ganzen Krieges die Notwendigkeit der Landesverteidigung be« tunbet und sind dafür von gewissen Kreisen als Sozialoerräte? und Sozialpatrioten, als Regierungssozialisten und noch schlimmer beschimpft worden. Wir haben trotz allem an den für richtig gehaltenen Linien unserer Politik festgehalten, ob» schon man uns alle Schlechtigkeiten andichtete. Wenn wir damalsnichtindieStreikleitungeingetreten w ä r e n, so säße vermutlich das ganze Gericht nicht hier, denn die Bewegung hätte leicht emen Verlauf nehmen können, der ein großes Unglück für alle bedeutete. Damals hätten sich leicht wirklich„Revolutionszustände" entwickeln können, die damit endeten, daß keine„Mitteldeutsche Presse" den Reichs- Präsidenten einen Landesverräter hätte schimpfen können. Mansollteunseigentlichdankbarsein. daß wir die Stürme aufgefangen und das Schlimmste verhütet haben. Man sollte uns aber nicht noch dafür— sieben Jahre später— beschimpfen. Der Reichspräsident und der gesamte Partei- vorstand waren nicht gegen alle Forderungen, die die Streitenden stellten. Wir waren aber gegen ihre Erkämpfung durch d e n S t r e i k, den wir für ein U n g l ü ck hielten. Wir haben uns geweigert, die Forderungen anzuerkennen, die ohne unser Zutun ausgestellt waren. Wir haben andere Formulierung verlangt. Aber eine Umredigieruna konnte nicht stattfinden, weil das VerbotdesGeneralsv. Kessel dazwischen- prasselte, so daß eine ernsthafte Beratung der Forderungen überhaupt nicht stattfand. Run hat aber der„B o r w ä r t s" am 29. Januar 1918 morgens geschrieben, daß der Inhalt der Forderungen von der großen Mehrheit des Volkes geteilt werde, und daß daraus sich die grundsätzliche Stellungnahme der Sozialdemokratie zu der Bewegung von selbst ergebe. Ja, man hat einen Monat später im Reichstag erklärt, daß die P a r t e i l e i t u n g die Haltung des„Vorwärts" während des Streiks gebilligt habe, folg- l i ch— so meint die Verteidigung— habe natürlich auch der Reichspräsident die Zustimmung des„Vorwärts" zu den Streikforderungen gutgeheißen. Da entspinnt sich nun— zum erstenmal— vor dem Gericht eine Auseinandersetzung, ob der Parteivorstand einen be- stimmenden Einfluß aus die Redaktion des„Vorwärts" und auf einzelne seiner Artikel habe und ausüben müsse. Belanglose Nebensächlichkeiten! Aber durch diese Erörterungen ergibt sich die Nolwendigkeit, wenigstens diesen zitierten Artikel ein- mal ganz vorzulesen, von dem bis dahin nur ein aus dem Zusammenhang gerissener Satz vorgetragen war. und an- gesichts des ganzen Artikels verstummte selbst der fragelustigste Verteidigermund. Am Freitag soll G u st a v Bauer vernommen werden, der heute nur einige kurze Fragen zu beantworten hatte. Wann der Prozeß zu Ende geht, ist noch gar nicht ab- zusehen. Ein großer Teil von Zeugen ist bereits auf Dienstag nächster Woche geladen und andere neue An- träge auf weitere Ladung sind noch in Aussicht gestellt. Mit Recht ist schon die Frage aufgeworfen worden, ob alle diese Nebendinge, die bisher erörtert worden sind, etwas mit dem Borwurf zu tun haben, der dem Reichspräsidenten gemacht worden ist, er habe den Munitionsstreik angezettelt und dadurch Landesverrat verübt. Ab er die Wege des Gerichts sind wunderbar und niemand weiß, wo sie münden werden. rverhandlungsbericht in dar S. Beilage.)
Die„Deutsche Zeitung" hatte im Zusammenhang mit der Aussag« des Reichspräsidenten , in der es hieß, dag er von dem während des Munitionsarbciterstrert» im Januar 1918 verbreiteten radikalen Flugblatt nichts gewußt habe, geschrieben, es fei nicht anzunehmen, daß die Streikleitung, zu der bekannt» lich auch Gen. Eberl gehörte, von dem Flugblatt keine Kenntnis gehabt habe. Auf unsere diesbezügliche Anfrage, ob die„Deutsche Zeitung" damit den Reichspräsidenten des Meineides bezichtigen wolle, antwortet das Blatt nunmehr: Ja. bestand denn die Streikleitung nur au« Herrn Eberl? Das ist doch wirklich alles borer Unsinn!
D-a es sich in dem Magdeburger Prozeß nur um die Stellung des Gen. Eberl zum Streik handelt, konnte die Anspielung der „Deutschen Zeitung" nur«inen Sinn haben, wenn sie sich auf Eberl bezog. Das bezeichnet die„Deutsche Zeitung" als baren Unsinn. Unser« zweite Frag«, wie die„Deutsch « Zeitung" zu der sonder- baren Behauptung komme, Dittman habe seinerzeit vor Gericht ge- schwiegen, um zu oerhindern, daß Gen. Ebert wieder ins Zucht- haus komm«, beantwortet das Blatt damit, daß es das gar nicht habe behaupten wollen und daß ein Druckfehler an dieser Unierstellung schuld sei. Es habe heißen sollen, Dittmann wollte oerhindern, daß Ebert„so wie e r" ins Zuchthaus komme. Dittmann war aber nicht im Zuchthaus, sondern auf F e st u n g Wir haben dieser vielsagenden Selbstcharakterisllk nichts hinzuzufügen._ Die abgelehnte Krone. Der Reichspräsident und der Rücktritt der Regierung. Die Reichsregierung läßt mitteilen, daß sie zu Beginn der nächsten Woche zurücktreten wird. Sie hat diesen Beschluß selbst gefaßt, nachdem sie ursprünglich nur den prinzipiellen Beschluß zum Rücktritt gefaßt, die Entscheidung über den Termin des Rücktritts aber von einer Besprechung mit dem Reichspräsidenten abbängig machen wollte. Diese Absicht des Kabinetts hat der„K r e u z z e i t u n g" Anlaß zu folgender Betrachtung gegeben: „Man hat nämlich die letzte Entscheidung, nämlich die über den Zeitpunkt des Rücktritts, dem Reichsprösiden- t«»zugeschoben und damit diedemokrotischenGrund- sätze insofern durchbrochen, als dem Reichspräsidenten eine Befugnis gegeben wurde, die er verfassungsrecht- l i ch mid auch nach parlamentarischem Brauche nicht besitzt. So wächst Ebert immer mehr in ein« Diktatur st«llung hinein, je öfter letzte Entschcidungs» und Willensbestimmungen ihm übertrogen werden." Die„Kreuzzeitung " unterstellt dem Reichspräsidenten eine Diktatorstellung, die er weder einnimmt noch erstrebt. Er hat die Krone, die ihm die„Kreuz�eitung" zuschieben möchte, Höf- lichst abgelehnt und denZeitpunkt desRücktritts ganz dem Kabinett überlassen. f)(ilb und tzalb. Der nationale WahllikSr. Diesmal nicht Mamp«, sondern Rückforth. Di« Ferd. Rucks orch Rochf A.-G. verscmdte folgendes Rundschoclben: „An uns find«ine ganze Meng« von vaterländischen Verbänden(Stahchelm. Jungdeutscher Orden, Dent'choöltilcher Orden, Werwclf usw.) mit der Bitte um Herstellung eines be- sonderen Likörs mit irgendeiner nationalen Aufschrift herangetreten. Auch aus den Kreisen unserer Vertreter sind diesbezügliche Forderungen an uns gestellt worden. Wir haben nun unseren Likör„Rückforth Halb und Halb", der als Pomeronzsnlikör und ausgesprochener Herren- likör sich überall besonderer Beliebtheit erfreut, ausgewählt und liefern ihn unter der Bezeichnung„Rückforth Alter Fritz" zum Preise von 4 M. die?1-Flc:sche einschließlich Glas und Kiste frachtfrei jeder deutschen Babnstation. Das Flaichrnbild zeiot Friedrich den Großen im Profil mit der Quer'christ„Alter Fritz Deutscher Edellikör" und ist sehr auffällig in den Farben Schworz-Weib-Rotge- halten, so daß uns von keiner nicbtnationalen Seite laut der Vorwurf nationaler Werbung gemacht werden kann. Wir nehmen an, daß der Likör besonders von den Restaura. teuren, bei denen Verbandslokale oaterländischer Vereine sind, gern aufgenommen wird, unbedingt auch jetztvor der Wahl/' Schwarz-Weiß-Rot als Schnapsreklame, schwarz- weißroter Ha'b und Halb— deutschnationaler Werbeschnopsl Schwarz-Weiß-Rot, aber sehr unauffällig, sozusagen halb und halb, also echt deutchnational.
Der Prozeß wegen de« ZNemel-Pulschversuch« hat in K o w n o begonnen. Die Oe fsentlichkeit wurde ausgeschlossen.
Die Nilitärkontrolle in Deutsthlanö. Kein günstiger Bericht. Paris , 12. Dezember. (Eca.) Wie der Berliner Berichterstatter des„Journal" meldet, arbeitet die Interalliierte Militärkontroll- kommifsion augeabiicklich mit Hochdruck an der Fertigstellung des Berichts über die Generalkontrolle der deutschen Entwaffnung. Aller Wahrscheinlichkeit nach werde der Bericht am 20. Dezember beendigt scin und die Interalliierte Miiitärkontrollkommission werde Berlin am 1. März verlassen. Der Berichterstatter glaubt zu wissen, daß der Bericht für Deutschland nicht so günstig sein werde, wie man es allgemein m Deutscksiand erwartet. Er enthalte zahlreiche und außerordentlich genaue Kritiken über die Verletzung der Eni- waffnnngsbestimmungen In der Hauptsache werden folgend« drei Punkte aufgeführt: 1. das Amt eines Generalissimus der Reichs- wehr, das bekanntlich General von Seeckt inne habe, fei unver- einbar mit dem Friedensvertrag«. Die Alliierten verlangten also die Abschaffung dieses Amtes und fordern, daß das Oberkommard» der Reichswehr von zwei unabhängig voneinonder arbeitenden Ossi- zieren ausgeübt werde, deren Funktionen genau festgestellt werden sollen. 2. Trotz wiederholter Vorstellungen habe die Interalliierte Militärkontrollkommiffivn es nicht erreichen können, daß vom beul- ichen Generalstab die Sonderarchive über den genauen Stand der Bewaffnung des Reiches bei Abschluß des Waffenstillstandes übergeben wurden. Vor einigen Monaten fei es einem eng'ischcn Kontrollvffizier gelungen, diese Archiv« zu entdecken. Der deutsch « Verbindungsoffizier, der den englischen Offizier begleitete, habe den Engländer unter einem Vorwand« aus dem Archiv herausgelockt, und als der englische Offizier zwei Standen später zurückkam, sei das Archiv bis auf da« letzt« Blatt verschwunden gewe en. Z. Di« Schleifung der Grenzfestueigen sei nicht enfiprechend den Vorschriften des Friedensvertrages ausgeführt worden. Hierzu wird von zuständiger deutscher Stell« erklärt: Die Be- hauptung, daß in dem Bericht eine Abschaffung des Chefs der Heeres- leitung verlangt werden wird, ist im höchsten Grade unwahr- s ch« i n l i ch, ja, fast unmöglich. Die Stellung und der Wirkungs- kreis des Chefs der Heeresleitung ist in dem Wehrgesetz von 1921 festgelegt und seinerzeit von Gercral Rollet gebilligt worden. Die Schilderung der Vorgänge in Punkt 2 beruht anscheinend auf einem Vorkommnis, das sich nicht in der geschilderten Weise, sondern bedeutend harmloser(es handelt« sich nicht um das „Geheimarchiv ", sondern um einzelne Aktenstücke) in Spandau vor 4 Jahren zugetragen und das bereits damals seine Auf- klärung gefunden hat' Es erscheint unmöglich,, daß die Rote der Kimtrollkomisston auf diesen vier Jahre zurückliegenden Vorgang jetzt zurückkommen wird. Was die angeblich ungenügende Schleifung der Grenzfeftungen anlangt, fo ist von zuständiger Stelle auf das Unzutreffende dieser Behauptung schon mehrfach hingewiesen worden. Völkerbund und Rüstungskontrolle. Rom . 11. Dezember.(Eigener Drahtbericht.) Im Völkerkmndsrat schnitt Briand am Mittwoch die Frag« der Ueberwochung der e n t- militarisierten Gebiete an. Ein Ratsbeichluß vom Donners- tag beauftragt die permanent« Militärkommisston praktische Vor- schlüge für die Rhein -Zone zu machen. Frankreich versucht schon jetzt einen maßgebenden Einfluß auf die Kontrolle in der Rhein -Zone zu erhalten._ Die pariser Kunftgewerbeausstellung. Deutschland beteiligt sich nicht. MTV meldet: In der Kabinettssitzung am Mittwoch wurde über die am Sonnabend hier eingegangene Einladung der sranzä- stlchen Regierung zu der Kunstgewerbeaüsstellung in Paris Bejchiuß gefaßt. Mit Rücksicht auf die fechr erheblichen finanziellen Mittel, die eine der Bedeutung des deutschen Kunftgswerbes entsprechende Beteiligung an der Ausstellung erfor- der» würde und deren Bereitstellung bei der gegenwärtigen Lage der Reichsfinanzen nicht verantwortet werden kann, und im Hinblick auf die kurze Zeit, die selbst bei Vorhandensein der erforderlichen Mittel für eine sorgfältige Vorbereitung der Aus» stellung nicht hinreichen würde, entschied sich das Kabinett für den Verzicht aus die Beteiligung. Der Botschafter in Paris ist ange- wiesen worden, der französischen Regierung den Dank der Reichs- rogierung für die Einladung zum Ausdruck zu bringen und die
Igor Strawinskp. Konzertumschau von Kurt Singer Der berühmte Pariser Maler Plcasio hat«in BW von Stra. winsky gemalt: breit auf einen Stuhl gelehnt imponiert neben einem brutal dreinschauenden Antlitz, scharf vorspringendem Rasen- giebel und wulstigen Lippen das Riesenformat zweier fleischiger Hände. Sieht oder spricht man diesen Mann, der wie kern Zweiter (außer Schömberg ) die Musik unserer Tage befruchtet hat. so wirkt er ganz anders, fast wie ein geschniegelter, in Kleidung und Manier korrekter, geistig beweglicher Salonmensch. Selbst das Monokel und die Dcnnaschenschuhe fehlen nicht. Dos Spiel der Hände jedoch verrät neben der Glätte des Mannes sein« Härte, neben dem intellektuell Zugespitzten das Urwüchsig«, natürlich Zupackende. Tatsächlich lebt in seinem Werk und in seinem Spiel ein Stück russischen Volkstums, das ja nicht frei von asiatischen Wildheiten ist. Doch scheint die Lyrik der früheren Russen ganz ausgelöscht aus Kosten ein«? gerade bei Strawinsky wieder berühmt gewordenen, ausrüttelnden rhythmischen Empfindens. Im„SSacre du printernps* schwebi allerdings in höchst eigener und fies dringender Form, mit ungewohnten Mischsorben des Orchesters seelisches Erleben: die rhythmische Polyphonie bleibt das Dominierende, das Originalste. Da ein Zufall Strawinsky mit dem Russischen Ballett zusammenführt«, so wurde dies« Urbegabung des genialen Mannes tatsächlich zu einem Reubeginn unserer mustkali- schen Einstellung. Seine Rhythmenmelodie verband stch mit den Be. w«gangen der Tänzer zu einer absoluten Einheit(wie nn Petruschka- Ballett). Das Kloo i« r k oerz« rt, das er unter Furtwänglers Begleitung spielt«, geht auf eine andere Art von Musikerlebnis zurück. Ganz bewußt wahrt es die Form eines antiken, etwa Bachfchen Kon- zertes, hat groß« pastos« Themen, die in Dariatlonen und mit sehr kluger Kontrapunktik an uns vorüberziehen, setzt hinter die schwere Wucht des Allegro ein Larghissimo von weich ester und geradezu in- brünstiger Tönung und jagt kontrastierend ein Allegro nach, das in seinem svitziqen Wurf und in feiner Figuration gleichfalls cm Musik des 17. Jahrhunderts erinnert. Alles dies mit Vorbehalt. Der Klang ist, wenn auch nicht exzentrisch modern, so doch auch nicht kantabet tm alten klassischen Sinn. Wer 6 und Gh, zu gleicher Zeit angeschlagen, als Mißklang empfindet, und wer nicht imstande einen Kontra- pcmkt, der sich mit einem andern reibt, als natürlich zu empfinden. der bekreuzigt sich auch vor diesem Werk. Die meisten Hörer werden aber die Dämonie und die rhythmische Triebkraft dieses Komponisten unter den pianistisch nicht hochwertigen, doch persönlich aus. trumpfenden Händen des Spielers empfunden haben. Die Rückkehr zum Primitiven wird deutlich, auch wo das Gewollt« nicht gerade in eine Fülle von Gedanken und Inhalt gleitet. Strawinsky hat rein musikalisch Stärkeres schon gegeben. Die Kraft, die aus diesem Klavierkonzert strömt, ist bedeutend genug, um den Komponisten selbst weiter anzuregen. Es ist ein« Rückkehr zur Tonalität und zu einem festen Formwillen zu spüren, also eine Rückkehr von der Modernen zur Bormodernität. Das Klavier hebt sich von einem Orchester, in dem die Streicher bis auf die Bässe fehlen, vorzüglich ab. Strawinsky wurde als Spieler und Komponist trotz des störenden Versuchs einer Minderheit stark aeseiert. Da» beweist, wie man auch das konseroatwe Publikum der Philharmonischen Konzert«
allmählich erziehen kann. Furtwöngler selbst holte sich mit der jugendsrischen, leicht reißerischen Ouvertüre„Der Korsar" von Berlioz einen Spezial erfolg. Di« Begleitung des Klavierkonzertes. in dem bei 30 Takten 28 mal der Rhythmus umgestellt werden muß, machen ihm gewiß nur wenige nach. Dag Schönste am Abend war aber die E-dur�Sinfonie von Schubert und in dieser wieber das schicksalshafte Andante, dessen umfaßbaren Zauber, besten Anmut und Sangbarkelt Furtwöngler ganz meisterhaft gestaltet«. Hier war Wehmut zugleich und überirdische Freud«, Träumen und Abschied- nehmen. So sang sich Furtwöngler sein eigenes herrliches Abschieds- sied vor seiner Reise noch Amerika . Ein„Glückaus' und ein„Aus Wiedersehen" klang ihm in dem Jubel der Menge noch. * Von dem Spieler Strawinsky zu dem Pianisten Gieseking— welch«in Meilenschritt! In der modernen Ausdruckskunst Debusiys ist Gieseking der vollendetste Spieler. Es gibt keinm, der derartig zart das dustige, konturlos«, schwebende und schwingende, das geistige und klangliche Schimmern in den Präludes nachmalt wie er. Daß der ganz« Körper des Mannes motorisch arbeitet, ist Wunder und Erlebnis zugleich, doch sollte er das ablchreckent»« Singen. Atmen und Schnauben einzudämmen versuchen. Madola Masson verband in dem Dortrag des Prälud« und Chorals von Cäsar Franck mann- liche Anschlagskrast mit einer sehr vornehmen musikalischen Empfin. dung: sie scheint geistig noch nicht ganz über den Dingen zu stehen, doch ist groß« Mustkasität unverkennbar. Die junge Pianistin Ellen Cohn machte den Versuch des ersten öffentlichen Austretens mit hübschem Erfolg. Ein« autgefchulte Hand und ein gesundes, natür- l'ches Einfühlen in Musik nehmen sympathisch für die 16jährig««in. Doch ist dag noch die Zeit, wo man im Flügelkleid« zur Schul« der Sonaten geht. Entwicklung zur Höhe oder Stillstehen beim begabten Durchschnitt lassen sich noch nicht voraussagen,©ie wurde von einem Orcbester begleitet, das Herbert M ü l l« r- En de n t h u m mit leidsicher Sachkenntnis führte. Daß ein Lileput-Orchester von zwanzig Mann das Meistersingervorspicl nur eben richtig, aber nicht für dos Gehör der Anfprichovollen spielt, kann nicht Wunder nehmen: doch sollte es ein Anfang sein, der gewiß zum Verdammen kein Recht gibt. Meister Carl Thiel ließ von seinem Madrigalchor neue Volkslieber von R e z n i c e k zur Uraufführung bringen. Ein bewrcht antiker Stil, herb« melodisch« Führung und eine im ganzen Homo- phcm« Gesamtholtung machen das Liederspiel zu einem angenehmen Gewinn. Es erinnert etwa an die leider vergessenen Liederzyklen von Herzogenberg , gesanglich an Mendelssohn. Drei Sopranlieder von Arnold Schönberg fanden in Elisabeth O h l h o f f ein« gut«, empfindungswarme Jnterpretin. Es sind Lieder aus alter Zeitz die Schönberg noch auf den Spuren von Brehms zeigen: in der„Er- bebung" gelang ihm sogar ein d»-capo-Schlag«r. Greil Bloch, Schülerin der Man« Bergwein, hat eine kleine, beweglich«, zarte Sopranstemme, die in der Tiefe substanzlos wird und dem pathetischen Ausdruck gegenüber verfagtz Altttallenische Arien paffen ihr und ge- fingen ihr wesentlich freier und hübscher als das große Format de» Schubertschen Liedes. Flora Keller aus Zürich verwechselte Berlin mit Köffchenbroda. So unvorbereitet, so unmusikalisch und unsmiber hat gewiß lange niemand im Beethovensaal gesungen. Den Lebenden gilt unser Spruch. Den Toten der Woche ein wehmütiges Gedenken..Paoer Scharwenka starb im 75. Lebens. jähr. Ein hervorragender Virtuose des Klaviers, international
anerkannt Äs Pädagoge, lang« Jahre in Berlin für neue Kunst werbend(Requiem von Berlioz), ein Kämpfer für die Standes- orgcmilationen wird er unvergessen bleiben. Ems der berühmtesten Prwatkonservatorien trägt seinen Namen und dos d-moll-Klavier- konzert wce die polnischen Tänze werden den Ruf des Komponisten der Nachwelt erhalten._ vaö Gefängnis als hochsthule. Unter diesem Titel werden in Heft 19 der illustrierten Halb- Monatsschrift„Blmini"(Verlag von Hoffmann u. Campe) einig« interessante Mitteilungen über den Aufenthast Bebels auf der Hubertusburg gemacht, wo Bebel sein« Festungshaft nach seiner Aernrieüung im„Hochverratsprozeß" oerbüßt hat. Bebel sagt selbst in seinem Memoircnwerke„Aus meinem Lebeil", daß er mit seiner Festungshaft„Schwein" gehabt habe, weil er die unfrr! willige Muße zu eifriger wisienfchaft.icher Arbeit, besonders zum Studium von Nationalökonomie und Geschichte, habe benutzen können. Damals ist u. a. sein heut« längst vergriffenes Buch über den„Deutschen Bauern krieg "«irtstanden, und ebenso erhielt Bebel damals durch das Studium der französischen Utopisten die erste Anregung zu seinem Buche„Die Frau und der Sozialismus". Was für vielseitige geistige Interessen Bebel damals hatte, geht aus dem nachfolgenden, bisher unvsröff.nt- sichten Briese hervor, den Bebel im letzten Vierteljahr seiner Festungshaft an den Berliner Berlagsbuchhändler R e i n h o l d Schlingmann gerichtet hat und in dem«r um die Ueberscndung einer Anzahl von Büchern bittet. Die Bekanntschaft Bebels mit Echlingmann Hatto Wilhelm Liebknecht vermittelt, der seinerzeit von der Gräfin Hatzfeldt den Auftrag übernommen hatte, eine Biographie Losialles zu schreiben, die Echlingmann, einer der Verleger von Schriften Lassalles, herausbringen sollt«. Dies« Angelegenhett hat sich zwar zerschlagen, doch hat Schsingmann auch sonst Beziehungen zur pÄittschen Arbeiterbcwegung der sechziger und siebziger Jahre und zu den bekanntesten Führern der Lassalleaner und Eisenader unterhalten. Der erwähnte Brief Bebels, der sicher versehentlich 1872 statt 1874— datiert ist, hat den folgenden Worttaut: Hubertusburg, den 7. März 1872. Geehrter Herr Echlingmann! Roch einmal, bevor ich die Räume von Hubertusburg verlasse_ was in 10 Wochen geschieht—, nehme ich mir die Freiheit. Ihre Güte für die Aquirierung einer Anzahl Bücher, die ich als geistiges Futter für Zwickau brauche, in Anlpruch zu nehmen. Es ist eine ziemlich lange Lifte und ein groß Stück Arbett, für das ich Ihr Wohlwollen in Anspruch nehme. Ich wünschte und bitte folgendes für mich zu erwerben und anher zu senden: !• Höckel: Natürliche Schöpfungsaeschicht«. neueste Auflage. u- Lange: Geschichte des Materiafismus. 2. Auflage. 3. A. v. Humboldt: Kosmos. 4. Adam Smith : Reichtum der Nationen(deutsch ). 5. Dr L. Hirt : lieber die Krankheiten der Arbeiter. Ferd. Htrt u. Sohn. Leipzig und Breslau . 8. Dr. von der Goltz: Di« ländlich« Arbeiterfrage und Ihre Lösung. Neuest« Auflag«. Kosemaim, Danzig .