Abendausgabe
Nr. 353 41. Jahrgang Ausgabe B Nr. 177
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Vorwärts
Berliner Dolksblatt
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Dienstag
29. Juli 1924
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Zentralorgan der Sozialdemokratifchen Partei Deutschlands
Herriots Bedingungen.
Um die militärische Räumung.
Condon, 29. Juli. Der diplomatische Berichterstatter des „ Daily Telegraph " meldet: Gestern morgen um 7 Uhr richtete Herriot ein Schreiben an Macdonald, um ihm seine Haltung gegenüber den beiden Problemen: der Einladungan Deutschland zur Teilnahme an der Konferenz und der militärischen Räumung des Ruhrgebiets, darzulegen. In beiden Fällen erklärt Herriot seine grundfähliche Zustimmung zu dem britischen Vorschlag, während er sich zugleich das Recht vorbehält, gewisse Bedingungen, die vorher in Unterredungen erwähnt wurden, niederzulegen. Später frühstückten Herriot und Theunis mit Macdonald in Downing- Street . Es folgte eine Unterredung, die jedoch feinen abschließenden Charakter hatte.
Das Ergebnis der Vollsitzung.
Condon, 29. Juli. ( Eigener Drahtbericht.) Da die Berhandtungen mit den Bankiers keinen Fortschritt erzielt hatten und die Arbeit der Eisenbahnfommission weiter ruht, beschränkte die Volltonferenz ihre Beratungen auf den Bericht der Unterkommission über die Räumung des Ruhrgebiets und auf die prinzipielle Entscheidung über die Einladung Deutschlands zur Konferenz. Dennoch stellt die geleistete Arbeit tatsächlich einen Fortschritt dar, Die
bedingte Einladung Deutschlands schafft Klarheit, daß Deutschland zur Diskussion und nicht zur Entgegennahme eines Dittats eingeladen werden fell. Die Hauptaufgabe der deutschen Vertreter auf der Konferenz wird in der Diskufficer der technischen Einzelfragen über die Ruhr räumung bestehen. Der Beweis, daß wirklich eine Diskussion gewollt ist, ergibt sich daraus, daß der Bericht der zweiten Kommission nicht
im Wortlaut veröffentlicht wurde. Halbamtlich wird darauf ver
wiesen, daß dieser Bericht die Grundlage der Diskussion bilden wird und daß die gleichzeitige Einladung der Reparationskommission zur Londoner Konferenz ein weiterer Beweis dafür ist, daß die Alliierten auf der Konferenz sich selbst auf die
Inkraftfehung des Dawes- Berichtes
nicht sein Recht gewährt, ein ungerechter Friede ist. Man kann die Ordnung, die wir erhoffen, nicht auf eine Ungerechtigkeit aufbauen. Bankiers zur Anleihefrage.
London , 29. Juli. ( WTB.) Heute wird eine wichtige Sihung der amerikanischen , britischen und alliierten Bankiers stattfinden, wahrscheinlich unter dem Vorsitz Lamonts von der Firma Morgan u. Co., um die notwendigen Bedingungen der Anleihe zu erwägen. Wie verlautet, haben die Bankiers drei Arten finanzieller Garantien vorgesehen: 1. Allgemeine Garantien aller teilnehmenden Mächte, 2. eine individuelle Garantie jeder Macht, die eine separate Aktion unternimmt, 3. Garantie der Banfiers der unter 2 erwähnten Mächte.
Ein offiziöses Dementi.
Wolffs Bureau verbreitet folgende Meldung: Der„ Sozialdemokratische Parlamentsdienst" gibt eine angebliche(?) Auslassung des „ Daily Telegraph " wieder, wonach das Auswärtige Amt gegenüber Gir Erit Drummond bei dessen Anwesenheit in Berlin für den Eintritt Deutschlands in den Völkerbund bestimmte Bedingungen gestellt habe. Wie uns von amtlicher Seite mitgeteilt wird, ist diese Behauptung unrichtig. Damit entfallen auch die vom„ Sozialdemokratischen Parlamentsdienst" bzw. dem„ Daily Telegraph " an diese falsche Behauptung geknüpften Bemerkungen.
In der von uns wiedergegebenen Bemerkung wurde ausdrüdlich der Vorbehalt gemacht, daß die Angaben des" Daily Telegraph " zutreffend seien. Wir freuen uns, daß das nicht der Fall ist. Damit entfällt natürlich auch die in den Bemerkungen geübte Kritik.
Nach langwierigen Berhandlungen ist in Mostau zwischen dem Volkskommissariat des Aeußern und der deutschen Botschaft eine den entstandenen Konflikt im Wege beiderseitiger Vereinbarung beilegende Lösung des deutsch - russischen 3 wischenfalls gefunden und in einem Protokoll niedergelegt worden, deffen beschränken wollen. Der etwaige Versuch der deutschen Regierung, Wortlaut nach der in Berlin zu vollziehenden Unterzeichnung darüber hinauszugehen, wäre zum Scheitern verurteilt. So bekanntgegeben werden wird. sehr man auch in englischen Kreisen der deutschen Einladung mit Sympathie gegenübersteht, so sehr spricht man doch inoffizieil die Befürchtung aus, daß durch eine falsche Taktik und infolge der Unkenntnis der Atmosphäre auf der Konferenz die deutschen Aussichten zerstört werden könnten. Die Tatsache, daß die erste Kommission auf Mittwoch vormittag einberufen ist, zeigt, daß eine Einigung mit den Bankiers weiterhin erhofft wird. In diesem Falle werden die deutschen Vertreter zum Wochenende in London er wartet. Die Einladung dürfte dann am Donnerstag an die Adresse der deutschen Regierung gerichtet werden.
Garantiepakt und Abrüstung.
Erklärungen Macdonalds.
Die
Paris , 29. Juli. ( TU.) Nach dem„ Daily Telegraph " hat der rumänische Kriegsminister alle Urlauber zurückgerufen. Außerdem wurden sämtliche Reserveoffiziere unter die Fahnen gerufen. In Bessarabien sind größere rumänische Truppenförper zusammengezogen. Ueber die Provinz ist in ihrer gesamten Ausdehnung der Belagerungszustand
verhängt worden.
anderen Prozesse, die mit den Verbrechen der Ticheka in Zusammenhang stehen. Das Blatt behauptet, es handle sich nicht darum, Geheimnisse der gerichtlichen Untersuchung zu verraten, sondern die Nachforschungen nach diesen wichtigen Ereignissen, die die öffentliche Meinung aufrühren, zu unterstützen, und fragt, ob man auch damit das Untersuchungsverfahren auf eine falsche Bahn leiten wolle.
Bon Otto Ba ch.
Die fast einstimmige Annahme des Uebereinkommens von Washington über den Achtstundentag durch die Vertreter der Regierungen, der Arbeiter und der Unternehmer von 32 Staaten ist seinerzeit als einer der größten Erfolge der Inter nationalen Arbeitsorganisation gefeiert worden. Seit der Annahme dieses Abkommens sind 5 Jahre durch die Welt getung einzufen, die sie sich in Washington freiwillig aufgangen, Zeit genug für alle beteiligten Staaten, die Verpflich= erlegt haben. Der große Erfolg" ist in dieſen Jahren zu einem Schmerzenskind der Internationalen Sozialpolitik geworden, denn, abgesehen von 5 industriell nicht wichtigen Staaten, ist das Uebereinkommen bisher von keinem der maßgebenden Staaten ratifiziert worden.
Leider hat auch Deutsch land, wo bekanntlich der Achtstundentag seit November 1918 durchgeführt war, die Ratifikation des Uebereinkommens unterlassen, zu einer Zeit, als die deutsche Gesetzgebung fast keiner Aenderung bedurft hätte, um mit dem Geiste des Uebereinkommens von WashingGemäß den Bestimmungen des ton übereinzustimmen. Teils XIII des Friedensvertrages hat die deutsche Regierung dem Vorläufigen Reichswirtschaftsrat und dem Reichsrat alle lebereinkommen und Vorschläge der Konferenz von Washing ton mit den erforderlichen Gesezentwürfen vorgelegt und zur Annahme empfohlen. Hinsichtlich des Achtstundentages hat die Regierung dem Reichsrat vorgeschlagen, dazu erst Stellung zu nehmen, wenn ihm der Entwurf des Gesetzes über die Arbeitszeit vorliege. Dieser Entwurf ist nach jahrelangem Verhandeln nie Gesetz geworden, die Arbeitszeit dagegen hat durch den Ablauf der Demobilmachungsvorschriften und auf dem Wege der Notverordnung eine empfindliche Berlängerung erfahren. Um so wichtiger ist es, aufmerksam zu beobachten, welche internationalen Möglichkeiten für eine oder mehrere, vielleicht auch follettive Ratifitation
mehrerer Staaten für dieses Uebereinkommen heute beſtehen. So lange in England fonservative Regierungen bestanden, wurde dort die Ratifikation des Uebereinkommens von Washington nicht nur abgelehnt, sondern man hat auch das Uebereinkommen an sich bekämpft und das Internationale Arbeitsamt ersucht, Mittel und Wege zur Abänderung von Uebereinkommen zu finden. Frankreich und eine Reihe anderer europäischer Staaten haben immer darauf hinge= wiesen, daß sie nicht ratifizieren können, wenn nicht andere Staaten ebenfalls ratifizierten.
Die Abkehr Deutschlands - zwar nicht vom Grundsatz, aber von der Praxis- des Achtstundentages hat ohne 3meifel in Mitteleuropa und darüber hinaus eine Beunruhigung geschaffen, die nicht geeignet ist, die Bemühungen der Sachverständigen zur Befriedigung Europas zu unterstützen. Gerade in einem Augenblicke, in dem eine Reihe internationaler Hindernisse für die Ratifikation des Achtstundentages beseitigt ist, hat Deutschland den Achtstundentag abgeschafft und darüber hinaus auf der Internationalen Arbeitskonferenz die Erklärung abgegeben, daß wir länger arbeiten müssen, um unseren Reparationsverpflichtungen nachzukommen.
Obgleich schon damals in England der Achtstundentag durch gewerkschaftliche Kollektivverträge Tatsache war und auch in einer Reihe anderer Staaten der Achtstundentag teilweise gesetzlich, teilweise durch Abkommen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern bestand, drückte man sich allgemein Hinweis darauf, daß die nationale Gesetzgebung durchaus im vor der Ratifikation des Uebereinkommens, vielfach mit dem Hinweis darauf, daß die nationale Gesetzgebung durchaus im Einklang stehe mit den im Uebereinkommen selbst aufgestellten internationalen Grundsätzen. Einer der Houptgründe für die Nichtratifikation liegt darin, daß eine Ratifikation erst zehn Jahre nach Inkrafttreten des Uebereinkommens mit ein Rom , 29. Juli. ( WTB.) Der Präfekt von Rom hat eine Ber - jähriger Frist gefündigt werden kann. Somit bedingt ordnung für die Zeitungen erlaffen, in der jede Veröffentlichung von die Ratifikation eine internationale Verpflichtung Aussagen und Indiskretionen über die Untersuchung in Sachen auf lange Sicht. Aber gerade darin liegt der große Wert Condon, 29. Juli( WTB.). Unterhaus. Ein Abgeordneter fragte, Matteotti untersagt wird. Zu dieser Maßnahme schreibt dieser internationalen sozialen Reform. ob einige andere Mitglieder des Völkerbundes bezüglich ihrer Hal- Mondo", es sei flar, daß man damit Stillschweigen über tung gegenüber dem vorgesehenen Garantiepakt eine Entscheiden Prozez Matteotti schaffen wolle wie auch über die bung getroffen hätten. Macdonald antwortete, daß Belgien , Bulgarien , Estland , Finnland und Lettland sich im allgemeinen günstig geäußert hätten, wenn auch Belgien und Finnland zahlreiche Anregungen betreffs Abänderungen gemacht hätten. Union der Sowjetrepublik und die Vereinigten Staaten von Amerika hätten erklärt, nicht in der Lage zu sein, zuzustimmen. Die Frage, ob die französische Regierung ihre allgemeine Zustimmung geäußert habe, wurde von Macdonald verneint. Kennworthy stellte eine Frage wegen der geplanten Abrüstungstonferenzen. Macdonald erwiderte, die Angelegenheit werde erwogen und es werde darüber verhandelt. Auf eine Anfrage Kennworthys, ob irgendein Fortschritt in der Richtung auf eine Verminderung der Rüstungen zur See durch eine Vereinbarung zwischen den hauptsäch lichsten Seemächten festzustellen sei und welche Schritte die englische Regierung in der Angelegenheit zu unternehmen gebenfe, erwiderte Macdonald, eine Verminderung der Rüstungen werde von der eng lischen Regierung als eine der wesentlichsten Bedingungen der nationalen Sicherheit betrachtet, sie müsse indessen durch eine Politik vorbereitet werden, die unter den Nationen Vertrauen schaffe. Ein ungeschickter Schritt würde unberechenbare Schäden anrichten. Renn worthy fragte, ob England nicht irgend etwas tun fönne angesichts des endgültigen Schrittes, der von dem amerikanischen Präsidenten Coolidge unternommen worden sei. Macdonald antwortete, ein solcher Schritt sei vom Präsidenten der Vereinigten Staaten nicht getan worden; er habe lediglich seine allgemeine Sympathie mit den Abrüstungen erklärt, und er, Macdonald, habe in gleicher Weise ge
antwortet.
Herriots Friedenswille.
Paris , 29. Juli. ( WTB.) Ministerpräsident Herriot hielt auf einem Bankett der französischen Handelskammer in London eine Ansprache, in der er Havas zufolge u. a. fagte: Wir sind hier, um nach einem Kriege. den wir nicht gewollt haben, den Frieden wieder herzustellen. Frankreich wünscht, daß unter den Menschen ein Friedenszustand herrscht, der nicht allein dem Handel, sondern auch der ganzen Welt zugute kommen soll. Die französische Regierung, die den Friedenswillen in den Bordergrund gestellt hat, hat das Recht, daran zu erinnern, daß ein Friede, der Frankreich
Die heutige Ausgabe des Mittagsblattes" Sereno" wurde wegen Veröffentlichung von Einzelheiten aus der Bernehmung der Angeflagten Filipelli und Dumini, also wegen Uebertretung der im Erlaß des Präfekten enthaltenen Bestimmungen, beschlagnahmt.
Amerikanische Note an Persien .
London , 29. Juli..( WTB.) Nach Blättermeldungen aus Washington wird heute eine entschieden gehaltene amerikanische Note wegen der Ermordung des amerikanischen Konsuls in Leheran der persischen Regierung überreicht werden, in der eine formelle Entfchuldigung und eine angemessene Entschädigung für die Familie des Ronfuls gefordert werden. Ferner wird eine feierliche Warnung an die persische Regierung gerichtet, daß eine Wiederholung der artiger Berbrechen crafteste Folgen nach sich ziehen würde.
Russisch - japanische Verhandlungen.
Paris , 29. Juli. ( Eca.) Der„ Quotidien" meldet aus Tokio , daß Japan unter folgenden Bedingungen die Insel Sachalin im Oftober räumen werde: 1. Rußland entschuldigt sich für das Majfatre in Nikolajew , 2. Rußland gewährt Japan Petroleumkonzessionen sowie bergbauliche und forstwirtschaftliche Konzeffionen im Norden von Sachalin , 3. Rußland erkennt den Vertrag von Portsmouth hinsichtlich der japanischen Schiffereirochte in den fibirischen Ge
wässern an.
Die Pachten, die die Agrarier in letzter Zeit fordern, find nicht um 5, sondern um 15 Prozent gestiegen. Genosse Kräzig bittet uns, feine Ausführungen im Reichstagsausschuß in diesem Sinne zu berichtigen.
England ist bereit, das Uebereinkommen zu ratifizieren. Auch der neue französische Arbeitsminister Justin Godart hat in Genf öffentlich die Bereitwilligkeit Frankreichs ausgesprochen. Polen wäre ebenfalls grundsätzlich bereit, zu ratifizieren. Es hat sicher ein Recht, darauf hinzuweisen, denn es hat im Oberschlesienvertrag sozialpolitische Berpflichtungen übernom men, die es in gewisser Beziehung von den deutschen Verhältnissen abhängig machen.
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Bekanntlich ist im deutsch - polnischen Vertrage über Ober schlesien Polen verpflichtet worden und zwar auf Wunsch der deutschen Gewerkschaftsvertreter, in Polnisch Oberschlesien auf 15 Jahre die deutsche Ge feggebung durchzuführen, Polen tann somit aus wirtschaftlichen Gründen alle Aenderungen einführen, die Deutschland in dieser Beziehung trifft. Ob unter diesen Umständen den polnischen Arbeitern der Achtstundentag noch lange erhalten bleibt, ist sehr fraglich. Auch die Tschecho= flowatei, die zu den wenigen Staaten gehört, welche das Uebereinkommen von Washington ratifiziert haben, behauptet, durch das deutsche Verhalten sehr beunruhigt zu sein.
Im allgemeinen fann man sagen, daß das Prinzip des Achtstundentages heute weniger als politische Forderung, sondern vielmehr als Maßnahme zur Steigerung der Produktion durchdringt. So sehen wir, daß gegenwärtig der amerikanische Stahltrust, der so lange und so hartnäckig am 3weischichtensystem zu je 12 Stunden festgehalten hat, sich veranlaßt fühlt, aus rein erzeugungstechnischen Gründen das Dreischichtensystem zu je acht Stunden einzuführen.