Had end
Nr. 1042. Jahrgang
dem sogenannten Paffage- oder Meridianinstrument, den Durchgang eines bestimmten Sternes in dem Fadenkreuz des Fernrohrs, das genau auf der Linie des Meridians steht. In dem Augenblick des Sterndurchgangs schließt er einen Kontakt, der auf einem PapierBunft zeichnet. Diese Uhr zeichnet auch ihrerseits in bestimmten streifen, der durch eine genau laufenden Uhr angetrieben wird, einen Beitabschnitten Punkte auf den Kontrollpapierstreifen, so daß nun Uhr festgestellt werden kann. um die Mittagszeit durch Vergleichen das Vor- oder Nachgehen der
Mittwoch, 7. Januar 1925
Das feltsame Etwas, das wir Zeit nennen, hat der Menschheit| gesiedelt. Dort beobachtet der Astronom an einem großen Fernrohr.| brifen, Geschäften, Hotels usw. an die Normalzeitzentralen anschon unendliches Ropfzerbrechen gemacht. Seitdem wir gelernt haben, unser Leben im Rhythmus der Sekunden zu regeln, feitdem der brutale Saz 3eit ist Geld" immer mehr Herrschaft gewinnt, find wir, die wir die Zeit fast absolut zu messen verstehen, zu ihren Sklaven geworden. Eine halbe Sekunde zu späi auf dem Bahnhof, und der Zug, der uns in die Ferne führen sollte, ist uns entglitten. Eine Sekunde zu spät am Eingang der Fabrif macht sich am Wochen: ende in der Lohnabrechnung unangenehm bemerkbar. Fast scheint es, als ob die Zeit zur Tyrannin - geworden sei, die alles in ihren Bann zwingt.
Es war ein historischer Augenblick, als im Jahre 1872 vor dem Rammergericht in der Lindenstraße die erste Berliner Normaluhr Leben bekam, jene Uhr, die heute noch den Herzfájlag der Sekunden zeigt, während ihre Schwestern, die nach ihr entstanden, und auf dem Spittelmartt, Potsdamer Platz , Lützowplay, Morigplatz, Hade schen Markt und am Oranienburger Tor zu finden waren, längst anderen Zeitmeßgeräten Blaz gemacht haben. Diese Uhren wurden durch die Sternwarte am Endeplatz, die unter Leitung des Professors Förster stand, reguliert. Die aftronomische Zeit ist be fanntlich nur für diejenigen Orte gleich, die auf der gleichen Mittagslinie, dem gleichen Meridian liegen, so daß, wenn mir von irgendeinem Bunkt nach Westen oder nach Oftenn wandern, sich die Zeitangabe ständig verändern muß. Um diesem Uebeistand zu begegnen, ist, man übereingekommen, die Zeit systematisch dadurch zu regeln, daß man nicht jebem beliebigen Ort seine eigene Zeitangabe gestattete. Die Engländer haben bekanntlich den Meridian von Greenwich als Nullmeridian gepachtet. Die an ihm beobachtete Mittagszett gilt für Großbritannien , Belgien , Holland , Portugal , Spanien , Frankreich els westeuropäische Zeit. Fünfzehn Längengrade östlich von Greenwich
Die heute in Berlin geltende Normalzeit" wird durch diese durch die von Nauen ausgesandten Zeitfignole, die bekanntlich von genaue astronomische Beobachtung in Neubabelsberg reguliert und der Seewarte in Hamburg gesteuert werden, kontrolliert. Die Ber:
Naken
gefchloffen, so daß man mit Recht fagen fann, daß die Uhrenpende! von Neubabelsberg und in der Charlottenstraße den Taft zu den brausenden Klängen des Großstadtlebens schlagen. Die angeschlossenen Hauptuhren sind mit gewöhnlichem Bendelwert ausgerunet und rad montiert, das 16 Zähne befizt, und das in der Stunde einmal merden alle 4 Stunden reguliert. An der Mutteruhr ist ein Kontaktumläuft. Alle zwei Minuten wird ein Strom geschlossen und dann um 1% Minuten unterbrochen, d. h. in jeweils 3% Minuten kann eine der 64 an die Mutteruhr angeschlossenen Uhren reguliert werden. Da, wie erwähnt, die Regulierung der Hauptuhren alle 4 Stunden erfolgt, so fönnen eben 4 mal 16 gleich 64 Uhrenanlagen von einer Mutteruhr aus bedient werden. In ben Etromfreis der Mutteruhr sind Elektromagneten eingeschaltet, an deren Anfern Hauptuhr auf einen mit bestimmter Geschwindigkeit ablaufenden Nadeln befestigt sind, die bei der Regulierung der angeschlossenen Papierstreifen einen Bunft einstechen. Aus der Lage dieses Punktes fann man in der Zentrale den Gang der angeschlossenen Hauptuhr feststellert. Diese automatische Rückmeldung gestattet eine ftändige Kontrolle fämtlicher Berliner Normaluhren. Alle Uhren sind nur durch einen Draht mit ihrer Zentrale verbunden, da als Stromrüdleitung die Erde benutzt wird. Bei einer elektrischen Leitungsstörung laufen alle Uhren, da sie mit Pendelwert ausgestattet sind, weiter und können nach Beseitigung der Störung, die niemals lange dauern kann, ohne weiteres automatisch reguliert werden. Ju großen Fabriken schließt man die von der Zentrale regulierte Hauptuhr nur elektrisch betriebenen, also ohne eigenes Pendelwerk arbeitenden Nebenuhren an, so daß hierdurch die gesamte Anlage wesentlich verbilligt werden kann. Durch ein Abkommen mit der Reichspost stehen der Normal zeitgesellschaft gegen Miete die zur Regulierung von 1hren notwendig werdenden Leitungen zur Verfügung, so daß die Berlegung eigener Leitungen nicht nötig ist, wodurch der Betrieb sich natürlich wesentlich verbilligt. Städtische Uhren können zudem über die elektrische Feuermeldeleitung angeschlossen werden. Das Zeitzeichen von Nauen .
Versignals:. 7253
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4259 400
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Die neuen Straßenuhren
finer Normalzeitzentrale" ist in der Charlottenstraße 7. Dort steht in einem Raum neben vielen anderen Uhren eine sogenannte Mutteruhr", die mit einem gewönlichen Bendelwert ausgerüstet ist, aber von der astronomischen Normaluhr in Neubabelsberg gesteuert wird. Eine fast 40 Kilometer lange Drahtleitung überträgt die regulierenden Stromstöße in der Weise, daß die Mutteruhr in der Charlottenstraße alle 2 Sekunden reguliert wird. Ein Magnet, der unter dem Bendel der Mutteruhr ruht, bremst oder beschleunigt das Ben del, so daß die Bendelschwingungen der 11hr in Neubabelsberg und der in Charlottenstraße ständig parallel sind. Im ganzen sind hier in der Charlottenstraße vier Mutteruhren aufgestellt, von denen jede 64 Uhrenanlagen reguliert. In Groß- Berlin find außerdem fünf weitere Normalzeitzentralen eingerichtet, die von der Charlottenstraße aus gesteuert werden. Jeden Morgen um 7 Uhr 57 Minuten reguliert die Hauptuhr auf dem Schlesischen Bahnhof , ebenfalls von der Charlottenstraße aus bevormundet, sämtliche Bahnhofsuhren Deuffchlands. In ähnlicher Weise gibt die Zentrale Charlottenstraße die genare Zeit nach dem Haupttelegraph namt in der Oranienburger Straße , die dann den Poftuhren Deutschlands die richtige Zeit über
Die alte Uhr am Kammergericht fieat der Meridian, der seinen Namen von Stargard in Pommern erhalten hat, nach dem die mitteleuropäische Zeit, die unser Dasein regelt, bestimmt wird. Und wieder 15 Grade weiter östlich liegt die Mittagslinie für die in Osteuropa geltende Zeit. Die Sternwarte am Endeplatz ist längst verschwunden und nach Neubabelsberg übermittelt. In Berlin selbst aber find zahlreiche Privatuhren in Fa
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Moskau bei Tage war schmutziger, aber heiterer als Moskau bei Nacht. Der Kreml von Bertrams Quartier im Palafte des Budertönigs gefehen, war auch bei Sonnenschein wohl impofant und funkelnd, aber nicht mehr so geheimnisvoll und phantastisch wie beim ersten Anblick im Mondlicht. Die Straßen waren nicht mehr öde, sondern mimmelten von allen Arten des russischen Boltes, auch Asiaten dazwischen, so wie diese Bevölkerung nach einer Revolution, welche die reichste, üppigste und forrupteste Aristokratie Europas vernichtet hatte, heute aussah.
Geographisch zu Europa gehörend, aber orientalisch im Charakter und Rasse. Es brauchte nicht erst Chriſtys Bemerkung: Dies ist eben der Often und nicht der Westen, und das erklärt Vieles," um Bertram das erkennen zu lassen. Viele in Moskaus Straßen waren östliche Typen: Slaven , Tartaren, Semiten. Der typische russische Bauer war strohblond und blauäugig, aber die eigentümliche Formation der Badentnochen gehörte nicht dem Westen an. Mongolen, Männer vom Kaufajus, Rosafen vom Don, alles drängte sich in dieser bunten Menge.
Sie waren meistens in ihrer Kleidung vagabundenmäßig. Lumpen, zerrissene Stiefel ließ fie alle derfelben Klasse zugehörig erscheinen. Nur die Rote Armee jah besser gehalten aus als die anderen, nicht ganz so vernachläffigt. Bei der schon einsetzenden Herbstfälte waren die meisten bis über die Ohren mit Tüchern oder Pelzen vermummt, und die, welche fein Schuhwerk hatten, trugen die Beine irgendwie umwidelt und hatten fich Sandalen oder auch nur Stüde Holz unter die Sohlen geschnallt, womit sie in der Nässe und dem Schmuz ganz gut auszufommen schienen.
In den Gesichtern der Vorübergehenden war fein fichtliches Zeichen von Hunger zu bemerken, und besonders die Kinder fahen gut genährt und gesund aus.
"
Hier herrscht noch keine Hungersnot- bis jetzt!" sagte Christy. Moskau ist der Siz der Berwaltung und vollgepfropft mit Sowjetbeamten. Denen aber stehen die Vorräte offen. Und die Kinder bekommen zuerst. Das muß man schon fagen."
Christy schien mit seiner Gerechtigkeit betreffs der Sowjet
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republif manchmal etwas zu weit zu gehen. Aber er hatte die Theorie des Bolschewismus und ihre Ausübung gründlich und mit Berständnis erforscht. Und theoretisch hatte nach seiner Ansicht die kommunistische Idee manches für fich. Was war fie anders, als eine fanatische Auflehnung gegen die Berbrechen, deren sich Kapitalismus und Individualismus, das Sweater- System und die Schieber, Kriegsgewinnler und Trusts und schließlich die Korrumpiertheit und Grausam feiten der herrschenden Klasse schuldig gemacht hatten?
,, Ja, ja, Pollard, das alles fönnen wir nicht ableugnen. Es steht nicht alles zum Besten mit der westlichen Zivilisation. Sie stinkt nach Schlechtigkeit."
In der Theorie war das Sowjetsystem verblüffend einfach. Als Entlohnung für feine. Arbeit im Dienste des Staates sollte jeder Bürger nicht nur die nötigen Lebensbedürfnisse Dom Staate erhalten, sondern freie Ausbildung, freien Genuß der Künste und Vergnügungen.
,, Und wie hat sich diese Theorie in der Praxis bewährt?" fragte Bollard.
,, Gar nicht! Hoffnungslos versagt! Es ist ein höllischer Banterott geworden. Sie geben, natürlich mit Einschränkungen, das absolute Versagen zu. Hauptsächlich die Bauern wollten sich nicht fügen. Wenn die Soldaten der Roten Armee famen, um die Lebensmittel zu„, requifitionieren", so fagte der Bauer: Bas? Warum soll ich säen, damit der andere erntet?" und verstedte entweder die Produkte feiner Arbeit. oder verkaufte sie hinten herum. Benn's herausfam, wurde er erschossen. Als zu viele erschossen wurden, hörten die anderen auf, ihr Feld zu bebauen, ja, verbrannten ihr Getreide!
Als die Nahrungsmittel ausblieben, streikten die Arbeiter und Verkehrsbeamten. Das Transportsystem brach ebenfalls zusammen. Und so griff eins ins andere, um den Ruin her beizuführen.
,, Wieviel Schuld trägt der Bolschemismus an der Hungersnot?"
Christy dachte nach: Zunächst ist die fortgesetzte Dürre die Ursache. Aber daß der Mangel so groß werden konnte, liegt auch am System. Dürre und Mißernfen gab's früher auch. Aber früher behielt der Bauer sein Saatgetreide, und fam die Dürre, war Vorrat da. Das hat er unter dem Bol schewismus nicht mehr tönnen. Insofern also hat der Bolschemismus schuld, sonst nicht. Man muß gerecht sein."
,, Sie sind für meinen Geschmad zu verdammt gerecht, Chrifty! Und was sagen Sie zu den unmenschlichen Grau
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In neuerer Zeit ist dieser Uhrenregulierung, die in ihrer Art vollendet ist, ein Konkurrent durch den Rundfunkdienst entstanden. Die Rundfunkjender übertragen das jeweils um 12 Uhr mittags Greenmicher Zeit, d. h. also 1 Uhr nachmittags mitteleuropäischer Zeit, beendete Zeitsignal von Neuen. Es wäre zu wünschen, daß dieses mit fast absoluter Genauigkeit gegebene Signal, das in Mittel europa um 12 Uhr 55 Minuten mittags und auch nachts beginnt, auch bei den Rundfunkteilnehmern die Beachtung fände, die es verdient. In der Minute VOR 12 Uhr 55 bis 12 Uhr 56 wird zwanzigmal der Buchstabe v, gejunkt. Dann folgt eine Bauje von etwa 15 Setunden, auf die dann das Anrufzeichen das Kennwort der Station Nauen POZ, und die Buchstaben GZ, d. h. mittlere Greenwicher Zeit, durchgegeben wird. Nach einer kleinen Bause bis zum Ende dieser Minuten jetzt Punkt 12,57 Uhr das Senden des Buchstaben x,..-, ein, der 50 Sekunden lang ertönt. Drei Striche beenden diese Minute, nach Berhallen des legten Striches ist es genau 12,58 Uhr. Bon 12,58 Uhr ab wird fünfmal das Zeichen n, gegeben, und zwar so, daß der Bunft genau am Ende jeder 10. Sekunde ertönt. Das fünfte u beschließt also die 50. Sekunde. Es folgen wieder die drei Schlußstriche, deren legter diesmal anzeigt, daß es genau 12,59 Uhr ist. Nun joigt wieder in Abständen von je 10 Sekunden fünfmal das Zeichen g dessen Punkt ebenfalls jedesmal die zehnte Sekunde besamkeiten, zu dem Blutvergießen, zu den chinesischen Torturen?"
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Christy sprach nur ganz leise, denn das Gespräch fand im Palaste des Zuckerfönigs statt. Das entzieht fich meiner persönlichen Kenntnis. Die Tscheka bewahrt ihre Geheimniffe gut. Ja, es find viele Hinrichtungen vorgenommen worden, gleich in ganzen Scharen, Männer und Frauen. Bielleicht haben im öftlichen Rußland Mongolen die schmutzigste Arbeit getan. Aber alle Regierungen, besonders zur Zeit von Revolutionen, sind gegen die Gegner erbarmungslos. Und deshalb ist die Schreckensherrschaft gegen alle Verschwörer und Bekämpfer der Revolution angewendet worden. Wieder war es Furcht, die fie grausam machte. Jetzt ist die Gegenrevolution niedergeschlagen und der Terror hat nachgelaffen."
" Und warum gibt es teine Konterrevolutionen mehr?" ,, Weil den Leuten das Blutvergießen schon über ist. Das Spiel ist zu gefährlich. Und Rußland ist so schwer getroffen, daß auch die Gegner glauben, daß der Sturz der Sowjetrepublik für Rußland der letzte Schlag wäre. Sie funktioniert doch wenigstens einigermaßen. Dann und wann geht doch ein Zug. Etmas Vorräte bekommt man von den Bauern, etwas Saatgetreide wird an die Wolga geschickt. Die Regierung arbeitet und sie hat den Kommunismus aufge geben. Lenin hat eingesehen, daß sein System nicht anwend bar ist. Er hat das Privateigentum und das Recht auf Privatgeschäfte zurückerstattet. Sie sind gerade zu rechter 3eit gefommen, Bertram, um dem llebergange vom Kommunismus zum Kapitalismus beizuwohnen. Diefe Stadt ist für den, der offene Augen haf, ein Melodrama.
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Bertram hatte offene Augen und offene Ohren anch. Er fonnte jetzt das russische Leben nach eigener Beobachtung studieren, und mit vollem Eifer tauchte er darin unter.
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Er sah etwas von dem sich abspielenden Melodrama auf dem Moskauer Trubnana- Markt, welcher auf Lenins neuen Erlaß, Privatgeschäfte wieder zu geftatten, eröffnet worden war. Früher stand auf solchen privaten Geschäften Gefängnisstrafe oder sogar der Tod.
Bertram wanderte auf diesem Markte mit seinen hölzernen Buden umher. Die Häufer ringsherum trugen Kugelspuren und waren beschädigt. Die Bauern in ihren Schafspelzen hielten jetzt wieder ungestraft ihre Lebensmittel feil, und mer genug Bündel Papiergeld hatte, brauchte nicht mehr zu hungern. ( Fortsetzung folgt.)