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Abendausgabe
Nr. 471 41. Jahrgang
Ausgabe B Nr. 236
5 Goldpfennig
6. Oktober 1924
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Zentralorgan der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands
Weltfriedenskongreß in Berlin .
Nationalistentumult in Potsdam .
An der Stätte der deutschen Boltsvertretung, im Reichs| folgen, die Reformen zu prüfen, die zweds Schaffung einer eintagsgebäude, ist gestern der 23. Weltfriedenstongreßheitlichen Zollunion angeregt werden, und die Maffen, insbesondere eröffnet worden. Der Kongreß ist eine Veranstaltung des die Jugend, zum Frieden zu erziehen. Es gilt, den Bölkerbund mit Internationalen Verbandes der Friedensgesellschaften, die demokratischem Geist zu erfüllen und dafür zu sorgen, daß er wirkfozialistische und bürgerliche Friedensfreunde in ihren Reihen lich ein Volk aller Völker werde. vereinigen. Die Sozialistische Arbeiterinternationale darf in Diesem Kongreß ein Unternehmen begrüßen, das ihre Arbeit auf dem entscheidenden Gebiet der auswärtigen Politik in wirkungsvoller Weise unterstützt.
Daß der Internationale Berband der Friedensgesellschaft feiner Zuſammenſeßung nach mit der Sozialistischen Arbeiterinternationale nicht identisch ist, sondern seine eigene Berant wortung trägt, ist selbstverständlich. Ueber das zu erstrebende Ziel aber besteht zwischen den beiden Organisationen Uebereinstimmung.
Unsere Freude über den Zusammentritt des 23. Welt friedenstongresses in Deutschland und in Berlin ist um so herzlicher, als durch diese Tatsache der Welt die Stärke der friedensfreundlichen Bewegung in Deutschland zum Bewußtsein gebracht wird. Wir hoffen, daß die zahlreichen, ausgezeichneten Freunde der Friedenssache, die aus dem Ausland zu uns gefommen sind, mit dem Eindruck von uns scheiden werden, daß die sich so heftig gebärdenden gegnerischen Strömungen hierzulande doch mehr an der Oberfläche haften, und daß hier starte Kräfte wirten, die für die Konsolidierung Europas auf der Grundlage eines gerechten Friedens, ohne neues Blutvergießen, tätig sind.
Dieser Eindruck darf auch durch den lächerlichen und beschämenden 3 wischenfall von Potsdam nicht gestört werden. Als nach dem Krieg von 1870/71 Liebknecht und Singer nach Marseille tamen, wurden sie dort zum Gegenstand unfreundlicher Kundgebungen des nationalistischen Pöbels. Diefer Borfall wurde dann jahrzehntelang von den deutschen Nationalisten mit größter Schadenfreude ausgebeutet. Man fann sich leicht vorstellen, mit welchem Jubel die fran zösischen Nationalisten heute das gleichartige Vorgehen der Leute begrüßen, die auf ihrem Kopf einen eingebildeten Stahlhelm", in ihrem Kopf aber sonst gar nichts haben. Der Vergleich dieser Gesellen mit ihrem Gegner, dem Pariser Profeffor Basch, wirft gerade vom nationaldeutschen Standpunkt aus beschämend, denn es bedarf wirklich feiner beson bere Ueberlegung, um zu bemerken, auf welcher Seite die beffere Moral und die stärkere Intelligenz ist
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Um so notwendiger ist es zu zeigen, daß der Terrorismus der Hirnlosigkeit in Deutschland auf den Widerstand der breiten Massen des Volkes selbst stößt und daß er seine Schranken findet an der republikanischen Staatsgemalt. Wenigstens jetzt noch... Denn freilich, wenn die Deutsch nationalen an die Regierung fämen, so würden mit ihnen auch jene Potsdamer Helden zur Macht gelangen, deren auswärtige Politik ausschließlich aus blödem Skandal besteht.
Die vereinigten Friedensfreunde führen Krieg gegen die stärkste Großmacht der Welt, gegen die internationale Dummheit, die sich in allen Ländern nach genau denselben Methoden nationalistisch geberdet und sich zum Ziel des allgemeinen Selbstmords von allen ihren Sektionen aus gegenseitig fördert. So gewinnt die internationale Friedensbewegung die Sympathie aller sittlich und geistig höher organisierten Europäer schon durch die Gegner, mit dem sie es zu tun hat. Der 23. Friedenstongreß eröffnete gestern seine Tagung mit einer Feier, die dem Gedenken der Opfer des Unfrie dens und des Krieges gewidmet war. Der Plenarsaal des Reichstages war festlich mit Blumen geschmückt. Die Tribünen raren überfüllt. Im Saale sah man so manches im Kampf um den Bölkerfrieden ergrautes Haupt. Abseits unter einem Lorbeerbaum hat Fritjof Nansen Platz genommen. Nachdem die Rlänge eines Biolinquartetts verstummi waren, ergriff
der belgische Senator La Fontaine,
der Vorsitzende des internationalen Friedenstongresses, das Wort. La Fontaine sprach zunächst seine Genugtuung darüber aus, daß endlich ein internationaler Friedenstongreß auch in Berlin tagen und im Deutschen Reichstag feine Eröffnungsfeier abhalten darf. Er steht hierin ein hoffnungsvolles Zeichen. Und in diesem Augenblid gilt es nicht an Fehler und Verbrechen der Vergangenheit zu erinnern, sondern an die Greuel zu denken, die ein zufünf tiger Krieg mit sich bringen würde. Nur diese Erinnerungen und Vorstellungen sind imstande, den Willen zu schaffen, den Krieg zu töten. Es ist zu prüfen, ob die vom Bölkerbund empfohlenen Mittel wirklich geeignet sind den Krieg zu verhüten. Die versprochene teilweise Abrüstung bebeutet nur den ersten Schritt. Ihr muß die wirtschaftliche Abrüstung, die Niederringung der Zollgrenzen, die Wiederherstellung des Weltmarktes folgen. Erst dann ist die moralische Abrüstung der Länder möglich. Gerade die Länder aber, die bereits abgerüstet haben, müssen auch in ber wirtschaftlichen Abrüstung mit gutem Beispiel vorangehen. Es wäre leichtfertig, ohne Besinnen den Diplomaten, die gestern noch ihre Heere und Flotten rühmten, das Schicksal der Welt zu über laffen. Deshalb haben die Friedensfreunde drei Aufgaben: Mit Wachsambeit den Besprechungen der Abrüstungstonferenz au
Nach La Fontaine sprach der
Präsident der franzöfifchen Liga für Menschenrechte Ferdinand Buisson .
Er gedachte Karl Liebknechts und Hugo Haases, Erzbergers und Rathenaus und besonders warm Jaurès . Die Aufgabe des Friedens. tongresses, so meinte er, sei, alle Bölfer zum Zusammenschluß im Rampf gegen den Krieg aufzufordern.
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Nachdem der stürmische Beifall sich gelegt hatte, schilderte Frau Bethid Lawrence England, Mitglied der Arbeiterpartei, den heldenmütigen Kampf der Kriegsverweigerer in England. Dr. Sti. gin gedachte als Vertreter der Tschechoslowakei des verstorbenen Gesandten Isusar, als Vorfämpfer der Friedensbewegung.
Bon nicht enden wollendem Beifall begrüßt richtete dann Frit. jof Nansen einige Worte an die Versammlung. Er bezeichnete das vom Völkerbund Geleistete als einen Schritt vorwärts in die beffere Zukunft, als einen Hoffnungsstrahl für alle Länder, die so start unter dem Krieg gelitten haben.
Der Zusammenschluß der Völker Europas wird eine Zeit herbeiführen, in der das Wort„ Feind" aus dem Legiton gestrichen sein wird.
Genoffe Paul Cöbe
gedachte hierauf, mit herzlichem Beifall begrüßt, der unzähligen wenig bewußte Kämpfer für den Frieden gab, mußten Millionen Opfer, die den Ader des Friedens gedüngt haben. Weil es mur unbewußter Anhänger des Friedens sterben. Löbes Gedenken galt vor allem den Manen des protestantischen Pfarrers Umfried, des fatholischen Kaplans Jocham, Paasches, Frieds, Liebknechts, Alepan der Hohenlohes, Erzbergers, Rathenaus, Wilsons und Ludwig Frants. Die Saat, die diese Vorfämpfer des Friedens gesät haben, geht auf, die Wahrheit marschiert. Nicht auf einmal wird der Frieden, kommen, aber die Feinde des Krieges haben sich ver tausendfacht. Mit Bedauern stellt Genosse Löbe feft, daß der Bor saß, in den Bölferbund einzutreten, nur ein verspätetes Echo in Deutschland gefunden hat. Jetzt gelte es, fich dem Völkerbund ohne Zögern und Baudern anzuschließen. Nach Dantesworten La Fontaines beschließt die Sitzung ein stimmungsvolles Biolinquartett.
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Der Empfangsabend.
Um 9 Uhr abends fand im Prinz- Leopold- Palais am Wilhelmsplay ein Empfangsabend statt. Er wurde von Professor Quidde er öffnet. In seiner Ansprache, die er in deutsch , französisch und täten problem, an dem das deutsche Volt hervorragend intereffiert ist, mit Hilfe der pazifistischen Freunde zur Zufriedenheit aller
Die erste Plenarsihung.
heutigen Vormittag im großen Saale des Reichswirtschaftsrats ab. Die erste Plenarjigung des Kongresses wurde am gehalten. Vor Eintritt in die Verhandlungen wurde mitgeteilt, daß Reichspräsident Ebert eite Abordnung des Kongreffes
pfangen werde, in die Vertreter aller am Kongreß beteiligte: Nationen gewählt wurden. Bom Bölterbund in Genf war ein Schreiben eingelaufen, in dem der Bund seinem Bedauern darüber Ausdrud gibt, daß es ihm mährend der langen Dauer der Verhandlungen in Genf nicht möglich gewesen sei, einen Vertreter 8 den Sigungen bes 23. Weltfriedensko.ngreſſes zu entsenden. der belgische Den ersten Vortrag des Vormittags hielt in französischer Sprache Senator Henry La Fontaine,
der in seinem politischen Bericht sich namentlich mit den Eraeb nissen der Bölterbundtagung in Genf befaßte und fefte zustellen suchte, inwieweit die Idee des Weltfriedens dort Förderung erfahren habe. Nicht große Ereignisse seien es gewesen, die die Arbeit der Staatsmänner in den letzten Jahren in Anspruch ge nommen hätten, es feien vielmehr die ökonomischen Schwie rigkeiten, die den Staaten und ihren Lenkern die großen Sorgen bereitet hätten. Die Völkerbundtagung hätte ergeben, daß eingetreten sei, der nicht zuletzt auf den Sieg der demokratischen hier doch ein ungeheurer Wandel der Anschauungen Gesinnung, namentlich in Frankreich and England zurückzuführen sagen könne. Man müsse sich die Bedeutung des Fortschrittes flar wäre. Er hoffe, daß man von Deutschland bald das gleiche machen, wenn man daran denke, in wie veralterten Anschauungen die Staatsmänner der Welt noch bis vor kurzer Zeit befangen ge wesen seien, wie sie immer noch an den Ansichten der Vergangen
heit festgehalten hätten. Jezt fünne man mit Genugtung feststellen, Anbetung dessen, was gestern gewesen, müsse aufhören, vielmehr müsse ein fchönerer Morgen der Menschheit als Ziel vor Augen stehen. Das sei eine Frage der Erziehung. Auf geistigem und moralischem, auf ethischem Gebiet müsse der Fortschritt liegen, und zwar müsse das in schnellerem Tempo als bisher gehen. Graf Keßler ,
daß der Anfang zu einer absoluten Umstellung erkennbar sei. Die
der als„ offiziöfer Beobachter" den Verhandlungen in Genf bei gewohnt hatte, ftellte drei Bunke zur Debatte, da es ihn interssieren würbe, wie eine rein pazifistische Versammlung darüber denfe. Er erinnerte baran, daß bestimmte Probleme, die man noch vor wenigen Jahren für unlösbar hielt, in Genf der Lösung näher gebracht worden feien. Es wäre dort festgestellt worden 1. die obligatorische gehenden Bertrag eingehen, 2. fei der Angriffstrieg als solcher Schiedsgerichtsbarkeit für alle Staaten, die einen dahin verfemt und als internationales Berbrechen bezeichnet worden und schließlich sei 3. zum ersten Male eine wirkliche Entspan nung in der Versammlung seit Kriegsende bemerit worden. Der Redner erklärte noch, daß der Eintritt Deutschlands in den Völkers bund von allen Seiten begrüßt worden wäre.
englisch hielt, gab er der Hoffnung Ausdrud, daß das Minori. Die Antwort auf das deutsche Memorandum.
Beteiligten gelöst werden möge.
Im Namen der Stadt Berlin und der deutschen Städte begrüßte
den Weltfriedenstongreß und feierte ihn als Stulturtat ersten Ranges. Oberbürgermeister Böß Biel Idealismus und Optimismus, so meinte er, sei erforderlich, um angesichts der harten Latsachen mit Zuversicht in die Zukunft zu blicken. Die deutschen Städte feien stets Horte der fried lichen Arbeit gewesen. Sie haben unter Umständen ihre Bürger fogar zum Schuh der friedlichen Arbeit bewaffnet. Er wünsche, daß der Batt von London wirklich die Grundlage zur friedlichen Arbeit werde. Mögen die Kongreßteilnehmer durch Berlin wandern, fich aber nicht von dem Betrieb in den Zentren täuschen lassen, sondern sich nach dem Norden und Osten der Stadt begeben, um die Not und die Unterernährung der Bevölkerung fennen zu lernen und bie nichts mehr ersehnen, als in Frieden mit allen Menschen zu fich davon zu überzeugen, daß es überall nur friedliche Menschen gibt, leben, die teinen stärkeren Wunsch kennen, als den nach Frieden, nach Arbeit und nach Brot
Im Namen der demokratischen Partei begrüßte
Reichstagsabgeordneter Erkelenz
den Erfolg, den endlich der jahrzehntelange Kampf der Friedens freunde zu zeitigen beginnt. Möge es gelingen, eine überstaat. tiche Berfassung ins Leben zu rufen!
Als Delegierte Frankreichs begrüßte Marcelle Cappi die Rongreßteilnehmer im Namen der französischen Frauen. Ihre Wählerinnen hätten die Frage an sie gerichtet: Wie sollen mir Deutschland vertrauen, wenn wir in den Zeitungen lefen, daß die Nationalisten in die Regierung eintreten würden? Man fönnte es in Frankreich nicht begreifen, daß diejenigen, die für den Krieg mit verantwortlich sind, nun die Sache des Friedens schaffen sollen. Im Namen der Deutschen Völkerbundsliga sprach
Dr. Simon.
Er meinte, daß während des Krieges auf den Schlachtfeldern den Menschen der wahre Wert des Friedens erst klar geworden sei. Bölkerbund und Pazifismus feien unweigerlich miteinander verbunden. er für den Völkerbund ist, ist auch Pazifist. Wer dagegen ist, ist auch Gegne: des Pazifismus.
Bulegt sprach im Namen des seit Jahrzehnten gequälten arme nischen Boltes das Rongreßmitglied Naderjan.
Voraussichtlicher Inhalt der englischen Antwort. London , 6. Ottober.( WTB.)" Times" meldet, die britische Antwort auf das deutsche Memorandum bezüglich des Eintritts Deutschlands in den Bölferbund werde nicht lange verzögert werden. Ein Meinungsaustausch zwischen den alliierten Regierungen
in dieser Angelegenheit habe stattgefunden, und eine Bereinerzielt worden. Man erwarte, die brififche Antwort werde sich in barung über die allgemeinen Linien der Antwort sei so gut wie der Richtung bewegen, daß die britische Regierung, während sie die Abficht der deutschen Regierung, um die Mitgliedschaft des Völkerbundes nachzusuchen, begrüßt, fich veranlaßt sehe, auf die Notwendigkeit hinzuweisen, sich ftritt an die Bedingungen des Versailler Bertrages zu halten und anempfehle, daß der Antrag auf Zulassung zum Bölkerbund ohne irgendwelche Vorbehalte gemacht
werde.
Die englische Krise. Entscheidung am Mittwoch.
London , 6. Oftober.( WIB.)„ Daily Herald" zufolge ist man in politischen Kreisen der Ansicht, daß die am Mittwoch stattfindende Unterhausdebatte über den konservativen Mißtrauensantrag wegen
ガラ
der Zurückziehung der Anklage gegen den Redakteur des fommuniftischen Blattes Workers Weekly" und über den liberalen Abänderungsantrag zu Neuwahlen führen werde. Macdonald werde auf der morgigen Zusammenkunft der Arbeiterpartei in London eine wichtige Rede über die Lage halten.
Macdonald für Neuwahlen.
London , 6. Oktober. ( Eca.) Der Korrespondent des„ Daily Herald" wurde gestern in Chequers von Macdonald empfangen, der folgendes erflärte: 3ch bedauere, daß die nationalen 3ntereffen Parteierwägungen geopfert werden und daß das Wohl der Nation von einer Koalition von Konservativen und Liberalen gehemmt wird, die sich in einer nebensächlichen Frage zusammengefunden haben. Ich für meinen Teil werde den parlamentarischen Ausschuß von 10 Mitgliedern, den man mir aufzwingen will, nicht annehmen. Ich werde mich an 20 Millionen Wähler wenden, um über meine Politik urteilen zu laffen. Ich wünsche teine Neuwahlen, aber ich fürchte sie nicht. In den großen Fragen der Außenpolitik find wir ereit, den Handschuh aufzunehmen.