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STE.462 41.Jahrgang Ausgabe A nr. 235

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Vorwärts

Berliner Volksblatt

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STO

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Zentralorgan der Sozialdemokratifchen Partei Deutschlands

Redaktion und Verlag: SW 68, Lindenstraße 3 Fernsprecher: Redaktion: Dönhoff 292–295 Berlag: Dönhoff 2506-2507

Mittwoch, den 1. Oftober 1924

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Mit Hergt zur Futterkrippe.

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Der Reichskanzler

Die Entscheidung des deutschnationalen Vertretertags. will nach rechts und nach links verhandeln.

Die Deutschnationale Partei gibt über ihren gestrigen| Vertretertag folgenden Bericht aus:

Die Parteivertretung der Deutschnationalen Volkspartei trat am Dienstag im Reichstag unter ungewöhnlich zahlreicher Beteili­gung zusammen. Der Parteivorsitzende Staatsminister ergt er stottete Bericht über die Reichstagsberatungen zum Sachverständigen­gutachten und über die inzwischen stattgehabten Besprechungen über den Eintritt der Deutschnationalen in die Reichsregierung.

Bei seiner eingehenden Würdigung der politischen Lage verwies e u. a. auf das Schreiben der Reichstagsfraktion der Deutschen Tolkspartei yom 28. August, worin vollſtes Verständnis für De bei der Deutschynationalen Boltspartei bestehende bittere Ent­teuschung über das in London nicht Erreichte zum Ausdruc fam. In diefem Schreiben werde die Deutschnationale Bolkspartei zur Mitwirkung an der Zukunftsarbeit aufgerufen, bei der donn alles darauf antomme, mit allen Kräften das nachzuholen, was in London noch nicht durchgesetzt werden konnte. Er nahm firner auf den Beschluß des Frattionsvorstandes der Deutschen Volfs­partei vom 24. September Bezug, worin gerade die Uebernahme der Reparationslafter nur gegen Sicherung von Freiheit, Ehre und Eristenzmöglichkeit als Richtlinie bezeichnet wird.

Es gelangte in der eingehenden Ausfprache zum Ausdrud, daß auf Grund solcher Rundgebungen der Deutschen Volkspartei sich eine Berständigung über eine gemeinsame nationale Arbeit mit den anderen in Betracht kommenden Barteien finden lassen tönne, bei der die Deutschnatinale Boltspartei ihr vornehmstes Ziel, die politische und wirtschaftliche Freiheit Deutfylands unter allen Umständen weiter zu verfolgen, entschlossen ist. In der Aussprache murde ferner auch in vollster Würdigung der schwierigen Lage das unablässige felbstlose Bemühen des Parteivorsitzenden anerkannt, unter Wahrung des eigenen ablehnenden Stand

punktes einen Ausgleich unter der abweichenden Auffassungen der Reichstagsfraktion herbeizuführen und dadurch die Geschlossen heit der Fraktion zu erhalten. Es wurde folgende Entschließung heit der Fraktion zu erhalten. Es wurde folgende Entschließung gefaßt:

Die Parteivertretung der Deutschnafionalen Volkspartei ist ebenso wie die Borsigenden der Landesverbände einmütig gewilli, die Ge­Schloſſenheit der Partei zu wahren. Nachdem der Reichstag die auf dem Condon er Abkommen beruhenden Gesetze angenommen und somit zur rechtlich bindenden Norm, die der Durchführung be­darf, gestaltet hat, ist es Pflicht der Partei, sich Einfluß auf die Auslegung, Handhabung und Verbesserung der Ge­fetze zu verschaffen. Die Parteivertretung billigt deshalb, daß di: Reichstagsfraktion fich den vou dem Herrn Reichstanzler' Marr in Aussicht gestellten Berhandlungen über die Beteiligung der Deutschnationalen an der Regierung nicht versagt. An dem Bericht fällt zweierlei auf: daß er über die Führerfrage nichts sagt und daß er nicht mitteilt, mit welcher Stimmenzahl die Entschließung angenommen

morden ist.

Wer den Bericht lieft, ohne sich der vorangegangenen Ereignisse zu erinnern, der fönnte meinen, im Lager der Deutschnationalen herrsche die vollständigste Geschlossenheit und nie sei die Harmonie innerhalb dieser Brüderschaft auch nur im geringsten getrübt gewesen. Aber am 29. August hat die eine Hälfte der Deutschnationalen Partei gegen die andere gestimmt, mit Hilfe der Ueberläufer wurde dem Eisen bahngeset ur verfassungsmäßigen Zweidrittelmehrheit verholfen, der Londoner Bersklavungsvertag", das zweite Bersailles" zur Annahme gebracht. In den Reihen der deutschnationalen Anhängerschaft erhob sich ein Sturm, es hagelte auf die Jasager Mißtrauensresolutionen nieder, der Rücktritt der, unfähigen Leitung" wurde stürmisch gefordert. offiziellen Bericht wie ein glatter Spiegel, den kein Hauch Jezt erscheinen die inneren Parteiverhältnisse in dem bewegt. Hat sich der Sturm so rasch gelegt oder lügt der Bericht?

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Bestünde die Deutschnationale Partei aus Männern und nicht aus erbärmlichen Gefellen, so hätte sie selbst die Not­mendigkeit einer öffentlichen Aussprache empfun­weil sie die Deffentlichkeit über die Zustände in der Partei den. Sie hat eine streng vertrauliche Beratung vorgezogen, nicht aufklären, sondern täuschen will. Sie weiß, daß sie über diese Dinge feinen flaren Wein einschenten fann, ohne den Gegnern ihres Eintritts in die Regierung tausend Argu­mente zu liefern. Da sie in diesem Augenblid ihr Gesicht nicht offen zeigen fann, versucht sie, sich mit vorgebundener Maste in die Regierung hineinzuschwindeln. So gut nun auch die Vertreter dieses Vertretertags ge­fiebt worden sein mögen, so wird doch kein Mensch glauben,

daß das Verbleiben her gfs in der Führung und die An­nahme der diplomatisch gefeilten Entschließung seiner allge­meinen Auffassung entspricht. Er wird es um so weniger er weiß, daß der Text vorher glauben, wenn den wischen Dolfsparteilichen Krisen fchiebern 3apf und Curtius auf der einen Seite und dem Herrn v. Lindeiner von der deutsch nationalen Parteileitung auf der anderen Seite genau ausgehandelt worden ist. Der offizielle Bericht sagt auch nicht, daß die Entschließung etwa einstimmig angenommen worden fei, man darf also mit moralischer Befriedigung konstatieren, daß es Lügen gibt, vor denen sogar die Deutschnationalen zurückschrecken. Tatsache ist, daß die Mehrheit den Weg der Nein- Jafager weiterzugehen gewillt ist, er scheint ihn in die Regierung zu führen, während jeder andere nur zur Spaltung der Partei und ihrem gänzlichen Zerfall führen kann.-

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Wie werden sich die Dinge nun meiter entwickeln. Eine Korrespondenz berichtet- und wir haben Grund, ihre Annahmen für richtig zu halten, daß der Reichs fanzler Marg beabsichtigt, nicht nur nach rechts, fondern auch nach links, also nicht nur mit den Deutschnationalen, sondern auch mit den Sozialdemokraten über die Erweiterung der Regierung zu verhandeln. Die Besprechun gen sollen schon heute beginnen und würden voraussichtlich eine ganze Woche dauern, dann sollen die Fraktionen zu dem vorläufigen Ergebnis Stellung nehmen. Die demokratische Reichstagsfraktion hat bereits in Boraussicht des kommenden für den 7. Oktober eine Sigung anberaumt.

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Die Aufnahme der Verhandlungen nach beiden Seiten hin dürfte allerdings nicht ganz den Wünschen der Bolks partei entsprechen, die ja bereits feierlich die Deutschnatio­nalen in ihre rasch berühmt gewordene Volksgemeinschaft" aufgenommen und die Sozialdemokraten ebenso feierlich aus ihr ausgeschlossen hat. Aber freilich ist damit zu rechnen, daß die Krisenschieber nur auf das Nein der Sozialdemokratie warten, um dann zu erklären, die Sozialdemokratie habe sich selbst ausgeschaltet, also gebe es keine andere Möglichkeit als den Bürgerblock.

| mehr und mehr zu dem Mißtrauen bekennt, das nach Bebel eine demokratische Tugend ist.

Auch

Den Gang der Verhandlungen kann niemand voraus­sehen. Die Meinung freilich, daß schon in einer Woche Er­gebnisse vorliegen würden, die den Reichstagsfraktionen zur Bestätigung vorgelegt werden könnten, scheint uns reichlich optimistisch zu sein. Die einzige reale Frage der Verhand­lungen ist, ob der Bürgerbloc zustande kommt oder ob die von der Bolkspartei entfachte innerpolitische Krise direkt in eine Reichstagsauflösung münden wird. der Bürgerblod fönnte nur ein Umweg zur Reichstagsauf­lösung sein, denn der Bürgerblock hätte in diesem Reichstag überhaupt feine Mehrheit oder bestenfalls doch nur eine, deren linfer Flügel feinem Sturm gewachsen ist. Der Reichs­ tag ist in feiner gegenwärtigen Zusammensetzung sowieso taum arbeitsfähig, daß er unter einer Bürgerblodregierung arbeitsfähiger werden könnte, wird niemand annehmen. In demokratischen Kreisen will man wissen, daß Herr marr es entschieden ablehnt, sein Kabinett unter Ausschluß der Demokraten umzubilden. Das Bestreben, die Deutschnatio­nalen in die Regierung hineinzuziehen, fommt aber einer hinausbugsierung der Demokraten aus der Regierung gleich. Folgt das Zentrum dem Beispiel des Reichskanzlers, fo muß es gleichfalls die Bildung einer Re­gierung mit den Deutschnationalen ohne die Demokraten ab­lehnen, und der Bürgerblod hätte dann die Mehrheit des Reichstags gegen sich. Eine nur aus den Rechtsparteien, ohne Zentrum, gebildete Regierung müßte am ersten Tage fallen, fommt also von vornherein nicht in Betracht.

So hat die Volkspartei, die berufsmäßige Krisenmacherin, die deutsche Politik wieder einmal ins Chaos geführt, ohne einen Weg zu zeigen, der aus ihm herausführt. Das Theater, das wir in den nächsten Wochen erleben werden, wird zum Erbrechen schön sein! Macht doch lieber gleich die Bude zu und laßt das Volk entscheiden!

Wie wir erfahren, ist die von den deutschnationalen und den

volksparteilichen Parteileitungen vereinbarte Entschließung des deutschnationalen Vertretertages mit 273 gegen 35 Stimmen ange­nommen worden. Die Opposition konnte keine hohe Stimmenzahl auf sich vereinigen, da die Meinung vorherrschte, der Eintritt in die

Regierung fei der letzte unvermeidliche Verfuch, die Partei vor dem Berfall zu retten. Es hat also teine grundsäßliche, sondern keinesfalls als Anhänger einer Neuorientierung der deutschnationa­

nur eine taktische Scheidung stattgefunden, die Zustimmenden sind

tretene schärfere Richtung ans Ruder kommen wird. Sieben Punkte.

Ernstlich denkt natürlich fein Mensch daran, daß sich Sozialdemokraten und Deutschnationale in eine Regierung zusammensetzen könnten. Wenn man so fut, als ob eine solche Möglichkeit bestände, so beweist das nur, wie unernst die deutsche Politik geworden ist und zu welchen possenhaften Berwickelungen die volksparteiliche Krisenfchieberei geführten Bolitik anzusehen. Zum Teil rechnen sie auch darauf, daß der hat. Außerdem hat ja auch die Volkspartei selbst mit einer Bürgerblod nicht zustandekommen und dann die von ihnen ver­Deutlichkeit, die nichts zu wünschen übrig läßt, erklärt, daß sie nicht mit den Sozialdemokraten, sondern mit den Deutsch­nationalen Politif, oder was sie dafür hält, zu treiben ent­schlossen ist. Daß bei den anderen Parteien der Mitte, Bentrum und Demokraten, etwa der entschlossene Wille be= stände, mit der Sozialdemokratie zusammen eine entschiedene infsregierung zu bilden, die fich dann ihre Mehr­heit erst durch Auflösung und Neuwahlen erkämpfen müßte, ist nicht anzunehmen, es liegt nicht das geringste Anzeichen dafür vor. Es wäre also nur ein sehr übles und sehr durch­fichtiges taktisches Manöver, wenn man die Erweiterung der Regierung nach links zum Schein am Widerstand der Sozial­demokratie scheitern lassen wollte, um dann den Kurs gerade­aus zum Bürgerblock zu nehmen.

Die Sozialdemokratie hat sich niemals nach deutschnatio­die Absicht, sich mit unehrlichen nach rechts schielenden und naler Art an die Futterkrippe" gedrängt, sie hat auch nicht mit den Deutschnationalen gemeinsam intrigierenden Bundes­genossen an einen Tisch zu sehen. Das ist so flar wie nur irgend etwas. Auf der anderen Seite beweist die Geschichte der letzten Jahre, daß sie sich niemals der Pflicht der Mitverantwortung entzogen hat, wenn die Not des teien, mit denen sie über die Regelung der nächsten drin­Boltes es verlangte und daß sie stets bereit mar, mit Bar­gendsten Tagesfragen zu einer ehrlichen Uebereinstimmung gelangen fonnte, gemeinsame Arbeit zu leisten. Wenn sie in dieser Beziehung sehr vorsichtig geworden ist, so ist das auf die Erfahrungen zurückzuführen, die sie gemacht hat. Sie ist nie besonders vertrauensseelig gewesen, aber auch der Rest von Vertrauen, den sie in die Loyalität gewiffer Bertragsteil­nehmer setzte, ist in entscheidenden Augenblicken auf das schmählichste getäuscht worden, Kein Wunder, daß sie sich

Demokratische Fragen

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noch keine Antwort.

Der Reichstagsabgeordnete Erkelenz , der zweite Vorsitzende

der Demokratischen Reichstagsfraktion fordert in der Hilfe die Deutsche Bolkspartei auf, den Deutsch nationalen bei der Er­örterung ihres Eintritts in die Reichsregierung folgende sieben Fragen vorzulegen:

1. Erkennen Sie die Weimarer Verfassung an?

2. Sind Sie bereit, jede gewaltsame Aenderung der Weimarer Verfassung abzumehren und alle Mittel der Staatsgewalt gegen Verfassungsbrecher anzuwenden? 3. Sind Sie bereit, die Londoner Abmachungen als die Grund­

4. Sind Sie für eine demokratische

und nationale

Außenpolitik Deutschlands im Rahmen des Bölker. lage für die deutsche Außenpolitik anzuerkennen?

bundes?

5. Sind Sie bereit, jegliche Förderung der ver

faffungsfeindlichen Organisationen zu unterlassen? der verfassungsgemäßen Einrichtungen im Rahmen der bestehenden verfaffungstreuen republifarischen Wehrmacht zu fördern? 7. Sind Sie bereit, Berächtlichmachungen der Verfassung und Gesetzgebung entschieden zu bekämpfen?

6. Sind Sie bereit, den Ausbau der Reichswehr als einer

Erst nach Beantwortung dieser Fragen, so erklärt Erkelenz , fönne man beurteilen, was der Eintritt der Deutschnationalen in die Regierung innen und außenpolitisch bedeuten würde.

Sie

Wir glauben nicht, daß Erkelenz von den Deutschnationalen cine ehrliche Antwort auf seine fieben Fragen erwartet. werden zweifellos alles versprechen, um nur ja an die Macht zu