Abendausgabe
Nr. 55241. Jahrgang Ausgabe B Nr. 276
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5 Goldpfennig
Sonnabend
22. November 1924
Vorwärts=
Berliner Volksblatt
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Zentralorgan der Sozialdemokratifchen Partei Deutschlands
Folgender Brief wird uns freundlicherweise zur Verfügung
gestellt:
E. Schmidt.
Herrn
Charlottenburg, 12. November 1924. Friedrich- Karl- Play 5
Sehr geehrter Herr Dregler!
Wie in München Esser und Streicher, so treiben hier im Norden einige Postenjäger und politische Lausejun= gens ihr Unwesen zum Schaden der von Ihnen ins Leben ge rufenen national- sozialistischen Bewegung. Es sind dies im besonderen
1. der sattsam bekannte und berüchtigte Rechtsanwalt Bold in Lüneburg , der aus dem Baltenlande stammt und dort in den feudalsten Klubs verkehrte. Void wollte bei der Mai- Wahl durchaus ein Mandal haben
und beanspruchte in wer weiß wie vielen Kreisen aufgestellt zu werden. Seinem Verlangen fonnte natürlich nicht entsprochen werden, und aus purer Niederträchtigteit fällt er jetzt dafür vermittels feiner neuen politischen„ Einstellung" Ihrer Bewegung in den Rücken, nachdem das„ Direktorium" Bold noch auf dem Reichsparteitag in Weimar erklärt hatte, hinter Hitler , Ludendorff, Graefe zu stehen.
2. Der Reg.- Rat Dr. Schlange, ein Bostenjäger übelster Sorte. Vor der Mai- Reichstagswahl war Schlange bei dem mit Bulle befreundeten Eisenhändler Walter, herselbst, Kaiser damm 12 und bat in jämmerlichster und widerlichster Weise Walter möchte ihm dabei behilflich sein, daß er( Schlange) einige Stellen auf der Reichslifte heraufrutsche. Er sei friegsbeschädigt und würde der Partei sicherlich viel eintragen.
Walter erklärte fich aber nicht in der Lage, um auf sein Anliegen irgendwie einzugehen. Flugs ging Schlange zu der nebenan wohnenden Frau Fahrenhorst und machte darauf aufmerkfam, daß bei der Nominierung der Kandidaten für den Reichstag 3. B. er als den gebildeten und„ besseren" Kreisen entstammend, doch unbedingt einem einfachen und" nur" Volksschulbildung be fizenden Mann wie z. B. Walter vorgezogen werden müsse. Jest spricht diefer selbe Herr von der Freiheitspartei als von der nationalen Oberschicht. Kommentar überflüssig!
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3. Major Schröter, deffen Frau ihm auch in politischen Dingen überlegen sein foll. Schröter war bei der Mai- Wahl noch im 3weifel, ob er deutsch national oder Dölfisch wählen follte. Später war er dann aber Feuer und Fett für die völkische Bewegung, um bald danach wieder in das Bold fche Lager zu desertieren. Wenn wir viele folcher grundfahlosen Offiziere gehabt haben, dann ist es kein Wunder, daß der Krieg verloren ging. Herr Schröter erdreistet sich, in einer Buschrift an die Claah'iche freimaurerische Deutsche Zeitung" die völkischen Führer unzugreifen und betont dabei, daß für den Wahl ,, schwindel" Geld vorhanden sei, nicht aber zur Unterstügung der Hinterbfeb men der Gefallenen vom 9. November 1923. Man weiß nicht. soll man sich über die Dummheit oder über die Frechheit Schröters mehr
Das„ Verdienst" Stresemanns. Nur nicht übertreiben!
In einem Flugblatt der Deutschen Volkspartei gegen die Deutschvölkischen heißt es mit Recht:
Durch die Phrasen der Nationalsozialisten wäre kein Fuß breit deutschen Bodens vom Feinde frei geworden."
Dann fährt das Flugblatt jedoch fort:
,, Benn fast eine Million deutscher Brüder und Schwestern von französischen Bajonetten befreit sind, wenn über 100 000 Bertriebene in ihre Heimat zurückgekehrt sind, wenn 2000 Gefangene aus ihren Rerfern entlassen wurden, so ist das das Verdienst der nationalen Realpolitit der Deutschen Bolts. partei und ihres Führers Dr. Stresemann, erfämpft gegen den W'derstand der Nationalsozialisten und anderer Illusionspolitiker."
Daß die Annahme des Londoner Abkommens auch das Verdienst der Deutschen Volkspartei ist, wird niemand be streiten wollen. Aber gerade die Deutsche Volkspartei hätte allen Anlaß, bei der Erwähnung ihrer außenpolitischen Ber dienste Bescheidenheit zu zeigen. Denn die republikanischen Parteien sind es gewesen, die erst die Volkspartei so weit gebracht haben, die realpolitischen Notwendigkeiten zu erkennen. Die ,, nationale Realpolitik", d. h. die Erfüllungspolitik mit nationalistischen Phrasen, ist eine nur sehr späte Erfenninis der Strefemänner. War es nationale Realpolitit", als noch vor Jahresfrist die
wundern. Der Mensch weiß nicht einmal, daß sich die vältische Bewegung aus den Allerärmsten zusammensetzt und Wahlgelder groschenweise zusammengetragen werden müssen. Ich erinnere hierbei an die Rentner und Sparer, die schon wegen der Aufwertungsfrage der völkischen Bewegung anhängen und alles aufbieten, um jede Stimme für unsere gerechte Sache an die Urne zu bringen.
Wenn Schröter selbst mal für die Hinterbliebenen der Ge fallenen vom. November 1923 irgend etwas tun wollte wie wir das schon so oft getan haben, dann hätte er doch als Erster einen namhaften Betrag in eine Sammelliste zeichnen fönnen und hierzu auch die schwerreiche Deutsche Zeitung" veranlassen. Die Abneigung gegen das Parlament teilen wir Völkischen Barlament aus Selbstzwed, sondern aus Mittel zum 3wed. Wo selbstverständlich mit diesen Wirrköpfen. Wir gehen doch nicht ins anders sollten wir zurzeit unserer Forderung um Hitlers Freilaffung Gehör verschaffen? Wenn wir eine Linksregierung bekommen, dann wird Hitler wahrscheinlich e wig hinter Kerfermauern fizen bleiben, was er dann feinen Freunden" zu danken hätte, die für Stimmenthaltung Propaganda machen. Der Demokrat Korell sagte befanntlich unlängst, so lange wir( Linken) die Macht haben, kommt feiner von Euch frei.
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Ich habe neulich in einer Versammlung des Hypothekengiäubiger- und Sparer- Schußverbandes von dem verbrecherischen Treiben der Bold- Schlange- Schröter Mitteilung gemacht. Die armen Rentner und Sparer fluchten diesen Schandbuben.
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Bei einer Versammlung im Askanischen Gymnasium hätten Schlange und Schröter als Bersammlungseinberufer um ein Haar die längst verdiente Tracht Prügel bekommen, wenn sie nicht schnell ausgerückt wären, nachdem fie fo gerieben waren, Hel Hitler zu rufen und das Deutschlandlied anzustimmen, in das natürlich alle Anwesenden einschließlich ihrer Handvoll Anhänger einstimmten Schließlich meine ich, wenn Sie, fehr geehrter Herr Dregler, als Bater der Bewegung, es zurzeit für geboten halten, ins Barlament zu gehen, sollten sich diese Gerne große doc) Ihrem Urteil unterordnen. Bielleicht fönnen Sie gegen diese Verräter irgend
etwas unternehmen.
Mit deutschem Gruß
gez. E. Schmidt. Borstandsmitglied des Hypothekengläubiger und Sparer- Schuhperbandes für das Deutsche Reich, Ortsgruppe Charlottenburg .
Der Brief spricht für sich. Er liefert zum tausendsten Male den Beweis, daß in der völfischen Bewegung sich die seltsamsten Naturen zufammengefunden haben, wobei mir es aber ausdrücklich ablehnen, zu entscheiden, ob die von dem Briefschreiber verwandten Kosenamen berechtigt find oder nicht. Nicht weniger interessant find aber die engeren Zusammenhänge zwischen Völkischen, und der offiziellen Sparer- Organisation. Mit der Aufwertungsdemagogie arbeiten die Rechtsgruppen als mit ihrer letzten Reserve. Aber auch, die wird nicht mehr ziehen, feitdem das Bolt längst erkannt hat, daß die Demagogen der Wahlversprechungen gar nicht daran denken, auch nur einen Finger frumm zu machen, um die Mittel für die Aufwertung aufzubringen.
ersten zwölf Auserforenen wären nach dem Claß- Blatt: 1. Hergt, 2. Bismard, 3. Frau Behm, 4. Lambad), 5. v. Tirpik, 6. Best, 7. Werner- Gießen, 8. Dietrich, 9. Schulz- Bromberg, 10. v. Goldader, 11. Spahn, 12. Graef - Thüringen .
Es hat ziemliche Aufregung verursacht, daß der Vormärts" Herrn von Borsigs Umlage"-Brief an die deutschen Unternehmer veröffentlichen fonnte. Er gibt ja Einblick nicht nur in die Quellenerschließung jenes Millionenfonds, mit dem die Unternehmer die Wahl machen, er zeigt auch, nach welchem Grundsay verteilt wird. Das gesammelte Geld wird auf die verschiedenen Parteien im entsprechenden Berhält. Aufsichtsräte und Syndizi„ im entsprechenden Berhältnis" in nis" niederriefeln. Und dafür sollen die Industriefapitäne, den Reichstag als sogenannte Boltsvertreter einrüden.
Viele Arbeitnehmer meinen, jene Zweimarkmänner seien fo eine Art Versicherungsagenten, die dafür zu sorgen haben, deß die soziale Belastung der Industrie nicht zu ernsthaft werde. Der neue Reichstag hat die dringend notwendige SteuerIn Wirklichkeit stehen aber viel größere Fragen zur Erledigung: reform durchzuführen, und seine große Aufgabe wird sein, die Lastenverteilung aus der Dawes Ber pflichtung vorzunehmen.
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Im Augenblick geht es der deutschen Industrie steuerlich Lasten sind von ihr genommen. Ueberdies sind sie praktisch trotz ihrem Geschrei nicht allzu schlecht. Die Micumschon längere Zeit von der Lutherschen Reichsregierung ge tragen worden. Die 200 Goldmillionen erste Jahresleistung aus dem Dames- Plan hat die Eisenbahn aus ihren Ueberschüssen zu leisten. Und die übrigen Steuern? Die monatlichen Ausweise über die Einnahmen des Reiches an Steuern, Zöllen und Abgaben sprechen deutlich. Aus ihnen ergibt sich der Kurs unserer gesamten derzeitigen Steuergesetzgebung! In den ersten sieben Monaten des laufenden Steuerjahres ( 1. April 1924 Ende März 1925) find rund dreißig Prozent mehr Steuern, 3ölle und Abgaben vereinnahmt worden als veranschlagt sind!
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nahmen, wenn man den sieben Etatszwölfteln( April bis einJm einzelnen ergibt sich für die wichtigsten Reichseinfchließlich Oktober) die mirklichen Einnahmen gegenüberstellt, das folgende charakteristische Bild:
Steuerart
Einkommensteuer( davon drei Fünftel Lohn- und Gehaltssteuerabzug) Umfagsteuer.
Fahrkartensteuer Frachtensteuer. Zölle. Tabalsteuer Biersteuer Bermögenssteuer Erbschaftssteuer Lugussteuer
Grunderwerbssteuer Stapitalverkehrssteuer
Branntweinmonopol
gegenüber dem Etat mehr oder weniger Proz. Proz.
55
33
57
14.
76
30
63
35
35
84
17
38
Schon die flüchtigste Betrachtung unserer Zahlen zeigt, daß hier kein Zufall obwalten kann. Die Steuernotverordnun Aber damit man ja nicht glaube, daß diese Namen schon end- gen haben ihre Wirkungen getan! Es ist mit ihnen nicht nur gültig ausgefnobelt felen, setzt die Nationalpost" des Laverrenz gleichzeitig diefe Richtigstellung in die Welt:
Ueber die deutschnationale Reichsliste gehen durch die Breffe in den letzten Tagen Meldungen, die durchaus nicht der Wahrheit entsprechen. Sobald die vollständige Lifte Don parteiamtlicher Seite vorliegt, werden wir sie veröffentlichen. Daraus soll mun jemand flug werden! Die einen sagen ja, die anderen nein ganz wie im Reichstag!
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Am Sonntag ist der letzte Termin, an dem die Reichsliste eingereicht sein muß. Am Sonnabend wissen die Hergt- Tirpitz. die Nein- Jafager, noch immer nicht, wem fie Bertrauen schenken follen. Sie sollten einen Deutschnationalen trinken!
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die Steuerhoheit des Reiches zerstört worden, fie haben auch die steuerliche Belastung des Boltes vorfriegsmäßig gestaltet. oranschlag der Einkommensteuer allein durch den Man muß beachten, daß heute eigentlich der gesamte Lohn- und Gehalts abzug auffommt. Die Umsag troß des Loches im steuer, die Verkehrsbelastung, Zölle Westen- Tabat- und Biersteuer, sie, die direkte und indirekte Belastung der Arbeitnehmer, des Massenkonsums, darstellen, sie haben abnorm hohe Beträge weit über den Etat hinaus ers bracht. Demgegenüber stehen Besitz- und Vermögenssteuern man sehe sich nur die Erbschaftssteuer an- mit auffällig hohen Beträgen im Rückstand.
Die Jaurès - Feier in Paris . Kommunistische Quertreibereien. nité" richtet an die Arbeiterschaft die Aufforderung, sich an der Paris , 22. November. ( Eigener Drahtbericht.) Die huma leberführung der Leiche Jaurès nicht zu beteiligen. Zu gleicher Zeit fordert das Aftionsfomitee der Kommunistischen Barte: zu. fammen mit dem Roten Gewerkschaftsbund zu einer besonderen War es, nationale Real Rundgebung, d. h. in diesem Falle zu einer Gegendemon. Reich in den Mond sehen!)
stration auf. Dieses Verhalten ist das würdige Gegenstück zu
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ber Ablehnung der Kredite für die Ueberführung Jaurès durch die weinmonopoleinnahmen um bisher 38 Proz. hinter dem Etatsfommunistische Kammerfraftion.
Moldenhauer usw. für die„ Verſackung" des besetzten Gebiets eintraten, für seine Preisgabe auf 10 oder 20 Jahre hinaus, um es sich dann mit Waffengewalt wieder zuholen?" Und ist es ,, nationale Realpolitik", wenn die Im Auftrage des sozialdemokratischen Parteivorstandes Bolkspartei den Bürgerblod mit jenen anderen Illusions hat sich Genosse Dr. Breitscheid heute vormittag zur politifern" lies mit den Deutschnationalen- bilden will, gegen deren Widerstand die Annahme des Lon- Teilnahme an den Beisehungsfeierlichkeiten von Jaurès nach Paris begeben. doner Gutachtens durchgesetzt werden mußte und die sich heute noch zum Revanchetrieg bekennen?
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Das Geheimnis der Mampisten. London , 22. November .( Reuter.) Die fräftige Sprache in Chamberlains Mitteilung an Ratowski hat in den hiesigen Sowjet Noch immer fein Reichswahlvorschlag. freisen Ueberraschung hervorgerufen. Man glaubt nicht. Die" Deutsche Zeitung" bringt im heutigen Morgenblatt daß die Russen einen Abbruch der gegenwärtig bestehenden Beweitere Namen von dem angeblichen Reichswahlvorschlag der Halbziehungen wünschen, und es wird die Hoffnung zum Ausdruck geund- Halb- Partei. Danach find schon zwölf Namen bekannt, bracht, daß vernünftige Handelsbeziehungen möglich während über die anderet noch düsteres Geheimnis schwebt. Die sein werden.
Die Erbschaftssteuer ist ein besonderes Kapitel. Im Jahre 1913 erbrachte sie im Reich und in den Ländern genau 70 Millionen Mart. Für 1924/25 find infolge des cffiziellen Vermögensschwundes mur 30 Millionen in den dieses Jahres fehlen 35 Proz. dieses Sollbetrages! Dabei ist Etat eingesetzt worden. Schon für die ersten sieben Monate vor einigen Monaten Stinnes gestorben.( Da feine fieben Kinder zugunsten der Mutter auf ihr Erbe verzichteten und die Ehefrau feine Erbschaftssteuer zu zahlen braucht, durfte das Charakteristisch scheint außerdem zu sein, daß die Branntvoranschlag zurückgeblieben sind. Die Biersteuer ist für 1924/25 mit dem gleichen Aufkommen von 1913, rund 125 Millionen Marf, in den Etat eingesetzt worden, die Zucker= und die Tabaksteuer mit wesentlich höheren Beträgen als damals. Demgegenüber steht für die Branntweinsteuer einer Reichseinnahme von 195 Millionen Mart im Jahre 1913 ein Etatsvoranschlag von nur 140 Millionen für 1924/25 gegenüber. Und von den fälligen sieben Zwölfteln fehlen 38 Broz.! Diesem Tatbestand muß gegenübergehalten werden, daß der Bierverbrauch doch eher stärker zurückgegangen ist als der Schnapsverbrauch, wenn auch die Statistik das Umgekehrte behauptet. Der Irrtum liegt wohl darin begründet, daß die Branntweinmonopolverwaltung reichlich ungeschickt arbeite und der freie" Verkehr viel Umfah ohne sie macht.
Es ist die 3 weimarfmänner Politit, die heute die deutsche Steuergesetzgebung bestimmt.