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Abendausgabe

Nr. 31341. Jahrgang

= Vorwärts

Ausgabe B Nr. 157

Bezugsbedingungen und Anzeigenprette

sind in der Morgenausgabe angegeben

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Tel.- Adresse: Sozialdemokrat Berlia

Berliner Volksblatt

5 Goldpfennig

50 Milliarden

Sonnabend

5. Juli 1924

Berlag und Anzeigenabteilung Geschäftszeit 9-5 Uhe Berleger: Vorwärts- Berlag GmbH. Berlin SW. 68, Lindenstraße 3 Fernsprecher: Dönhoff 2505-250%

Zentralorgan der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands

Beruhigung in Paris .

Abwehr der poincaristischen Wühlereien.

Immer flarer tritt der hier von Anfang an geäußerte Berdacht hervor, daß der Zwischenfall des Einladungs­schreibens zur Londoner Konferenz lediglich auf nationa listische machenschaften zurückzuführen ist. Anhänger Poincarés im Parlament, in der Presse und in der Diplo­matie haben in geschicktem Zusammenspiel sowohl der Regie­rung Herriot wie auch der Londoner Konferenz ein Bein stellen wollen, über das, wenn es nach ihren Wünschen ginge, außerdem noch die Regierung Macdonald gestolpert wäre.

Ebenso schnell wie der Zwischenfall entstanden war, scheint er wieder abgeflaut zu sein: die durch den eng­lischen Unterstaatssekretär Sir Eyre Crewe an Herriot gerich tete telegraphische Aufklärung, wonach das Einladungs­schreiben nur die englische Auffassung dargelegt habe, ist während der Sigung der Kammerausschüsse verlesen worden und hat die mehr oder minder aufrichtig erregten Gemüter schnell beruhigt.

Auch die französische Links presse, die sich zunächst durch den Vorstoß der poincaristischen Blätter hatte über­rumpeln lassen, geht jetzt zum Gegenangriff über und fordert Herriot auf, im Quai d'Orsay mit seinen hinterliftigen Gegnern aufzuräumen. Es ist nämlich durchsichtig, daß der Borstoß des Echo de Paris", des Journal" und des Matin" nur mit Hilfe von Indiskretionen von Anhängern Poincarés in amtlicher diplomatischer Stellung erfolgen fonnte, die ihre amtlich- vertrauliche Kenntnis des englischen Einladungsschreibens dazu benuzten, einen Presse über fall auf Herriot zu inszenieren. Vermutlich haben dabei nicht nur französische Diplomaten( z. B. kommt der römische Bot­schafter Barrère, der sowieso durch Herriot abgebaut wer­den soll, hierfür stark in Frage, ebenso der Generalsekretär des Pariser Auswärtigen Amtes Peretti della Rocca), sondern der Verdacht liegt nahe, daß auch gewisse belgische Minister ihre Hand mit im Spiel hatten.

Sehr scharf, drastisch und treffend urteilt der Daily Tele­ graph über die ganze Angelegenheit:

" Die englische öffentliche Meinung hat ein Verständnis für die hysterischen Wutausbrüche, mit denen man in Frankreich jetzt den gerechten Wunsch Englands begrüßt hat, seine Alliierten vor der Londoner Konferenz darüber zu informieren, welche Bor­schläge das vorsitzende Land( England) auf der Londoner

Konferenz machen wird.

Um den Achtstundentag.

Der brave Pinot und der böse Godart. Dem reaktionären deutschen Unternehmertum sind alle Mittel und alle Bundesgenossen recht, um zu einer Beseiti­

Planes verpflichten und der von den Alliierten und gung des verhaßten Achtstundentages zu gelangen. Es ist noch Deutschland unterzeichnet wird.

Diefer Vertrag fönnte die Form eines Protokolls haben, um den Schein zu vermeiden, daß auf Seiten der Alliierten der Wunsch bestehe, den Versailler Bertrag abzuändern. Die englische Regierung hofft in diesem Protokoll einen Zeit. punti festzulegen, bis zu welchem Deutschland seine Ge­sege und übrigen Maßnahmen, die es ergreifen muß, durchgesetzt hat, und einen weiteren Zeitpunkt, der

vielleicht zwei Wochen nach dem ersten

liegen fönnte, bis zu welchem die wirtschaftlichen und fis. talischen Sanktionen, die zurzeit in den deutschen Gebieten in Kraft sind und die die wirtschaftliche Tätigkeit Deutschlands beein­trächtigen, zurüd gezogen werden sollen.

Das Einladungsschreiben schlägt weiter vor, daß in dem Proto­foll eine Maßnahme festgelegt wird, die

im Falle einer schweren Nichterfüllung eine Stelle bestimmt, die über diese Nichterfüllung selbst entscheiden soll. Die Verpflich­tungen, die Deutschland nach dem Dawes- Plan zu erfüllen hat, werden denen des Versailler Bertrages übergeordnet sein und infolgedessen erscheint es der britischen Regierung richtig, daß die Aufgabe, über eine schwere Nichterfüllung zu entscheiden, nicht der Reparationstommission anvertraut werden fann, da die Aufgaben dieser Kommission genau durch den Versailler Bertrag begrenzt sind. Aus diesem Grunde hat man vorge­schlagen, den Finanzausschuß des Völkerbundes

in Anspruch zu nehmen. Das Protokoll müßte außerdem eine Klaufel enthalten, um alle Meinungsverschiedenheiten in der genauen Auslegung seiner Strafbestimmung dem internatio­

in Erinnerung, wie bei Abbruch des Ruhrkampfes die west­fälischen Zechenbesizer eine von Hugo Stinnes geführte De­legation zu General Degoutte sandten, um dessen Unter­stützung bei der Außerkraftsehung des Achtstundentages in den Ruhrbergwerfen zu erlangen. Später haben es die deutschen Arbeitgeber verstanden, den Vertretern der französischen Unternehmer im Verwaltungsrat des Internationalen Arbeits­amtes, Pinot, zu der Auffassung zu befehren", daß Deutsch­ land seine Reparationsverpflichtungen nur unter Aufhebung der achtstündigen Arbeitszeit erfüllen könne, und daß ihm daher auf diesem Gebiete freie hand gelassen werden müsse. Diese Befehrung des Herrn Binot, der selbst ein Führer des franzöfifchen Schwerindustriellen- Comité des Forges ist, dürfte um so leichter gewesen sein, als die franzö­ sischen Industriellen gleichfalls die Abschaffung des Acht­stundentages betreiben, und dazu als wichtigstes Argument die Abschaffung der achtstündigen Arbeitszeit in Deutschland benötigen.

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Seit zwei Jahren erleben wir nämlich das widerwärtige Spiel, daß die re attionären Unternehmer aller Länder mit Hilfe der von ihnen gekauften Bresse den Acht­stundentag im eigenen Lande dadurch abzubauen versuchen, daß sie behaupten, im Nachbarlande sei er bereits abgebaut. Die Deutschen behaupten es von den Franzosen , die Franzosen von den Deutschen , die Belgier von den Deutschen , die Deut­ schen von den Belgiern, die Engländer von den Franzosen , Und lügen bie Franzosen von den Engländern usw. usw. tun sie allesamt. Oder vielmehr: sie durchlöchern all e- famtim gegenseitigen Einverständnis den Acht­Abschaffung zu gewinnen; und in Erwartung dieses gefeg­Stundentag, um dadurch Argumente für dessen baldige völlige neten Tages hintertreiben sie damit systematisch die Ratifi­

nalen Schiedsg of zu unterbreiten. Die britische bierung des Washingtoner Arbeitzeitabkommens.

und französische Regierung wünschen lebhaft, jede Art von Eindrud zu vermeiden, als ob diese Fragen ohne vorherige Beratung mit ihren anderen Allierten beretis berartig endgültig unter sich geregelt feien. Nur die hier angeführten Grundgedanken wurden zwischen Herriot und Macdonald erörtert, aber feinerlei Abkommen wurde unter ihnen geschloffen und selbst nicht vorgeschlagen. Deshalb läd die englische Regierung die italienische ein, an der Zusammen­funft in London am 16. Juli teilzunehmen.

Die ganze Aufregung in Paris fei nichts weiter als ein Verfuch Sodann teilt das italienische Kommuniqué mit, daß die der Poincaré blindergebenen Beamten des franzöfifchen Auswärti- italienische Regierung die englische ersucht hat, den Ent­gen Amtes, die Londoner Konferenz durch künfflich konstruierte Miß- wurf eines solchen Protokolls bzw. Vertrages vorher den verständniffe zum Scheifern zu bringen." Teilnehmern zu überreichen. Italien schlägt vor, daß, un­Eine authentische Wiedergabe des Inhalts des famofen mittelbar nachdem die Alliierten unter sich einig sein wer­Einladungsschreibens ist zum ersten Male durch eint offizielles den, auch Deutschland eingeladen werde, und zwar italienisches Rommuniqué der Stefani- Agentur an- zum 3wede von Verhandlungen und Erörte läßlich einer Besprechung im italienischen Auswärtigen Amt rungen und nicht, um es einem Dittat gegen erfolgt. In einem WTB.- Telegramm aus Rom heißt es: überzustellen entweder zur Annahme oder zur Ablehnung".

Ueber den Inhalt dieser Einladung teilt die Agenzia Stefani mit, Macdonald und Herriot find der Ansicht, daß es nötig sei, mög lichst bald eine kleine Ronferenz der Alliierten einzuberufen mit dem Ziel, fich über die Berwirklichung der Vorschläge des Dawes Gutachtens zu einigen. Die Fragen der Sicherheit und der inter­alliierten Schulden werden auf der nächsten Konferenz noch nicht besprochen und sollen erst zu einem späteren Zeitpunkt behandelt

werden.

Der Hauptpunkt der Konferenz wird also in einer Eini­gung bestehen über einen Vertrag, der formell die beteiligten Parteien zur Ausführung der verschiedenen Vorschläge des Dawes

Die Konferenz von Cleveland. Lafollette nimmt die Präsidentschaftskandidatur an. Cleveland, 5. Juli .( Durch Funkspruch, WTB.) Cafol­leffe hat in einem Brief an den Konvent der Konferenz für fort­schrittliche politische Aktion die Aufforderung des Konvents, fich als Präsidentschaftskandidat aufstellen zu laffen, ange­nommen. Lafollette fagt in seinem Brief, die Zeit sei reif für eine ftreitbare politische Bewegung, die von den alten Parteien un­abhängig fei und den Bedürfnissen der großen Boltsmaffen ent­fpreche.

Faschistische Neuorganisation.

Rom, 5. Juli( WTB.) Der faschistische Nationalrat ist auf den 20. Juli nach Rom einberufen worden, um über die Reuorganisation der Partei zu beraten.

Diese Anregung der italienischen Regierung entspricht zweifellos auch den Absichten nicht nur Macdonalds, sondern ebenfalls Herriots. Man kann nur die Regierung Mussolini dazu beglückwünschen, daß sie sich in Fragen der europäi­fchen Politik so demonstrativ gegen die Politit der gewaltsamen Dittate ausspricht; man möchte jedoch gerade im Intereffe einer stärkeren moralischen Resonanz ihres Standpunktes wünschen, daß sie diese Abneigung gegen die Gewalt auch in ihrer inneren Politit sichtbar betätige...

Kopie soll der Anklagebehörde demnächst vorgelegt werden und den Ausgangspunkt der Bernehmung aller leitenden Männer des Innen­ministeriums bilden. Nach der gleichen Zeitung ist ferner, entgegen dem offiziellen Dementi, General de Bono in seiner Wohnung von der Anklagebehörde vernommen worden. Er wird auch noch weiter verhört werden. Der Staatsanwalt Crisafulli hat, wie ver lautet, telegraphisch bei der italienischen Botschaft in London die letzte Nummer der englischen Zeitschrift English Clive" angefordert, in der der bekannte Postum- Artitet Matteottis erschienen ist. Aus dem Auszug aus dem Arkel foll Crisafulli Verdacht geschöpft haben, daß der Inhalt des Artikels zur Aufklärung des Mordes beitragen fönnte. Es sei möglich, daß einer der Auftraggeber in der Hoch finanz oder in den großen Trusts zu suchen sei.

Die englisch- russischen Verhandlungen.

London, 5. Juli. Am nächsten Montag wirb im Unterhaus eine große Debatte über die englisch ruf fifche Ronfe­rena stattfinden. Man rechnet mit lebhaften Angriffen der Konser vativen. Es wird erwartet, daß bis nächsten Montag die Berhand­lungen mit den Sowjetbelegierten zu einem gewissen Abschluß ge tommen sein werden und daß zumindest ein andelsvertrag abgeschlossen sein wird.

fegung getrieben haben, weil ihre Eisen- und Kohlen­Herr Pinot gehört zu den Leuten, die zur Ruhrbe­fombinationen am Widerstand der deutschen Schwerindustrie gescheitert waren; er gehört ferner zu den Leuten, die für die Aufbürdung der Micum- Lasten verantwortlich sind. Aber da er sich zu der Rolle des Kronzeugen für die Notwendigkeit der Abschaffung des Achtstundentages in Deutschland im Zu fammenhang mit der Reparationsfrage hergegeben hat, ist er in den Augen der großen Patrioten der deutschen Schwer­industrie ein braver Mann, der volles Verständnis für die Möte des deutschen Wolfes besitzt. In einem der gegen­wärtig in Genf tagenden internationalen Arbeitskonferenz gewidmeten Artikel bringt die ,, Deutsche Allgemeine Zeitung beinahe ein dreifaches Hoch auf ihn aus, ebenso auf einen nicht genannten belgischen Regierungsvertreter, der gleichfalls für die Aufhebung des Achtstundentages in Deutsch­ land plädiert hat.

Dagegen ist der neue französische Arbeitsminister Justin Godart, der sich ebenso wie der Direktor des Internatio­nalen Arbeitsamts Albert Thomas für die internationale Ratifizierung des Achtstundentages im Namen des sozialen Fortschritts und gegen die Behauptung sich ausgesprochen hat, daß die Ausführung des Sachverständigengutachtens nur unter Durchbrechung des Achtstundentages in Deutschland möglich sei, ein Heuchler und ein Schuft. Aber der noch größere Schuft ist in den Augen der DA3." natürlich der deutsche Arbeitnehmervertreter in Genf, unser Genosse Hermann Müller Lichtenberg, der in gemeinsamer Front mit den Arbeitnehmervertretern der ganzen Welt für die Rati­fizierung des Washingtoner Abkommens auch durch Deutschland eintrat. Die" DA3." führt gegen Müller einige Anwürfe des halbgelben Stegerwaldschen Deutschen" ins Feld, der versucht hatte, den Genossen Wissell gegen Genossen Müller auszuspielen.

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Dieser Versuch der Stegerwald- Brauns- Clique, Zwietracht in die Reihen der deutschen Arbeiterschaft zu tragen, wird trotz der Beihilfe des Stinnes- Organs tläglich scheitern. Denn, wenn es einen Bunft gibt, über den in der gesamten deutschen Arbeiterschaft einschließlich des größten Teiles der Zentrums­arbeiter volle Einmütigkeit herrscht, so ist es der, daß die Ausführung des Sachverständigen gut­a chtens nicht zu einem Vorwand für das Unter­nehmertum werden darf, den Achtstundentag abzuschaffen.

Im Manchester Guardian" vom 3. Juli wird im Zu­sammenhang mit der Zusammenkunft zwischen den Arbeits­ministern Englands und Frankreichs, Tom Shaw und Justin Godart, in Paris die Notwendigkeit einer mög­licht gleichzeitigen Ratifizierng des Washingtoner Arbeitszeitabkommens in den vier Ländern England, Frankreich, Deutschland und Belgien ausführlich behandelt. Das große liberale Blatt hat sehr flar erkannt, daß die Frage des Achtstundentages für das deutsche Unternehmertum eine Frage der Lastenverteilung oder vielmehr der ein­feitigen Lastenabwälzung auf die Schultern der deutschen Arbeiterklasse geworden ist. Das liberale Blatt spricht die Hoffnung aus, daß es den beiden

Die Untersuchung gegen die Mörder. Rom, 5. Juli .( EP.) Die Untersuchungsbehörde im Matte otti. Brozeß hat gestern den früheren Pressechef Rofft mit Filipelli und Marinetti fonfrontiert. Die konfrontation foll heute fortgesetzt werden. Später fand eine Bernehmung des foll heute fortgesetzt werden. Später fand eine Bernehmung des Unterstaatssekretärs Finzi statt, die zwei Stunden dauerte. Der Mondo" glaubt zu wiffen, daß Finzi über die Art der Tätigkeit Roffis und Duminis im Innenministerium Aufklärung gab. Er soll bestritten haben, am 10. Juni von Filipelli antelephoniert worden zu sein und ferner an der Finanzierung des Corriere Ita­liano" teilgenommen zu haben. Nach dem Sereno" stammt das endgültig gescheitert. Die Angelegenheit wird nun vor den Arbeitsministern gelingen wird, die deutsche Regierung davon

Memorandum, von einer hohen faschistischen Persönlichkeit", von der in den letzten Tagen viel die Rede war, von Finzi. Eine

Die britisch- türkischen Verhandlungen über die Grenzfeftfehung zwischen dem Königreich Irat( Mesopotamien) und der Türtei find

Bölkerbund gebracht.

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Die englische Regierung hat ein Memoran­dum des Erzbischofs von Cypern, worin dieser die Unabhängig feit der Insel forderte, in a blehnendem Sinne beantwortet.

zu überzeugen, daß die Ratifizierung des Washingtoner Abkommens im allgemeinen Interesse liege.