In Cremona hat nämlich der Faschismus es gewagt, B i s s a- loti zu ehren und ein Denkmal für ihn zu enthüllen! Bissolati. diesen schlichten Hasser der Phrase, diesen stolzen, jede Demagogie wie jede Kriecherei gleich verachtenden Eingänger. diesen Unerschrockenen, dem. wenn er gelebt hätte, vielleicht der Faschismus die große Ehre erwiesen hätte, seinen Namen in die Äste einzutragen, auf derGiacomoMatteotti stand — diesem Manne hat Mussolmi gewagt, eine Gedächtnisrede zu halten! Und er hat die Armut Bissolatis hervorgehoben, dem es gewiß weder an Intelligenz noch an politischen Ehren- stellen gefehlt hat, jene A r m u t, vor der die„neuen Reichen der faschistischen Politik" mit ihren Villen und Autos, ihren Dienern in Wadenstrümpfen, ihrem gemeinen Protzentum, wenig st ensdieSchamdesSchweigens aufbringen sollten. Bissolati hiest nicht viel von Worten. Wenn er aber an eine derartige Profanierung seiner Persönlichkeit gedacht hätte, so hätte sich vielleicht sein Einspruch auf das Dichterwort beschränkt: . Zwar sind es Worte, die der Wind verweht, Noch will es sich nicht schicken, daß Protest Gepredigt werde dem, was ich gewesen, Indes ich ruh' km Bann des ew'gen Schweigens." Es zeugt tatsächsich für einen Mangel an Schicklich- keitsgefühl, wenn Musiolini sich nicht gescheut hat, zu Bissolatis Ehrung zu sprechen und dabei Leute von dem moralischen Format eines Farinacci und eines De Bona an seiner Seite zu haben. Die Witwe Bissolatis hat die Teil- nähme an der„Ehrung" abgelehnt. In das Kapitel der völligen Verkehrung aller sitllichen Werts gehören auch eine Sympathiedemonstration, die die Faschisten von Bologna vor dem Gefängnis dieser Stadt chrem wegen Mordes verhafteten Gefährten Regazzi dargebracht haben, und eine Kundgebung in Castello dÄrgile, wo nach der Einweihung eines Denkmals für die Kriegsgefallenen die Faschisten„Eviva Dumini" riefen. So fängt das dritte Jahr an, wie das erste anfing: im Vertrauen auf die eigene Gewalt- samkest und auf die Feighest der andern.„Grün vor Angst" sieht Mussolini die Opposition. Aber wir wissen lange, daß er moralisch farbenblind ist.
Ruth Zischer bleibt immun. Immunität der Ausschustmitglieder. Der kommunistische Abgeordnet« Rosenberg hatte sich wegen der strafrechtlichen Derfolgung der Abgeordneten Stöcker, Frau G o h l t« und Rosenberg an den Oeuossen Hermann Müller als Borsitzenden des Auswärtigen Ausschusses gewandt, weil diesen Abgeordneten infolge des Weiteroestehens des Aus- wärtigen Ausschusses die Immunität zustehe. Auf Anregung Müllers hat Rcichstogspräsident W a l l r a f ihm Abschrift des Schreibens zugehen lassen, das Wallrof in dieser Angelegenheit an den Reichs- minister des Innern gerichtet hat. Das Schreiben hat folgenden Wortlaut: „Für die Mitglieder derjenigen Ausschüsse des Reichstages, die nach Art. SS der Reichsoerfassung bis zum Zusammentritt des neuen Reichstages tätig fein können, besteht die Immunität nach Art. 37 a. a. O. so lange fort, wie ihre Mit- gliedschast in den genannten Ausschüssen dauert. Dies« in den Kam- mentaren von Ties« und Anschütz vertretene Auffassung(vergl. auch P> otokoll VA. der Nationalversammlung S. 456) sst von dem Reichs tag in seiner Sitzung vom 8. Dezember ISSZ(& 12 364 der stenographischen Berichte) bestätigt worden. Euer Hochwohlgeboven bitte ich. dahin wirken zu wollen, daß dieser Rechtslage ent- sprechend auch jetzt verfahren wird. Sollte dortferts etwa eine andere Auffassung obwalten, so darf uh umgehender Mitteilung«gebetist entgegensehen."
Sozialifterung— ein Volksbetrug I Ein kommunistischer Wahlschwindel. Kommunistische Redner behaupten vielfach draußen in Ber- fcrmmlungen, daß unser Genosse Hermann Müller im Rechts- tag« die Sozialisierung einen Bolkabetrug genannt
habe im Gegensatz zu der Haltung, die die Sozialdemokratische Partei früher zur Sozialisierung eingenommen habe. Selbstoerständ- lich ist diese kommunistische Behauptung falsch. Nicht die Sozia- lisierung, sonderu den undurchführbaren, liederlich zu- sammengeschusterten kommunistischen Antrag auf sogenannte Sozialisierung hat der Genosse Müller sowohl im Aeliestenausschuß als im Plenum als„ganz gemeinen Volts- betrug" bezeichnet. Der kommunistische Antrag sollte angeblich an Stelle des „Sklavenpaktes von London", wie Herr Katz stch damals auszudrücken beliebte, die Reparati onsfrag- lösen. Es ist eine de- wußte Irreführung der Wähler, wenn dieser schulbubenhafte„An- trag" überhaupt ernsthaft als„Sozialisierungsvorfchlag" ausgegeben wird.
Demokraten-Rufmarsth. Die Massenkundgebung im Sportpalast. Die gestrig« Kundgebung der Demokratischen Partei, die den Abschluß des demokratischen Reichs Parteitages bilden sollte, war eine Niederlage der Reaktion. Bon diesem republikanischen Gesichtspunkte aus begrüßen auch wir Sozialdemokraten die Tatsache, daß die von den Bürgerblockparteieu totgesagte Demokratische Partei einen Massenaufmarsch vollziehen konnte, der«her als ein Zeichen von Wiederer wachen und Selbst- aufrüttelung zu betrachten ist. Es ist wohl kein Zufall, daß die bürgerlich-demokratische Bewegung nur in svlchm Zeiten Starkqftmd Schwung erhält, in denen sie sich an die Seib der sozialdenwkrati- sehen Arbeiterschaft stellt, während sie retwngÄlcs stagniert und ab- bröckelt, wenn sie die Klasseninteressen des Kapitalismus höher stellt clls all« politischen Ideale, in deren Namen sie entstanden ist, Die Zustimmung zum Bürgerblock wäre für die Demotratische Partei der selbstmörderisch« Todesstoß gewesen, ihr fester Widerstand gegen- über den Lockrufen und Drohungen der Reaktion dürste ihre Rettung gewesen sein. Dies« Haltung hatte den doppelten Vorteil einer Solbstausschaltung jener schwankenden Gestalten, die wie ein hemmender Ballast auf die Entschlüsse der Demokraten wirkten, und einer Wiederbelebung der politischen Aktivität bei der diret- tionslos gewordenen Anhängerschast. Das ist die Lehre, die der sozialdemokratische Zeuge der über- füllten Sportpalast -Bersammlung aus ihrem äußeren Gepräge und aus ihrem äußeren Verlauf ziehen mußte. Der Riesenraum war von zehntausend Mensch-n so gedrängt voll, daß weiter« Hunderte keinen Einlaß mehr fanden. D'e Kundgebung fand im Zeichen van Schwarz. Rot-Gold statt, nicht zuletzt durch den Aufmarsch vieler Hundert von Reichsbannerleuten, die von der Bannerweih« in Spandau kommend, mit Musik und fliegenden Fahnen während der Veranstaltung einmarschierten und ungeheuren Jubel entfesselten. Damit hat ein neues Mal dies« junge Abwehr- organisation ihre Aufgabe als überparteiische republikanisch« Schutz- truppe in einer Weis« erfüllt, die die beste Propaganda für die Far- den des neuen Volksstaates bildete, und vielleicht besser noch als die — im übrigen recht eindrucksvollen— Reden von Erich Koch , Iustizrat Falk- Köln. Dr. Hellpach-Baden und Gertrud B ä u m e r den anwesenden Demokraten gezeigt haben müßte, wo sie hingehören: Seite an Seite mit der sozialistischen Arbeiterschaft und nicht als unsichtbarer Bestandteil eines reaktionären .Ordnungs"-Brei. Den Höhepunkt de? Bera sstaltuny bildete die Rede des Generols von Deimling, der mü einer für sein Greisenalter erstaunlichen Frisch« und Kraft se.n Bekenntnis zur Republik und zu Schwarz- Rot Gold in markioen Worten ablegte. Unter den 10 000 Anwesenden dürste, während er sprach, ein jeder umvillkückich gedacht haben: Wie viel besser stünde es um die Republik , wenn er Reickswehrminister wäre! Dem von den Monarchisten aller Schattierungen und von de-, putschistischeu Offi- ziersbüttben verleumdeten und verfemten General brachten die Reichsbannerckl-annschasten beim Erscheinen au° der Rednertribüne ein dreifaches„Frei heil", tos elektrisierend wrf die Mass«, wirkte. Ms demokratischer Wahlauftakt ließ sich tu« gestrige Kundgebung jedenfalls sehen. Aber die Frage d'öngt sich gerade m Berlin auf: War dies auch mehr als ein republikanisches Stroh- fever? Heute sollen die Berliner Spitzenkandidaten der Demotratischen Partei bestimmt werden. Und da wissen die
Vereinsmeier nichts Besseres vorzuschlagen als den Herrn Fisch» deck— der offenbar als würdiger Ersatz für de., drsherigen Reichs» tagsabgeordneten E. F. v. Siemens-Stinnes gedacht ist— und als den berüchtigten Rathaus-Burgerblöckler Merten für de» Landtag! Uns Sozialdemokraten soll es. von rein parSnegoistischem Stand- puntt aus gesehen, nur recht lein, wenn sich m Berlin der alte „freisinnige" Geist von anno dazumal bei dieser Gelegenheit wieder ermnal durchsetzt. Denn dies bedeutet letzten Endes etliche taufend Stimmen mehr für unsere Listen. Ab«? als praktisch« Schluß- s olger urg aus dem gestrigen machtvollen Bekeiuitnis zu Schwarz- Rot-Gold wäre dies ein'olcher Aberwitz, daß wir im Interesse der Republik wegen der unvermeidlichen Rückwirkungen auf die demokratischen Wählermassen im ganzen Reich« bedauern würden. Nur durch Klarheit und Entschlossenheit wird es den Demokraten gelingen, sich zu tocheupten und Wählerstunmen aus dem volksparteilichen Lager zurückzugewinnen. Das ist die Lehr« der gestrigen Kundgebungen, die zu ziehen oder zu ignorieren den Führern der Demokraten selbst freisteht. »Zeile Subjekte/ Der Krach unter den Völkische ». Der Krach im völkischen Lager wirkt sich immer stärker aus. Die von der nationalsozialistischen Reichso-ganisotion ausge- schlössen«, Führer der deutschen Volksgemeinschaft. Esser und Streicher, haben am Freitagabend«n« seh stark besuchte Ber- sammlung. in München abgehalten. Die Gegner, die sehr schwach vertreten waren, wurden sehr bald herausgeschmissen. Esser und Streicher haben unter großem Beifall der Versammlung und unter Berufung auf ausführliches Aktenmaterial die führend«, Persönlich- leiten des völkischen Blocks als„feile Subjekte, niederträch- tige Verleumder und Fälscher" bezeichnet. Esser und Streicher er- klärten, sie wollten vor Gericht beweisen, daß st« Zauber wären. während die anders Seite Dreck am Stecken hatte. Die Mit» teilung, daß die bayerischen Ortsgruppen der Großdeutschen Volks- gemeinschast, Augsburg . Bamberg , Nürnberg . Lin- dau und Memmingen geschlossen hinter Streicher und Esser ständen und die bisher nationalsozialistischen Ortsgruppen Bremen , Stuttgart und Erlangen mit insgesamt 12 Sektionen zur Volksgemeinschaft übergetreten seien, wurde mit großem Beifall ausgenommen Wie die Kommunistische Partei , so befindet sich also auch der extreme Rechtsflügel der politischen Parteien Deutschlands in vollständiger Zersetzung Die Bölkilchen haben bisher unter kommunistischer Assistenz ihre Rodau- und Rüpelspiele im Reichs- lag aufgeführt. Seit der Reichstag ausgelöst ist haben sie ihre ge> wohnheitsmäßige Krachmacherei in die eigenen Versammlungen verlegt._ Vom Wahlkampf. Kandidatcnaufstelluug im Reich. München , 2. November. (Eigener Drahtlbericht.) Der am Heu» trgen Sonntag abgehalten« Bezirkstag Oberbayern-Schwoben hat nach einem Referat des Rcichstagsabge ordneten Genossen Simon» Augsburg die Kandidaten für den Wahlkreis Oberbayern -Schwaben zur Reichstagswahl aufgestellt. Da Genosse Auer, der bisherig« Spitzenkandidat des Wahlkreises, aus grundfätz'.chen Erwägungen. dt« in der bayerischen Landespolitit liegen, gebeten hatte, von seiner Wiederaufstellung abzusahen, wurde nach lebhafter Aussprache als Spitzenkandidat der Genosse Alwin Saenger aufgestellt. Saenger wurde am 4. Mai auf der Reichsliste gewählt. Ihm folgt auf der Liste S i m o n- Augsburg, der bisher schon dem Reichstag ange- hörig, Genosse Unterlsitner» München , dann die Genossin Edith H ö r e t h- München ixnd Geiseljart-Günzburg. Außerdem be- antragt« der Bezirksvorstand und der Parteioo» stand, daß die Ge» nosstn Höreth an sicherer Stell« auf die Reichsliste zu setzen sei. Di« Genossin Toni Pfülff, die bisher an der dritten Stell« der früheren Lift« stand und durch den Verzicht Auers in den letzten Reichstag gekommen war, hatte gebeten, von ihrer Wiederaufstel- lang abzusehen, da sie an der Spitze der sozialdemokratischen List« für den Wahlkreis Niederbayern -Oberpfalz kandidieren wird.
Die akaöemisihe würbe. Die verletzte Würde als Motiv vernunftloser Handlungsweise ist ein Vorrecht der deutschen Rasse. Eine mildere Art, stch ver- nunftlos zu gebärden, bezeichnet man hier als Protest. Protestieren muß man unter allen Umständen— und wenn das Herz auch bricht.— Die deutsche Aerzteschaft, der es koddrig geht, protestiert feit Jahren gegen die zunehmende Macht der Kassen und sieht in ihnen den Haupt- und Erzfeind ihrer Existenz. Sie tut das mit all dem Klimbim, den in Deutschland ein« verletzte Würde zu machen vorsteht. Diese Akademiker, die es schwarz auf weiß zu Hause haben, daß sie Menschen gesundmachen dürfen, sind in ihrer ttefsten Würde getränkt, weil die Gesundzumachenden sich zusammengetan haben und in puncto Gesundheit auch etwas mitreden wollen. Sie sind außerstande einzusehen, daß die menschlichen Objekt« ihrer akademischen Tätigkeit das Recht haben, sich in den methodisch festgelegten und wissenschaftlich reglementierten, Prozeß des Gesund - machens zu mischen. Jahre um Jahre haben sie den menschlichen Körper studiert, man hat ihnen am Ende durch den Doktorhut die Weisheit auf und in den Kopf gesetzt, und nun sind die Patienten- Kerle, die das Material zu der ganzen Anspannung hergeben sollen, nämlich ihr« anatomisch mehr oder weniger wertlosen Körperlich- ketten, renitent. Sie wollen einfach nicht. Bor allem wollen sie das Geld nicht geben, das der langjährig aufgestapelten Würde ent- svricht. Das kann nur mit dem schärfsten Protest beantwortet wer- den. Denn, wenn sich heute«in Prolet behandeln lassen will, so hat er erstens überhaupt dem Himmel zu danken, daß es eine ärzt- liche Wissenschaft gibt. Bor dieser Wissenschaft hat er. wie man das nach alter preußischer Sitte gewöhnt ist. die Knochen zusammen- zunehmen. Das ist erforderlich, damit zwischen Arzt und Patient das notwendig« Vertrauen herrscht. Schon für den Fall, daß«in neuer Weltkrieg ausbräche. Denn wenn man sich wieder von einem Stabsarzt t. v. schreiben läßt, will man doch die GswißhSil haben, daß er es bona i-äe getan hat. Genug— die Aerzt« sind in einer üblen Lage. Irgend jemand — der große böse Unbekannte— hat den sehr bekannten Dolchstoß von Hirten gegen ihre mühsam konservierte Würde geführt. Sie leiden körperlich und seelisch. Deswegen schreien sie so laut sie können: Rettet den freien Aerztestand. die Wissenschaft ist in Gefahr! In Wirklichkeit— und das soll hier festgestellt sein— leiden viel« von chnen. well sie reaktionär sind, weil sie diese Zeit nichr be- griffen haben, weil sie vor allen Dingen nicht eingesehen haben, daß der Arzt mehr noch als jeder ander«„Gebildete", wenn er überhaupt eine Ccxistenzberechligung haben soll, Diener der Gemeinschaft sem muß. Sie leiden deshalb, weil ihnen der Geldstandpunkt über den Rechtsstandpunkt geht. Der Mensch, meine Herren, ist kein„Material, auch kern Material der Wissenschaft. So paradox Ihnen das klingen»ird, wenn jemand geheilt werden soll, so genügt es nicht,
daß er Medikamente schluckt. Er muß vielmehr als freier Mensch sein Selbstbesttmmungsrecht behalten, so daß der Prozeß der Ge- sundung zu einer Vereinbarung zwischen Arzt und Palient werden kann. Ihr Fall, meine verehrten Herren, liegt viel schlimmer, als er auf den ersten Blick zu sein scheint. Der Stveit, den Sie seit ge- raumer Zeit mit den Kassen führen, hat gewissermaßen den Grund Ihrer Weltanschauung aufgerührt, so daß manche dunkle Gedanken an die Oberfläche gekommen sind. Sie würden nicht nur die ganze Reichsversicherungsordnung Arm in Arm mit den politischen Renk- tionären lieber heute als morgen überrennen. Sie sträuben sich auch gegen jede soziale und gerecht« Einrichtung des deutschen Lebens. Hier handelt es sich nicht um den Spszialsall eines bedrohten Geldbeutels, sondern um den typischen Fall der deutschen Bildung — ich mein« einer falschen und nutzlosen Bildung. Kein Mensch wird bestreiten, daß sich in ihren Reihen Menschen finden, die das Wort Kultur in seiner wahren Bedeutung für sich in Anspruch nehmen können, das ist in Deutschland immer so. Aber die Gesamt- Heft, begreifen Sie, bitte, das Tragische dieser Erscheinung, Ihr« Gesamtheit hat nicht begriffen, daß Bildung. Kultur und Recht das- selbe sind. Ein Kampf gegen die Position des armen Mannes— für die frei« Wissenschaft kommt aber einer Aufgabe des Rechts- standpunktes gleich. Die Wevanschauung. die Sie vertreten, hat Deutschland diesen Krieg verlieren lassen. Wenn Sie es nicht verstehen lernen,„Vi!- dung" gegen ein gutes Gewissen emzutauschen, werdm Sie die Urheber einer neuen, größeren Katastrophe sein.
Erste Tanzmatinee üer Volksbühne. Die Volksbühne hat die Reihe ihrer Tanzmatineen am gestrigen Sonntag im Theater am Bülowplatz sehr glücklich begonnen. Die P a l u c c o tanzte im wesentlichen das neue Programm, das sie vor 14 Tagen im Llüthnersaal vorführte. Aber es kam hier alles noch schöner und wirkunzsoollor heraus. Die geräumig« Bühne ge- stattete den wuchtig ausladenden Figuren einzelner Tänze(„Eon lmpeto",„Eon brio,„Im Bann") volle Entfallung. und auf einem hellfarbenen Hintergründe schwangen die blühenden Linienrhythmen des„Festivo" und„Allsgro leggiero" in wundervoll leuchtender Klarheit. Der Stil der Palucca verlangt licht« Umrahmung, die sonst üblichen schweren dunklen Vorhäng« drücken, verwischen und beengen ihn. Dieser Stil, moderner abstrakter Tanzstil in höchster Vollendung, bekommt durch die persönliche Note der Palucca etwas Holzschnfttarttges. Malerisch schwimmeiide, verfließend« Konturen sind ihm fremd. Jede Linie steht deutlich und sauber. Einzelne Formen erscheinen turnerisch-gymnastisch. aber das Gefühl des Äkro- batischen kommt nicht auf, denn jede Schwingung, jede Wendung, jeder Stoß, jeder Spruna. jede Spannuna wirkt als beseelter Aus- druck eigensten iniiersteu Erlebenz. Und selbst technische Glanzleistun- gen wie das langsam« Niedergeben und Aufschnvrben oder das heiter sestl'ch« Laiifen, in dem keine Tänzerin der Welt ihr gleichkommt, haben nie den Charakter des Bravourstücks, sondern erscheinen stets als notwendige organisch dienende Glieder der künstlerisch«, Kom- Position.
Ich Hab« die Palucca nie so vollkommen tanzen gesehen wie gestern. Und das Publikum, das den Riesenraum des Thealers bis auf den letzten Platz füllte, ging mit. Anfangs, wie es schien, etwas bsfremdet durch das Neuartige dieser stilstrengon Kunst, wurde es bald warm. Die Begeisterung steigerte sich mft jedem neuen Tanz und entlud stch immer wieder in stürmischen Beisallskundgebungen. _ John Schitowsti. „wenn man verliebk ist." Es ist nicht mehr die Zeit der guten Operettenkonjunktur. Die Hochflut beginnt zugunsten der Revue zu verebben. Aber die Tanzoperett« zieht noch immer. Das bewies am Sonnabend das Theater in der Kommandanten st raße mit seiner ncueu Hugo H i r s ch. Operette„Wenn man ver- l i« b t i st" Sie hat gezogen, was sage ich. sie hat«ingeschlagen. Der Text der Operette ist— im Dertraven gesagt— ein bißchen albern. Herrn Dr. Martin Zickel, der in seinem Leben eine Unzahl von Operetten mft Bravour und voller Einfälle einstudiert hat. ist, wo«» sich um selbsterfmidenen Text Handeft, gor nichts«ingefallen. Dankens- wert bleibt es immerhin, daß er auf die Grafen und Barone ver» zichtet hat, die in der Operette endlich ausgestorben zu sein scheinen. Dafür treten jetzt fabelhaft re che Leute aus Erotien auf. Diesmal ist es Texas und Mexiko , wo die Theaterkonflikt« herkommen. Und dann handelt es sich um die Liebe, selbstverständlich. Bei Zickel kriegen sich nicht weniger als vier Paare. Aber du lieber Himmel, wie ab- gebraucht sind die Mittelchen, mft denen er Hefterkeit um jeden Preis erzielen will. Herr Zickel soll die Hälfte des Textes und d e Roll« dex ostpreußischen Amme ganz streichen. Dialekt aus Sachsen und Ost- preußen haben wir schon bis zum Ueberdruß gehört. Dennoch war die Premier« kein Mißerfolg. Ein b'ßchen Tanz, ein bißchen Prunk,«in bißchen Frauenanmut und ein paar über- müttge Lieder. Das machte Stimmung und ftroheste Laune. Artur R e b n e r hat eine fem« Spürnase für Liedertext«, die einschlagen. Di« besten sind:„Ich brauch ja nicht zu wissen, wer du bist, we n Kind, ich brauch ja nur zu wissen, wie du küßt, mein Kind, was nützt mir denn der Name.. und vor allem:„Gott beschütz mich vor Verwandten, Onkeln, Basen, Vettern. Tanten". D es Eouplet mußt« das Orchester dreimal vor geschlossenem Vorhang spielen, weil das Publikum es immer wieder singen wollte. Ebenso geschickt wik der Text ist Hugo Hirschs Musik. Schmiß und Grazie und un- widerstehl cher Rhythmus liegen in seiner bewußt leichten, weichen und singenden Kompositton. Dazu eine spaßige Jnstrumentotton mit freigebiger Verwendung der Trompete und parodistischer Gebrauch wohlbekannter, klassischer Musik. Das mußte den Erfolg des Abends besiegeln, auch wenn weniger routiniert« Darsteller mftgew rkt hätten als Molly Wessely und Siegfried Jarno. Auch Albert Krafft-Lortziug nahm durch fem sympath'lsckZes Wesen und durch seine geschulte Stimme gefangen. Ein Wort der Bewunderung für den Kapellmeister Dr. R o m« r. Was« aus dem dürftigen Orchester mft seiner Verve heraushofte, war fabelhaft. _ C. D. voltsbühne. Im Tbcater am Bülowplatz kommt Gerhart Haupt» ttt a n tt K Spiel von»Schluck und Qtott' ia dex SnfAcnictttna von Dam HenckelS am 13. zur Erstaufführung.