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Abendausgabe

Nr. 481 41.Jahrgang Ausgabe B Nr. 241

Bezugsbedingungen und Anzeigenpreise sind in der Morgenausgabe angegeben Redattion: S. 68, Lindenstraße 3 Fernsprecher: Dönhoff 292-295 Tel.- Adresse: Sozialdemokrat Berlin

5 Goldpfennig

Sonnabend

11. Oktober 1924

Vorwärts=

Berliner Volksblatt

Berlag und Anzetgenabteilung: Geschäftszeit 9-5 Uhr

Berleger: Vorwärts- Verlag Gmb. Berlin SW. 68, Lindenstraße 3 Fernsprecher: Dönhoff 2506-250%

Zentralorgan der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands

Die deutsche Anleihe.

Verteilung unter den einzelnen Ländern.

London , 11. Oftober.( WTB.) Die deutsche Anleihe, die ge­mäß dem Dawes- Gutachten einen Erlös von 800 Millionen Gold­mark erbringen foll, ist gestern zum Abschluß gekommen. Sie zer­fällt in zwei Hauptgruppen, in einen amerikanischen und in einen europäischen Anteil. Der amerikanische beläuft auf 110 Millionen Dollar, der europäische auf 26% Millionen Pfund Sterling. Der amerikanische Anteil ist von dem Banthaus Mor­gan übernommen worden. Den Hauptteil des europäischen Anteils übernimmt die Baut von England. An dem europäischen An­teil find außerdem Frankreich , Belgien , Italien , die Schweiz , Holland , Schweden und Deutschland be­teiligt. Italien wird seinen Anteil in Lire herausbringen, die Schweiz zum Teil in Franks, zum Teil in englischen Pfund, Schweden über­nimmt ſeinen Anteil in ſchwedischen Kronen. Im übrigen wird die

europäische Emission in Pfund erfolgen.

Die Anleihe ist innerhals 25 Jahren rückzahlbar, und zwar erfolgt die Rückzahlung durch Auslosung oder Rückkauf. Für die amerikanische Quote ist die Tilgung des Kapitalbetrages mit einem Aufgeld von 5 Prozent, also mit 105 Prozent vorgesehen. Die euro­päische ist mit Pari rückzahlbar. Die Emission erfolgt in allen Ländern zum Kurse von 92 Prozent und wird bereits in der nächsten Woche beginnen. Der Zinsfuß beträgt 7 Prozent. Die für den Tilgungs- und Zinsdienst erforderlichen Beträge gehen allen Repa­rafionszahlungen voran.

Die Anleihe in Amerika überzeichnet. New York , 11. Oftober.( Tul.) World" meldet: Für den amerikanischen Anteil der deutschen Anleihe ist bereits eine" Milliarde Dollar gezeichnet worden." Das Blatt schreibt hierzu, diefer un erreichte Finanzreford sei um so bemerkenswerter, menn man die antideutschen Gefühle der amerikanischen Bevölkerung erwäge, denn die Untethe würde hauptsächlich von Privaten, nicht aber von Körper­schaften gezeichnet. Diese betonen, daß ihre Hilfe bei dem glänzen­den Zeichnungsergebnis überflüssig sei.

Frankreichs Anteil an der Anleihe.

Paris , 11, Oftober.( TU.) Gestern haben im Finanzministerium zwei Besprechungen in der Frage der 800- Millionen- Anleihe statt gefunden. Zugegen waren Sachverständige der Pariser Großbanken. Es galt die letzten Voraussetzungen für die Auflegung des franzö­fischen Anteils an der Anleihe festzusetzen. Die französischen Bankiers gaben dem Finanzministerium die endgültige Zusicherung, daß sie in

Stresemann springt aus?

Wie die Telegraphen- Union erfährt, hat die Deutsche Bolts­partei den Reichstanzler dahin verständigt, daß sie bei einer Ab­lehnung ihres Vorschlages auf Einbeziehung der Deutsch­nationalen in die Regierung ihren Rüdfritt aus der gegen­wärtigen Regierungstoalition erklären würde.

Der Kampf im Zentrum. Vorsto der bayerischen Volkspartei. Rechtsstehende Blätter wissen zu berichten, daß die gestrige Fraktionssigung des Zentrums sehr stürmisch verlaufen sei. Allerdings sollen an ihr nur 35 Abgeordnete, etwas mehr als die Hälfte der Fraktion, teilgenommen haben. Nach dem ,, Tag" soll in der Sigung eine Erklärung der Bayerischen Volkspartei eine große Rolle gespielt haben, in der gesagt wird, daß niemals mehr an eine etwaige Wiedervereinigung der Bayerischen Volkspartei mit dem Zentrum zu denken sei, daß man sich vielmehr im ganzen Reiche als Christ­Reicheals, Christ lich- föderative Partei" auftun werde, wenn das Zentrum die Heranziehung der Deutschnationalen zur Regie­rung nach wie vor ablehne.

Diese Drohung wird durch einen Artikel des Baŋe­rischen Kurier" unterstrichen, in dem ausgeführt wird, daß der Riß im Zentrum völlig unvermeidbar wäre, wenn die Richtung Wirth auch nur vorübergehend ans Ruder käme. Dann würden die Bayern die bisherige Beschränkung auf die bayerischen Landesgrenzen anstreben und das Banner Windthorsts" in ganz Deutschland aufpflanzen.

Mit Windthorst geht es so, wie es auch sonst bei Richtungs­streitigkeiten mit verstorbenen Parteiführern zu gehen pflegt: jeder Teil beruft sich auf ihn. Nun droht die Bayerische Volks= partei, an die Stelle der regionalen Berreißung des Zentrums, Die sie bereits durchgeführt hat, die soziale Berreißung zu setzen, denn auf etwas anderes läuft ihr Plan natürlicher­weise nicht hinaus. Sie will die besitzenden und agrarischen Kreise des Zentrums im ganzen Reich um ihre Fahne sammeln, was zur Folge haben muß, daß auf der anderen Seite die Sammlung der besiglosen erfolgt. Die Zentrumsidee des fozialen Ausgleichs im Geist des Christentums wäre damit endgültig zu Grabe getragen.

Das Merkwürdigste dabei ist, daß gerade jene Leute es find, die der Sozialdemokratie einen Vorwurf daraus machen, daß sie den Klassenkampf für eine Notwendigkeit inner­holb der bestehenden wirtschaftlichen Zustände hält. Die Theorie, die sie mit dem Munde bekämpfen, bestätigen sie selbst durch die Tat: fie tragen zur Verschärfung der Klaffenkämpfe bei und organisieren den Klassenkampf von oben.

Nun will das Zentrum in der nächsten Woche seine end­gültige Entscheidung fällen. Es wird von ihr sehr viel ab hängen für die deutsche Politik und für das Zentrum felbft.

der Lage seien, die vollständige Aufbringung von drei Millionen Pfund Sterling, die den Normalwert des französischen Anteils aus­machen, zu gewährleisten. Heute findet ein Ministerrat statt, der noch einmal zu der Frage der Beteiligung Frankreichs an der An­leihe Stellung nehmen wird. Eine offizielle Mitteilung darüber wird erscheinen.

Anleihe und Ruhrräumung.

London , 11. Oktober. ( TU.) Die Morgenblätter bestätigen, daß die Reparationsfommission die Anleihe genehmigt hat. Demzufolge beginnen jetzt eine Reihe von Fristen zu laufen, die mit dem Zustandekommen der Anleihe einsetzen. Der diplomatische Korrespondent des Daily Telegraph " hofft auf eine Beschleuni­gung der Ruhrräumung durch die französisch- belgischen Truppen in jenen Teilen des Ruhrgebietes, die alsbald geräumt werden sollen, sowie auch darauf, daß die Besetzungszeit für den übrigen Teil des Gebietes, die im Londoner Abkommen festgelegt worden ist, bald mit Zustimmung der beteiligten Regierungen ab getürzt werden würde.

Internationales Arbeitsamt. Gewerkschaftsfragen und Flüchtlingshilfe.

Genf , 11. Oftober.( Eigener Drahtbericht.) Der Verwaltungs­rat des Internationalen Arbeitsamtes prüfte gestern verschiedene Resolutionen, die der letzten internationalen Arbeitskonferenz zur Entscheidung vorgelegen hatten. Er beschloß, die dokumentarische Untersuchung über die Anwendung der gewerkschaftlichen Freiheit in allen Ländern fortzusehen. Ferner billigte er den Plan des Arreitsamtes, der praktische Methoden für die Anwendung in verschiedenen Ländern vorsieht. der Schiedsgerichtsbarkeit bei Arbeitskonflikten

Der Beschluß der 5. Bölferbundstagung, das Hilfswert für die russischen Flüchtlinge dem Internationalen Arbeitsamt zu übertragen, wurde vom Verwaltungsrat grundsätze fich mit 17 Stimmen gegen 1 angenommen. Da aber mehr als eine Million Flüchtlinge unterzubringen sind und vorläufig nur ein Kredit von 203 000 Franken vorhanden ist, wurde das Arbeitsamt beauftragt, einen Plan für Zufluchtsorte auszuarbeiten, wo später, wenn der notwendige Kredit vorhanden ist, Flüchtlinge untergebracht werden können.

Stresemann redet.

Ueber Wirtschaft und Politik auf lange Sicht". Auf der Kulturtagung der Deutschen Volkspartei ergriff heute mittag Dr. Stresemann das Wort zu längeren Ausführungen. Er wandte sich gegen das Wort des verstorbenen Dr. Walter Rathenau die Wirtschaft allein ist unser Schicksal". Die Wirtschaft ist noch niemals das Schicksal eines Boltes gewesen. Das Schicksal eines Bolles war immer bestimmt durch die Politif in weitestem Sinne des Wortes. Man darf wohl sagen: Die Wirtschaft allein ist nicht unser Schicksal. Aber faum jemals waren die großen wirtschaft gegenwärtig.

politischen Fragen so durchsetzt mit Fragen der Welt

Stresemann tam dann auf den Niedergang unferes Barlamentarismus zu sprechen, der schon vor Jahrzehnten einfeßte, damals als Interessenfämpfe begannen. Daran sei auch Bennigfen gescheitert, der noch Ideale für die Menschheit hatte und diese neuen Interessentämpfe nicht verstand. Gegenüber dieser Einstellung hat die Deutsche Volkspartei außer ordentlich viel zu tun. Die Politik muß wieder ein Streben nach Idealen werden. Dazu gehört natürlich auch die geistige Ent­wicklung des deutschen Boltes und die Zurüdstellung des Materiellen., Gine Bartei fann überhaupt nur bestehen, wenn sie den Mut zu einer Politik auf weite Sicht aufbringt. Wenn ich die Schwierigkeiten mir vor Augen halte, die sich vor uns stellten, seit August v. J., die bei den Wahlen zu einer schweren Niederlage der Deutschen Volkspartei geführt haben, so war die Politik, die wir trieben, Politik auf weite Sicht. Ich bin der Ueberzeugung, daß wir besser daran täten, daß wir einen Tei! des quantitativen Einfluffes aufgaben zugunsten dieser Politik auf meite Gicht. Anstatt tur3sichtige Bolitik der Lageserforder: nisse zu treiben wie andere Barteien versuchten und quanti­tative Erfolge damit errangen, die aber zu einem 3usammen. bruch führte, als die Berantwortung für das deutsche Vaterland an sie herantrat.( Lebhafter Beifall.)

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Staatenbund All- Europa.

Der Kern einer Idee.

Bon Eugen Prager .

Den Höhepunkt der Verhandlungen des Welt friedenstongresses hat die Erörterung des Themas Pan- Europa" gebildet. Als Redner war Dr. Couden­hove- Calergi erschienen, der sich seit einiger Zeit mit leidenschaftlichem Eifer darum bemüht, dem Gedanken einer Zusammenfassung der europäischen Nationen zu einer feste­ren Verbindung, zu Pan- Europa, weitere Verbreitung zu geben. In dem Verhandlungsbericht des Weltfriedenskon­gresses sind die Auffassungen Coudenhoves kurz wieder­gegeben; ausführlicher sind sie in dem Buche Pan­Europa" niedergelegt und in der von Coudenhove heraus­gegebenen gleichnamigen Monatsschrift erläutert.

In seinem Pan- Europäischen Manifest" sagt Coudenhove , daß Europa seinem Untergange entgegengehe, wenn es sich nicht endlich zu einer Aenderung der jezigen Verhältnisse auf­raffe. Europa steuere einem neuen Kriege zu, der an Schrecklichkeit den Weltkrieg ebenso hinter sich lassen werde, wie dieser den deutsch - französischen Sein Element werde die Luft sein, seine Waffe das Gift, fein Ziel die Ausrottung der feindlichen Nation. Die besiegten Nationen würden vernichtet, die siegreichen tödlich verwundet aus diesem Massenmorden hervorgehen. Die zweite Gefahr, der ein zersplittertes Europa entgegengehe, sei die Eroberung durch Rußland , das fich zu Europa ebenso verhalte, wie einst im Altertum Maze­bonien zu Griechenland . Unter Führung eines roten oder weißen Diktators fönnte Rußland sich schneller aufrichten als Europa ahne. Dann würden die zersplitterten und uneinigen Kleinstaaten Europas der einigen russischen Weltmacht gegen­überstehen und deren Hegemonie verfallen. Die dritte Lebens­gefahr für Europa sei der wirtschaftliche Ruin. Nie fönne die zersplitterte Wirtschaft der uneinigen Staaten von Europa konkurrenzfähig bleiben gegen die geschlossene Wirt­schaft der Bereinigten Staaten von Nordamerika . Die euro­ päischen Wirtschaftsparzellen feien verurteilt, von den außer­europäischen Wirtschaftsimperien Ameritas, Britanniens, Ruß­ lands und Ostasiens erdrückt zu werden.

Um diesen Gefahren zu entrinnen, gebe es nur eine Rettung: 3 usammenschluß der Nationen des euro­ päischen Kontinents zu einem Zweckverband, Abbau der europäischen 3wischenzolle und Schaffung eines pan- europäischen Wirtschaftsgebietes. Eng­land und Rußland will Coudenhove von Pan- Europa aus geschaltet wissen. Niemals würden die Dominions dulden, daß England zu einem anderen Staatensystem in engere Be ziehungen trete als zu ihnen selbst; der Anschluß des britischen Bundesreiches an Pan- Europa werde allein schon hinfällig durch die Unmöglichkeit, Kanada in einen europäischen Staat zu verwandeln. Auch die Einbeziehung Rußlands in Pan­Europa sei zurzeit unmöglich. Ein Zusammenschluß zwischen demokratischen Staaten einerseits und sowjetiſtiſchen anderer­feits sei praktisch undurchführbar. Durch seine Absage an die Demokratie habe sich Rußland freiwillig vom europäischen Staatenverband losgesagt. Aber eine Zusammenarbeit sei für Europa sowohl mit England wie mit Rußland möglich Feindseligkeit gegen seine Nachbarn verbunden werden.

und notwendig; mit der Selbständigkeit Europas dürfe keine

Der Völkerbund , so sagt Coudenhove weiter, sei erst ein Rumpfparlament. 3wei Weltmächte, Rußland und die Vereinigten Staaten , lehnen ihn ab, die Großstaaten Deutsch­ land , Argentinien , Merito und eine Reihe Kleinstaaten ge­hören ihm noch nicht an. Der Völkerbund habe noch kein Recht, als Vertreter der Menschheit zu fungieren, er sei erst eine Ber­tretung wahllos zusammengewürfelter Staaten, die sich seiner im Interesse ihrer Machtpolitif bedienten. Seine bisherigen Urteile waren feine Richtsprüche, sondern Kompromisse. In Oberschlesien , Wilna und Oftgalizien habe der wehrlose Bölker­bund vor den polnischen Waffen tapituliert. Dennoch sei die Idee des Völkerbundes ein großer Fortschritt in der menschlichen Entwicklung, er sei der erste schüchterne und fehler­hafte Versuch, an die Stelle der internationalen Staaten­anarchie eine allgemeine Weltorganisation zu fegen. Er müsse umgestaltet werden zur höchsten Weltinstanz für die sich bildenden engeren Völkergruppen. Drei von diesen Gruppen bestünden bereits: die pan amerikanische, die britische, die russische Gruppe; zu sammeln sei noch die europäische und die mongolische Welt. Erst der so gegliederte Völkerbund würde zum besten Garanten des Weltfriedens werden. Seine Gruppen fönnten, nach gemein­samer Abrüstung, untereinander einen Schiedsvertrag ab­schließen. Die Gruppenbildung mürbe eventuelle Kriege loka­Wien, 11. Oftober.( WIB.) Nach einer Meldung aus Breßlifieren, die Gefahr eines neuen Weltkrieges fönnte wesentlich burg ist dort gestern nachmittag ein Reichsdeutscher unter dem Ber - verringert werden. dacht verhaftet worden, mit dem flüchtigen Mörder Erzbergers, Heinrich Titlessen, identisch zu sein. Er gestand, daß er chne Ausweispapiere und ohne Baß über die tschechoslowakische Grenze gekommen sei, bestreitet aber auf das entschiedenste seine Identität mit Tillefsen. Er gab an, daß er schon einmal in Wien als Til leffen verhaftet worden sei, daß es sich dann aber herausgestellt habe, daß er nicht der Gesuchte sei. Während des Verhörs wechselte der Verhaftete mehrmals feinen Namen. Die Polizei hat alle Recherchen eingeleitet, um die Identität klarzustellen.

Tillessen verhaftet?

Die deutsch - schweizerischen Verhandlungen über Fragen der beiderseitigen Aus- und Einfuhrpolitik werden am 21. Dftober in Berlin beginnen.

manchen Punkten mit den Forderungen der Sozia Wie man sieht, berühren sich die Ideen Coudenhoves in manchen Punkten mit den Forderungen der Sozia liften, wenn diefe auch von anderen Voraussetzungen aus­gehen und vor allem das gemeinsasne Interesse der Ar­beitertiasse aller Nationen an der Befriedung der Welt als die beste Bürgschaft gegen die Wiederkehr des Weltkrieges hervorheben. An sich ist der Gedanke der Schaffung der Ver­ einigten Staaten von Europa nicht neu, der italienische Revo­lutionär Mazzini, der berühmte Bölkerrechtslehrer Bluntschli haben ihn propagiert. Während des Krieges hat auch Karl Kautsky diese Frage erörtert. Kautsky hat davor gewarnt, diese Idee, die eine vollständige Umwandlung der bisher herr­schenden Staatensysteme verlange, mit der Idee eines euro päischen oder gar mur mitteleuropäischen Zollvereins zu per