Nr. 49041.Jahrgang
2. Beilage des Vorwärts
Die Einwandererflut in Frankreich
Die überschwemmte Metropole. Folgen des Industriemufschwunges und der Verwendung von Kolonialfruppen. Bon Italienern, Annamiten,„ Sidis" und anderen.
Frankreich und insbesondere seine unvergleichlich schöne Hauptstadt haben stets eine besondere Anziehungskraft auf das Ausland ausgeübt. In der Nachkriegszeit, in der der Reichtum der nord- und südamerikanischen und der neutral gebliebenen Nationen auf Kosten der sich selbst ruinierenden fontinentaleuropäischen Länder ungeheuer zugenommen hat, hatte der Fremdenstrom in ganz besonders verstärktem Maße bald wieder eingesetzt. So erklärt es sich, daß die Zahl der Pariser Hotels, sowohl der palastartigen wie auch der mittle= ren, sich in den letzten Jahren beträchtlich vermehrt hat, und zwar auch in solchen Stadtgegenden wie dem Besten und auf dem linken Seineufer, die früher nicht zu den eigentlichen Fremdenverkehrszentren gehörten. Obwohl diese Ausländer noch viel mehr als früher Geld nach Frankreich bringen und dort lassen und damit die französische Zahlungsbilanz günstig beeinflussen, so ist den Franzosen , besonders dem in seinem Lebensniveau start gedrückten Mittelstand ob dieser Ueberschwemmung nicht sehr wohl zumute. Es gibt viele Lokale, besonders die besseren, in denen man fast gar nicht französisch reden hört; in den Theatern belegen die Fremden, namentlich aus hochvalutarischen Ländern, die für fie allein erschwinglichen besseren Pläge, in den Geschäften laufen sie die teuersten Sachen ein kurz, Frankreich er lebt seit dem Rückgang seiner Währung ungefähr die gleichen Erscheinungen des Ausverkaufs, die Deutschland seinerzeit zur Genüge durchgemacht hat.
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Die Verdrängung des alteingefeffenen Reichtums durch die reichen Ausländer kommt in sehr drastischer Weise zum Ausdruck, wenn man einen Blick auf ein Rennprogramm wirft. Als ich einmal in der Untergrundbahn ein Gespräch anhörte, in dem von der Ueberschwemmung durch ausländische Rennstallbesizer die Rede war, sah ich mir den Sportteil einer Zeitung danach an und stellte folgendes fest: In dem Hauptrennen des Tages ließen zwei Amerikaner, zwei Spanier, ein Engländer, ein Russe, ein Armenier, ein Italiener und ein Perser Pferde laufen, dagegen nur drei Franzosen; und von diesen war einer zumindest zweifelhafter Nationalität und einer war der Baron Rothschild...
Aber neben dem tapitalistischen Fremdenstrom gibf es in Frankreich einen proletarischen Fremdenstrom, der ein ungeheures und vielleicht sogar unlösbares wirtschaftliches, soziales und ethnologisches Problem aufgeworfen hat. Die Ursachen dieser proletarischen Ausländerflut sind mannigfaltig. Es ist zunächst die starte Industrialisie rung Frankreichs in den letzten zehn Jahren. Auch das ist eine Erscheinung, die alle triegführenden Länder durchgemacht haben: das flache Land entvölkerte sich zugunsten der für Rüstungen unter Hochdruck arbeiterben Industriezentren und, als der Krieg zu Ende war, wollte nur ein kleiner Teil des neuen Industrieproletariats die kulturell höher stehende Großstadt verlassen. Das war auch nicht so unbedingt nötig, weil der Sieg Frankreichs der französischen Bolkswirtschaft eine viel stärtere Produktionsgrundlage durch den Erwerb der großen Eisenerzgruben und Stahlhütten in Lothringen verschafft hatte, und weil die Notwendigkeit, die zerstörten Gebiete in Nord- und Nordostfrankreich wieder aufzubauen, ungeheure Anforderungen an die Industrie stellte. Insbesondere das letzte Problem hat einen sehr starken Aufschwung der in Frage tommenden Branchen Eisenbau, Eisenbeton, Elektrotechnik, Biegeleien, Sägemühlen usw. zur Folge gehabt und das Auge des Reisenden in der früheren roten Zone" 3. B. zwischen Maubeuge und Compiègne gewahrt nicht nur die Wiederaufrichtung aller früheren Fabriten, die im Jahre 1919 das Bild eines grauenhaften Trümmerhaufens boten, sondern auch die Entstehung riesiger, funkelnagelneuer Werkstätten und Konstruktionshallen, deren volkswirtschaftliche Leistungen unbestreitbar sind: denn es ist gar nicht zu leugnen, daß Frantreich aus eigen er industrieller und finanzieller Kraft bereits einen wesentlichen Teil seiner zerstörten Gebiete wieder aufgerichtet hat.
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G
Deutsche Regierungskrise.
Auf allgemeines Verlangen wiederholt.
Stresemann
HABEKING
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Kock
Marx
Seht doch, seht, wie sich's dreht Und dann endlich stillesteht. Und dann ist, und dann ist Alles, wie's gewesen ist.
(„ Vorwärts", 8. Juni 1924.)
Freitag, 17. Oktober 1924
Aergt
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dem nicht die Lokalchronit von Mefferstechereien, meist mit| Often Europas in den nächsten Jahren in demselben Tempo tödlichem Ausgange zwischen Sidis" unter sich oder zwischen Sidis" und Franzosen oder Italienern zu berichten weiß. Neuerdings macht sich in der französischen Presse eine gewisse Unruhe ob dieser kulturellen Gefahr bemerkbar und es werden Maßnahmen gegen diese koloniale Menschenflut gefordert.
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fortschreiten sollte wie in der ersten Nachkriegszeit. Für die europäische Arbeiterschaft, nicht nur für die französische, ist dieser proletarische Menschenstrom schon jetzt eine Gefahr und sie wird als solche von den Arbeiterorganisationen er= tannt. Auf seiner legten Tagung im September hat der Generalrat des Allgemeinen französischen Gewerkschaftsbundes Damit ist aber das Rapifel der Fremdeneinwanderung mehrere Sigungen diesem Problem gewidmet. Denn abgenoch lange nicht erschöpft. War schon vor dem Kriege Frant- fehen davon, daß die kulturell auf niedriger Stufe stehenden reich, vor allem die Gegend zwischen Nizza und Marseille ein erotischen Arbeitermassen gewerkschaftlich sowieso schwer zu bevorzugtes Einwanderungsgebiet derjenigen Italiener, erfassen sind, so werden sie von den Arbeitgebern systematisch Die französische Bevölkerung war aber zahlenDie französische Bevölkerung war aber zahlen- bie eine weite Ueberfeereise scheuten, so hat dieser Italiener als Lohnbrüder gegen die einheimische Arbeitnehmermäßig, teils überhaupt, teils auch infolge des furchtbaren strom nach Kriegsende aus den oben erwähnten Gründen schaft verwendet, ja bevorzugt. Auch das kennen wir von den mäßig, teils überhaupt, teils auch infolge des furchtbaren unglaublich zugenommen und er erstreckt sich nunmehr auf ostelbischen Großgrundbesizern, die sich stets der polnischen Aderlasses in den vier Kriegsjahren, diesem IndustrieausAderlasses in den vier Kriegsjahren, diesem Industrieauf ganz Frankreich , vor allem auch auf Paris und auf das und sonstigen, Saisonarbeiter aus dem Often bedient haben, schwung nicht gewachsen. Schon wegen der derben AufSchon wegen der derben Auf- Lothringische Erzgebiet. Dieses war allerdings schon um die deutschen Landarbeiter in ihren wirtschaftlichen und räumungsarbeiten mußten ausländische, namentlich erotische Arbeitskräfte in Anspruch genommen werden. früher auf beiden Seiten der Grenze start international. Heute kulturellen Ansprüchen wirksamer bekämpfen zu können. soll das italienische Element an vielen Stellen gegenüber dem Die kommunistischen Organisationen beschäftigen sich Der einheimische Arbeiter, der höhere kulturelle und wirtschaft- Rest der Bevölkerung start überwiegen. Die italienische ebenfalls mit diesem Problem, allerdings auch nach einer ande liche Ansprüche stellt, tonzentrierte sich hauptsächlich und nach Einwanderung hat im letzten Jahre dadurch zugenommen, ren Richtung hin: sie können zwar nicht einer weiteren EinMöglichkeit auf die beffer bezahlte Qualitätsarbeit. So hat daß diele italienische Proletarier teils gezwungen, teils frei- wanderung das Wort reden, weil dies eine glatte Preisgabe namentlich die Automobilindustrie in Frankreich eine fabelhafte Entwicklung genommen und sie dürfte zahlen- willig dem Lande der faschistischen Reaktion den Rücken der Intereffen der französischen Arbeiter bedeuten würde, aber fehren. Neuerdings nimmt auch die Einwanderung aus fie versuchen die bereits vorhandenen Ausländermassen mäßig bald den führenden Zweig in der Gesamtindustrie Spanien aus einem ähnlichen Grunde stark zu und findet politisch zu beeinflussen und zu erfassen, was bekanntlich bilden; es sind in ihr gegenwärtig mehr als vierhundert- Aufnahme vor allem in den Hafenstädten Bordeaux , Bayonne für die bolschewistische Propaganda um so leichter ist, je tiefer tausend Mann beschäftigt, darunter 300 000 allein in Paris und Cefte. Auch Horthy- Ungarn liefert ein immer bie Rulturstufe der bearbeiteten Maffen ist. Sie bedienen und Umgebung. stärkeres Auswandererfontingent nach Frankreich , ferner sich dabei aller möglichen Mittel und Argumente, hezen die Polen , die Slowakei und im nordfranzösischen Grenz- Marokkaner, Algerier, Mulatten und Senegalneger gegen gebiet natürlich auch Belgien . Frankreich auf, die Indochinesen packen sie anläßlich der Chinawirren und der Interventionsgerüchte beim Nationalgefühl, für die Italiener geben sie eine besondere italienische Ausgabe der Humanité" heraus; furz, es eröffnet sich für die Jünger Sinowjews in Frankreich ein besonders intereffantes und aussichtsreiches Feld für jene Propaganda, die bereits in Afien nach den Richtlinien des Kongresses von Baku so günstige Ergebnisse erzielt hat. An einer Kundgebung unter freiem Himmel, die die französische Kommunistenpartei am 28. September bei Paris veranstaltete, nahmen zwar ins gesamt nur etwa 15 000 Mann teil, was für französische Demonstrationsbegriffe nicht einmal schlecht ist, aber ein sehr starker Prozentsaz der Teilnehmer bestand aus rotuniformierten italienischen Hundertschaften, aus Chinesen und Annamiten, die die Internationale" in ihrer Sprache grinsten, und aus Gidis". Und seit diesem Tage zeigt sich in der Pariser Presse, die bisher an den von den Kapitalisten bevorzugten billigen ausländischen und erotischen Arbeitskräften nichts auszusetzen hatte, ein gewiffes Unbehagen, das durchaus begreiflich ist...
Und schließlich noch ein letter Grund, der die Ueberflutung des französischen Arbeitsmarktes mit fremden Kräften erflärt: während des Krieges hat Frankreich fortgesetzt und rücksichtsLos aus dem schier unerschöpflichen Menschenreservoir seiner überseeischen Besizungen in Afrika , Indochina und West indien geschöpft. Nachdem es viele Hunderttausende unter diesen farbigen Soldaten geopfert hatte, war es nicht recht möglich, den lleberlebenden das Verbleiben auf franzöfischem Boden, falls sie es wünschten, zu verweigern. Ebenso unmöglich war es, ihren Rassengenossen die Einwanderung nach Frankreich zu verwehren. Im übrigen wurden sie, wie gefagt, dringend gebraucht.
Dieſe mannigfaltige Ueberschwemmung mit Menschen aller möglichen Rassen, Sitten und Sprachen hat Probleme aufgeworfen, die für die gesamte Zukunft Frankreichs von höchster Bedeutung sind. Man muß sich fragen, ob Frank reich als ein bevölkerungsschwaches Land, dessen ethnographische Tendenz nach wie vor eher zum Rückgang neigt, nicht seine Kräfte überschäßt und überspannt hat, indem es einerseits fast mit amerikanischem Tempo feine Industrie entwickelt und andererseits ein ungeheures Kolonialreich nicht nur wirtschaftlich, sondern auch militärisch in AnSo ist namentlich die Zahl der Algerier und Marokkaner, fpruch nimmt. Die Geschichte meist bereits im Altertum zwei die in Frankreich und nicht zulegt in Paris wohnen, ganz berühmte Beispiele einer ähnlichen Kräfteüberspannung der unglaublich gestiegen. Sie ist infolge der mangelhaften poli- Metropole gegenüber ihren überseeischen Besitzungen auf und zeilichen Bestimmungen statistisch gar nicht zu erfassen. Man man fragt sich besorgt, ob nicht Frankreich damit jenen Weg spricht in Paris allein von mindestens 70 000 Sidis" so eingeschlagen hat, der einst Athen und Rom zum Verhängnis heißen sie im Volksmunde, weil sie mit diesem arabischen Wort wurde. Nicht nur für die französische, sondern auch für die für Herr" die Franzosen anreden. Jedenfalls begegnet man europäische Kultur schlechthin, wäre es eine Katastrophe, wenn ihnen auf Schritt und Tritt und vor allem liest man täglich die Einwanderung der Sidis", Senegalneger, Annamiten von ihnen in den Zeitungen, Denn es vergeht fein Tag, an I uno auch einiger zurüdgebliebener Boltsstämme aus dem