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Abendausgabe

Nr. 389 41. Jahrgang Ausgabe B Nr. 195

Bezugsbedingungen und Anzeigenprette find in der Morgenausgabe angegeben Redaktion: Sw. 68, Lindenstraße 3 Fernsprecher: Dönhoff 292-295 Tel.- Adresse: Sozialdemokrat Berlin

5 Goldpfennig

50 Milliarden

Dienstag

Vorwärts=

Berliner Volksblatt

19. August 1924

Berlag und Angetgenabteilung Geschäftszeit 9-5 Uhr

Berleger: Vorwärts- Berlag GmbH. Berlin SW. 68, Cindenftraße 3 Ferniprecher: Dönhoff 2506-2507

Zentralorgan der Sozialdemokratifchen Partei Deutschlands

Das Volk will Frieden!

Kundgebungen in Paris .

Paris , 19. Auguff.( Eigener Drahtbericht.) Die Blätter ver­affentlichen am Dienstag morgen spaltenlange Berichte über die Kundgebungen, die am Montag die Bevölkerung von Paris Herriot bei seiner Rückkehr von London bereitete. Die Menge, die den Ministerpräsidenten am Bahnhof erwartete, wird auf über 25 000 Personen geschäht. Sie versuchte wiederholt, Herriot auf die Schultern zu nehmen und ihn durch die Stadt zu tragen. Es dauerte längere Zeit, bis es der Polizei gelang, Herriot , der von diefem herzlichen Empfang zu Tränen gerührt war, eine Basse zu bahnen. Auch am Montag war es wieder der Ruf: Es lebe der Friedel Nieder mit dem Krieg!", der von Taufenden von Stimmen dem Ministerpräsidenten vom Bahnhof bis zum Aus wärtigen Amt das Geleite gab. Die Kundgebungen," fchreibt das Gewertschaftsorgan Peuple, waren Berurteilungen der Politit Poincarés durch das Bolt von Paris ." Das linksdemokratische Organ Oeuvre spricht von einem Triumphzug, den die Bevölkerung dem Vorfämpfer des Frie­dens gebracht habe.

Die begeisterten Rundgebungen, mit denen das Volk von Baris Herriot begrüßte, fprechen eine deutlichere und ein­bringlichere Sprache, als die zum Teil zurückhaltenden Aeuße­rungen der Pariser Presse. Troz der im großen und ganzen zuftimmenden Haltung der einflußreichsten Pariser Organe zeigt sich auch bei dieser Gelegenheit, daß die unter dem Ein­fluß mächtiger Kapitalsgruppen stehenden hauptstädtischen Blatter feineswegs das richtige Spiegelbild der Stimmungen und Anschauungen der breiten Bevölke rungsmasse geben. Wie wir schon mehrfach betonten, steht das französische Bolt in feiner großen Masse viel weiter lints, als es nach den Aeußerungen des überwiegenden Leiles der Parifer Presse den Anschein hat. Einen schlagenden Beweis dafür lieferte der Ausgang der Kammermahlen nom 11. mai, die den Zusammenbruch des nationalen nom 11. mai, die den Zusammenbruch des nationalen Blocks und der Poincaréschen Haßpolitif herbeiführten. Einen meiteren Beweis liefern die Friedensfundgebungen, die das Volk von Baris während des kurzen Besuches Her riots während der Londoner Konferenz und insbesondere jetzt nach seiner Rückkehr veranstaltete.

Diese Kundgebungen sind keineswegs spontane Stim­mungsäußerungen eines temperamentvollen Bolkes, sondern Aeußerungen eines tiefmurzelnden Wunsches der arbeitenden Boltsmasse in Frankreich , endlich einmal die Bunden der Nachkriegszeit zu heilen und zu einer Berständigung mit Deutschland zu gelangen. Der Anfang zu einer folchen Verständigung ist jetzt gemacht. Zum ersten Male seit pielen Jahren zeigen sich sowohl für das deutsche wie für das französische Bolt Aussichten auf eine Gestaltung der gegen­feitigen Beziehungen, die frei ist von dem Fluche der Ber­gangenheit und der ständigen Bedrohung der Zukunft. Auf diefem Wege gilt es unablässig weiterzuarbeiten und, un geachtet der Intrigen und des Haßgeschreis der Nationalisten hüben und drüben des Rheins, den lebendigen schöpferischen Kräften der breiten Boltsmaffen Raum zu geben, die hier wie dort nichts anderes wollen als gegenseitige Berstän bigung und friedliche Zusammenarbeit.

Nationalistische Hetversuche.

Paris , 19. August.( Eigener Drahtbericht.) Die Veröffent. chung des Briefes Macdonalds, der der Hoffnung Ausdrud gibt, daß die Räumung des Ruhrgebiets noch vor Ablauf der in London festgesetzten Frist durchgeführt werde, hat in der nationalistischen Breffe einen neuen Entrüstungssturm ausgelöst. Der Fi garo" wirft Macdonald vor, daß er sich auf Kosten Frankreichs einen parlamentarischen Erfolg verschaffen wolle, und der englischen Industrie, der die Durchführung des Dames- Gutachtens ein Dorn im Auge sei, einen Dienst habe erweisen wollen. Er habe dadurch nicht nur Herriot , fondern auch Frankreich brüstiert, dessen Gebulb nunmehr wirklich am Ende sei. Der Gaulois" fieht in diesem Brief ein sehr bedauerliches Vorspiel zu den späteren Berhandlungen über die Sicherheitsfrage und die inter­alliierten Schulden. Man habe also allen Anlaß, zunächst das Er gebnis der praktischen Durchführung der in London getroffenen Beschlüsse abzuwarten, ehe man sich einem schrankenlosen Optimis. mus hingeben fönne.

Die Gesetze fertiggestellt!

Konferenz der Ministerpräsidenten.

Das Reichskabinett hat heute vormittag die Gesetzent­würje über Goldnotenbant, Aufbringung der In­duftriebelastung und deutsch - spanisches Handelsabkommen ge­nehmigt. Um 10 Uhr begann die Beratung mit den vollzählig erschienenen Ministerpräsidenten der deutschen Län­der. Zunächst berichteten Mary, Stresemann und Luther über den Konferenzausgang.

Amerika befriedigt. Washington , 19. Auguft.( WIB.) Staatsfetretär Hughes gab der Meinung Ausdrud, daß der Dames- plan die Grundlage für den wirtschaftlichen Aufbau Europas und den Wiederbeginn der Affivität darstellen werde. Das in Condon erzielte Einvernehmen ftelle einen groen Schiff vorwärts dar, und die Ver. handlungen hätter aue dura, die ausgezeichnete Zusammenarbeit zwischen Deutschland und den alliierten Reglerungen und durch den

Das Ergebnis der Konferenz.

allseitigen ernfflichen Wunsch nach Verständigung zum Abschluß ge- Ausgang der Konferenz, nennt den gestrigen Tag einen ent­bracht werden können.

Washington , 19. Auguft.( WTB.) Einer Reuter- Meldung zu­folge heißt er in einer Erwiderung des Präsidenten Coolidge auf eine Mitteilung des amerikanischen Botschafters in London , in der ihm der Abschluß des Reparationsabkommens mitgeteilt wurde: Ihre Mitteilung ist mit großer Genugtuung aufgenommen worden. Ja gratuliere Ihnen zu Ihrer geschickten Arbeit und zu Ihrem Erfolge. Sie haben in hohem Maße zu der Wohlfahrt der

Welt beigetragen.

Günstige Anleiheaussichten.

New York , 19. Auguft.( WTB.) Associated Preß" berichtet, die internationalen Banfiers hätten erklärt, die Borbereitungen für die Zeichnung der deutschen Anleihe würden sofort beginnen. Die Ausgabe felbft tönne indessen nicht vor Oktober erwartet wer­den. In Wallstreet wurde erklärt, die Anwesenheit der führenden amerikanischen Banfiers in Europa würde die Regelung der Anleihe beschleunigen. Die Vertreter vieler amerikanischer Banken und Trusttompagnien seien fürzlich nach Deutschland gefahren, um über private Anleihen zu verhandeln und die Beziehungen zu den deut­ schen Finanzinstituten wiederherzustellen.

Neue Abrüftungskonferenz im Frühjahr. London , 19. Auguft.( WTB.) Der New Dorfer Korrespondent des Daily Telegraph " meldet, daß nach Washingtoner Telegrammen wahrscheinlich im Frühjahr nächsten Jahres eine zweite Konfe. renz der Weltmächte zur Begrenzung der Rüstungen statt finden werbe. Es heißt, daß Präsident Coolidge einige Monate warten wolle, um sich und die anderen Mitglieder der Regierung davon zu überzeugen, daß das auf der Londoner Konferenz erreichte Abkommen non allen Parteien gehalten wird, bevor er sich mit den verschiedenen Mächten wegen eines Vorschlages in Verbindung fehen wird. Es verlaute, daß Hughes den Gedanken einer neuen Kon­ferenz bei seinem Besuch in Europa mit führenden europäischen Persönlichkeiten erörtert und von allen Steien ermutigende Erffärungen erhalten habe.

Owen Young Reparationsagent? Condon, 19. Auguft.( WIB.) Der diplomatische Bericht­erstatter des Daily Telegraph " glaubt, daß die Reparationstommif­fion diefe Woche den Poffen des Generalagenten für die Reparationen Owen Boung anbieten, daß Boung ihn aber schwerlich für länger als drei Monate annehmen werde.

Belgische Zustimmung.

Bon Rudolf Breitfcheid. London , 17. August. Die Londoner Presse, aufs höchste zufrieden mit dem scheidenden Wendepunkt in der Geschichte des Wiederaufbaus Europas . Wir sind nach all den schlimmen Erfahrungen, die wir seit 1918 gemacht haben, skeptisch ge­worden, und wir haben so manche Hoffnung zerfließen fehen, worden, und wir haben so manche Hoffnung zerfließen sehen, daß es uns wahrhaftig schwer fällt, an den Beginn einer des Termins über die Räumung der nach unserer Auffassung neuen und glücklicheren Epoche zu glauben. Die Festseßung vertrags- und rechtswidrig besetzten deutschen Gebiete ist auc zu sehr hinter unseren Erwartungen zurüdgeblieben, als daß wir mit ungemischten Gefühlen der Freude nach Hause zurückkehrten, und trotzdem fönnen auch wir nicht umhin, anzuerkennen, daß sich in London etwas Bedeutsames voll zogen hat, etwas, das uns erlaubt, mit zuversichtlichem Blick in die Zukunft zu sehen.

Zum erstenmal nach dem Kriege nahmen die Deutschen an Berhandlungen mit den ehemaligen Kriegsgegnern der Form und der Sache nach auf dem Fuße vollständiger Gleich­berechtigung teil. Zum erstenmal wurden ihre Argumente nicht nur angehört und mit der Siegermiene zur Kenntnis ge­nommen, sondern diskutiert und gewürdigt. Zum erstenmal hat man sich nach getaner Arbeit in freundschaftlichen, ja man fönnte beinahe sagen in herzlichen Formen voneinander ge­frennt und dabei der Ueberzeugung Ausdruck gegeben, daß die Zeit des Dittats und der Sanktionen vorüber sei, und daß man nun zu der normalen Art der Verhandlungen unter den Nationen zurückkehre. Das mag als wenig erscheinen, weil es sich hier, von unserem Standpunkt aus gesehen, um eine Selbstverständlichkeit handelt, und doch ist es ein gewaltiger Fortschritt, gemessen an dem, was hinter uns liegt. Bedenken wir weiter, daß wir insofern über dem Borkriegszustand hin­aus sehr viel weiter gekommen sind als der Gedanke der schiedsgerichtlichen Erledigung strittiger Fragen sieghaft vor­gedrungen ist, so hätten wir selbst dann das Recht, mit einer starten Befriedigung auf die legten vierzehn Tage zurückzu­schauen, wenn nicht außerdem für die Auslegung des Dames­Gutachtens Formeln gefunden wären, die der deutschen Auf­fassung und den deutschen Interessen in sehr vielen Punkten gerecht werden, und wenn die Reparationsfrage nicht tatsäch lich aus der Zone der Politik in die der Wirtschaft gerückt märe.

Dieses Ziel ist, wie Macdonald in seiner Schlußansprache ausführte, erreicht worden, weil bei allen Beteiligten der ernste Wille zur Mitarbeit bestand, und wir dürfen hinzu­fügen, weil mit den Wahlen vom 11. Mai in Frankreich ein neuer Geist zur Herrschaft gelangt ist. Vielleicht ist Herriot ein zu großer Idealist, um stets ein Unterhändler zu sein, wie man sich ihn für komplizierte Dinge wünschen möchte, aber es lebt in ihm der ehrliche und heiße Wunsch nach Versöhnung Paris , 19. Auguft.( TU.) In Brüffel findet Mittwoch nach und Frieden, und man braucht sich nur einen Augenblic lang mittag die Rabinettsfizung statt, in der Theunis und Hymans vorzustellen, daß an seinem Blaze Poincaré gesessen hätte, ihre Ministerkollegen ausführlich über den Verlauf der Londoner um die richtige Distanz zum schließlichen Ergebnis der Be­Konferenz und die erzielten Ergebnisse unterrichten werden. Ferner sprechungen zu gewinnen. Auf der anderen Seite brauchen sollen in der Sigung die Vorauslegungen für den Abschluß eines wir freilich auch nur die Frage aufzuwerfen, wohin wir ge­Abkommens mit Deutschland hinsichtlich der Zolltarife zur Sprache fommen wären, wenn statt Marg und Stresemann etwa die gebracht werden. Im Verlaufe der geftrigen dreistündigen Unter. Herren von Tirpitz und Graf Bestarp die Bertretung der redung haben der König und der Ministerpräsident Theunis, dem deutschen Sache in den Händen gehabt hätten. In diesem Brüsseler Korrespondenten des Journal" zufolge, die endgültige Falle würden ohne allem Zweifel die ausgleichenden Be­unterzeichnung des Londoner Protokolls Unterzeichnung des Londoner Protokolls bemühungen Macdonalds, denen die englischen Zeitungen mit fchloffen. Der König und Theumis find zu der Auffaffung ge Recht großes Lob zollen, vergeblich geblieben sein und die langt, daß sich in parlamentarischen Kreisen gegen die erzielten Londoner Konferenz wäre ähnlich ausgegangen wie die zahl­Uebereinfünfte teine Opposition erheben werde. lofen vorhergegangenen Tagungen, auf denen man das Schid­fal Europas zu menden versucht hat.

Blutige Zusammenstöße in Italien . Rom , 19. Auguft.( TU.) Die Auffindung der Leiche matte­ottis hat Italien aufs neue erregt. In Rom und in der Provinz haben sich zahlreiche Zwischenfälle ereignet. Es tam zu 3ufammen­flößen zwischen Faschisten und Arbeitern. In Neapel gab es mehrere Tote. Die Polizei, die ebenfalls von den Faschisten befchoffen wurde, mußte Militär zu Hilfe rufen. Ein Trupp der antifaschistischen Bürgervereine trat ebenfalls in Affion. Zehn Karabinieri find verlegt worden.

Faschistische Mörder und Leichenschänder. Rom , 18. Auguft.( EP.) Heute morgen wurde im Friedhofe von Briano die offizielle Identifizierung der Leiche Matteottis durch zwei feiner Schwäger und die sozialistischen Abgeordneten Turati, Bocconi und Tonello vorgenommen. Die bezüglichen Proto­folle wurden unterzeichnet. Die Witwe Matteottis hatte im letzten Augenblic nicht mehr den Mut aufgebracht, die zerstüdeiten Ueberreste ihres Mannes anzusehen. Später erfolgte die ge­richtsärztliche Begutachtung der Leiche, deren Feststellungen ergaben, daß die Leiche ohne hände ist. Die Leiche muß von den Mör­dern bei der eiligen Begrabung schredlich verstümmelt worden sein, um sie in das zu fleine Grab hineinquetschen zu können. Man nimmt jetzt als feststehend an, daß Matteotti unmittelbar nach der Entführung im Auto durch Dolch ftöße getötet worden ift, weshalb auch die gefundene Jade Blutflede aufweist. Um für den Fall der Auffindung der Leiche die Identifizierung zu erschweren, war der Ermordete nachher entfleidet worden. Bom Bürgermeister von Rom , der Bevölkerung und der sozialistischen Partei find im Friedhof von Briano Kränze niedergelegt worden. Die sozialistische Parteileitung hat dem Polizeioffizier, der die Leiche gefunden hat, die ausgesetzte Belohnung von 25 000 Lire zur Verfügung gestellt.

Aber die Räumung der Ruhr? Wir lassen feinen Zweifel darüber, daß wir mit der in diefer Frage getroffenen Ent­scheidung unzufrieden sind, und wir missen, daß die englische Labour Party sowohl wie die franzöfifchen und belgischen Sozialisten unser Mißpergnügen feilen. Die juristischen und moralischen Gründe, die gegen die militärische Offupation sprechen, find von uns oft und deutlich genug ausgesprochen worden, und sie brauchen in diesem Zusammenhung nicht wiederholt zu werden. Sie werden von allen rechtlich und vernünftig Dentenden verstanden werden, und ich glaube, dass fie auch der französische Ministerpräsident versteht, und daß feine eigene Auffassung nicht weit von der unseren entfernt ist. Wenn Herriot trotzdem zu dem Entschluß fam, den Räus mungstermin um ein weiteres Jahr hinauszuschiebenn, so ließ er sich im wesentlichen von Rücksichten auf die innerpolitische Lage in Frankreich leiten. Vor der Geschichte stände er sicher größer da, wenn er, ohne nach links und rechts zu schauen, feiner innersten Ueberzeugung gefolgt märe; aber ob das im Augenblick für Deutschland vorteilhafter gemesen wäre, ist eine andere Frage. Sein alsbaldiger Sturz wäre unvermeid­lich gewesen, und an die Stelle feines Ministeriums wärde nach aller Wahrscheinlichkeit nicht ein Rabinett Briand , son­dern eine mehr oder weniger poincariftisch gefärbte Regierung getreten sein. Und was damn?

Auch heute ist es feineswegs über jeden Zweifel erhaben, ob er die kommende Kammerfizung überstehen wird, und in den Kreisen der franzöfifchen Delegation ist man nicht ohne Besorgnisse. Dabei ist die Ruhr für die Mehrheit der beiden französischen Parlamente im Grunde von untergeordneter Be deutung. Was man in erster Linie erhofft hatte, war in erster Linie eine für Frankreich günstige Lösung des Problems der interalliierten Schulden oder wenigstens bestimmtere Zusagen