Abendausgabe
Ste. 31741. Jahrgang Ausgabe B Nr. 159
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Vorwärts
Berliner Dolksblatt
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Dienstag
8. Juli 1924
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Zentralorgan der Sozialdemokratischen Partei Deutfchlands
Der Achtstundentag in Deutschland .
Erklärungen des Genossen Albert Thomas .
Die Internationale Arbeitstonferenz ist zu Ende, aber ber Kampf um den Achtstundentag geht weiter. Die Industrieländer des Westens werden das Abkommen von Washington ratifizieren. Will die deutsche Regierung fich ausschließen? Das Arbeitsministerium hat sich bemüht, in
Genf die Tür zuzuschlagen. Indessen nimmt man in den Kreifen des Internationalen Arbeitsamts an, daß die deutsche Regierung sich schließlich zur Ratifizierung entschließen wird. Genosse Thomas, der Direktor des Internationalen Arbeitsamts, fendet uns aus Genf folgende Zeilen:
Ich verfolge, wie Sie sich wohl vorstellen können, mit gespannter Aufmerksamkeit die Diskussionen, die in Deutschland über unsere jüngfte Debatte begonnen haben. Ich habe die Ueberzeugung, daß wir durch eine objektive Prüfung, Deutsche sowohl wie die An gehörigen anderer Staaten, die Wahrheit finden und festlegen tönnen und müssen.
Man biskuttert hartnädig über die Frage, ob die Sachver. tändigen thre Folgerungen über die Zahlungsfähigkeit Deutsch Sands aufgebaut haben
auf der Grundlage eines Arbeitstages von acht Stunden. Man unterstreicht babel, daß der Sachverständigenbericht nieder. gelegt worden ist ungefähr drei Monate nach der neuen Berordnung über die Arbeitszeit in Deutschland . Das stimmt. Aber niemand ift, felbft bis heute, der Auffassung gewesen, daß die Frage der Arbeitsdauer endgültig in Deutschland erledigt ist. Man hat allgemein in der Auffassung gelebt, daß Deutschland , selbst jetzt, wo ich diese Zeilen schreibe, noch nicht überall neun oder zehn Stunden arbeitet. Ich hatte selbst in allen früheren Berichten nicht auf den Sach verständigenbericht geachtet. Aber ich bin außerordentlich erstaunt gewesen, als die englischen Regierungsvertreter meine Aufmerksamkeit auf diesen Bunft gelenkt haben. Ich habe darauf die Folgerungen der Sachverständigen noch einmal gelesen,
3d versichere Sie, daß fein Zweifel besteht.
Nicht nur ber Satz, den ich über die Gleichheit der Lasten des aus. ländischen Produzenten und des deutschen Produzenten, mit Einschluß der Löhne", zitiert habe, sondern auch alle Sätze, die wir zitiert haben über die gleichmäßigen Bedingungen in Europa , laffen feinen Zweifel über die Absicht der Sachverständigen.
Uebrigens hatte Graßmann die Frage angeschnitten. Wenn die Sachverständigen hätten feftlegen wollen, daß der Arbeitstag ver längert werden müßte, hätten sie das unbedingt ausgesprochen. Sie haben aber im Gegenteil ständig auf ein allge. meines Gleichgewicht der europäischen Wirt. fchaften geachtet.
Soll das befagen, daß wir daraus als Folge den Gebanten einer neuen Rontrolle über die deutsche Wirtschaft ziehen, den Gebanten irgendeiner interallierten leberwachung der Arbeit in den Fabriken?
seit dem Monat Januar gefagt habe, muß, wenn man zu der Er. tenntnis gekommen wäre, daß Deutschland , wie es behauptet, ge zwungen ist, während einer bestimmten Zeit längere Arbeitstage einzuführen, das fozusagen durch ein gemeinsames ab. tommen zwischen ihm und seinen Nachbarn ge.
schehen.
Auch hier will ich ein Mißverständnis vermeiden. Ich behaupte nicht, daß die deutsche Entschließung einer vorher gehenden Zustimmung seiner Nachbarn unterliegen muß, aber ich sage, daß wir aus der ganzen Atmosphäre des Mißtrauens und der Feindseligkeit, die Europa vergiftet, nicht herauskommen werden, wenn wir nicht zum Wiederaufbau
loyale und aufrichtige Unterhandlungen
zustandebringen können.
Ich habe in Genf felbft, in einer vertraulichen Versammlung, bei der sich die deutschen Delegierten befanden, Gelegenheit gehabt, zu sagen: Wir sind noch getrennt durch alle möglichen Mißverständ nisse und Borurteile; wir müssen eine Atmosphäre eines neuen Ausgleichs schaffen, und ich habe gefagt, daß die Su Stimmung zum Sachverständigenbericht, daß die begonnenen Berhand. lungen zur Ausführung feiner Bestimmungen auch zu
Vereinbarungen über die Arbeitsbedingungen
führen müßten.
Was ich auf der Konferenz fehr lebhaft gefühlt habe, felbst tro der Schwierigkeiten, das war die Möglichkeit, öffentlich zusammen zu bistutieren. Ist es unmöglich, den neuen Schritt zu wagen und zu suchen, wie Deutschland sich der Absicht der Rati. fizierung, die in England wie in Frankreich sich durchzusetzen scheint, anschließen tann?
Ich bin eine furze Kraft,
Speut geharnischt, morgen weggerafft, Frühe Stunde loft ich, wie Achill , Meinem Lose halt ich still.
R. F. Meyer.
Mut zur Feigheit haben." Als der erste faschistische Anprall mit Revolver und Rnüppel über die wehrlosen LandGewalt entgegenzustellen. Er riet ab von unnügen Opfern; arbeiter herfiel, gab er die Parole aus, der Gewalt nicht die er wollte nicht, daß die Partei die Nemenlosen auf die Schlachtbank führte. Das Proletariat war waffenlos; es schien ihm des Sozialismus unwürdig, unsere Parteigenoffen der fleinen Orte zu einem Widerstand aufzurufen, bei dem dem Heldentum der Unbekannten nur eine deforative Rolle zugefallen wäre. Matteotti hatte ein ungeheures Gefühl der Verantwortlichkeit und einen so tiefen Wirklichfeitsfinn, daß alles, was Phrase und Pose war, sich vor dem Licht seiner Persönlichkeit vertroch. Er war fein Mann der großen Worte und wußte nicht einmal, daß er ein Mann der größten Tat war. So selbstverständlich es ihm erschien, zu verhindern, daß ein unbesonnenes, wenn auch berechtigtes Aufwallen der Entrüftung die Arbeiter zwedlos ans Meffer lieferte, fo felbftverständlich war es ihm, fich selbst befonnen, bewußt, fehenden Auges dem Tode preiszugeben. Mit fchlichter Selbstverständlichkeit leistete er als arteifetretär und Barlamentarier eine überwältigende Summe von Arbeit; mit schlichter Selbstverständlichkeit übernahm er jenen Borposten im Rampf, von dem nur der Tod durch Feindeshand ablöst.
Bon Matteotti stammt das Wort:" Wir müssen den
Schon vor einigen Monaten ist der Gebante einer 2us( prache erörtert worden. Ein Berhandeln war vielleicht nicht ungefährlich zu jener Zeit, denn men sprach noch von einer Revision des ashingtoner Abfom mens. Heute erklären Großes. Er hat noch vor menigen Machen zu mir davon gesprochen, britannien, Frankreich und Belgien , daß durch die Ratifizierung dieses Abkommens eine Vereinbarung getroffen werden fant. Ich fann nicht glauben, daß, wenn das Problem jo liegt, Deutschland lange zögert, auf dem Boden der Gleichberechtigung in eine Aussprache wie diese einzutreten.
Ist das diesmal flar?
Ich bin unermüdlich zu weiteren Erklärungen bereit. Sich weiterhin Verwünschungen über bie Grenzen an den Kopf zu werfen oder Beleidigungen, wie das in fegter Zeit einige Zei tungen getan haben, bas dient zu nichts. Ich für meine Person bin bereit, objektiv und mit Ausdauer zu diskutieren, um die Wahrheit zu entdecken, zu suchen, bei der sich die Deutschen wie bie Franzosen fchließlich finden müssen. Wenn das unmöglich wäre, wäre es wirt. lich zum Verzweifeln an der menschlichen Vernunft."
Ich habe schon drei- bis viermal gegen den Gedanken, den man mir unterschiebt, Einspruch erhoben. Das Reichsarbeitsministerium wird die Anregungen des Aber ich sage unb betone, daß es für den europäischen Frieben un Direktors des Internationalen Arbeitsamts fehr ernst in Gr. Ererläßlich ist, daß es über diesen Bunft zu einer internatio.wägung ziehen müssen. Will es das Odium auf fich laden, nalen Berständigung fommt, zu genauen Uebereinkommen fich als einzige Regierungsvertretung dem fozialpolitischen fich als einzige Regierungsvertretung dem sozialpolitischen zwifchen ben in Frage kommenden Nationen. Wie ich das schon Fortschritt auf internationalem Gebiete widersetzt zu haben? ruf des französischen Premierministers. Es habe den Anschein, daß wahren und dem Genat Sand in die Augen zu streuen. Außerdem fei die französische Note, die auf das englische Memoran dum antworten follte, fertiggestellt worden. Man fönne fider sein, daß sie den intereffierten Mächten vielleicht erst nach der Anfunft Macdonalds, vielleicht nach der Abreise mitgeteilt wird, wenn fie überhaupt abgeht. So werde also die französische Antwort auf die englische Note zunächst von dem Chef der englischen Re gierung durchgefeher, und fie trägt gleich), als ob das normal wäre, bas englische Bisum. Bertinar hat
Die Londoner Konferenz steht fest. Condon, 8. Juli. ( WEB.) Einer vom Reuter- Bureau veröffentlichten Mittellung zufolge ift nichts vorhanden, was die Auffaffung bestätigt, daß der Zeitpunkt der Konferenz verschoben werden fönnte oder daß der Zusammenkunftsort abgeändert worden fei. Nach den bisherigen Vorkehrungen findet die Konferenz im Zimmer des Staatsfeiretärs des Aeußeren im Foreign Office statt. Sie wird nicht länger als eine Woche oder 10 Tage dauern. Infolge der großen Zahl von Reifenden, die sich zurzeit in London aufhalten, beständen große Schwierigteiten, die notwendigen Unterfunftsmöglichkeiten in den hauptsächlichsten Hotels zu erhalten. Es werde beabsichtigt, daß Deutschland eingeladen werden folle, wenn die iierten zu einer Bereinbarung über die an Deutschland zu richtenden Vorschläge gelangt feien.
Die heutige Aussprache Herriot- Macdonald. London , 8. Juli. ( TB.) Reuters Parlamentsberichterstatter zufolge wird in politischen Kreifen zugegeben, daß die Lage durch cinige mißliche Merkmale gekennzeichnet fei. Aber es merde gehofft, daß freimütige Besprechungen in Paris der Weg zur Konferenz in London am 16. Juf ebenen werden, beren Aussichten durch die legten Entwicklungen etwas gestört worden feien,
Pariser Hetakrobatik.
Paris , 8. Juli. ( Eca.) Die Kommentare der französischen Morgenpreffe zu dem bevorstehenden Besuch Macdonalds laffen er fennen, in welch hohem Maße die ganze franzöfifche Bolemit gegen Herriot in den letzten Tagen von rein innerpolitifden Motiven inspiriert mar. Während bie Blätter ber Mehrheit in dem Bejuch Macdonalds ein Belchen bafür sehen, daß nun alles gut geht", fprechen die nationalistischen Blätter, so Gdo de Paris" und Eclair davon, daß Herriot Macdonald zu Hilfe gerufen habe. Der„ Eclair" betont, Macdonald habe in feinen Unterhaus- us. führungen ausdrücklich erklärt, daß er
auf Erfudhen Herriets nach Paris reife. Man stehe also nicht, fchreibt das Blatt, einer spontanen Befte des englischen Premierministers gegenüber, sondern einem Hilfe.
wieder Material gegen Herriot aus denselben bisher unbekannten Quellen
bekommen, um gegen die Regierung vorzugehen. Er schreibt: man müsse skeptisch darüber sein, ob die heutige Unterhaltung zwischen ben beiden Premierministern den Abschluß der französisch- englischen Arise bringen werbe. Diesmal begebe fich Herriot allerdings mit einem Programm verfehen zu der Unterhaltung, und man müffe abwarten, wie er die neue Prüfung bestehen werde. Die den Wirtschaftstreifen nahestehende Journée Industrielle wendet sich gegee die innere Berhebung und meint, die augenblidliche Bage sei von äußerster Delibatesse. Die Blätter ber Re. gierungsmehrheit fehen die Dinge natürlich von einer ganz anderen Seite an. De ubre" versichert in bestimmter Form, daß die Londoner Konferenz am feftgelegten Termin stattfinden werde, und fchreibt: Wir wollen jedenfalls daran denten, daß, wenn Frankreich durch seinen Fehler ben Dames- Blan unausführ. bar machen wird, wir hierbei nicht nur die Reparationen, fondern auch jebe Hoffnung verlieren, die Entente Cordiale herzustellen und uns auferbem noch die Freundschaft Ameritas verscherzen. Quotidien nennt die Reise Macbonalbs nady Baris ben voll ständigsten
"
Bemeis für die Coyalität, mit der der moralische Patt dauernder Zusammenarbeit ausgearbeitet werde, und meint, das Land werbe nicht verfehlen, anguerten nen, daß die Methode Herriots seinen Interessen besser diene als bie Methode Poincarés, die vollständig fehlgeschlagen sei. Boraus fichtlich werde die von den Sachverständigen des Quai d'Orsay aus. gearbeitete Note an die alliierten Regierungen Grundlage der Aus Sprache zwischen den beiden Ministerpräsidenten sein,
Matteotti war weber unbewußt noch eraltiert. Das Sieghafte an seiner Bersönlichkeit, das, was ihm die Herzen gemann, mar gerade feine Echtheit und Klarheit. Wer das nabenhafte Lächeln jah, das das Astetische feiner Züge verschleierte, der fonnte glauben: er weiß ja nicht, daß er un fehlbar in fein Berberben rennt. 2lber matteotti mußte daß Opfer gebracht werden müßten, und das fagte er mit einem Lon und Ausbrud, daß einen die Angst um ihn padte, die einfache menschliche Angst um sein Leben. Dieser Angst habe ich nicht Ausdruck zu geben vermocht. Jeder Einwand wäre abgeprallt an seiner schlichten Hingabe an das, was er als feine Aufgabe erkannt hatte. Matteotti wußte, daß der Faschismus die materielle macht und die moralische Fähigkeit hatte, ihn zu beseitigen. Das war für ihn fein Grund, von feinem Werte als Antläger abzustehen.
Aber er berauschte sich nicht an bem eignen Helbentum. Alles Gladiatorenhafte, alles vor sich selbst im Spiegel stehen war ihm fremd. Der Nebel, ben das äfthetiſche Gefallen an der eigenen Gefte oft zwischen uns und die Wirklichkeit stellt, Derhüllte sie ihm nicht. Wahrhaftig, er hat die Balme des Mätyrertums nicht um geringen Breis gehabt. Das sollen wir uns alle fiarmachen, jeder Sozialist, welche Sprache er spreche, jeder Arbeiter, ob er den Hammer führe oder die Feber, daß hier ein Mann in den Tod gegangen ist für unsere Sa che, offenen Auges, daß er sein Golgatha Sache, vor or fich gesehen hat, wie Christus. Matteotti mar ja schon einmal den Söldnern in die Hände gefallen, hatte ihre rohe Willfür erduldet, bis eine Art scheuer Ehrfurcht ihre Fäufte vor seiner Furchtlosigkeit hatte erfahmen laffen. Und wir dürfen nicht glauben, daß auf seinem Wege nach Golgatha fein Gethsemane gelegen hätte. Er war so zum Leben geschaffen, fo lebenswürdig; er hatte alles, Jugend und Gesundheit, ein glückliches Familienleben, äußeren Reichtum; er hatte vor allem den inneren Reichtum einer aufnahmefähigen, gütigen Seele, die ihn gebend und empfangend teil haben ließ an allem Menschlichen, an der Luft des Erfennens und an der Luft des Wirkens. Wie fönnte es fein, daß er nicht Stunden gehabt hätte, in denen ihm Angst war, wie Christus auf dem Delberge, in denen ihm sein Reich zu bitter erschien? All das Leben, all die Jugend, all die Straft in ihm müffen sich aufgebäumt haben; allein die beständige bebende Angst seiner jungen Frau muß ihn immer wieder die Möglichkeit vor Augen gehalten haben, sich eine Kampfstellung zu suchen, die ihm etwas Dedung bot. Aber für sich selbst wußte Matteotti mit dem Mut zur Feigheit nichts anzufangen; für sich tannte er nur den Mut der Pflidyterfüllung bis zum Todis.
Wir fönnen es ja nicht ermeffen, wie herb, wie grauenhaft fein Tod war. Bei dem Gedanken, daß dieser an Leib und Seele ablige Mensch von der viehischen Roheit von fünf Schergen überwältigt worden ist, mißhandelt, zerfleischt, getötet, versagt unsere Borstellungsfähigkeit. Und daß der legte Blid dieses Mannes, der an das Gute im Men fchen glaubte und für diesen Glauben in den Tod ging, auf bie schuftigen Gefichter von Wichten fiel, denen sein Todestampf ein Spiel war, barin liegt so viel Bitternis, daß man nicht leben tönnte, wenn man sie ganz ausschöpfte. leben tönnte, wenn man sie ganz ausschöpfte.
Man wagt nicht, die Leiche herauszugeben, weil sie so grauenhaft zugerichtet ist. Ueber die legten Augenblide hat aber einer der Mörder auf seiner Flucht einem Faschisten berichtet. Unter den Todesstreichen hat Matteotti gerufen: 3hr tötet mich, aber nicht die 3dee. Die Idee fönnt Ihr nicht töten. Meine Kinder werden stolz sein auf ihren Water. Seine letzten Das Proletariat wird meine Leiche segnen." Der Borte waren:" Es lebe der Sozialismus!" Scherge hat hinzugefügt, daß, wenn Matteotti weniger fred"