Parteien eine seltene Ware, wie die Vorgänge der letzten 24 Stunden deutlich genug gezeigt haben. Sagen die Demokraten heute tapfer Nein, so werden damit hoffentlich alle Winkelzüge endlich zu Ende sein, und die Krise wird durch eine Befragung des Volkes ihre reinliche Lösung finden. Stammeln sie aber ein mutloses Ja, dann ist für die Sozialdemokratie eine klare Kampf st ellung ge- wonnen. Man wird dann sehen, wohin der Bürgerblock Deutschland führen wird, man wird auch sehen, wie lange die auch dann noch knappe und innerlich morsch« Bürgerblock- Mehrheit mit diesem Reichstag regieren kann. Und jetzt gehört das Wort den Demokraten! Hürgerblock als Totengräber. Eine warnende Zentrumsstimme. Auch im Zentrum rührt sich der Flügel der B e- s i-tz e n d e n, um die Reichstagsfraktion für den Bürger- b l o ck reif zu machen. Die Verteidigung des Besitzes ist auch ihm heiliger, als alles andere auf der Welt. Aus dem Geiste des Ewig-Vorgestrigen heraus, vom Standpunkt der alten Eigentumsordnung hatte sich in den letzten Tagen der Großgrundbesitzer Freiherr v. Loö. ein Führer des konfer- vativen Zentrumsflügsls in Westfalen , bemüht, in der„Ger- mania" selbst unter Ausfällen auf die Windthorst-Bünde dem Bürgerblock das Wort zu reden, der„christlich-nationalen Gemeinschaft", die die alten Klassenunterschiede in der Republik verewigen soll. Die Redaktion der„Germania " hat den Artikel veröffent- licht, aber sofort hinzugefügt, daß er von falschen Voraus- setzungen ausgehe und zu falschen Schlußfolgerungen gelange. Die„Germania " begnügt sich jedoch nicht mit dieser ein- schränkenden Vorbemerkung, sondern läßt eine grundsätzliche Abrechnung mit Lot- folgen. In ihr sind so deutliche und un- angreifbare Wahrheiten enthalten, daß sie gerade angesichts der neuesten Haltung der Zentrumsfraktion besondere Be- deutung gewinnen. Die„Germania " fragt:„Ist der B ü r- g e r b l o ck wirklich der Ausdruck oder die notwendige Voraussetzung einer„christlichen Demokratie"?" Und gibt darauf alsbald die Antwort:„Der Bürgerblock stellt geradezu den Zusammenschluß der zum mindesten nach der wirt- s ch a s t l i ch e n— aber auch nach der kulturellen und voll- tischen— Seite hin liberalistisch eingestellte Bevölke- rungsteile dar." Was das bedeutet, fetzt die„Germania " weiter ausein- ander: Allerdings standen die hervorragendsten wirtschaftlichen Ausbeuter der deutschen Demokratie in den Kreisen, die heule zum Dürgerblock drängen. Sie waren innner die schärfsten Gegner jeder Gesetzgebung, die ihrem radikalen, höchst unmoralischen und volk»- feindlichen wirtschastsliberalismos die Zügel anlegen wollte. Sie sind es heute noch. Das rohcste ZNanchestertum ist ihnen ureigenste Lebensbasis. Sie haben zwar des öfteren zu verstehen gegeben, daß ihnen das demokratische Stoatssystem nicht passe, daß es dem Wesen des deutschen Volkes widerspreche. Aber es müßte komisch zugehen, wenn sie wirtlich für den Fall, daß sie an die Macht kämen, sich daran gäben, es organisch(!) auszubauen. Sle loerden einen„Ausbau" höchstens in d e r Form vornehmen, daß sie ihre liberalistischen Wirlschastsafpirationen noch leichter verwirklichen können, und wenn sie heut« mitunter nach der Monarchie verlangen, so hält sich auch dieser{Eunsch durchaus in formalen Grenzen. Alan macht den Vollen des Reichspräsidenten erblich und besetzt ihn mik dem Angehörigen irgendeiner Dynastie, über die man sich bi» seht allerdings noch nichi einig geworden ist. Die Grundbedingungen für die Wiedererweckung des alten Klassen- und Kaslenitanbe, werden ober damit genügend wiedergewonnen. ... Di« Aufrichtung des B ü r g e r b l o ck s ist... die Aus- liesening der Sloaksmacht und der deuischen vemokralie an den liberalistischen wirischaftsgeist. Urw wenn jener auch, gewitzigt durch die Msmarckschen Erfahrungen, keinen offenen Kulturkampf mehr machen, wenn er sich sogar geflissentlich„christlich" und „kotholikenfrenndlich" nennen wird, wenn er m gleicher
Zrieörich Nietzsche . Bon Dr. Hellmuth Falkenfeld. Friedrich Nietzsche , der Pastmssohn, wäre heute SV Jahre alt geworden, wenn er noch lebte. Geboren am IS. Ottober 1844 zu Röcken bei Lützen , besuchte er die berühmte Schule Pforta , studierte unter Ritschl in Bonn und Leipzig klassische Philologie und wurde bereits mit 2S Jahren U ni verfitä tsprofesi or in Bafel. Aber ein« Erkrankung zwang ihn, 1879 die Stell« aufzugeben. Er lebt« nun in freier schriftstellerischer Tätigkeit an verschiedenen Orten, in Eils Maria im Ober-Engadin und rn Italien . Das Ende fernes Lebens ist umdunkekt von dem Schatten einer unheilbaren Geisteskrankheit. Er stirbt 1900, an der Jahrhundertwende. Nietzsche stirbt an der Jahrhundertwende, an der Wende des Säkulums, das fein Jahrhundert zum großen Teil ist. Denn wie stark auch sein Gegensatz zu seiner Zeit gewesen sein mag, wie sehr er auch Wagner und den Bildungsphikster seiner Zeit bekämpft hat, Nietzsche ist doch auch ein Kind des 19. Jahrhunderts. Er ist es als Anbeter der Natur nicht nur, sondern auch des Naturalismus, er ist es als Belachter der Aufklärung des 18. Jahrhunderts, als Gegner Kants, Schillers, als Gegner von Sokrates . Er ist es als Lekämpfer feststehender moralischer Gefetze, als Feind des Begriffs der objek - tioen Wahrheit, als Verehrer der Macht und der Schönheit des Lebens. Zweifellos werden wir immer mehr' dazu gelangen, Nietzsche nicht als echter Revolutionär zu fassen. Denn der echte Revolu- tionär vertritt die Forderung der Vernunft. Er sieht das unver- nünftige Leben und will es vernünftig machen. Nietzsche jedoch. ein Feind der philosophischen, der Kantschen Vernunft, will die Menschen von dem„Götzendienst der Vernunft" gerade befreien. Er will nicht, daß sich Menschen s. priori gefundene Gesetz« zum Lest- stern ihrer Handlungen machen. Er will nicht Vernunst, sondern Stärke, Schönheit des Lebens. Er will den Ucbermcnfchm züchten. der die gefunden, von der Vernunft nicht angekränkelten Instinkte besitzt. Er will den Mochtmenschen. Und er verachtet dos Mitleid und die christliche Nächstenliebe, die sich des Schwachen und Hilfs- bedürftigen annimmt. Denn für Nietzsche , und auch hier bricht Darwinsches 19. Jahr- hundert durch, find die großen Exemplare der Menschheit, das einzig Lebenswerts, mag auch ihre Existenz erkauft fein mit dem Untergang vieler Schwacher. Die Moralisten, die immer predigen, du sollst Rücksicht nehmen, du sollst ein Gesetz über dir und dem Nächsten gelten lassen, das beider Interessensphären einschränkt, find nur die Inszcnierer des großen Sklavenaufftandss: sie oertreten heuchlerisch die Interessen der Verkümmerten, um die Starken in ihrem Sieges- zuge zu hemmen. Das moralische Gesetz liegt nach Nietzsche aber nicht außerhalb der Persönlichkeit, sondern in ihr, das heißt, in der starken Persönlichkeit.
durchsichtigen Absicht die politischen Gegner als„marxistisch" oder „marxistisch verseucht" oerlästern wird, so ändert das doch nichts daran, daß in einem Bürgerblock der christliche Staalsgedanke praktisch zu Grabe gelrageu wird.... Deutsche organische Demokra- t i e und Liberalismus sind Gegensätze, aber dieser Gegen. satz deckt sich vollauf mit dem zwischen organischer Demokratie und Bürgerblock.... Das gegenwärtig« parteitaktische Vorgehen der Deutschen Volks- partei im Verein mit den Deutschnationaleil ist im Grunde genommen nichts anderes als ein Vorstoß liberalistischer Weltan- s ch a u u n g in dem von den Katholiken wieder emporgeführten Deutschland . Es ist«in Versuch, den deutschen Katholizismus um die Früchte seiner Arbett zu bringen, ein versuch, die Herrschaft des Liberalismus auf dem ueugegründeken staatlichen Boden neu aufzurichten. Der versuch darf nichi gelingen. Das Zentrum darf die Hand nicht dazu bieten. Es muß nötigenfalls Neuwahlen fordern, wenn es damit auch nicht mehr erreichen sollt«, als daß das Kräfteverhältnis des Liberalismus im Verhältnis zum Zentrum geschwächt wird. Diese Haltung des führenden Zentrumsblattes ist klar und durchsichtig.„Liberalistischs Weltanschauung" ist für jeden Zentrumsmann jene Anschauung, die sich in dem Herrn-im-Hause-Standpunkt der Schwerindustrie unter dem Segen Wilhelms kristallisierte. Sie wirkte sich besonders aus gegen die A r b e i t e r— christliche und andere— in sozialer Beziehung und im Kulturkampf ödester Art in kirch- lich-religiöser Hinsicht. Man begreift deshalb, wenn die„Germania " ihre war- nende Stimme kurz vor 12 Uhr erhebt und dem Zentrum ins Gewissen redet:„Wenn wir jetzt der wirtschaftlich überlegenen Rechten uns verbinden, liefern wir die Macht aus und verlieren damit den Anspruch, als P a r t e i der Mitte zu gelten." Der Kall Dohme. Die Ratte« verlasse« das Schiff. Die demokratische Reichstagsfraktion teilt mit: Der Abgeordnete Dr. Böhme ist aus der Deutschen Demo- kratischen Partei und damit aus der demokratischen Reichstags- fraktion ausgeschieden. Nach den öffentlichen Angriffen Böhmes gegen die demokratische Presse und die Parteileitung war dieser Schritt keine Ueberrafchung mehr. Er bringt vielmehr nur eine Klärung. Die bäuerlichen Interessen werden selbswerstünd. lich von der demokratischen Fraktion nach wie vor tatkräftig ver- treten, um so mehr, als der Vorsitzende des Bauernbundes, der Abgeordnete Wachhorst de Wente, Mitglied der Demokrat!- lchen Partei bleibt. Zugleich mit Herrn Böhme haben die Bauernbundführer, preußischer Landtagsabgeordneter West ermann, das Mitglied des Reichswirtschaftsrates S ch m i d t h a l s und H a r t k o r p- Ostpreußen ihren Austritt aus der demokra- tischen Partei erklärt und sich der Deutschen Volkspartei an- geschloffen. Die ürejsierten Deutschnationalen. Vorführung durch die Volkspartei. Der Schacher um den. Bürgerblock, der jetzt vor der Ent- scheidung steht, hat viele dunkle Hintergründe. Den dunkelsten bilden die Verhandlungen zwischen den Deutschnatio- n a l e n und den B a l k s p a r t e i l e r n. Noch heute weiß man nicht, was eigentlich die parlamentarische Geheim- diplomatie dieser einander würdigen VerHändler am 29. August ausgemacht hat. Der bekannte Brief von Zapf und C u r t i u s gibt davon nur ein ganz unzureichendes Bild. Seitdem sind die Verhandlungen eifrig fortgeführt wvr- den. Ihre Ergebnisse blieben aber noch immer im Zwielicht. Jetzt behauptet die Volkspartei in ihrer allerneueften Erklä- rung, die Deutschnationalen seien bereit, Marx und Strefemann in ihren Aemtern zu belassen, die Richt- linien der Regierung vorbehaltlos zu akzeptieren und die Außenpolitik im bisherigen Sinn weiterzuführen.
Ob Herr Marx wirklich von den Deutschnationalen par- doniert werden wird, ist uns nach den Angriffen, die die deutschnatwnale Presse gerade in den letzten Tagen gegen' ihn richtete, überaus zweifelhaft. Noch zweifelhafter, ob sich Herr Marx selber zum Bürgerblockkanzler berufen fühlt. Bei der Rechten würde er kaum Vertrauen gewinnen, auf der Linken würde er es vollkommen verlieren. Ganz besonders merkwürdig aber mutet die Stelle der volksparteilichen Erklärung an, in der gesagt wird, die Deutschnationalen seien zur Fortführung der Außenpolitik im bisherigen Sinne be- reit. Wir wissen nicht, ob die Volkspartei von den Deutsch - nationalen legitimiert ist, für sie eine solche Erklärung abzu- geben, desto bestimmter wissen wir, daß die gesamte deutsch - nationale Presse bis zum heutigen Tag das genaue Gegenteil von dem verkündet hat, was die Volkspartei behauptet, sie hat die Zumutung, die bisherige Außenpolitik fortführen zu helfen, mit Hohn und Entrüstung abgelehnt. Es ist also notwendig, die Frage zu klären, wer für die Deutschnationalen zu sprechen berufen ist: die deutschnationale Presse oder die Volkspartei, und wer hier betrogen werden soll, die deutschnationale Anhängerschaft, der man sagt, nun müsse alles ganz anders kommen, oder die bür- gerlichen Mittelparteien, denen man sagt, es bleibe alles wie zuvor. Die Volkspartei führt die Deutschnationale Parte: als dressierten Bären vor mit dem Ring durch die Rase. Man weiß aber nicht, ob der Ring hält und ob die ganze S�ene echt ist.
Christliche gegen Dürgerblock. Ablehnung der Rechtsorientierung. Die Kölner Jllluläumsingung der Christlichen Gewerkschaften hat zu einer lebhaften Auseinandersetzung zwischen Stegerwald auf der einen Sette, Jmbusch, G i es b er t s, Ivos, S t eg e r und Fahrenbach auf der anderen Seit« geführt. Nur der alte Wie der. Borsitzender des Christlichen Mewllarbeiterverbandes, unterstützte durch eine mehr platonische Erklärung seinen alten Freund Stegerwald. Dieser selbst sah sich in seinem Schlußwort genötigt, den Rückzug anzutreten. Das hat ihn freilich nicht gehindert, mit der ihm eigenen fanatischen Hartnäckigkeit sein Ziel weiter zu verfolgen, d. h. die christlichen Gewerkschaften vor den Wagen des Bürgerblocks zu spannen. In der Zlusemandersetzung fiel manch bitteres Wort gegen die Unternehmer und deren Nassenkämpferifch« Politik. Stegerwald will den tragischen Konflikt nicht sehen, in den die christ- liehen Gewerkschaften durch die Unternelzmer hineingetrieben worden sind. Das Ziel der christlichen Gewerkschaften bei ihrer Gründung war die Bekämpfung der Sozialdemokratie und der freien Gewerkschaft«n und die Herstellung der H a r. monie zwischen Kapital und Arbeit. Die Unternehmer hoben sich den christlichen Gewerkschaften bei der Verfolgung des Zieles in den Weg gestellt. Durch diese Unternehmerpolitik sind die christlichen Gewerkschaften, so sehr sie sich auch sträubten, in wachsendem Maße gezwungen worden, A r b e i t e rp o l i t i k zu treiben. In ihren Entschließungen bemühen sich die christlichen Gewerkschaften, die allen Formeln zu wiederholen, den Klassenkampf abzu- leimen und für die christliche Weltanschauung einzutreten. Die materialistische Einstellung der Unternchmer befindet sich jedoch in offener Feindschaft zu dieser christlichen Wellanschauung. Dies« Einstellung der Unternehmer ist es, die die christlichen Ge- werkschaften zwingt, auch ihrerseits den Klassenstandpunkt der Arbeiter zu vertreten. An dieser Tatsache wird jeder Bürgerblock schließlich scheitern und die christlichen Gewerkschaften werden ge- zwungen, Schulter an Schulter mit den freien Gewerkschaften zu kämpfen. Die Kölner Tagung endet« mit einem unausgesprochenen Kom- promiß. Dieses Kompromiß besteht in einer betonten partei - politischen Neutralität. Man will die gewerkschaft-
Ersichtlich führt diese Philosophie, für die noch nie in der Welt- geschichte so glühend beredte, so bezaubernde Töne gefunden worden sind, wie bei Nietzsche , zur Verachttmg des Rechtes der Masse, zur Verachtung des sozialen Mitleids, zum Kampf« gegen den Sozialis- mus. Dieselbe Feindschaft, die Nietzsche gegen die kritische Philosophie empfand, mußte Nietzsche natürlich auch gegen die Anwendung der Vernunft und Gerechtigkeit auf das sozial« Leben hegen. Mehring nannte Nietzsche den Philosophen des Kapitalismus . Aus feiner Philo- sophie läßt sich zweifellos der Kapitalismus rechtfertigen. Doch muß man bedenken, daß Nietzsche auch andere Töne innerhalb seiner viel- stimmigen Gedankenwelt angeschlagen hat. Er bekämpft die Konser. vativen als die Hinzulügner von Schemgründen zu ungerecht Be- stehendem und nennt den Staat einmal das„kälteste aller kalten Nn- geheuer". Nietzsche ist noch in seinem philosophischen System zu sehr Dichter, um lediglich auf Konsequenz des Systems hin zu arbeiten. Di« Schönheit, die den Stil seiner eigmen Werte erhöht, mochte Nietzsche zum Prinzip der Lehre, die er verkündet. Die Schwachen und Verkümmerten stören das schöne Bild des Daseins. Darum fort mtt ihnen! Wenn der Starke will, dann kann er auch altruistisch sein; den bloßen Egoismus haßte auch Nietzsche . Aber der Grund- fehler seiner Lehre liegt doch darin, daß ei' das Mitleid als solches verachtet. Denn überall, wo das Mitteid der Gerechtigteitsempfin- dung entspringt, da geht es vernünftigerweise den Bedürfnissen des Schönheitssinnes voran. Di« Gevechtigkeit aber ist ein« Forderung der Vernunft, und«in« Vernunft, deren Gesetze oberhalb der Per- sönlichkeit selber liegen, wollte Nietzsche nicht anerkennen. So schließt sich der Kreis. Nietzsche war ein Bekämpfer der„reinen Vernunft", well er«in Gegner der sozialen Gerechtigkeit war, und er war Gegner dieser Gerechtigkeit, weil er gegen die Kantfche, ja schon gegen die Sokratessche Vernunft war. Und so ist dieser große revoin- tionäre Denker ein Wegbereiter der Reaktion geworden. Denn reak- tionär ist jedes Streben, das den geistigen Aufstieg der Massen wie den Siegeszug der Vernunft auf der Welt hemmt. I--- Der neue Zar. (Frei nach Christian Morgenstern .) Vernehmt: ein neuer Zar erstand. Es ist ein Zar, fönst nichts. Er hat nickst Thron, er hat nicht Land. Es ist ein Zar, sonst nichts. Es ward das alte Zarenhan» Zerschossen um und um. Doch der Kyrill kam hell heraus. Jetzt hat er wieder Mumm: Hat sich mit eigener Hand gekrönt, Ist nun ein Zar, sonst nichts. Ob Rußland auch in Wehen stöhnt, Es lacht doch solchen WichtsI O- K o e st e r
Konzerte. Lädt der Hegar-Ehor mtt seinem Chormeister I. G. Rohrbach zu einem Konzert in die Hochschule für Musik, so ist«ine gewisse künstlerische Höhe der Veranstaltung von vornherein garantiert, gesichert einmal durch die Beschaffenheit der Vereinigung, die in allen Stimmen ein vorzügliches und wohl- abgeglichenes Material besitzt, verbürgt auch durch die musikalischen Qualitäten seines Führers, der fteilich mit Dorltebe aus der Fülle der Mittel schöpft. Im Mittelpunkt des Abends stand Hegars grau- dioser„Rudolf von Werdenberg". Größere Werk« von Stubbe, W. Sturm und Hugo Kaun hinterließen starke Eindrücke. Der Chor pflegt aber neben der Komposition großen Formats auch das Volks- lied und— an diesem Abend— das volkstümliche Lied. Rodecke, Othegraoen und Wohlgemuth kamen zu Worte. Alfred Lich- t en stein entzückte wieder mit seiner Kunst. Er spielte tonschön Moliques v-Moll-Konzert und kleiner« Stück«. Sem ganzes Wesen, sein« Auffassung verraten romantisch« Neigung. I.®. Rohrbach begleitet« gewandt und anschmiegsam. Der ganze Abend war ein schönes und nachhallendes Erlebnis. Di« Sonntagnochmittage mit ihrem wunderschönen H-rbstwetter sind recht konzertfemdlich. So wies auch der Hochschulsaal beim Konzert des Männerchvrs„He i de r ö sl« i n"(P. A. Joseph) empfindlich« Lücken aus. Der Berein hatte ein vülkstüm- liches Programm gewählt. Er fang meist bekannt« Weisen neueren Datums. Das recht schmarrenhafte„Lombardische Ständchen" von Kappel hätte man gern gemißt. P. A. Joseph hat einen Hang zu übermäßig nüanciertem Vortrag, der diesen schlichten Weisen schlecht ansteht. In bezug auf Atmung und Phrasicrung, auf klangliche Ab- geglichenhett mögen Begeisterung und Hingebung an die Sache noch manches Bessere schaffen. Der Dirigent spielte einige Solosachen und mit Reinhold Joseph zusammen Adolf Jensen „Hochzeits- musik", die in ihrem rührenden Romantikertum. ihren mancherlei Wagnerismen und ihrem plasttfch schönen Raumempfinden immer wieder neu ersteht. Die Zuhörerschaft entlockte Ehor und Solisten einige Zugaben. S. G. Die Ausstellung des RÄchsarchios zu Voksdam zur deutschen Geschichte seit 1848 wurde in den Räumen des Potsdamer Zivilkasinos eröffnet. Zu dem Festakte waren der Reichspräs i- dent, Relchswehrminister Dr. Geßler und Staatssekretär im Reichsminifterium des Innern Schulz. Mitglieder des Reichsrats. des Lehrkörpers der Universität, der Technischen Hochschule u. a. erschienen. Der Präsident des Archivs, General a. D. von Mertz, wies auf die Kulturaufgabe des Instituts hin. Der Direktor der Archivabteilung Dr. Müsebeck sprach über die Aufgaben und Ziele des Reichsorchivs. Er legte die beiden Kulturaufgaben dar, die es zu lösen habe, einmal in sich die geschichtliche Konzentratton des Staats gedankens darzustellen und für sie zu arbeiten, dann in dem zu sammelnden Quellenmaterial das gesamte Volk als den Träger des� Staatsgedankens in Eri'cktemung treten zu lassen. Diese beiden Aufgaben können nur erfüllt werden, wenn die Reichsbehörden ihrerseits die archivreifen Bestände an das Reichsarchiv abliefern und wenn alle Kreise des deutschen Volkes dem Reichsarchio die in ihren Händen befindlichen handschriftlichen, für die Geschichte des Volkes und des Staates wertvollen Schätze anvertrauen.— Im Anschluß an diese Ausführungen fand die erste Besichtigung der Ausstellung statt. Sie ist im Ziviltasino in Potsdam , Waisen-