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Abendausgabe Nr. 32? 41. Jahrgang Ausgabe B Nr. 141

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50 MtUiarösn Donnerstag 10.?uli 1924 ettlag undanjttetnnMtllur.» S-s»»fl,,eIi 0-6 Uhr Verleger: Vorn>ür»».verZo<z GmbH SerNn SO. ST. elnbenfiratz« A Fernsprecher: VSnhofi ZS0V-ZS«7

�entralorgsn der Sozialdetnokratifcben Partei Deutfcblands

Der Zoll-Ueberfall. Politische Reaktion. Verteuerung der Lebenshaltung.

Die Borlage der Reichsregicrung über die Wiedereinfüh» rung der Agrarzölls führt mitten hinein in den Kampf um die Verteilung der Lasten der Reparation. Der Reichskanzler Marx hat wiederholt davon gesprochen, daß die Verteilung der Lasten im Geiste sozialer Gerechtigkeit er- folgen müsse. Was wir bisher von der sozialen Gerechtigkeit gesehen haben, wie die Regierung Marx sie auffaßt, ist der Abbau des Achtstundentages, die Verweigerung der internatw» nalen Regelung der Arbeitszeitfrage und nun eine gegen die Masten der Verbraucher genchtete Schutzzollpolitik. Der un- soziale Charakter der Schutzzollpläne wird von der Regierung schlecht genug bemäntelt mit der Ermäßigung der Umsatzsteuer von 2% aus 2 Proz. Das ist nichts anderes, als ein Ausdruck des schlechten Gewissens, kein Ausgleich für die neue unerhörte Belastung der Masten. Das.Berliner Tageblatt". das sich mit großer Entschiedenheit gegen die neue Hochschutz- Zollpolitik wendet, stellt die verhängnisvoll« Wirkung auf die Lebenshaltung der Masten fest: .Jsnerpolltisch bedeutet die Wiedereinführung der Schutzzölle ein« Verteuerung der gesamten Lebenshaltung der breiten Massen zugunsten bestimmter Produzentenkreis«. Aller- ding» hat die Reichsregierung gleichzeitig beschlossen, die Umsatz. steuer, wie bereit» berichtet, von 2',4 aus 2 Proz. herabzusetzen. Uns erscheint das aber durchaus nicht als ein zureichendes Aequioalent." Di« Ermäßigung der Umsatzsteuer, die man den drei- ten Masten als Zuckerbrot neben der Hungerpeitsche ver- spricht, wird und kann keinesfalls durch die Ermäßigung der Umsatzsteuer ausgeglichen werden. Es kommt hinzu, daß die Erhöhung der Lebenshaltungskosten in einen Zeit. punkt fällt, m dem man auf«ine Abwälzung dieser Lebens- haltungskostensteigerung auf die Lohne kaum rechnen kann. Roch nie sind Krisenzeiten Lohnbewegungen günstig ae- wesen. Die Stabilisierungskrise, die jetzt mit voller Wucht üb«r die Industrie hereingebrochen ist. schließt es vollends ans. daß eine Berteuerung der Lebens- hallung durch Lohnerhöhungen kompensiert werden kann. So wird die Eondersteuer zu Nutzen des Großgrundbesitzes sich in verstärktem Maße auf die Schultern der breiten Masten ent- laden. Äa. noch mehr, in der gleichen Zell wird die künstliche Niedrighaltung der Mieten abgebaut. Von dieser Seite droht also ein neues Teuerungsmoment, ohne daß man sich in der Reichsregierung der katastrophalen Wirkung einer gleichzeitigen Preissteigerung für Brot unk» für Mieten beides Moment«, die besonders auf der Arbellerschaft lasten Kopfzerbrechen zu machen scheint. Es wirkt wie eine Ironie, wenn man darauf verweist, daß de? Lebensmittelzoll zu einem wesentlichen Teil vom Ausland« getragen wird. Wäre das der Fall, so würden die schutzzollnerischen Wirkungen des Schutzzolllarifs abge- schwächt, der für die Landwirtschaft versprochene Nutzen da- mit verringert werden. Diese Absicht liegt keineswegs vor. Man will ja bewußt durch den Schutzzoll einen Aus» gleich zwisiben Lnland- und Weltmarktpreisen anstreben und darüber hinaus einen besonderen Schutz der deut- schen Agrarwirtschaft für den Fall eines Sinkens der Se- treidepreise am Weltmarkt schaffen. Das wird aber nur dann eintreten, wenn das Ausland den Zoll nicht auf sich über- nimmt. Ts kommt ferner hinzu, daß entsprechend dem Gesetz- entwurf der Reichsregierung besondere Konzessionen an den Verbraucher gar nicht beabsichtigt sind. Sonst wäre es unoer- ständlich, daß man mit der Einführung der Zölle für Büchsenfleisch und Gefrierfleisch denjenigen Volksgenossen den Fleischgew'ß verwehrt, die heute außer- stände sind, sich frisches Lnlandfleisch zu leisten. Wir nebmen zu dieser Frc?e im Wirtschaftsteil noch besonders Stellung. möchten iedoch hier noch mit besonderem Nachdruck betonen. daß d'e Verteuerung des inländischen Fleisches nicht allein durch die Agrarier herbeigeführt worden ist, sondern auch durch die hohen Gewinne des Diedhandels und d'« Ueberteuerung bei der Verarbeitung des Fleisches. Belegs man unter diesen Ilmständen das Auslandssieifch auch nur mit den Veriragszollen der Vorkriegszeit, was einer Ver- leuenmg um 25 bis 50 Proz. für Gestier- und Vüchsensieisch gleichkommt, so stabilisiert man damit d'e Sonder- gewinne de- Vielchändler, der Konservcnstbriken und viel- leicht noch der Fleischer: eine Garantie, daß der kleine Bauer, dem es gewiß gem zu gönnen wäre, aus seinem Lieh größten Nutzen herauszuholen, wird damit keines- falls gsschasten. Alles in allem richtet sich also die Schutzzollbewegunq und das Vorgehen der Reichsregierung gegen die breiten Massen der Verbraucher, insbesondere der Arbeitnehmer aller Art. �cese Art des Schutzes für die Landwirtschaft bedeutet geradezu v1."4 ��üskierung derjenigen Kreise der deutschen Verbraucher, die bisher mit aller Kraft eine Intensivierung der l a n d wir tsch aftlichen Produktion angestrebt haben. Nicht eine Verbilligung der landwirtschafllichen Pro- duktion und Betriebsmittel, sondern e'N« schematische

Erhöhung der Agrarpreise wird angestrebt, nicht eine Erleichterung der Produktion, sondern eine Abwälzung auch der unnötigen, heute auf der Landwirtschaft ruhenden Lasten auf die Schultern der Wehrlosen, die Brot und Fleisch brauchen, um zu leben. Will man damit dokumentieren, daß das wertvollste Pro- duktwnsmittel der Nation, die Arbeitskraft, minde- r e n Rechts ist? Will man noch mehr Q u a l i t ä t s- arbester, die außerhalb der Reichsgrenzen bei verhältnismäßig niedrigem Lebensaufwand viel höhere Löhne verdienen können, außerLandesjagen? Will man die übrigen, die unter der Inflation schon gelitten haben, erhöhtem Elend preisgeben? Diese und andere Fragen werden bei der Beratung der Vorlage im Reichstag auszuwerfen sein. Die Reichs- regierung wird ihnen nicht ausweichen können. S Die Tatsache, daß die Regierung ihre Schutzzollpläne be- reits fertiggestellt hat und sie noch im Sommer im Reichstag erledigen mssen will, hat in der Oesfentlichkeit die größte Heber- raschung hervorgerufen. Die Regierung Hot insgeheim einen Plan fertiggestellt, der eine entscheidende Wendung der deutschen Handelspolitik bedeutet. Sie hat diesen Plan so vertraulich behandelt, daß er großen Parteien des Reichstags in den entscheidenden Einzelheiten nicht bekannt war. Sie hat auch diesen Plan, der weder volkswirtschaftlich noch Handels- politisch eine Notwendigkeit ist, beschleunigt in einer Zeit, in der sie ihre volle Aufmerksamkeit auf drängendere Dinge zu richten hätte. Die Ueberraschung der Oeffentlichkeit kommt in den bis- her vorliegenden wenigen Pressestimmen zu dem Zollgesetz- entwurf der Regierung zum Ausdruck. DasBerliner Tageblatt" schreibt: Wie wir bereits im gestrigen Abendblatt mitteilten, hat die R«ichsragicrung dem Reichsrat eine Vorlage über die Wiedsrein- führung der Agrarzölle zugehen losten. Dos muß, sachlich so« wohl wie politisch, eine Ueberraschung hervorrufen. Gegenwärtig sind die Auslandspreise für Getreide weit höher als die Inlandpreise. Die deutsche Getreideproduksion hat nicht die geringst« Veranlassung, sich vor der ausländischen Kon­kurrenz durch Schutzzölle zu schützen. Die Gefahr einer Preisunter. bietung, der man durch Zölle begegnen müste, besteht nicht. Mög» sich, daß e» später wieder einmal anders wird. Die Regierung scheint aber annehmen zu wüsten, daß man die tiefgehende Unzu- stiedenheit, die gegenwärtig in den landwirtschaftlichen Kreisen herrscht, durch irgendein« drastische Maßnahme beschwich- tigen wüste. Die Herbstbestellung steht vor der Tür, und man will zweifellos durch diese» Zolloersprechen die deutsch« Produktion, die nach den Siahren des Raubbaues während des Krieges und der Nach- kriegszeit ohnehin stark nachgelösten hatte, wieder anregen. Die Lendwirt« sollen wieder mit der Möglichkeit einer größeren Ren- tabilität ihrer Betriebe rechnen können, und auf diesem Umwege glaubt man wohl auch die gesunken« Kaufkraft der Landwirtschaft im Jniereste der gesamten stagnierenden Volkswirtschaft wieder beleben zu können. Wie dem auch sei, w,r unserer- seit? halten aus innen- und außenpolitischen Gründen die Wiedereinführung von agrarischen Schutzzöllen für höchst bedenklich." Nach dieser Stellungnahme wird die Opposition gegen die neuen Hochschutzzollpläne nicht auf die Sozialdemokratie be- schränkt bleiben. DieVossische Zeitung" versichert: »Wenn namentlich von sozialdemokratischer Seite in letzter Zeit sehr scharfgcgendie Einführungvon«Brot- zöllen" Stellung genommen worden ist, so mag schon jetzt vermerkt werden, daß die Sozialdemo- krati« mit ihrer Opposition durchaus nicht allein- steht. So sind vor einigen Tagen in dem offiziösen Parteiorgan Die Zeit" sehr gewichtige Tedenten gegen die Wirkung der Ge- treidczölle erhoben worden, weil diese Zölle zur Zeit, wo die deut- schen Getreidepreis« weit unter den ausländischen Preisen liegen, dem deutschen Landwirt überhoupt nicbt» nützen würden." Bei dieser Sachlage wird die Politik der Reichsregierung immer unverständsicher. Warum schießt sie die Pistole des Hochschutzzolls und des Brotwuchers gegen das deutsche Volk ab, wenn selbst in den leitenden Kreisen der Deutschen Lolkspartei sich sachliche und gewichtige Bedenken gegen die Schutzzollpolitik erheben? Die Erklärung liegt darin, daß es sich um ein politisches Tauschgeschäft ersten Ranges handelt, das den Rechtstendenzen in Deutschland den Weg zur Regierung ebnen soll. Die .Vossische Zeitung" weist mit den Fingem auf den schmählichen Handel, der im Gange ist: «Wie bereit» kürzlich in der..Vossischen Zeitung" mitgeteilt wurde, erscheint e» nicht ausgeschlossen, daß man die Zollvorlagen zugleich zu einem hochpolitischen Tauschgeschäft benutzen will, indem man den Deutsch nationalen die vom Reichsland- bund geforderten Schutzzölle zubilligt und dafür ver- langt, daß sie der parlamentarischen Verabschie- dung der Dorlagen zur Durchführung de s Sach ver.

ständigenberichts keine Schwierigkeiten bereuen. Unter diesen Umständen scheint man gewillt zu sein, die Deutsch - nationalen mit in die Regierung aufzunehmen." Es wäre gewiß einp atri ot ij ch e s" Heldenstück, wenn es gelänge, die Verhandlungen über das Sachverständigengutachten im richtigen Augenblick durch ein« Regierungskrise zu sabotieren. Die Patrioten der Stlnnes- und Hvgenberg-Presie wollen wir bei diesem Geschäft nicht stören: aber man muh erwarten, daß die Regierungsparteien von solchen Versuchen mit aller Schäl s« abrücken." Die künstige Auswucherung der Bevölkerung durch die Wiederbelebung der Schutzzollpolitik der Jahre nach 1902 ist die eine Seite der neuen Schutzzollpläne, der politische Anschlag gegen die Demokratie zugunsten eines Blocks der Kapitalisten und Agrarier dt« ander« Seite. Die politische Seite dieses Anschlags gegen das deutsche Volk ist heute von fast noch größerer Bedeutung als die materielle! Die deutschnationale Presse hält sich politisch noch außer­ordentlich zurück. Sie verfolgt die alte Taktik der Agrarier in der Vertretung ihrer Portemonnaieinteressen: zu schreien, zu schreienund wiederzu schreien. Der Reichs- l a n d b u n d läßt spaltenlange Resolutionen und neue For- derungen der Agrarier veröffentlichen. Die Agrarier nützen die Stellung der Reichsregierung aus. Sie fordern um so mehr, je mehr sie Entgegenkmnmen auf der Seite der Reichs- regierung erkennen. Ueber die politische Seite gleiten sie mit ewigen Ableugnungsversuchen hinweg. DieDeutsche Tageszeitung behauptet keck und dreist gegenüber den Plänen, gegen die Schutzzollpolitik die Zustimmung der Deutschnatwnalen zum Eifenbahngesetz einzuhandeln: «Da aber dieFrankfurter Zeitung ", wenn auch noch mit einiger Vorsicht, i» die gleiche Kerb« haut und derBor- wärt»" bereits behaupte� die Deutschnati analen seien zu einem derartige» Handel bereit, so genügt e« nicht mehr, auf die Sinn- losigkeit dieser Ausstreuung hinzuweisen. Wir stellen deshalb in aller Form fest, daß diese Behauptungen in vollem Um­fang« und mit unverantwortlicher Dreistigkeit ausden Fingern gesogen sind." Alle Ableugnungsversuche aber können nicht verbergen, daß dies verwerfliche politische Tausch- geschäft im Gange ist. Die Tonart der deutsch - nationalen Presse zeigt die unverhohlene Freude darüber, daß der Block der Kapitalisten und Agrarier marschiert. Sie zeigt aber auch, daß kein Halten mehr ist, wenn die bürgerlichen Mittelparteien die schiefe Ebene der rücksichtslosesten Jnteressenpolitik gegen die breiten Massen der Bevölkerung betreten weder innen­politisch noch außenpolitisch. Durch ihren Vorstoß in der Schutzzollfrage hat die Reichs- regierung eine überaus gespannte Lage geschaffen. Sie hat die Frage des Blocks der Kapitalisten und Agrarier neu belebt. Sie hat Entrüstung und Empörung in den Kreisen der Ar- beiterschoft hervorgerufen. Sie hat Zweifel daran erweckt, ob es ihr wirklich darum geht, zunächst die außenpolitische Lage Deutschlands zu klären und zu bereinigen. Sie hat die Grund- läge verlassen, auf der das Kabinett Marx um die Zustim- mung zu seinem außenpolitischen Programm im Reichstag nachsuchte. Der Reichskanzler Marx erklärte in seiner Programmrede vom 4. Juni: Nach der Uebcrzeugung der Reichsregierung müsien vor diesen lebenswichtigen, für die Einheit des Reichs wie für die deutsche Wirtschaft gleich bedeutsamen Fragen der AußenpolitikalleinnerpolitlschenFragen, mögen sie auch noch so wichtig erscheinen, vorerst zurück- treten. In voller Absicht unterlassen wir es deshalb, in der gegenwärtigen Stunde auf Fragen innerer Politik einzu- gehen. Bei den großen Entscheidungen, die wir in der Außenpolitik zu treffen haben, ist es Pflicht, die gesamte Kraft der Nation für diese ernste und schwere Aufgabe einzusetzen, ist es Pflicht, auch die drückenden Sorgen des Alltags in dem Bewußtsein zurückzustellen, daß erst nach Klärung und Vereinigung unserer au benpolitischen Schwier ig leiten der Wiederauf- bau im Innern auf staatlichem, wirtschaftlichem und sozialpolitischem Gebiet in Angriff genommen werden kann. Die Reichsregierung wird ihre ganzeKraft an die Arbeit setzen, die zur schnellen Durchführung de» Sachverständigen. gutachtens erforderlich ist, und stets ihr Augenmerk darauf richten, daß die sich daraus ergebenden schwere» Lasten nach Maßgabe der Tragfähigkeit gerecht verteilt werden." Die Ausführung des Programms besteht darin, daß die Regierung einen Hochschutzzollgesetzentwurf vorlegt, noch«he sie die Gesetze zur Durchführung der Gutachten fertiggestellt, daß sie diegerechte Verteilung der Lasten" einleitet mit einer gewaltigen Belastung der wichtigsten Masienlebensmittel zu- gunsten des Portemonnaies der Großagrarier. Wir warnen die Reichsregicrung ernstlich davor, auf diesem Wege weiter- zugehen! Sie ist im besten Begriff, innenpolitisch wie außen-- politisch das Porzellan zu zerschlagen!