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Nr.374 41.Jahrgang Ausgabe A nr. 191

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Sonntag, den 10. August 1924

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Verfassungstag der Deutschen .

Alle Völker, die so glücklich find, über den Adels| brief einer freien Verfassung zu verfügen, begehen den Tag festlich, an dem einst ihr Grundgesetz verkündet worden ist. Auch die Seele will zuweilen Feiertagsgewänder anlegen, und welcher Anlaß taugte dazu besser als die Wieder­fehr des Tages, an dem das Siegel unter die Urkunde gesetzt worden ist, die den Sieg des Volkes über politische Tyrannei bestätigt! Stidige Luft schwächt und verkürzt das Leben in der physischen wie in der politischen Weli. Unter das Joch gebeugte Menschen verlieren mit der Widerstandskraft gegen einheimische Bedrücker auch die gegen äußere Feinde Darum tun die Völker recht daran, in Festesstimmung des Tages zu gdenfen, an dem ihre Menschenwürde gefeßlich anerkannt worden ist, des Tages, der die jedem einzelnen angeborene Liebe zum Vaterlande befestigt und verstärkt hat und der aus der Geschichte der Gemeinschaft nicht hinweggedacht werden

fann.

In den nahezu fünfzig Jahren der Lebensdauer der deut­ schen Reichsverfassung von 1871 ist niemand auf den Gedanken verfallen, ihres Geburtstages zu gedenken. Sie sprach nicht zum Herzen des deutschen Volkes. Nicht dieses hatte sich in ihr ein Grundgesetz gegeben. sondern fünf deutsche Fürsten , an ihrer Spize der König von Preußen im Namen des Nord­ deutschen Bundes , hatten einen ,, emigen Bund" zu schließen vereinbart, dem sie den Namen Deutsches Reich gaben, und Reichstag und Bundesrat hatten den Bertrag nachträglich zum Steichsgesetz erhoben. Diese Entstehungsgeschichte der Ber fassung führte dazu, daß ein Heidelberger Professor des Staatsrechts, von Jagemann, von der Höhe des Maulwurfs­hügels feiner juristischen Erkenntnis die These verkündete, die vertragschließenden Fürsten hätten das unbestreitbare Recht, den von ihnen errichteten Paft aufzuheben, um ihn nach Aus­merzung des allgemeinen, gleichen, geheimen und direkten Reichstagswahlrechts erneut abzuschließen. So unsinnig diese Rechtsansicht war, die Tatsache, daß sie überhaupt ausge­sprochen werden konnte, zeigt, wie weit die Reichsverfassung davon entfernt war, das Evangelium der deutschen Bolts­freiheit zu sein. In welchem wirklich freiheitlichen Lande hätte die Rechtsbeständigkeit eines wichtigen, in der Verfassung ver­brieften Boltsrechtes angezweifelt werden können!

Die Reichsverfassung von 1871 besiegelte den Sieg Preu Bens von 1866. Wenn er vom Sieger nicht voll ausgenugt reurde, so hatten die Besiegten von 1866 dies der Waffen trüderschaft im Kriege von 1870 zu danken. Aber so groß raren die Konzessionen, die Preußen den größeren deutschen Staaten machte, nicht, um darüber hinwegzutäuschen, daß das Reich ein vergrößertes Preußen war. Einem glühenden Deutschen Patrioten, dem ehrwürdigen Historiker Gervinus , einem der Göttinger Sieben, entriß der Charakter der Reichs­verfassung die düstere Prophezeiung: Dem, der die Tages: geschichte nicht mit dem Auge des Tages, sondern mit dem Auge der Geschichte ansieht, erscheinen die inneren Zustände Deutschlands trächtig an unberechenbaren Gefahren, weil sie uns auf Wege führen, die in der Natur unseres Volkes und, was viel schlimmer ist, der Natur des ganzen Zeitalters durch­aus zuwiderlaufen." Das Jdeal dieses Mannes war: ,, Deutsch­ land in einem wahren freien Bunde unter preußischer Schirm­herrschaft zu versammeln, unangefochten von außen, im inneren auf immer gesichert durch den guten Willen des ge­famten Voltes und aller seiner Stämme."

Bon diesem schönen Bilde war das 1871 entstandene Deutsche Reich freilich weit entfernt. Preußen, das vier Siebentel der Reichsbevölkerung umfaßte, das wirtschaftlich ein die Größe seines Bevölkerungsanteils faft noch über ragendes Gewicht besaß, dessen Eisenbahnnetz ganz Nord- und Mitteldeutschland überzog, dessen Hand auf der gewaltigen Masse des deutschen Heeres lag, herrschte in Deutschland fast unumschränkt. Ohne seinen Willen war keine Verfassungs­änderung möglich, in seiner Macht lag die Entscheidung über die Heeres-, Marine-, Zoll- und indirekte Steuergesetzgebung. Die Reichsverfassung war zugeschnitten auf die Bersönlichkeit Bismarcks. Denn der Reichskanzler brachte die Gesetzesvor­lagen beim Bundesrat ein, er leitete in diesem Körper ihre geschäftliche Behandlung, er übermies die Bundesratsbeschlüsse im Namen des Kaisers an den Reichstag , er vertrat dort als einziger Reichsminister die Regierungshandlungen des Kaisers, und er bestimmte endlich als preußischer Ministerpräsident die preußische Gesamtpolitik und instruierte die preußischen Bundesratsstimmen. Der Reichstag hatte ein durch den Bundesrat stark begrenztes Recht der Mitwirkung an der Gesetzgebung, aber nicht den mindesten Einfluß auf die Er nennung des Kanzlers.

Die Mangelhaftigkeit dieser Verfassung fonnte nur so lange einigermaßen verhüllt werden, als an der Spize des Reiches ein Monarch stand, der dem Kanzler die Reichsregie­rung tatsächlich überließ und als der Kanzier ein Mann von

großem Format und überragender Autorität war. Ihre Unmöglichkeit wurde für jedermann von dem Augenblick an offenbar, wo Wilhelm II. den Thron bestieg. Er wollte sein eigener Kanzler sein und wendete sein ausschließliches Recht der Bestimmung der Persönlichkeit des Reichskanzlers gegen den Mann an, dem er dieses Recht verdankte. Und fortan fah das deutsche Volk auf dem Kanzlerposten zumeist Männer, deren bescheidene politische Begabung die Zuteilung der unge­heuren Machtbefugnisse der Verfassung so wenig rechtfertigte, daß man den Eindruck gewann, Zwerge vor sich zu haben, die in Kürassierstiefeln einherschritten. Der Züchtung eines politisch denkenden Nachwuchses war die Aera Bismarcks, deffen Herrennatur bei anderen feine Anwandlung von Selb­ständigkeit duldete, nicht günstig gewesen. Seine Epigonen waren der Fülle von Gewalt nicht gewachsen, die die Ver­fassung ihnen übertrug. Die Zügel der Regierung entglitten ihrer Hand. Männer, die sich im Verborgenen hielten, und die in jeder Beziehung unverantwortlich handelten, griffen sie auf. Es war nicht immer leicht zu erraten, wer gerade der politische Lenker Deutschlands war.

Die von Gervinus vorgeahnten Gefahren brachen über Deutschland herein. Wir wissen, in wie hohem Maße der Kriegswille der feindlichen Völker im Weltkriege gefördert worden ist durch die Vorstellung, daß an der Spize des hoch­begabten, fraftvollen deutschen Volkes ein Mann stehe, der alle Gewalt in sich vereinige und deffen Ehrgeiz sich die aus­schweifendsten Erobererziele gesetzt habe. Diese Einschätzung feiner Persönlichkeit hatte der Kaiser seinen Reden und Hand­lungen zuzuschreiben, die Ueberzeugung von seiner staatsrecht lichen Allmacht hat die Reichsverfassung pon 1871 verschuldet. Wie sehr irren jene, die die Ansicht vertreten, daß die inter­nationalen Beziehungen eines Staates besser von einem abfo­luten oder doch verfassungsmäßig wenig eingeschränkten Monarchen als von einer demokratischen Regierung gepflegt werden!

Demokratische Regierungsformen sind für. den Verkehr unter den Völkern dasselbe, was die guten Formen in der Gesellschaft sind. Wer stets auf die Bedeutung seiner Stel­lung hinweist und nicht müde wird zu betonen, daß er nur sich selbst verantwortlich und niemand Rechenschaft schuldig sei, macht sich verhaßt wie der Proh im Salon. Wer dagegen bescheiden sich als den Vollstrecker des Willens anderer be­zeichnet und damit die Bedeutung der eigenen Persönlichkeit verkleinert, verschafft sich leicht Sympathien, auch wenn er in Wahrheit für sein Bolt zielgebend ist.

Kurz vor dem Zusammenbruch Deutschlands schien der Mann, der prahlend ausgerufen hatte, ohne die Mitwirkung des deutschen Kaisers dürfe auf dem Erdenrund fein geschicht­liches Ereignis vor sich gehen, die unheilvollen Wirkungen des bisherigen deutschen Regierungssystems einzusehen und durch Gesetz vom 28. Oktober 1918 wurde das Deutsche Reich parla­mentarisiert. Aber das Unheil war nicht mehr zu wenden. Das deutsche Heer wurde von einer ständig wachsenden feind lichen Uebermacht erdrückt, während das Volk in der Heimat

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infolge der durch die Hungerblockade ihm auferlegten Entbeh­rungen fast bis zum legten Tropfen seines Blutes beraubt war. Die Ueberschäzung der eigenen Kraft wurde bestraft mit dem Zusammenbruch in völliger Schwäche.

Und nun zeigte das deutsche Volt seine ganze Größe. Weder überließ es sich unmännlichen Klagen, obwohl es das Schicksal kannte, dem es entgegenging, noch schenkte es den Berheißungen falscher Propheten Glauben. Ihm war klar, daß der letzte Grund seiner furchtbaren Niederlage die Rück­ständigkeit seiner Verfassung war, die es am freien, vernünf­tigen Gebrauch seiner starken Kräfte gehindert hatte. Und mit fefter Hand zog es unter die Bergangenheit einen Strich und nahm die Gewalt, die seine Lenter mißbraucht hatten, fest in die eigene Hand. Die Staatsgewalt geht vom Bolte aus," bestimmt Art. 1 der Weimarer Verfassung . Mit strenger Folgerichtigkeit ist dieser Saz durch das ganze Grundgesetz durchgeführt. Gesetzgebung und Verwaltung sind fortan ge­tragen vom Willen des Boltes, und Reichspräsident wie Reichsminister danten ihre Aemter ausschließlich. dem Ber­trauen des Volkes, dessen Verlust ihren Sturz zur Folge hat.

Es gibt kein Gesez, auch kein Grundgefeß, das von heute zu morgen ein Bolt vom Elend zum Glücke führen kann. Die Weimarer Berfaffung gewährt aber dem deutschen Bolke die Möglichkeit, sich selbst eine Welt der Schönheit zu schaffen. Die Fesseln, in die die Kräfte der breiten Maffen des deut­fchen Boltes vordem geschlagen waren, find gelöst. Sache des Boltes ist es, nunmehr feine Glieder zu regen.

Die Weimarer Verfassung ist nicht sozialistisch. Aber was Karl Marr einmal von den Vereinigten Staaten Amerikas gesagt hat, daß ihre Verfassungseinrichtungen den Sieg des Sozialismus ohne Gewaltanwendung möglich erscheinen laffen, gilt in erhöhtem Maße von dem Deutschland der Wei­ marer Berfassung. Sie hat auch in politischer Beziehung nicht alle unsere Wünsche befriedigt. Wir werfen ihr namentlich vor, daß sie nur den Keim des Einheitsstaates enthält, den wir erstreben, nicht den Einheitsstaat selbst, den wir schaffen müssen, um seine Kraft zu mehren. Sie ist auch nicht genügend geschützt gegen Mißbrauch durch innere Feinde, denen Massen, die durch furchtbaren äußeren Druck der Fähig­feit des flaren Denkens beraubt sind, die Zügel in die Hände legen fönnten. Aber überall gibt sie einem Bolte, das fich seiner Rechte wie seiner Pflichten bewußt ist, die Möglichkeit, den Weg ins Freie einzuschlagen. Und an diesem Grundsatz ihres Wesens wird die Zukunft nichts ändern.

Deshalb wollen wir den fünften Geburtstag der Wei­marer Verfassung der deutschen Republik feiern, nicht in ge­dankenlosem Jubel, der bezeichnend ist für die Feste der Sklaven, sondern mit dem Ernste des Mannes, der stolz ist im Besize eines Werkzeuges, dessen Anwendung ihm gestattet, sich seine Bahn zu bereiten. Dann aber wollen wir wieder an die Arbeit gehen, um unser Grundgesez auszu­bauen und dafür zu sorgen, daß das deutsche Bolt die Aus­übung der Rechte, die in seiner Berfaffung verankert sind, den Otto Landsberg . rechten Männern anvertraut.

Vereinbarung der drei Gesetzentwürfe.

Protokollunterzeichnung durch Mary und Barthon.

Sonnabend abend veranstaliete die deutsche Brtschaft zu Ehren der deutschen Delegation einen Empfar.g

Condon, 9. Auguft.( WTB.) Heute wurde zwischen der deut-| fich über das Verhältnis des Protokolls zu dem Teil 8 des Ver. schen Regierung und der Reparationskommiffion ein Abkommen failler Bertrages äußerte. abgeschlossen, das die formalen Bestimmungen für die In­fraftjehung des Sachverständigenplanes enthält. Das Abkommen greift den Ergebnissen der Londoner Konferenz in feiner Weise vor, fondern wird hinfällig, wenn zwischen der deutschen Regierung und den alliierten Regierungen auf der Londoner Konferenz teine Uebereinstimmung für die Inkraftfehung des Sachverständigenplanes erzielt werden sollte.

London , 9. August. ( WTB.) Die Reparationstommiffion hat beschlossen, sofort nach Paris zurückzukehren. Der Wortlauf des Abkommens mit der deutschen Regierung wird Montag in Paris veröffentlicht werden.

Die Expreß- Korr. meldet weiter: Die Unterzeichnung des vorläufigen Protokolls der Reparationskommission und die damit zusammenhängende erneute Aussprache zwischen den deutschen Ministern und den Delegierten der Reparationsfommiffion bauerte etwa eine Stunde. Außer den drei deutschen Ministern nahm daran der Vorsitzende der Kriegslastenkommission, Ruppel, sowie ihr Sekretär, Oberregierungsrat Merer teil. Der größte Teil der sehr förmlich verlief, war durch eingehende Sigung, die juristische Darlegungen Sir John Bradburys ausgefüllt, der

Frankreichs Räumungsbedingungen.

Für Deutschland und England. Paris , 10. August. ( WTB.) Der Londoner Sonderbericht­erstatier der Agentur Havas gibt folgende offiziöse Darstellung von dem Stand der Verhandlungen in der Frage der militärischen Räumung des Ruhrgebiets: Die Frage der militärischen Räumung des Ruhrgebiets scheine jetzt die Arbeiten der Konferenz völlig zu beherrschen. Es sei daher sehr begreiflich, daß Herriol, bevor er sich durch wichtige Beschlüsse betr. die Sicherheitsfrage binde, die übrigen Rabinettsmitglieder fonfultieren wolle. Das Pre­blem liege wie folgt: Nach französischer Auffassung sei das Ruhr­ gebiet befeht worden anläßlich einer Berfehlung Deutschlands gegen feine Reparationsverpflichtungen. Die französisch­belgischen Behörden könnten es also erst räumen, nachdem sie zu­verläffige Garantie dafür erhalten hätten, daß Deutschland künftig feine Reparationsverpflichtungen, wie fie fich aus dem | Sachverständigenplan ergeben, erfülle. Jm allgemeinen gehe die Ansicht dahin, daß Deutschland Beweise feines guten Willens gegeben