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Abendausgabe

Nr. 574 41. Jahrgang Ausgabe B Nr. 287

Bezugsbedingungen und Anzeigenpreise find in der Morgenausgabe angegeben Redaktion: Sw. 68, Lindenstraße 3 Fernsprecher: Dönhoff 292-295 Tel.- Adresse: Sozialdemokrat Berlin

NO

Vorwärts

Berliner Volksblatt

5 Goldpfennig

Freitag

5. Dezember 1924

Berlag und Anzeigenabteilung: Geschäftszeit 9-5 Uhr

Berleger: Borwärts- Berlag GmbH. Berlin S. 68, Lindenstraße 3 Fernsprecher: Dönhoff 2506-2502

Zentralorgan der Sozialdemokratifchen Partei Deutschlands

Wer hatte recht?

Sozialdemokraten, Kommunisten und Dawes- Plan .

Die Tattit der Kommmiften in diesem Wahlkampf besteht in der Hauptsache darin, die Sozialdemokratische Partei mit einer Flut von Schimpfworten und Berleumdungen zu über schütten. Eine fachliche Auseinandersetzung, ein Kampf mit geistigen Waffen wird auf solche Weise so gut wie unmöglich gemacht. Immerhin gibt es eine Behauptung der Kommu niften über die Sozialdemokratie, die keine Lüge ift: die Sozialdemokraten haben wirklich für die fogenannten Dawes Geseze gestimmt, und nicht nur das, sondern sie sprechen sich auch ein besonderes Ber dienst an ihrem Zustandekommen zu. Ebenso richtig ist, daß die Kommunisten gegen diese Gesage gestimmt haben. Es bietet sich also hier die Gelegenheit zu einer fachlichen Unter­fuchung der Frage, wer von beiden Redyt gehabt hat.

Es ist niemals und von feiner Seite bestritten worden, daß der Dawes Blan eine unzureichende Lösung ist und daß er Deutschland Laften auferlegt. Der handelnde Bolitiker hat fich aber nicht zu fragen: Was bedeutet ein Gesetz an sich und überhaupt", sondern er muß überlegen: Was bedeutet dieses Gesez gegenüber dem bestehenden Zustand?" Gegenüber dem Zustand, der zuvor bestanden hatte, be deutet mun der Dawes- plan eine bedeutende Erleichte

rung.

Durch die erzwungene Annahme des Londoner Ulti­matums hatte sich Deutschland verpflichtet, im laufenden Jahre 1924-1925 nicht weniger als 3 Milliarden zu bezahlen. Jetzt zahlt es nur 200 millionen.

Im Jahre 1926 follte es 4 Milliarden bezahlen; der Be trag ist auf 1,22 Milliarden herabgesezt.

Im Jahre 1928 follten 5-7 milliarden bezahlt werden, Dieser Betrag ist auf 2,5 milliarden reduziert.

Die Reparationsfommission durfte zuvor durch ihren Unterausschuß, das sogenannte Garantiefomitee, alle deut­fchen Einnahmen und Ausgaben fontrollieren. Jezt ist die läftige Kontrolle auf bestimmte verpfändete Einnahmen be­schränkt.

Bor der Annahme der Dames- Geseze war Deutschland durch eine innere 3011- Linie mitten entzweigeschnitten. Die innere Zoll- Linie ist beseitigt.

Die Bahnen der besetzten Gebiete waren von den Reichsbahnen getrennt, fie wurden von Franzosen und Belgiern verwaltet. Jetzt sind sie wieder mit dem gesamten Reichs. bahnförper vereinigt.

Die furchtbaren Sonderlasten für das befekte Gebiet, die eine ungeheure Arbeitslosigkeit hervorriefen, find beseitigt. Die Gefangenen sind freigelaffen, die Aus. gewiesenen find zurückgekehrt. Die Schredens herr­fchaft, unter der die Bevölkerung der besetzten Gebiete stöhnte,

ist verschwunden.

Die Inflation, die den deutschen Arbeiter, Ange stellten, Beamten oder einen Geschäftsmann zur Berzweif lung brachte und die Schieber bereicherte, hat aufgehört. Die martist wieder stabil.

Niemand fann beftreiben, baß burch die Annahme ber Dames- Gesetze gegenüber dem Zustande vorher eine Befferung eingetreten ift. Und die Sozialdemokratie ist darauf ftolz, diesen Anfang zu einer Befferung durch ihr ent fchiedenes unb führendes Eintreten für den Dames- Plan er­reicht zu haben.

Natürlich fagt die Sozialdemokratie nicht: un ist's er reicht!", sondern sie sagt: Es ift ein Anfang gemacht, und

pon da wollen wir meiterbauen."

Der Dames- Plan erklärt ausdrücklich, daß die deutschen Arbeiter dasselbe Lebensrecht haben wie die Arbeiter anderer Länder, daß thr Lebensniveau das gleiche fein soll. Er gibt uns ein Recht, für die volle Wiederherstellung des Acht. stundentages und für beffere Löhne zu fämpfen. Was wäre geschehen, wenn es nach dem Willen der Kom­munisten gegangen wäre, wenn der Reichstag die Dawes Cefehe abgelehnt hätte?

Deutschland hätte doppelt so hobe after au tragen gehabt. Die Inflation wäre weitergegangen. Echwerste internationale Ronfifte wären eingetreten. illionen und aber illionen meniden wären verhungert. Haben die Somminiften des gemellt? Wir zögern nicht 3 utmorten: a. das haben fie gemofft!" Sie haben es niet cofft, well fe on hem Glend bes Toffes Frerbe empfinden das muten wir ihnen nicht zu! Aber fie behen es nemollt. meil Fe fi einbilden, aus biefer ungebehren relendung der Maffen, aus der Bergweif lung von Millionen und aber millionen, ble nicht mehr aus und ein wiffen, würde dann eine Bewegung entstehen, bie fie, bie Kommunisten, zur Herrschaft bringen würbe.

Diefer Glaube ist ein Wahn!

Wir wollen nicht unterfuchen, was die Kommunisten tun

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verteidigen haben, und mit welchen Mitteln sie das tun würden, zeigt Rußland . Aber die Kommunisten würden auf diesem Weg auch gar nicht einmal zur Herrschaft gelangen. Denn hungernde Massen, die sich sinnlosen Verzweiflungsausbrüchen hingeben, find in Wirklichkeit fraftlos. Eine fleine gutgenährte und bewaffnete Minderheit wird mit ihnen leicht fertig. Hunger revolten und Verzweiflungsausbrüche sind fein Mittel, bie Arbeiterbewegung vorwärts zu bringen.

Wenn die Arbeiter für eine beffere Zukunft fämpfen sollen, müssen sie wenigstens Brot haben. Sie müssen Zeit haben, um sich mit den Problemen der Politit und der Wirt­schaft zu beschäftigen und zu eigenem Denten zu tommen. Je beffer es bem Arbeiter geht. Defto kampffähiger merden sie. de schlimmer der Hunger, je größer ihre Verzweiflung ist, desto weniger find sie tampffähig.

Das ist der große grundfäßliche Unterschied zwischen den Kommunisten und uns. Sie müssen die schlimmste Berelen­dung der Arbeiter wollen, weil sie glauben, nur auf diesem Wege zu ihrem Ziel gelangen zu fönnen, wir müssen das allerschlimmste Elend mit dem Aufgebot unfe. rer ganzen Kraft zu verhindern suchen, wir müffen auch für bie bescheidene, fchrittweise Befferung unfere ganze Energie einfegen, meil dies das einzige Mittel ist, um den Weg zu höheren 3ielen freizubekommen.

Darum haben wir den Dames- Gefeßen zugestimmt, darum haben die Kommunisten sie abgelehnt.

Die Dawes Gefeße find feine sozialistische, sondern eine tapitalistische Lösung des Reparationsproblems.

Das ist

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| richtig. Das internationale Kapital herrscht in Deutschland , wie es in Frankreich herrscht und in England und in Amerika und in Rußland , dessen sogenannter Kommunismus ihm eine Ronzession nach der anderen macht. Durch die An­nahme der Dawes Gefeße ist unsere Schick­falsgemeinschaft mit den Arbeitern der ande­renfapitalistischen Ländernur noch enger ge worden. Gemeinsam mit ihnen wollen wir den Kampf gegen die internationale tapitalistische Ausbeutung führen- nicht mit Phrasen, sondern mit Taten. Der Kampf um die internationale Anerkennung des Achtstundentages ist hier nur ein erster Schritt.

Das war der Geift, in dem wir für die Dames Ge= fete eingetreten sind. Und weil die Kommunisten das alles nicht wollen, weil sie das Elend wollen, die Verzweiflung, die Hungerrevolte, den Kampf mit Handgranaten um die Macht und das Bündnis Sowjet- Deutschlands mit Sowjet- Rußland" zum Krieg gegen den eften. Darum haben fie die Dawes Gesetze mit fanatischer Wat bekämpft.

Hier handelt es sich also in der Tat nicht um bloßes Ge­schrei und Gefchimpf, mit dem die Rommunisten sonst ihren Bahlkampf bestreiten, sondern um eine grundsägliche Meinungsverschiedenheit. Wir haben uns bemüht, ihre Quellen aufzudecken.

Nun haben die Arbeiter zu entscheiden, ob sie am nächsten Sonntag für die Kommunisten stimmen wollen und damit für den dauernden Bruderkampf zwischen den Arbeitern oder für den Vormarsch in geschlossener Front, das heißt für die Sozialdemokratie!

Schicksalsstunde der Beamten.

An die Beamten des Reichs, der Länder und der Gemeinden!

Der Wahlkampf hat seinen Höhepunkt erreicht. Nur noch wenige Tage trennen uns von dem Wah tag, der die Abrechnung mit jenen Parteien bringen soll, die dem deutschen Volte und insbesondere uns Beamten vor der legten Reichstagswahl einen wirtschaftlichen Auf ftieg versprachen, uns aber im Gegensas dazu immer tiefer ins wirt fchaftliche Glend stürzten, Bon aller Wahlversprechungen ist auch

nicht eine einzige erfüllt worden. Unsere Existenzverhältnisse sind inzwischen immer ungünstiger ge worden. Das gilt vor allem für die unteren und mittleren Beamten, dabei durchgeführte Erweiterung ber Spannung zwischen beren Bezüge in gang unzulänglicher Weise aufgebeffert wurden. Die den Belobungsgruppen täht jebes fogiale Berständnis vermiffen. Die legten Besoldungsregelungen um Juni und November dieses höheren Beamten dar, daß sie geradezu aufreizenb mirten müffen. Jahres ftellen eine jo ausgefprochen einseitige Begünstigung der Das gilt auch für das den Beamten im Wege des Dittats gewährte ohnungsgeld, das außerdem für viele Orte die herabftufung um eine, teilweise logar um mehrere Drtskaffen brachte. Eine weitere Wohnungsgeld, das außerdem für viele Orte die Herabftufung um Berschlechterung der Besoldungsverhältniffe ift burch die bevor stehende völlige Beseitigung ber örtlichen Sonderzuschläge zu er geführte, an fich schon unvollkommene Besoldungsreformwert weiter marien. So wird Schritt für Schritt bos im Jahre 1920 durch verschlechtert und

ein Besoldungsrecht geschaffen,

das für die Beamten ber unteren und mittleren folbungsgruppen einfach unerträglich ift.

Beamte und Beamtinnen! Die Reichsregierung läßt zwar er flären, daß der Personalabbau sein Ende erreicht habe. Trotzdem ist vom Verwaltungsrat der Reichsbahn - ftiengesell. schaft, ein erneuter Personalabbau angeordnet. Hand in Hand mit dem Beamtenabbau geht die Verschlechterung der Rechts- und Dienstverhältnisse. So wurde die

achtstündige Dienstzelt durch eine neunfindige erfeht. Darüber hinaus wurden für die Eisenbahner Dienstdauervorschriften überschreiben. Der Erholungsurlaub wurde ganz wesentlich ver­erlaffen, die auch die neunstündige Dienstzeit noch ganz beträchtlich fürzt. Das angefündigte neue Reichsbeamtengeset läßt verfaffung versprochene Beamtenvertretungegefez. 31 Aussicht ge­noch immer auf sich warten. Evenfo das im Artikel 130 der Reichs­nommen ist ein Gefeß über Beamtenaussaffe, in dem

fein foll. Damit soll auch bie angestrebte Demokratifierung der das bestimmungsrecht der Beamten ansgefchallet Berwaltung gründlich unterbunden werden. Die für die Beamten Gung gefunden, ebensowenig die immer und immer wieder verlangte geforderte Rvantenversicherung hat noch immer teine Berücksichti­Menderung des Benfionsergänzungsgesetzes. Wohin wir auch immer bilden, auf jedem Gebiete der Rechtsverhältnisse der Beamten gelgt fich Stillstand und Rückschritt.

So darf es auf Beinen Fall wettergehen! Aber auch vom Stand­punkt des Steuerzahlers und Verbrauchers müssen sich die Be­Beamten am Wahltage entscheiden. Es fann nicht länger angehen, daß die Einkommensteuer fast ausschließlich die Arbeitnehmer be­lastet und die Bestzenden schont. Ebenso unerträglich ist es, daß Arbeitnehmern und Verbrauchern bei unzulänglichen Gehältern Waren und Lebensmittelpreise auferlegt, die jede Anteilnahme am Kulturleben ausschließen. Wir fordern deshalb bte

Wir fragen euch, Beamte und Beamtinnen: Wollt ihr diese Buftände länger bestehen lassen? Wir fragen weiter: Wollt ihr am Wah tage die Hand dazu bieten, daß dieses Besoldungsrecht verewigt wird? Wir sind der festen Ueberzeugung, die Antwort wird euch nicht schwer fallen. Sie tann nur in einem glatten Rein beftehen. Die Berneinung bebingt gleichzeitig bie Entscheidung für den Wahltag. Darum:

Reine Stimme den Parteien,

die durch the bisheriges Verhalten im Reichstage und in den Bänder berechtigten gewerkschaftlichen Ferderungen der Beamte verständ und Gemeindeparlementen den Beweis erbracht haben, daß sie den

nistes gegenüberstehen.

zugunsten einer( og alen, den Teuerungsverhältnissen entsprechenden 2m 7. Dezember geht es aber nicht nur um die Entscheidung Beamtenbesoldung, sondern auch um die Abwehr

der das Berufsbeamtentum untergrabenden Maßnahmen ber Reichsregierung, die felbft vor Berfaffungsverlegungen nicht haltmachen.

die Erfehung des privatwirtschaftlichen Systems burch ein irgendwie geartetes gemeinwirtschaftliches Gnftem, bas geeignet ift, die Bebenshaltung der Beamtenschaft auf ein höheres Niveau zu bringen.

b'emen auf. die unmittelbar und mittelbar die Lebensinteressen der So rollt die Wahlbewegung eine Fülle von ungelöften Pro­Beamten des Reiches, der Bänder und Gemeinden berühren.

Diefer Wahlkampf entscheidet über die Frage: Goll die Be. amtenschaft wirtschatflich und kulturell aufsteigen, oder soll sie iet folge einer ungünftigen und reaktionären Zusammensehung des teichspartaments wirtschaf fich immer weiter ins Elend finken? Dorum , Beamte und Beamtinnen: bie Augen auf!

würden, wenn sie zur Herrschaft gelangen. Sie wären dann Wählt am 7. Dezember als Arbeitnehmer und

gewiß nicht imftande, den Hungernden Brot zu geben, sie würden fich dann vielmehr selber gegen die Hungernden zu

Der Bundesvorstand des Allgemeinen Deutschen Beamtenbundes.

Verbraucher!