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Abendausgabe

Nr. 385 41. Jahrgang Ausgabe B Nr. 193

Bezugsbedingungen und Anzeigenpreffe find in der Morgenausgabe angegeben Redaktion: S. 68, Cindenstraße 3 Fernsprecher: Dönhoff 292-295 Tel- Adresse: Sozialdemokrat Berlia

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Norwärts

Berliner Dolksblatt

5 Goldpfennig

50 Milliarden

Sonnabend

16. August 1924

Berlag und Angelgenabteilung Geschäftszeit 9-5 Uhr

Berleger: Borwärts- Verlag Graty. Berlin S. 68, Cindenficate 3 Ferafprecher: Dönhoff 2506-2502

Zentralorgan der Sozialdemokratischen Partei Deutfchlands

Vor dem Abschluß in London .

Die Grundlagen der Einigung.

dadurch den Sturz feiner Regierung herbeizuführen, mas eine politische Katastrophe" bedeuten würde.

" Daily Herald"( 103) schreibt, von Anfang an fet flar gewesen, daß der Erfolg oder Mißerfolg der Londoner Konferenz von der Bereitschaft der Franzosen abhängig sei, ihre Truppen aus dem Ruhrgebiet zurückzuziehen. Das Blatt betont, daß Herriot gestürzt worden wäre, wenn er zugestimmt hätte und die französischer Truppen fofort aus dem Ruhrgebiet zurückgezogen worden wären, und daß dies von Poincaré ausgenutzt worden wäre. Es sei voll tommen möglich, daß die Franzosen , wenn sie erkennen, daß sie die gesamten Ausgaben für das Abenteuer Poincarés bezahlen müffen, froh sein würden, die Räumung noch vor einem Jahre zu bewirten.

Condon, 16. Auguft.( Eigener Drahtbericht.) Es ist mit großer Wahrscheinlichkeit anzunehmen, daß die am Freitagabend wieder aufgenommenen und am Sonnabendvormittag fortzusehenden Berhandlungen über die Regelung der Räumungsfrage bis zum Abend formell zu einem Abschluß geführt find, so daß am Sonntag bereits die Juristen sich mit der Formulierung des notwendigen Protokolls über die Berhandlungen beschäftigen können. Da beide Teile gleichzeitig vereinbart haben, über den Verlauf der Berhandlungen bis zum Abschluß Stiüschweigen zu bewahren, waren vorläufig pofitive Anhaltspuntie für die Form der Ginigung an amtlicher deutscher Stelle nicht zu erhalten. Aber sicher ist so viel, daß als Grundlage der Einigung die einjährige Räumungsfrist betrachtet wird. Herriot erklärt sich dagegen bereit, die Flaschenhälse" der Brüdentöpfe und die besetzten badi- do fchen Gebietsteile, fobald die Laufzeit der einjährigen Räumungs­frist begonnen hat, freizugeben. Außerdem werden die Termine der Freigabe fest umgrenzt und mit der notwendi­gen Rechtssicherheit versehen werden.

Die deutsche Delegation wird in den Schlußprotokollen nochmals einen Vorbehalt hinsichtlich der Rechtmäßigkeit des Ruhrunternehmens äußern. Die anfänglich beabsichtigte Aufrecht­erhaltung eines Teiles der Regie durch Berwendung von 4000 bis 5000 franzöfifchen Eisenbahnern wird von Frankreich jetzt ebenfalls aufgegeben. Es ist ganz selbstverständlich, daß im Berlauf der Ver­handlungen von deutscher Seite auch bestimmte 3 usicherungen über die Bejahungsmethoden für die Zukunft gefordert werden und versucht wird, ebenfalls Gewißheit über die Räumung der Sanktionsgebiete nach Jahresfrist zu erhalten.

Unter der Boraussetzung, daß das Protokoll der Berhandlungen bis Sonnabend, spätestens bis Montag, fertiggestellt ist, soll die Konferenz am Mittwoch beendet werden.

Hente Vollfitung.

Paris , 16. Auguft.( WTB.) Wie der Sonderberichterstatter von Havas aus London meldet, foll um 6 Uhr abends eine Boll­fitzung der Konferenz abgehalten werden, in der die Unterschriften unter das Schlußprototoll erfolgen würden. Sollten sich im Caufe des Tages noch Schwierigkeiten ergeben, so würde die Schlußsihung der Konferenz erst am Montag stattfinden.

Umfall vom Umfall.

Die Deutschnationalen und das Londoner Kompromis. Die Deutschnationalen wollen wieder ,, national" fein. Sie schlagen wieder einmal die Tonart an, die in den Klischee resolutionen der Brotwucherer vom Reichslandbund vorge zeichnet worden ist. Sie befinnen sich auf ihre Tapferkeit und ihre Gesinnung und wollen fämpfen. Denn jetzt sehen sie eine Chance zu einer großen politischen Auseinandersetzung, bei der sie trotz des schmählichen Brotwuchertuhhandels, trotz aller Selbstdiskrediterung wieder mit der nationalistischen Phrase operieren fönnen. So reben sie starte Töne gegen die Berständigungsgrundlage in London und die deutschen Unterhändler. Der Tag" spricht von einem Tag der

Die franzöfifchen Zugeftändnisse. Paris , 16. Auguft.( Eigener Drahtbericht.) Nach den zum Teil fich widersprechenden Meldungen der franzöfifchen Preffe scheint in der zweiftündigen Besprechung, die am Freitagabend von 8 bis 10 Uhr zwischen Marg und Herriot bzw. deren Mitarbeitern statt- Schwäche": gefunden hat, eine prinzipielle Einigung auf folgender Grundlage zustande gekommen zu sein:

Die deutsche Regierung beschränkt sich darauf, von dem franzöfifch- belgischen Beschluß, das Ruhrgebiet nach Ablauf eines Jahres zu räumen, Kenntnis zu nehmen. Dieser Beschluß wird ihr in einer offiziellen Note der Regierungen von Frankreich und Belgien mitgeteilt werden. Die Einzelheiten diefer Note werden im Laufe der Sonnabendbesprechungen festgesetzt. Die zugeffänd­niffe, die die deutsche Delegation bei der Besprechung am Freitag abend erhalten hat, sollen folgende fein:

Die Zugeständnisse, die Deutschland , b. H. die Berliner Reichs regierung, gestern den Franzosen gemacht hat, sind ein faules, sehr faules Rompromiß. Wenn man sich schärfer aus­brüden will, so tann man fogar von einer Unterwerfung reden."

Die Deutsche Tageszeitung" beschimpft die deutschen Unterhändler:

Oder ist es vielleicht etwas anderes, als ein politisches Trinkgeld, wenn Herr Herriot mit der Miene vollendeter Groß zügigkeit fich bereit erflärt, die einjährige Belegungsfrist statt vom 1. Die Räumung der seit Januar 1923 auf dem rechten Rhein - Wirtsammerden des Gutachtens, also etwa von Anfang Oktober ab, ufer außerhalb des Ruhrgebietes besetzten Zonen, d. h. der befehten bereits vom Augenblick der Unterzeichnung des Räumungsab Hafen- bzw. Bahnhofsanlagen von arlsruhe, Mannheim , tommens, also von Ende August ab, laufen zu lassen? Man sollte Offenburg , Darmstadt , Emmerich und Wesel ; annehmen, auch in den Reihen der deutschen Delegation beftünde ein Gefühl dafür, wie unwürdig das Spiel ist, das auf solche Art von allen Seiten mit ihr getrieben wird.

2. die Räumung der Zone von Dortmund nach Rafifizie­rung der Londoner Konferenzbeschlüsse;

3. die Räumung von Ruhrort und die bestimmte Zufiche­

rung der Räumung der beiden anderen Ruhrhäfen von Duisburg und Düsseldorf .

Sehr große Schwierigkeiten scheint am Freitagabend die Frage bereitet zu haben, wie bei der Festlegung dieser Bestimmungen ver­fahren werden soll. So hat sich Herriot einstweilen geweigert, in die Note, durch die Deutschland die Räumung des Ruhrgebietes offiziell mitgeteilt werden soll, das Versprechen der sofortigen Räumung der Zone von Dortmund aufzunehmen. Herriot habe dies in der Unter­redung mit Marg und Stresemann auf das entschiedenste abgelehnt. Er habe an das von ihm gegebene Dersprechen erinnert, nad) Unter­zeichnung der Abmachungen eine Gefle der Großzügigkeit zu machen und erklärt, er werde dieses Versprechen einhalten, wünsche aber andererseits in voller Freiheit aus eigener Initiative zu handeln.

Das über die Besprechungen am Freitagabend von französischer Seite ausgegebene amtliche kommuniqué bejagt ausbrüd lich, daß der weitere Meinungsaustausch ein günstiges Rejut tat erhoffen ließe.

Die Räumungsfristen.

Paris , 16. Auguft.( WTB.) Wie der Londoner Sonderbericht erstatter des Matin" mitteilt, hatte General Nollet gestern abend eine längere Unterredung mit dem Generalstabschef des Generals Degoutte, General George, in der die deutschen Forderungen ge prüft worden sein sollen. Möglicherweise dürfte nicht allein Dortmund , sondern auch der Hafen von Ruhrort schon bei Unterzeichnung des Protokolls geräumt werden.

Nach dem Londoner Sonderberichterstatter des Quotidien" foll die französische Regierung die Absicht haben, die Räumung der 3one von Dortmund anzuordnen, sobald Herriot vom Parla ment ermächtigt worden sei, die Londoner Abmachungen endgültig zu unterzeichnen.

Wenn die deutsche Delegation so vollkommen zum Objekt ber Situation in London geworden ist, kann man ber Gegenseite

zu unseren Unterhändlern gratulieren."

Die Deutsche Zeitung" beginnt aufs neue mit der Haß­und Rachepropaganda:

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Wie fich die Reichsregierung mit dem Reichstag auseinander fett, ist ihre Sache, unsere Sache ist und darüber wird zu ge. gebener Stunde zu sprechen sein, dafür zu forgen, daß ber a 5 gegen die Feinde sich vervielfache und die Rache das 3iel unserer Wünsche bleibt."

Die Kreuzzeitung " endlich gibt eine unzweideutige Er flärung über die Haltung der Deutschnationalen bei der tom­menden inneren Entscheidung über das Gutachten:

,, Unsere Stellung zu dem voraussichtlichen Entschluß der Re gierung brauchen mir nicht mehr auseinanderzusehen. Für uns bleibt das Dames- Gutachten schon allein wegen der ein jährigen Räumungsfrist unannehmbar. Die weiteren Konsequenzen mag fich die Regierung Marg- Stresemann felbft ausmalen, zumal wir uns nicht denken können, daß auch ble Boltspartei von ihren bestimmt ausgesprochenen Boraussetzungen für die Annahme des Gutachtens abgeht."

Man wird nach der bisherigen Haltung der Deutsch­nationalen diese Kampfstellung nicht als Ausfluß nationaler Entrüftung und Enttäuschung ansehen, sondern als Ergebnis einer nüchternen tattischen Rechnung, die mit nationalem Idealismus sehr wenig zu tun hat. Die Deutschnationalen waren zum Umfall bereit, solange fie die Agrarzölle, die Machtposition der Agrarkreditbant, den Bürgerblod als sichere Kompenfation für den Umfall ansahen. Die Geschäftsaus fichten sind etwas schwankend geworden. Die Zollfront ist nicht so einheitlich und fest, wie sie glauben, ihre Bläne mit der Agrarbank find aufgedeckt worden, und gegen den Bürger­block zeigt sich immer stärker ein einheitlicher Abwehrwille der Linken. Da das Geschäft faul wird, befinnen sie sich auf ihre nationale Gesinnung". Aber wer wird sie ernst nehmen nach dem Voraufgegangenen? Wer wird an die Echtheit ihrer nationalen Besorgnis glauben, nachdem sie bereit waren, sie gegen bar zu verkaufen? Und wer meiß, ob sie nicht trop aller Erklärungen am Ende doch noch noch einmal um

,, Das letzte Hindernis beseitigt." Condon, 16. Auguft.( WIB.) Die Blätter heben hervor, es bestehe jetzt alle Hoffung, daß die Frage der militärischen Räumung des Ruhrgebietes heute geregelt und daß da­mit bas leßte hindernis für den Erfolg der Londoner Konfe­renz befeitigt merbe. Die Blätter betonen, daß Herriot angesichts feiner schwachen innerpelitischer Stellung Den Zeitpunkt der Ruhr­räumung nicht vor Ablauf eines Jahres habe feftfehen tönnen, ohne| fallen?

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Rückkehr zum Achtstundentag.

Eine Unterredung mit dem französischen Arbeitsminister.

Es gibt unter den Politikern Frankreich s taum einen, dessen Urteil in fozialpolitischen Fragen größere Auto­rität beanspruchen könnte, als das des Arbeits­ministers im neuen Kabinett, Justin Godart . Als zweifer Bürgermeister von Lyon einer der intimsten Mit­arbeiter Herriots, mit ihm auf der gleichen Liste des Kartells der Linken gewählt, vertritt er in der Kammer seit 18 Jahren ein fast ausschließlich von Arbeitern bewohntes Viertel der großen Seidenweberstadt an der Rhone . Durch seine admi­nistrative Tätigkeit vertraut nicht nur mit allen sozialen Nöten unserer Zeit, sondern auch mit den kleinsten Details der Sor­gen, Wünsche und Forderungen der Arbeiterschaft, war er lange vor dem Kriege schon einer der entschiedensten Bor­fämpfer sozialen Fortschritts in Frankreich , auf parlamenta rischem wie auf literarischem Gebiete. Mehrere Bücher, dar unter ein gang hervorragendes Wert über Die soziale Ge seggebung der dritten Republit", geben davon nicht minder Beugnis als die ungemein attive Roffe, die er unmittelbar nach dem Waffenstillstand als Berichterstatter in der Kammer bei der von der Reaktion aufs Heftigste befämpften Durch. führung des Achtstundentages gespielt hat. Bon Herriot an die Spize des mit dem Ministerium für Hygiene und öffentliche Wohlfahrtspflege wieder vereinigten Arbeits­ministeriums berufen, hat Godart in mehrfachen Erklärun­gen in Parlament und Bresse ein Programm der sozialen zu werden verdienen. Reformen entwickelt, dessen Grundsäge vorbildlich genannt

Der Pariser Vertreter unferes Blattes hatte dieser Tage eine Unterredung mit Herrn Godart über die Frage des Achtstunden­tages. Godart empfing den Vorwärts" Bertreter mit der Bersicherung, daß er die zwischen der Arbeiterschaft und der Industrie in Deutschland um die Dauer der Arbeitszeit geführte Auseinandersehung mit bes sonderem Interesse verfolge. Wir in Frankreich ," so führte er aus, haben mit dem Achtstundentag die besten Er fahrungen nicht nur hinsichtlich der Hebung der Volks gesundheit und der Moral der Arbeiterschaft, sondern vor allem auch hinsichtlich der materiellen Ergebnisse gemacht. Nach den Ziffern der amtlichen Statistit hat die Pro duftion burch die Berkürzung der Arbeitszeit feines. wegs gelitten. Der Arbeiter leistet heute in acht Stun den dasselbe wie früher in neun und zehnstündiger Arbeits­zeit, unter der Boraussehung, daß die Unternehmung ihm dazu die materiellen Hilfsmittel zur Verfügung stellt. Mit anderen Worten: Der Rugeffekt der Arbeit ist beträchtlich ge­stiegen, was ja auch durch die Erfahrung anderer Länder bestätigt wird. Die Produktion gewinnt, was sie durch den Ausfall an ein oder zwei Arbeitsstunden verliert, mehr als reichlich wieder infolge der weit größeren physischen Leistungsfähigkeit und der gesteiger­strengten, in ihrem Selbstbewußtsein gehobenen und durch die ten Freude an der Arbeit einer nicht mehr überan­Möglichkeit, sich ausgiebig zu erholen, förperlich gekräftigten Arbeiterschaft.

Dieses Resultat wird in Frankreich auch von der Unternehmertums großen Mehrheit des rüdhaltlos anerkannt, und es ist demnach mohl bes greiflich, wenn die Industrie selbst von einer Rückkehr zu längerer Arbeitszeit nichts wiffen will. Trotzdem würde Frant reich dazu gezwungen sein, wenn in Deutschland , wie dies die Entwicklung der letzten Monate befürchten läßt, der Zehn oder gar zwölfftundentag wiederum die Norm werden sollte. Unsere zum großen Teil noch im Stadium der Entwicklung stehende Industrie hat schwer zu kämpfen, um der Konkurrenz auf den internationalen Märkten gewachsen zu fein. Der be trächtliche Vorsprung in den Produktionsbedingungen, den die deutsche Industrie mit der Verlängerung der Arbeitszeit gewinnt, würde für die unsere ein Handicap bedeuten, das Frankreich unweigerlich ins Hintertreffen drängen müßte. Bir werden also, wenn Deutschland nicht in absehbarer Zeit zum Achtstundentag zurückkehrt, ernstlich in Erwägung ziehen müssen, ob Frankreich auf die Dauer sich damit abfinden tann. In England, Belgien , Italien und anderen Ländern sind, wie Sie wissen, gegenwärtig ganz ähnliche Erwägungen an der Tagesordnung. Das ist auch der Grund, warum wir in den Gefeßentwurf betr. die Ratifizierung des Washingtoner Abkommens, den die Regierung dieser Tage im Parlament eingebracht hat, einen ausdrücklichen Borbehalt hineingeschrieben haben, der die enb. gültige Santtionierung der internationalen Vereinbarun gen zum Schuße der Arbeiterschaft von ihrer vorbehaltlosen Annahme auch durch die Nachbarländer Frankreichs abs hängig macht. Es ist dies ein Att der Notwehr, den uns die Rücksicht auf das nationale Interesse und die eigene Industrie aufzwingt."

,, Es ist Ihnen sicher nicht unbekannt, Herr Minister," warf der Vertreter des Borwärts" ein, daß von der deut fchen Industrie ganz analoge Argumente ins Treffen geführt werden. Auch von diefer Seite her wird vor allem geltend gemacht, daß es die Rücksicht auf die ausländische Konkurrenz sei, die Deutschland die Rückkehr zu längeren Arbeitszeiten aufnötige, zumal die deutsche Industrie durch die Verpflichtungen zu sehr beträchtlichen Reparationsleistun gen gegenüber dem Auslande start gehandicapt" fei. Führende Kreise des Unternehmertums in Deutschland ver­treten, wie Ihnen ebenfalls befannt sein dürfte, den Stand­