Abendausgabe
Nr. 419 41. Jahrgang Ausgabe B Nr. 210
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Dolksblatt
5 Goldpfennig
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Freitag
5. September 1924
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Zentralorgan der Sozialdemokratischen Partei Deutfchlands
Aufhebung des Garantiekomitees.
Wegfall der Finanzkontrolle aus dem Londoner Ultimatum.
Paris , 5. September. ( WIB.) Die Reparations. tommiffion erledigte gestern laufende Arbeiten und faßte folgenden Beschluß:
Während der Dauer der Ausführung des Sachverständigenplanes wird das Garantietomitee nicht die Befugnisse ausüben, die ihm durch den Artikel 12b des Anhanges II zum Teil 8 bes. Versailler Vertrages und durch das Zahlungsstatut vom 5. Mai 1921 verliehen sind. Dieser Beschluß hat Wirkung vom 1. Sep. tember 1924.
Der Beschluß der Reparationsfommiffion ist eine notmendige Folgerung aus der Annahme des Sachverständigen gutachtens. Das Garantiefomitee wurde durch das Londoner Ultimatum im Mai 1921 eingesetzt. Es hatte die Aufgabe, darüber zu machen, daß die Fonds, die als Sicherstellung für die Deutschland auferlegten Zahlungen dienen sollten, für diesen 3wed verwendet wurden. Eine weitere Aufgabe des Komitees war, die Ueberwachung der deutschen Handelsstatistit zur Berechnung der Ausfuhrabgabe und weiter die leberwachung der deutfchen Steuergeseßgebung. Der Artikel 12b des Anhanges II zum Teil 8 des Versailler Bertrages stellte fest: In regelmäßiger Wiederkehr schätzt der Ausschuß die Zahlungsfähigkeit Deutschlands ab und prüft das deutsche Steuersystem,
und zwar:
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1. damit alle Einfünfte Deutschlands einschließlich der für ben Zinsendienst und die Tilgung seiner inneren Anleihen bestimmten borzugsweise zur Abtragung der Wiedergut. machungsschuld verwendet werden.
2. Um die Gewißleit zu erlangen, daß das deutsche Steuer system im allgemeinen im Verhältnis vollkommen ebenso fchwer ist als dasjenige irgendeiner der im Ausschuß vertretenen Mächte."
Diese Aufgaben wurden durch das Londoner Ultimatum bem Garantietomitee übertragen, das feit Mai 1921 bis auf den heutigen Tag in Berlin tätig gewesen ist. An die Stelle dieser ausgedehnten und umfassenden tatsächlichen Kontrolle der deutschen Finanzgebarung und Steuergesetzgebung durch ein Unterkomitee der Reparationstommission treten nun bie scharf und eng umgrenzten, nur auf Teile der deutschen Einfünfte sich beziehenden Kontrollvorschriften des Sachverständigengutachtens. Deutschland ist durch die Annahme bes Gutachtens von einer effettiven allgemeinen Finanzkontrolle befreit.
Die Aussichten der deutschen Anleihe. Condon, 5. September. ( WTB.) Der finanzielle Mitarbeiter des Manchester Guardian" schreibt, seitdem vor einer Woche die Aufmerksamkeit auf die Schädlichkeit der Presseangriffe gegen bie deutsche Anleihe und damit gegen die Reparationsregelung gelenkt worden sei, mache sich eine gewisse Einkehr der öffentlichen Meinung in der City und in den solideren Presseorganten
Genf , 5. September. ( TU.) Herriot begann seine Rede in der Bolterbundsfizung mit der Versicherung, Frankreich wolle den Frie ben für alle Nationen. Auch das kleinste Land habe denselben Anspruch, in Frieben zu leben wie ein großes Bolt. Frankreich richte fich in seiner auswärtigen Politik nach den Ideen des Bölter bundes und des Versailler Friebensvertrages. Der Bölkerbund habe der Welt bereits große Dienste geleistet. 18 Na tionen haben dem Garantieprojekt zugestimmt, eine große Anzahl von Böllern habe Einwendungen gemacht. Es erscheint ihnen zu unbestimmt und nicht ausreichend und sie glauben, daß dadurch Angriffswege nur schwer verhindert oder der Angegriffene schwer zu verteidigen wäre. Frankreich ist einem Schiedsgerichts pertrag geneigt, wobei es feinen alten Traditionen folgt, denn Léon Bourgeois ist bereits vor Jahren in Genf dafür eingetreten. Mir scheint, erklärte er, der Angreifer ist derjenige, der fich weigert, fich dem Schiedsgericht zu unterwerfen. Wir müssen eine Spezialfommiffion zur Bearbeitung des Schieds
gerichtssystems einsehen. Frankreich ist bereit, in dieser Kommission mit Eifer mitzuarbeiten. In der Frage der Kontrolle des affen handels wird Frankreich sich weiter beteiligen. Mac bonald hat recht mit seinem Borschlage, ein obligatorisches Schieds: gericht einzurichten. Eine Idee, die von uns bereits in London bei ber Lösung der Reparationsfrage verwirklicht wurde. Schwere moralische Berantwortung ruht auf der Versammlung. Wir müssen alle Fragen, die den Frieden betreffen, prüfen. Für uns Franzosen ist die Frage der Sicherheiten der Entwaffnung und des Schiedsgerichts aufs engste verbunden. Unsere größte Aufgabe und die erste Pflicht vor der Menschheit ist die Errichtung eines Schiedsgerichts. schügen, die fleinen Nationen find hierzu nicht in der Lage. Macht Eine große Nation wie Frankreich kann sich letzten Endes ſelbſt und Gerechtigkeit müssen zusammengehen.
Ein neuer Geist muß geschaffen werden. In der Uebergangs. geit gilt es, Ruhe und Bernunft zu bewahren. Die Völker fönnen bie Sicherheit gegen den Angriff verlangen, die ihnen gestattet, in Ruhe zu arbeiten. Ohne die Solidarität der Völker ist dieses nicht zu erreichen. Eine allgemeine Abrüstungsfonferenz könnte einen Mißerfolg bedeuten. Sie darf daher nicht ohne Mitwirken des Bölkerbundes einberufen werden. Bir rechnen auf die brüderliche Mitarbeit der Bereinigten Staaten. Frankreich hat nur den beutschen Militarismus betämpft. Es hat nie das Elend
bemerkbar. In einflußreichen Kreisen vertrete man nachdrücklich den Standpunkt, daß England ehrenhalber verpflichtet sei, einen Teil der Anleihe flüssig zu machen, daß aber abgesehen davon die Anleihe euch eine sehr günstige Rapitalsanlage darstelle.
Die letzte Revision.
Ein Aufruf der Reichsregierung. Amtlich wird mitgeteilt:
Am Montag, den 8. September, beginnt die von der deutschen Regierung mit der Note vom 30. Juni d. 3. zugestandene sogenannte Generalinspektion des deutschen Rüstungs ft and es. Die Generalinspektion ist als abschließender Att der interalliierten& cntrolle gedacht; nach den bindenden Erklärungen der Gegenfeite, insbesondere der Ministerpräsidenten von England und Frankreich , fann damit gerechnet werden, daß das System der interalliierten Kontrolle mit seinen in zahlreichen Städten Deutschlands rejidierenden Ueberwachungskommiffionen ver fchwindet, wenn die Generalinfpeffion 3 ufriedenstellend und reibungslos verläuft.
Die Reichsregierung erwartet hirnach von der gesamten Bevölkerung, daß sie alles unterläßt, was irgendwie als Obfruttion oder als feindselige Handlung gegenüber den Kontrollkommiffionen oder ihren Mitgliedern gedeutet werden könnte. Jede Handlung dieser Art beschwört die Gefahr herauf, daß fich der jetzige Zustand mit all feinen demütigenden Begleiterscheinungen verewigt. Jedermann muß jetzt, wie er auch immer auf die Vorgänge des Augenblics gefühlsmäßig reagieren mag, fein Tun und Caffen ausschließlich danach einrichten, daß das Ziel erreicht, d. h. daß die Generalinspektion wirklich zum Schlußaft der interalliierten Kontrolle wird.
Der Appell der Reichsregierung an die Bevölkerung entspricht durchaus den Notwendigkeiten des Augenblids. Es hängt ungeheuer viel für die Gestaltung der deutschen Außenpolitit davon ab ,, daß die jetzt beginnende Generalinspektion des deutschen Rüstungsstandes, die als letzte Revision gedacht ist, reibungslos und zufriedenstellend verläuft. Nicht nur die Durchführung des Dawes- Blanes, sondern auch die fünftige Stellung Deutschlands im Bölkerbund hängt in hohem Maße davon ab, daß das noch im Ausland bestehende Mißtrauen gegen Deutschland durch die Generalinspektion zerstreut wird. Nach den großmäuligen Anfündigungen der Deutschnationalen und Völlischen, die mit allen Mitteln die wirtschaftliche und politische Gesundung Deutschlands verhindern wollen, ist zu erwarten, daß hie und da vielleicht Provokationen von dieser Seite versucht werden. Wir hegen die bestimmte Erwartung, daß etwaigen Berfuchen solscher Art nicht nur von behördlicher Seite mit aller Entschiedenheit entgegengewirkt wird, sondern daß auch die Arbeiterschaft mit aller Energie dafür sorgen wird, daß alle Störungsversuche und Provokationen von nationalistischer Seite im Reime erstickt werden.
Deutschlands gewollt. Frankreich fennt feinen Haß, es hat den Wunsch nach Bersöhnung. Nur die Abrüstung und die wahre Bersöhnung können die Einigkeit Europas wieder herstellen. Der Eintritt Deutschlands in den Bölkerbund wird durch die Art. 1 und 8 geregelt. Wir brauchen ruhige Mitarbeit. Haß tann nie den Haß überwinden. Wir bekämpfen den Bürgerkrieg. Jebe Nation hat das Recht auf Leben.
Dieses sind die Anschauungen Frankreichs , und ich gestatte mir nochmals zu wiederholen, wir werden uns an den Bölferbundvertrag halten, wir wollen ihn lebendig gestalten, wir verlangen für jede Nation die Rechte, die der Vertrag bietet. Der Frieden, für den wir arbeiten, muß kommen. Die Idee des Friedens befizt mehr Kraft als die des Krieges. Schieds: gericht, Sicherheit, Entwaffnung, diefes find die drei Säulen des Tempels, den wir zu bauen berufen find. Frankreich bietet ihnen feine Bernunft und fein Herz und sein leidenschaftliches Verlangen nach Klarheit. Es strebt nach Frieden, nach Frieden, Würde und Arbeit.
Auf Herriots Rede fezte ein minutenlanger, nicht enden wollender Beifall ein. Das Haus erhebt sich und bereitet ihm begeisterte Ovationen. Nach der Uebersetzung in das Englische betritt Salandra, stürmisch begrüßt, die Tribune. Nach ihm spricht noch der englische Delegierte Lord Barmoor.
New York , 5. September. ( WIB.) Wie Associated Preß " aus Schanghai meldet, ist gestern, wie zuverlässig festgestellt, in den Kämpfen von keiner Seite ein wesentlicher Fortschritt erzielt worden. front erstreckt sich von der Eisenbahn Schanghai - Ranking bis zum Die Stärke der Truppen wird auf 40 000 geschätzt. Die Kampf Jangtsefluß; fie nähert sich Schanghai an einer Stelle auf 18 Meilen. Nach dem Bericht von Augenzeugen wurde von beiden Barbeien sicherlich viel Munition verschwendet, da wild darauflos geschoffen
wurde.
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Die Ferienzeit des englischen Unterhauses, in normalen Zeitläuften eine politisch tote Periode, ist diesmal auch politisch keine Zeit reiner, ungestörter Erholung. Die weltpolitisch wichtigen Fragen nehmen, auf die Erholungsbedürftigkeit britischer Minister feine Rücksicht. Die Londoner Kon ferenz hat sich zum großen Leidwesen Macdonalds er hat dem mehr als einmal mährend der Konferenz recht drastischen Ausdruck verliehen bis tief in die Urlaubswochen hineingezogen, und die Wetterwolfen der irischen, aber auch anderer imperialen Fragen hängen drohend am politischen Himmel.
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Angesichts dieser drängenden Fragen kommen die Beitungsmeldungen, die von einem vorzeitigen Abbruch der Urlaubsreisen der führenden politischen Köpfe der Arbeiterregierung melden, nicht völlig unerwartet: Clynes, der Lordfiegelbewahrer" und was wichtiger ist der offizielle Führer des Unterhauses", hat seine Seereise nach Port Said aufgeben müssen. Der Kolonialminister Thomas, der sich auf einer, auch politisch nicht unwichtigen Studienreise in Südafrika befindet, von der er nicht vor Ende September zurückkehren wollte, läßt mitteilen, daß er seinen Aufenthalt in Südafrika auf zehn Tage beschränken wird, um möglichst frühzeitig in Bereitschaft zu sein, und Macdonald selbst hat sich entschlossen, seinen Genfer Aufenthalt zu beschränken und schon am fommenden Montag nach Lon don zurückzukehren. Snowden hält sich in der Nähe Londons , in Surrey , auf, um ,, in jedem Augenblic" seinen Bosten in Whitehall einnehmen zu können. Diese für England auffallenden Tatsachen haben in politischen Kreisen naturgemäß in einem gewissen Sinn alarmierend gewirkt und zu einer weitgehenden Erörterung der politischen Situation, die solche Vorsichtsmaßnahmen ratsam erscheinen läßt, geführt.
Man ist sich allgemein einig, daß es hauptsächlich die leidige irische Frage ist, die den Bremierminister beogen hat, die Mitglieder feines Kabinetts zusammenzuhalten. auch ohne jede Nervosität ist für den Beobachter der ungelöften irischen Grenzfrage unverkennbar, daß die Dinge gebieterisch zu einer Entscheidung drängen, und daß es deshalb fehr zweifelhaft ist, ob sich die geplante Bertagung des Unterhauses bis Ende September wird durchhalten lassen. Im Falle einer früheren Einberufung wird sich die Regierung im fition gegenübersehen, die im Hause der Lords, wo der konUnterhaus einer mit schwerstem Geschütz arbeitenden Oppofervative Einfluß entscheidend ist, noch ernstere Formen annehmen dürfte. Nur die Abneigung, unter dem Zeichen der feineswegs populären irischen Frage eine Neuwahl durchzuführen, dürfte die Konservativen vor einer Einſegung ihres ganzen Einflusses im Oberhaus zurückhalten.
Aber selbst dann, wenn die Frage der Neuwahlen sich aus den Notwendigkeiten der Durchführung des irischen Friedensvertrages nicht ergeben sollte, bleibt für die ersten Parlaments wochen noch genug an schwierigen Fragen zu lösen übrig, die alle Kräfte der Regierung in Anspruch nehmen werden. Neben der irischen Frage steht das Problem der Ratifitation des englisch russischen Friedensvertrages. Diese Nuß wird härter zu fnacken fein als man ursprünglich ohne die schmersten parlamentarischen Kämpfe nicht abgehen. angenommen hat. Hier wird es, wie nunmehr deutlich wird, Die Konservativen stehen geschloffen gegen die Regierung und auch unter den Liberalen scheint die Neigung, den Vertrag wenn nicht alles täuscht, wird sich an dieses Ringen sogar die passieren zu laffen, in ständigem Schwinden begriffen zu sein. Entscheidung über die Arbeiterregierung oder richtiger über das gegenwärtige Unterhaus fnüpfen. Ein Wahlkampf, unter diesem Zeichen geführt, würde allerdings die Arbeiterregierung angesichts der Popularität des Friedensvertrages unter der arbeitenden Bevölkerung, darüber hinaus aber im Hinblick auf das im Lande in sechs Monaten parlamentarisch- politischer Arbeit errungene Vertrauen für Macdonald und die Seinen. feinerlei Schreden haben.
Aber auch unabhängig davon wird die Frage der Neuwahlen in allen politischen Kreisen aufs lebhafteste diskutiert. Man vermutet allgemein, daß in der Herbſtſizung sich aus der parlamentarischen Situation der Labourregierung eine Sischeidenden Frage das Land vor die Entscheidung stellen wird. tuation ergeben werde, in der die Regierung in einer entDie Liberalen haben längst mit ihrer Propaganda auf dem flachen Lande begonnen; sie wird allerdings von guten und objektiven Kennern der Verhältnisse als aussichtslos be= zeichnet. Aber auch die Konservativen beginnen die vativen fündigt z. B. für die ersten Herbstwochen im ganzen Wahlviolinen zu stimmen. Das Hauptquartier der KonserLande große Propagandaversammlungen an, in denen die Politit der Konservativen und die Gefahren des Sozialismus“ von den bedeutenden Führern der Partei erörtert werden sollen.
Andererseits jedoch macht sich auch in der Arbeiterpartei das Bestreben bemerkbar, den gegnerischen Angriffen energisch entgegenzutreten und den Boden für die Neuwahlen vorzubereiten. Die bisherige Politik der Arbeiterregierung hat trotz der Kompromisse, die sie schließen mußte, die Zustimmung der Deutsch - schwedischer Schiedsgerichtsvertrag. Zwischen Deatsch großen Maffe der arbeitenden Bevölkerung gefunden. Der land und Schweden wurde ein Schiedsgerichts- und Ver. gesunde Sinn des englischen Arbeiters, der mit den realen gleichsvertrag unterzeichnet. Der Vertrag entspricht mit Machtverhältnissen rechnet, hat ihn davor bewahrt, die kommugeringen Abweichungen dem deutsch - schweizerischen Schiedsgerichts.nistischen Aufhegungs- und Störungsversuche ernst zu nehmen. vertrag vom 3. Dezember 1921. Als einheitlige geschlossene Macht wird die