung des Abgeordneten Rödel(Komm.) wird ver- weigert, Die Not öer Ausgewiesenen. Dann kommen zur gemeinsamen Beratung Interpellationen und Anträge der Demokraten, des Zentrums und der Sozialdemo« traten, die sich mit der Notlag« der Ausgewiesenen und der in den besetzten Gebieten Verbliebenen beschäftigen. Abg. Korell(Dem.) begründet eine Interpellation seiner Freunde, in der darüber Klag« geführt wird, daß die Beihilfen für Ausgewiesene unzureichend und ungerecht abge- stuft sind, daß die Entschädigungen für requiriert« Güter zu lang- sam gezahlt werden, daß ausgewiesene Beamte abge- baut sind und daß dem Land Hessen keine Entschädigung für die .zahlreichen beschlagnahmten öffentlichen Gebäude gewahrt worden ist. Der Redner erinnert daran, daß heut« vor fünf Iahren das Bersailler Friedensdiktat unterzeichnet werden mußte, dessen Folgen gerade für das besetzte Gebiet so unheilvoll waren, Wenn jetzt«in großer Teil der Ausgewiesenen zurückkehrt, dann müsse den Rückkehrern der Weg möglichst geebnet werden. Der Politik des neuen französischen Ministerpräsi- denten Herriot sollte man nicht mit Beckmesserkritik gegenüber- treten, aber auch nicht mit übertriebenen Hoffnungen. Es zeuge mcht von neuem Geist, wenn heute noch Bewohner einer besetzten Stadt bestraft werden, weil sie am Fronleichnamstage ihr Haus mit den Farben der deutschen Republik flaggten. Der Redner dankt unter lebhaftem Beifall den Bewohnern des besetzten Gebiets für die dem Reiche bewiesene Treue. (Schluß in der Morgenausgabe.)
Die Wahlen im Wahlkreis Oppeln ungültig! Dos Wahlprüfungsgericht beim Reichstag hat in seiner heutigen ersten Sitzung die Reichslogswahl im Wahltreis Oppeln (Oberfchlefien) kassiert. Die Wirtschaftspartei des deutschen Mittelstandes hat einen Wahlprotcst gegen den Kreiswahl- leiter und den Äreiswahlausschuß in Oppeln eingereicht, weil diese zu Unrecht dem Kreiswahlvorfchlag der Wirtschaftspartei zurückge- wiesen hatten. Nach dem Wahlgesetz müssen die Wahlvorschläge von 500 Wählern unterzeichnet sein. Davon kann aber abgesehen werden. wenn glaubhaft gemacht wird, daß mindestens 600 Wähler den Wahl- vorschlog unterstützen oder wenn in einem anderen Wahlkreis em Vorschlag der gleichen Partei 500 Unterschriften gesunden hat oder aber wenn der Vorschlag einem Reichswahlvorschlag angeschlossen ist, für den die nötige Unterstützung vorliegt. Der Wahloorschlag der Wirtschaftspartei sei nur eingereicht worden mtt dem Hin- weis darauf, daß er im Reichswahlvorschlage der Partei oder des Bayerischen Bauernbundes abgeschlossen werde. Der Kreiewahileiter und der Kreiswahlausschuß in Oppeln hatten diese Unterstützung für ungenügend erklärt, das Wahlprüfungsgericht schloß sich jedoch den Beschwerdeführern an und erkannte demzufolge auf llngültigkeikserklärung der gesamten Relchstagswahlen für den Wahlkreis Oppeln . Damit kommen in' Fortfall zwei Mandate der KPD. , drei Mandate der Zentrumspartei und ein Mandat der Deutschnationalen . Eine unmittelbare Rückwirkung auf die Wahlen in den Bezirken Breslau und Liegnitz hat dieser Beschluß zunächst nicht. Erst wenn das Resultat der Nachwahl vorliegt, und der Reichswahlausschuß die Reststimmen zu verteilen haben wird, wird sich ergeben, ob eine Beränderung in den Derbandssitzen und Reichs- wahlsitzen der einzelnen Parteien erfolgen muß. Das Wahlprüfungsgericht beschloß ferner, die Vornahme einer Wiederholungswahl in der Gemeinde Dittmanns- dorf in der Amtshauptmannschaft Meißen in Sachsen . Dort hat der Wahlvorsteher ein Wahlplakat der Deutsch natio- nalen Volkspartei, angeblich als Schrelibunterlage mit Reißzwecken auf den Tisch gehestet, auf dem in der Isolierzelle die Wähler den Stimmzettel anzukreuzen hatten. Darin wurde«ine gröbliche amtliche Amtsbeeinflussung gesehen und deshalb für die betreffende Gemeinde die Wiederholungswahl angeordnet. Die Gegensätze bei üen Deutschnationalen. Hannover . 28. Juni. (TU.) Ein Berliner Telegramm der »Niederdeutschen Zeitung" bezeichnet den gestrigen Besuch Hergts und seiner Begleiter beim Reichskanzler im wesentlichen als zu spät. Marx und Genossen härten entgegen einer Auskunft der Reichs- kanzlei an Herzt bereits endgültig über den Inhalt der auswärtigen Note entschieden, die sie auf die Kontrollnote der Entente hin an diese zu richten gedenken. Es sei nicht zu leugnen, daß die Ansichten üb« dieZweckmäßigkeitdesSchrittesder Fraktionslestung bei Marx innerhalb der Fraktion selbst geteilt seien und zwar ebenso wie über die weiter zu befolgende Poliiit überhaupt. Häßlichen Widerspruch soll insbesondere die Auffassung H 0 e tz s ch s über die dem Dawes-Gutachten gegenüber gegebene Einstellung begegnen, ebenso sein Optimismus hinsichtlich der Ab- sichten unserer Gegner und der aus der Annahme des Gutachtens
für das Reich zu erwartenden Folgen. Es herrsche große E m p ö- rung darüber, daß der Gegner fortgesetzt Aeußerungen des Ab- geordneten Hoetzsch, als des feit den Wahlen anerkannten Sachver- ständigen der Partei im Kampf gegen die bisherige offizielle Stel- lungnvhme der Deuischnationalen verwenden form. Auch werde schärferes Vorgehen gegen die Regierung Marx gefordert, der Schonzeit zu gewähren als vollkommen unzulänglich bezeichnet wird. Die gesamt« Kreditnot des Reichs ruhe auf tünst- licher AAbröckelung des Kredits zu dem Zweck, nach Annahme des Ab- tommens ihn wieder zu entbröckeln und so zunächst den Anschein eines Erfolges vortäuschen zu können. Aehnliches Blendwerk liege der Preispolitik der Reichsbahnen zugrunde. Unsere Tarife seien nicht zu billig, smchern viel zu hoch! In allen diesen Fragen bestehen zum Teil recht scharfe Gegensätze.
Die Antwort auf üie Kontrollnote. Di« Antwort der Reichsregierung auf die M i l i t ä r k 0 n t r 0 l l- note wird heute, Sonnabend abend, nach Paris übermittelt und Montag nachmittag in Berlin veröffentlicht werden. Vorher wird über den Inhalt nichts veröffentlicht. Gesetzentwürfe zur Ausführung des Sachverständigen- gut achtens werden noch m den Organisationsausschüssen beraten und ausgearbeitet. An informierter Stelle glaubt man nicht, daß diese Gesetzentwürfe noch vor dem 18. Juli dem Reichs- tag vorgelegt werden können. Zur Aufhebung öer Ausweisungen. Die Verfügung des Generals Degoutte ist gestern der Regierung in Düsseldorf zugestellt worden. Die Berfügung gilt einsprechend der Anordnung der Rheinlandkommisston für das altbesetzte Gebiet dahin, daß auch im Ruhrgebiet die nach dem 1. Januar 1923 verfügten Ausweisungen zurückgenommen werden. Ausdrücklich ausgenommen sind etwa 70 Personen, darunter der R«° gierungepräiident von Düsseldorf , unser Genosse Grützner, der Landrat S ch e e l e von Essen, der seinerzeit in Abwesenheit zu mehr- jährigem Gefängnis oerurteilt wurde, weil er durch Briefe an die Besatzungsbehörden Besatzungsimppen beleidigt haben soll, femer die Polizeichefs von Düsseldorf und Essen und eine Anzahl Eisenbahner und Strafanstallsdirektoren. Die Rückgängigmachung der Ausweisung der Beamten und Schutzpolizisten bedeutet noch nicht ihre Wiederzulassung zum Amt. Dafür sind besonder« Anträge er- forderlich. Unter denen, die zurückkehren können, sind auch die meisten Beamten der Regierung in Düsseldorf . Eine den französischen Anordnungen entsprechende Mitteilung des belgischen Kommandanten steht noch aus, darf aber erwartet werden. Die Aufhebung der Ausweisungen würde natürlich um einen Teil ihres Wertes gebracht werden, wenn die Zurückkehrenden Beamten ihre Wohnungen nicht wieder be< zsehm könnten._ Die sozialpolitische Reaktion. Um die internationale Garantie des Achtstundentages. Während der Inflationsperiode haben die deutschen Unternehmer eine Politik der Schmutzkonkurrenz auf dem Weltmarkte getrieben. Diese Schmutzkonkurrenz ging auf Kosten der deutschen Arbeiter. Die Unternehmer nutzten das Zurückbleiben der deutschen Löhne hinter den Weltlöhnen, so- wie die zeitliche Spanne zwischen Preissteigerung und Lohn- erhöhung aus. Diese Schmutzkonkurrenz war keine nationale Tat. Sie diente nicht der Aufbringung der für die Befreiung Deutschlands notwendigen Mittel. Die Erträgnisse der Schmutzkonkuxrenz kamen auch in allergeringsten Bruchteilen dem Staat nicht zugute. Die Methode des Unterbietens, das Dumping, brachte die deutsche Wirtschaft nicht in die Höhe. sondern führte zu ihrer organisatorischen Verlotterung und zur Senkung der Arbeitsintensität. Die physische Entkräftung der deutschen Arbeiter war ihre direkte Folge. Diese Methode ging an sich selbst zugrunde, als die Jnflatton ihren Gipfelpunkt erreicht hatte. Als das Ende herannahte, wurde der Schrei nach der Verlängerung der Arbeitszeit lauter und lauter. Das Geld- entwertungsdumping sollte abgelöst werden durch soziales Dumping. Die Konkurrenzfähigkeit Deutschlands , und dar- über hinaus die Vormachtstellung der deutschen Wirtschaft auf dem Wettmarkt sollte durch erneute Ausbeutung, durch die Aufhebung des Achtstundentags erreicht werden— nicht durch organisatorische Umgestaltung und durch die Ausmerzung des Geistes der Konjunkturspekulation. Da die Arbeiterschaft in der Jnslationsperiode nicht nur physisch, sondern auch mora- lisch geschwächt war, war hier der Punkt des geringsten Widerstandes. Die Durchbrechung des Achtstundentages ge- lang. Sie wurde von den Führern der sozialpolitischen Reak-