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Abendausgabe

Nr. 594 41.Jahrgang Ausgabe B Nr. 297

Bezugsbedingungen und Anzeigenpreise find in der Morgenausgabe angegeben Redattion: SW. 68, Lindenstraße 3 Fernsprecher: Dönhoff 292-295 Tel.- Adresse: Sozialdemokrat Berlin

Vorwärts

Berliner Volksblatt

5 Goldpfennig

Mittwoch

17. Dezember 1924

Berlag und Angetgenabteilung Geschäftszett 9-5 Uhr

Berleger: Vorwärts- Berlag Gmbh. Berlin S. 68, Lindenstraße 3 Fernsprecher: Donhoff 2506-250%

Zentralorgan der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands

Stresemann will sich entscheiden!

Bis heute abend.

Der Reichspräsident empfing heute mittag den Reichs­außenminister Dr. Stresemann und richtete an ihn die Frage, ob er die kabinettsbildung übernehmen wolle. Dr. Strese­mann behielt fich die Entscheidung bis heute abend vor.

Die Boltspartei hat die Regierungskrise gesucht. Jetzt

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winkt die Berantwortung. Das allgemeine Urteil der Deffent­lichkeit ist: wenn Herr Stresemann den Bürgerblock durch­ous will, wenn er den Reichstanzler deshalb gestürzt hat, wenn er Deutschland deshalb eine Regierungsfrise beschert hat dann soll er auch selbst den Versuch unternehmen, die Reichs­regierung zu bilden. Selbst die Deutsche Allgemeine Beitung" hält es für selbstverständlich, daß Strese mann nicht fneifen darf:

Dieser wird sich zweifellos der Bedeutung bewußt sein, die gerade er im gegenwärtigen Zei.punkt für das Zustandekommen

einer dem Willen des Bolles möglichst entsprechenden Regierung besitzt. Sollte an ihn der Auftrag des Präsidenten heran.reten, fo wird er sich ihm schwerlich entziehen können. Andernfalls mürbe mon eine mettere Berschleppung der nun schon feit Monaten ungelösten Krise und Berfälschung des Boltswillens, wie ihn die Wahlen erneut dargetan haben, erleben." Aber die lebernahme der Berantwortung ja, das ist etwas ganz anderes als die Fabrication einer Krise. Einen etwas ganz anderes als die Fabrikation einer Krife. Einen Reichstanzler stürzen, ist leicht, selbst die Berantwortung über nehmen, bazu gehört ein ganzer Mann. Herr Strese

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mann läßt schon danken. Die 3 eit" schreibt:

Daß Dr. Stresemann einen an ihn ergehenden Auftrag annehmen würde, ist nach seinen bisherigen Erklärungen nicht wahrscheinlich. Die Auftragserteilung wäre also mehr eine Demonstration. In Wirklichkeit rechnet man ziemlich allgemein da. mit, daß Stresemann ta bem fünftigen Kabinett den Poften des Außenministers weiter belleiben wird."

Die Schen vor der Berantwortung ist der Ausfluß der inneren Schwäche der Bürgerblockbestrebungen. Herr Strefes mann fürchtet, daß er mit der Bildung der Rechtsregierung Schiffbruch erleiden fönnte. Er ist wohl bereit, für den Bürgerblod laut die Trommel rühren zu lassen und fein Organ einige Stilülungen in deutschnationaler Tonart, vornehmen zu laffen aber einen persönlichen Mißerfolg für den Bürgerblod mill er nicht risfieren.

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Die Voraussetzungen für den Bürgerblock haben sich ja als sehr brüchig erwiesen. Mit der Sicherung der bisherigen Außenpolitik im Bürgerblod ist es nichts. Nur noch die Unent­megtesten aus Stresemanns Lager flammern sich an die Fiktion, als feien die Deutschnationalen zur Erfüllungspolitik bekehrt. Roch schreibt die Nationalliberale Korrespondenz":

"

Am 29. August haben allerdings nur 50 Proz. der deutschnationalen Reichstagsfraktion durch ihre Abstimmung das Rernstück der jegigen Außenpolitik, die Dawes- Geseze, angenommen. Am 30. September aber hat sich der deutschnationale Bertretertag mit vier Fünftel Mehrheit auf den Boden des Beschlusses der Reichstagsmehrheit gestellt( die Dawes- Gefeze als bindende Norm" anerkannt). In dem offiziellen Wahl. aufruf der Deutschnationalen Bolkspartei vom 29. Oftober heißt es dann ausdrüd ich: Die Dawes- Gesetze sind jetzt bindendes Recht Ihre Ausführung verlangt eine wachame Vertretung des deutschen Standpunktes." Damit ist von dieser Seite die Garantie gegeben, daß sie die bisherige Außenpolitik anzuer. Pennen und fortzusehen bereit ist."

"

Zur Beträftigung dieser Garantie" schreibt heute morgen der Lokal Anzeiger" furz und grob: " Fortführung der bisherigen Außenpolitit" ist eineinhalts.

"

tofe Phrase.

Das ist doch deutlich und ehrlich, da weiß man doch, wie es mit der nationalliberalen Garantie aussieht. Die mimosen hafte Scheu Stresemanns var der Berantwortung wird bei solchen Auslassungen immer verständlicher. Er muß aus­löffeln, was er eingebrockt hat.

Das Zentrum gegen den Bürgerblock.

Der Verlauf der Fraktionssitung. Heute vormittag 11 Uhr trat die Reichstagsfraktion des Sentrums unter Borsitz des Abg. Fehrenbach in Anwesenheit ron Dr. Marg zu ihrer fonftituierenden Sigung zusammen.

Es wird mit großer Bestimm heit versichert, daß die Zentrums­frattion fich far gegen den Bürgerbloch aussprechen wird.

Die deutschnationale Graftion begann ihre erfte Shurg um 12 Uhr. Eine zweite ift für Nachmittag 4 Uhr angefekt. Um 4 Uhr tritt auch die Fraktion der Deutschen Bolkspartei zusammen, deren Borstand für 3 Uhr zufammen. berufen ist.

Es reicht nicht.

Deutjánationale Afrobatik.

Die Kreuzzeitung " hatte angedeutet, daß die Bartel Graefe Ludendorff bei den Deutschnationa en An­fchluß fuche. Die Deutsche Zeitung" bestätigt diese Andeu­hung; nach ihrer Kenntnis bestehe zwischen den beiden Rechts­fraftionen- besonders im Landtage eine Fühlungnahme.

Es wiederholt sich die deutschnationale Akrobatik aus dem letzten Reichstag, wo die Deutschnationalen die Abgeordneten der Landliste auf die Schultern nahmen, um als stärkste Fraktion erscheinen zu fönnen. Diesmal reichts aber nicht. Deutschnationale, Landliste und Böltische haben zusammen immer erst 125 Mandate gegen die 131 der Sozialdemo­Darin spiegelt sich der Rückgang der Schwarz- Weiß- Roten: 7. Dezember 4. Mai Sozialdemokratifche Fraktion 100

fratie.

Deuticnationale, Landliste u. Völlische.. 188

181+81 125- 13

Die deutschnationale Reichstagsfraktion wird heute ihren Borsigenden mählen. Eine Meldung, daß We starp an die Stelle Hergts treten würde, wird von der Nationalpost" dementiert. Zu den deutschnationalen Unterhändlern gehört ergt nicht. Als Unterhändler sind bestimmt worden Dr. Wincler, Westarp, Schiele und Behrens.

Ludendorff und Knüppel- Kunze.

Knüppel- Kunze ist schuld.

Die Ludendorff- Partei hat es herrlich meit gebracht. Ludendorff und Knüppel- Kunze stehen sich als eigene Bartet befizer auf gleich und gleich gegenüber. Ludendorff und Knuppel- Runge als Politiker von gleichem Rang und gleichem Einfluß. Der Unterschied in der Zahl ihrer Anhänger ist wirk­

lich nicht erheblich.

Die Leute Ludendorffs nehmen deshalb Knüppel- Kunze auch ernst. Die Medlenburger Warte", das Organ des Herrn v. Graefe, widmet Rnüppel- Runze und seinen Leuten eine große mahlstatistische Betrachtung. Wenn Ludendorff einen Feldzug verloren bat, muß immer ein anderer daran schuld fein. Diesmal ist es Knuppel- Kunze , der den Dolch in den Rüden der Ludendorff- Partei gestoßen hat. Der Nationalheros Ludendorff habe nicht reüffiert, weil Herr Kunze ihn nicht reüssieren lassen wollte. Wovon doch ein Nationalheros Ludendorfffcher Prägung abhängt!

Herr Kunze ist schuld, daß die Partei Ludendorffs nun daran gehen muß, die Abfälle zu sammeln. Aus Rache fängt fie bei Knippel- Runze felber an. Vielleicht sind von den 140 000 Wählern, die für Knüppel- Kunze maren, einige Zehn tausend für die Partei Ludendorffs aufzulesen? Einige Behn tausend das wäre immerhin ein erfiedlicher Brozentjag ber völfischen Stimmen.

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Also nieder mit Knüppel- Kunze, es lebe sein Nachfolger Ludendorff !

Fernwirkung der Regierungskrise.

Syrig, Koch& Co.

Die deutschnationale, Zeugenfabrik.

Der gestrige Tag im Magdeburger Prozeß war ein fchwarzer Tag für die Verteidigung. Der sensationelle Zu­fammenbruch des Tischlers Syrig fann selbst von der deutsch­nationalen Preffe nicht ganz unterdrückt werden. Nicht alle find fie so tief gefunten, daß sie, wie die Rote Fahne ", mit folgenden vier Zeilen darüber berichten:

PP

Der Zeuge Gastwirt 3eppenfeld, ein Onfel von Syrig, gibt an, daß Syrig gestohlen und gelogen habe. Eyrig fogt hierzu, daß er mit seinem Onkel gebrochen habe(!), als er hörte, daß in der Gastwirtschaft seines Ontals vor sieben Jahren Leute festgenommen worden feien, die mit§ 175 zu tun hatten."

Nicht alle find sie so verlogen, wie der W.- S.- Sonder­berichterstatter, der Deutschen Tageszeitung", der die dramatischen Szenen beim Zusammenbruch des Haupt­belastungszeugen dadurch abtut, daß er feinen Lefern folgendes berichtet:

Dann sorgte bie Borladung eines uralten Onfels des Zeugen

Syrig durch den Rechtsanwalt Heine dafür, daß die Deffentlichkeit einige Einbl.de in das Familienleten der beiden Zengen

befam. Syrig blieb dem schimpfenden Onkel nichts schuldig. Dazu fann man nur das Wort wiederholen, das heute in einem anderen Zusammenhang im Prozeß gefallen ist: Die Gegend ist auch nich gerade die beste!""

Die Kunst einer verlogenen Berichterstattung fann wirklich faum noch übertroffen werden. Die Deutsche Tageszeitung" und die Rote Fahne" können sich hier mic überall getroft die Hand reichen. Das schmuzige Verleumder­handwerk steht ihnen gut an. Die Deutschnationalen haben aber besondere Beranlassung, die Katastrophe des

gestrigen Tages zu verschweigen oder umzulügen. nicht in erster Linie ein Zusammenbruch dieses höchst zweifel­Der Zusammenbruch des belasteten Beugen Sy rig ist haften und anrüchigen Subjekts, das von Diebstählen bei der Eisenbahn lebt, es ist vielmehr ein Zusammenbruch der dunklen Ehrenmänner, die hinter diesem Subjekt gestanden haben und stehen. Die Figur des fatisam bekannten deutschnationalen Pfarrers, Landtagsabgeordneten 110 Stadt verordneten, Herrn Koch, erscheint in bengalischer Beleuch tuna. Koch , die unbestritten unsympathischste Figur der Berliner Stadtverordnetenversammlung, ist es gewesen, der in zahliosan Bersammlungen zur Zeugenaussage gegen den Reichspräsidenten aufgefordert hat und der schließlich nach langem, Suchen bei Syrig landete, er ist es gewesen, der die Aussage dieses Mannes, den fein eigener Arbeitsfollege im Prozeß des Meineid's beschuldigt, zu Protokoll ge­

nommen und nach Magdeburg geschickt hat. Auf seinen mate­riellen Zusagen an Syrig muß es beruhen, wenn Sŋrig er­flären fonnte, daß seine Zukunft gesichert fei, er wolle nicht dauernd.nur Arbeiter spielen".

Roch ist nicht der erste und beste in der Deutschnationalen Bartei. So widerlich er den anständigen Elementen in seiner eigenen Partei seit langem ist, so spielt er doch noch wie vor eine führende Rolle. Er ist der ständige Urheber der Scandalszenen in der Berliner Stadtverordnetenversammlung. Seine wüsten Hezreden gegen die Sozialdemokratie futb stets ohne jedes Maß und ohne jedes Ziel gewejen. Er ist einer der eifrigsten Organisatoren in der Berliner deutschnationalen Parteiorganisation. Seine Hauptbetätigung ist die Arbeit für die vaterländische" Arbeiterbewegung, für die er folche Ele­mente wie Sprig offenbar befonders guf ge= brauchen fann. Wahrscheinlich wird man es nicht juristisch nachweisen können, aber für jeden Dentenden steht fest, daß Koch über den Charakter der Syrigschen Zeugenaus­fagen nicht hätte im 3 weifel fein fönnen. Wenn Reichspräsidenten veranlaßte, fo entspricht der moralische er trotzdem ein solches Subjekt zur Zeugenaussage gegen den Tiefstand einer solchen Handlungsweise nur all dem, was man sonst von diesem geistreichen Diener der Kirche hat beobachten müſſen.

Frankreich will nicht betrogen werden. Paris , 17., Dezember.( Eigener Drahtbericht.) Die franzöfifche Paris , 17., Dezember.( Eigener Drahtbericht.) Die französische Linkspreffe stellt heute mit Befriedigung fest, daß sich in Deutsch land die Opposition gegen den Bürgerblod verstärkt und nament ich in Zentrumstreifen der Eintritt der Deutschna.io­nalen in die Regierung des Reiches bzw. in Preußen abgelehnt wird. Der Quotidien" sieht den Hauptgrund für die eingetretene Einüchterung darin, daß alle maßgebenden Parteien einsehen, daß die Erweiterung der Regierung durch die Monarchisten mit der Ausführung der Dawes- Gesche, der Räumung von Köln und der Ruhr bzw. der Militärfcntrolle in Berbindung stehen. Das Blatt felbst erwartet eine Berschlechterung der gesamten vorübergehende Beteiligung der Deu schrationa'en an der Regierung. außenpolitischen 2age Deutschlands auch durch eine Das Deuvre" fchreibt: Man scheint sich in Deutschland mehr und mehr die Frage vorzulegen, mechen Eindruck die Erweiterung einer Regierung nach rechts macht. In der Tat, dieser Eindruck ist verheerend! Gewiß hat Frankreich fenen Grund, fich in die inneren deutschen Verhältnisse einzumi'chen, aber ebenso gewiß ist, wie dieser Pfarrer Koch, im Namen ihrer Bartei Zeugen von Die Deutschnationale Bolfspartei bulbet es, daß Männer, doß es einem von Deutschnationalen regierten Deutschland feinbber Qualität Syrigs gegen den Reichspräsidenten sammeln. I ich gegenübersteht, und daß, um so mehr, als die Wahlen einen Die Deutschnationalen werden sich gefallen laffen müssen, daß deu lichen Rud na lints ergeben haben. Wenn sich dieser jeder anständige Mensch es ablehnen wird, in ihrem off­Rud trotzdem in einer Regierungsbildung nach rechts auswirkt, ziellen Sprecher Koch eine Gegner zu sehen, mit dem man so fann man daraus nur den Schuß ziehen, daß das Bolt von irgend etwas zu tun haben könnte. Sie werden sich erklären feinen Bolitikern betrogen wird, und die franzöfifche müffen, ob sie diese Methoden des politischen Kampfes dulden Regierung muß in diesem Falle entsprechend handeln, um nicht wollen. ebenfalls übers Ohr gehauen zu werden."

Krise in Polen .

Sie werden sich nicht erklären. Denn wie sollten sie gegen die Arbeiterbewegung, gegen die Sozialdemokratie fämpfen fönnen, wenn sie auf diese Methoden verzichten müßten? Gerade in diesen Tagen spielt sich in dem Span Mißtrauensvotum gegen die Regierung. dauer Meineidsprozeß gegen den zum Zuchthaus droht bereits wieder eine& abinettstrife. Die Simkommission andere Tragödie ab, die auch nur die Folge dieser wider. Warschau , 17. Dezember. ( Ergener Drahtbericht.) In Bolen verurteilten sozialdemokratischen Stadtrat Eggert eine für Budgetfragen tehnte am Dienstag mit großer Mehrheit die Bewärtigen und unfagbar gemeinen Methode ist, mit willigung des Budgetprovisoriums für das erste Bierteljahr 1925 der die Gegner der Arbeiterbewegung die Sozialdemokratie b. Die Bewilligung erfolgte lediglich für einen Monat Es ha befämpfen. Jeder, der die Zusammenhänge des Eggert- Pro­delt sich hier natürlich um eine cusgesprochene Mißtrauens effes fennt, meiß, daß diefer Mann unschuldig zu Zucht fundgebung, ohne daß der Ministerpräsident Grabski bisher die haus verurteilt murde, daß er das Onfer einer scham'osen und Renfeane zen aus die'er Lane gezogen hätte. Er glaubt vorläufig gemeinen Meineidsfemrcane ist. Aber auch hier scheint der durch Berhandlungen ein Rempromiß ermöglichen zu fönnen und Zusammenbruch der Boleftungszeugen, der gestern erfolgt ist, will erft, wenn ihm das nicht gelingt, b. h. wnn er nicht mindestens zu zeinen, hak es doch für diese Methoden des politischen für zwei Monate die nrtwendigen Kredite vom Parlament erhält, amies auf die Dauer eine Grenze gibt, die man straflos nicht die Ber.rauensfrage stellen. Es ist unter diesen Umftinden anzu überschreiten foun. nehmen, daß die Behandlung des Budgets von der heutigen Lozung des Sejm abgesetzt wird.

Die Deuticnationalen werden über die Mirkung dieses efelhaften Treibens bitter enttäuscht sein. Die giffigen Waffen,