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Abendausgabe

Nr. 13 42. Jahrgang Ausgabe B Nr. 6

Bezugsbedingungen und Anzeigenpreife find in der Morgenausgabe angegeben Redattion: S. 68, Lindenstraße 3 Fernsprecher: Dönhoff 292-295 Tel.- Udreffe: Sozialdemokrat Berlin  

Vorwärts

Berliner Volksblatt

5 Goldpfennig

Donnerstag

8. Januar 1925

Berlag und Anzeigenabteilung: Geschäftszett 9-5 Uhr Berleger: Borwärts- Berlag Gmb Berlin   SW. 68, Lindenstraße 3 Fernsprecher: Dönhoff 2506-2503

Zentralorgan der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands

Marx bildet sein Kabinett.

Sonnabend oder Dienstag Regierungserklärung. Die innerpolitische Lage hat im Laufe des heutigen Bor mittags teine Veränderung erfahren. Der Reichstanzler Marg ist dabei, fein Rabinett zu bilden; er hat zu diesem 3wed auch mit der Wirtschaftspartei und der Bayerischen Bolkspartei verhandelt. Feststeht bisher nur, daß die Herren Stresemann   und Jarres dem neuen Rabinett nicht mehr angehören werden. Es ist möglich, daß auch andere Mitglieder des bisherigen Rabinettsman spricht u. a. auch von Finanzminister Luther   auf die Weiterführung ihrer Aemter verzichten. Herr Marg soll jedoch entschlossen fein, unter allen Umständen eine Regierung zusammenzu bringen und mit ihr vor den Reichstag zu treten.

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Als Erfaz für die ausscheidenden Minister fommen Deutschnationale und Volksparteiler nicht in Betracht, da diese nur in eine Bürgerblockregierung gehen wollen und die neue Regierung Marg eine solche nicht sein will. Ob Zentrum, Demokraten und die fleineren mehr rechts stehenden Mittel­parteien oder Beamte in die entstehenden Lücken treten wer den, ob beispielsweise Herr Koch, wie schon behauptet wurde, das Innenministerium übernehmen will, steht noch dahin.

Der Aeltestenausschuß des Reichstags hat befchloffen, daß auch morgen eine Sigung abgehalten werden soll. Möglicher weise wird dann schon übermorgen, Sonnabend, die neue Regierung Marr im Reichstag ihr Programm verfünden. Sollte fich die Regierungsbildung verzögern, so will man den Sonnabend und den Montag fizungsfrei lassen, um dann am Dienstag die Regierungserflärung entgegenzunehmen.

Daß die Bürgerblodstrategen noch im legten Augenblid alle Minen springen laffen werden, um das Zustandekommen einer Regierung im Reich zu verhindern, versteht sich von felbst. Ihr Treiben läuft auf eine Sorte von Anarchismus hinaus: man will so lange einen Zustand der Regierungslosig. teit aufrechterhalten, bis man sich selber die Macht ertroßzt hat. Die Bildung einer neuen Regierung Marr bedeutet gegen diese Anarchistentaktit einen entscheidenden Borstoß.

Das Berliner   Zentrumsblatt, die Germania  ", erteilt in feiner heutigen Morgennummer der Boltspartei eine deutliche Absage. Es schreibt:

Für den augenblicklichen politischen Birrwarr in Seiten höchster nationaler Not trifft die Deutsche   Boltspartei bie polle Berantwortung. Sie hat diese Krise hervorgerufen und immer mehr tompliziert. Auf fie fallen deshalb auch die Folgen, die kommen müssen, wenn das Spiel so weiter geht. Diesen regierungslosen Zustand tonnen wir nicht länger ertragen. Wenn die Deutsche   Bolfspartei dauernd Schwierig.

Zur Wahl des Reichstagspräsidenten.

,, Kölnische Zeitung  " gegen Volkspartei. Köln  , 8. Januar.  ( Eigener Drahtbericht.) Die Bieber wahl unseres Genossen Löbe zum Reichstagspräsidenten wird heute niorgen von der voltsparteilichen Kölnischen Beitung" mie foigt fommentiert:

Wer nicht mit engen politischen Bartelanschauungen befangen ift, muß diefe Bahl begrüßen. Denn Löbe hat sich als einer der besten Präsidenten bewährt, die der Reichstag je gehabt hat. Diese Unparteilichkeit hat ebenso sehr bei allen Parteien An erfennung gefunden, wie seine Fähigkeit die Geschäfte des Hauses mit Umsicht zu leiten und bei nationalen Kundgebungen treffende und passende Worte zu finden. Daß die Mehrheit die für seine Wiederwahl zum Präsidenten eintrat, nicht größer war, ist eine bedauerliche Begleiterscheinung der erbitterten parteipolitischen Fehde unserer Tage, die selbst das vergeffen läßt, was man vor einem guten halben Jahr als recht bezeichnet hatte. Im Parlament herrschte die Auffaffung, daß die ft är ffte Bartei den Reichstagspräsidenten zu stellen habe. Mit diesem Argu­ment haben die Deutschnationalen im Mai ihren berechtigten An­fpruch erhoben, einen der Thrigen an die Spitze des Reichstages berufen zu sehen. Die Deutsche Volkspartei   hat den Rechts­anspruch der Deutschnationalen anerkannt und ihm zur Verwirk

fichung verholfen. Es berührt boch einigermaßen pein lich, daß diese Parteien heute eigene Kandidaten aufstellen und die Deutsche   Boltspartei sich auf die Unterstüßung des deutsch­nationalen Kandidaten im zweiten Wahlgange festgelegt hatte. Die Begründung, daß im Mai die Sozialdemokraten eine entgegengesette parlamentarische Auffaffung über das Recht der stärksten Fraktion vertreten hätten, schlägt. E. nicht durch. Man darf insbesondere überzeugt sein, daß eine Stimmenabgabe für Löbe durch die Deutsche Volkspartei   und die Deutschnationalen ben Eindrud gemacht hätte, daß diese Parteien in dem parteipoli tischen Kampf der Gegenwart sich nur von rein sachlichen Beweg­gründen leiten laffen. Da aber nun Herr Löbe alle Qualitäten eines Reichstagspräsidenten mitbringt, ist offenbar, daß ebenfalls nicht fachliche Erwägungen gemäß der Rechtsauffaffung, die die beiden Parteien im Mai b. 3. vertreten haben, ihre Bahl teeinflußt haben. Es ist wieder einmal eine Gelegenheit verpaß: worden, die politische Atmosphäre zu einem ffeinen Teil zu entgiften. Diese scharfe aber treffende Kennzeichnung der volksparteilichen Unfachlichkeit durch ein Blatt, das sonst die Politit der Deutschen  Boltspartei stets zu verteidigen bedacht ist, wird der volkspartei fichen Reichstagsfrattion nicht gerade angenehm in den Ohren flingen.

| teiten macht, muß ihr eben gezeigt werden, daß es auch ohne fie geht. Das Dentsche Reich fann auch ohne den Minister Stresemann  bestehen. In Breußen haben sich die Deutschen   Baltsparteiler glatt neben den Stuhl gefeßt. Einstweilen besteht dort eine Re­gierung ohne Bollspartei, und die nächste Zeit wird lehren, daß es auch so geht. Im Reiche sind die Volksparteiler auf dem besten Bege, sich immer tiefer in die Sad gaffe hineinzumanövrieren. Benn fie fich dort so wohl fühlen, nun gut, so möge man sie darinlassen. Auf alle Fälle geht es nicht weiter an, diese Strife weiter hinzuziehen. Die Interessen des Landes erfordern rasche Entschlüsse.

In der Ankündigung der Boltspartei, sie werde ein Rumpffabinett" in Breußen mit allen parlamentarischen Mitteln bekämpfen, schreibt die Germania  " fühl und trocken: Das sogenannte Rumpffabinett wird dieselbe Politit trei ben, die bisher die Große Koalition verfolgt hat. Die Deutsche Volkspartei   muß sich also im Gegensah zu ihrer eigenen Bolitit feßen, wenn sie die nicht sonderlich im ponierende Drohung, das Kabinett mit allen parlamentarischen Mitteln zu bekämpfen, in die Tat umsetzt. Wenn diese Ankündigung den 3wed haben sollte, auf das Zentrum einzuwirken, so dürfte das beiläufig ein Versuch mit untauglichen Mitteln sein.

Nach der Deutschen Allgemeinen Zeitung" soll die Minderheit der preußischen Landtagsfraktion des Zentrums etwa 20 mann betragen. Ihr Führer ist der frühere Reichs­finanzminister und jezige Landtagsabgeordnete Hermes!

Sihung des Aeltestenrates.

Im Reichstag   ist heute vormittag unter dem Vorsitz des Bräsi. denten 2öbe der eltestenrat zum erstenmal zusammengetreten. Zunächst wurde die Berteilung der Size in den einzelnen Fraktionen auf den Weltestenrat und auf die Ausschüsse des Reichstages vor. genommen.

Der Geschäftsordnungsausschuß wird nach Schluß der Blenarjigung zusammentreten, um über die fommunistischen An träge auf Freilassung der verhafteten tommunistischen Abgeordneten zu befchließen.

Umschwung in der Wirtschaftspartei.

Die Wirtschaftspartei im Reichstag hat an Stelle des Prof. Bredt den Bayerischen   Bauernbündler und früheren Reichsernährungsminister Prof. Fehr zu ihrem Borsigenden und den Abg. Drewiß zu dessen Bertreter gewählt. Das bedeutet eine Absage an die von Herrn Bredt vertretene reattionäre Richtung.

Theunis über die Wirtschaftsverhandlungen.

Brüffel, 8. Januar.  ( Eigener Drahtbericht.) In dem Organ der französischen   Schwerindustrie wird am Mittwoch eine Unterredung mit dem belgischen Finanzminister Theunis über die Wirtschafts­berhandlungen, die zurzeit von Belgien   geführt werden, veröffent licht. Die Frage, wieweit die deutsch   belgischen Wirtschafts­verhandlungen gebiehen find, beantwortete The u nis mie folgt: Da find wir an dem gleichen Punkt angelangt, wie Frankreich  . Die belgisch  - deutschen und die französisch- deutschen Berhandlungen sind zwar nicht miteinander verbunden, aber sie entwickeln sich parallel. Der Abschluß eines modus vivendi zwischen Belgien  und Deutschland   hängt von dem Erfolg der französisch- deutschen Be sprechungen ab. Man tann bereits jetzt fagen, daß vor dem 10. Ja­muar tein Abfommen mehr zustande tommen fann." 3m weiteren Verlauf der Unterredung erklärte der Finanzminister, daß die franzöfifch belgischen Wirtschaftsbeziehungen nicht fchlecht sind. Es werde zwischen Frankreich   und Belgien   niemals ein ernstes Mißverständnis geben. Diese Ueberzeugung werde von ihm auch vertreten in dem Augenblid, wo die interallierte Finanz­tonferenz beginnt.

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Staatssekretär Trendelenburg berichtet heute mittag in einer Stabinettssigung über den Stand der Pariser Wirtschafts­verhandlungen.

Verstärkte Unterdrückung in Italien  .

Beschlagnahmungen und Haussuchungen.

Rom  , 8. Januar.  ( Eigener Drahtbericht.) Die italienische   Re gierung versucht unter dem Druck der Faschisten die Drohung Musso­finis teilweise doch noch wahrzumachen. Laut Tribuna" find am Mittwoch die Ausgaben fast aller Oppositionsblätter beschtanahmi werden. In ganz Stalien fanden gleichzeitig bei den verschiedensten maßgebenden oppositionellen Persönlichkeiten aus fuchungen statt. Biel   erörtert wird die Haussuchung bei dem Advokaten Mas­peri in Brescia  . Masperi war früher Sekretär des Nuntius Pacelli. Gleichzeitig wird die Auflösung einer bekannten Freimaurer­1oge in Florenz   gemeldet, wie fich überhaupt ein großer Teil der Maßnahmen gegen die Freimaurer   richtet. In der Mittwochfizung beschloß der Ministerrat, daß die Maßnahmen gegen die Opposition fortgelegt werden sollen. Mussolini   erklärte, daß die Kammer nach der Annahme des Wahlgefeges gefchloffen wird und dann Neu­wahlen erfolgen

Recht und Pflicht der Räumung.

Eine militärische Dawes- Regelung tut not!

Die Schuldfrage des Kölner Räumungstonflittes im Einzelnen zu beantworten, bleibt späterer Geschichtsschreibung vorbehalten. Die Grundlinien seiner Entstehung jedoch sind auch Gegenwartsaugen erfennbar. Die Internationale der Nationalisten hat wieder einmal trefflich zufammen ge­arbeitet. Bum Unterschied von früheren Fällen aber, etwa zur Zeif Boincarés, braucht man diesmal nicht Borsah und bewußte Absicht als treibende Kräfte zu suchen. Zur Erklä rung genügen schon mangelnde Boraussicht und schuldhafte Fahrlässigkeit. Die Rechtslage ist verworren; halb zwangs­läufig fam es zu dem Zusammenstoß, den nur eine ganz bewußte und ganz frafterfüllte Friedenspolitik hätte ver meiden fönnen.

durch

Der Versailler Bertrag wollte in feinem XIV. vorletzten Teil die Bürgschaften für die Durchführung" feiner Bor­fchriften regeln. Seinem sonstigen Gehalte entsprechend ver­zichtete er auch hier nicht auf die äußere Gewalt. In der­felben Art, in der er auferlegt wurde, sollte seine Erfüllung gesichert werden. Die Besetzung deutschen   Reichsgebietes wurde als Erfüllungsdrud vorgesehen. Artikel 428 lautet: ,, Um die Ausführung des vorliegenden Vertrages durch Deutschland   sicherzustellen, werden die deutschen   Ge­biete westlich des Rheins einschließlich der Brückentöpfe während eines Zeitraums von fünfzehn Jahren. die Truppen der alliierten und assoziierten Mächte besetzt ge­halten." Dazu wurde ein Erfüllungsanreiz ge­schaffen. Artifel 429 Abs. 1 bis 4: ,, Werden die Bedingungen des vorliegenden Vertrages von Deutschland   pünktlich erfüllt, so wird die in Artikel 428 vorgesehene Besetzung, nach und nach wie folgt eingeschränkt: 1. Nach Ablauf von fünf Jahren 2. nach werden geräumt: Der Brüdentopf von Köln   und Ablauf von zehn Jahren werden geräumt: Der Brückenfopf Don Koblenz und... 3. nach Ablauf von fünfzehn Jahren merden geräumt: der Brückentopf von Mainz  , der Brücken­fopf von Rehl und das übrige deutsche bejeßte Gebiet": Artikel 431: Leiftet Deutschland   vor Ablauf von fünfzehn Jahren allen ihm aus dem vorliegenden Bertrag erwachsen­den Verpflichtungen Genüge, fo merden die Besatzungs­truppen sofort zurüdgezogen." Dazu wurden zwei Er­füllungsnötigungen, eine militärische und eine öfo­monische, geschaffen; jene tann einmal beim Ablauf der fünf­zehn Jahre, die andere dauernd während und nach der fünf­zehnjährigen Frist angewandt werden. Als militärische Erfüllungsnötigung verfügt der sich an die vorhergehenden pier unmittelbar anschließende fünfte und lehte Abfah des Artikels 429: Erachten zu diesem Zeitpunkt( also beim Ablauf diefer fünfzehn Jahre) die alliierten und affoziierten Regierungen die Sicherheit gegen einen nicht herausgeforder= ten Angriff Deutschlands   nicht als hinreichend, so darf die Zurückziehung der Besagungstruppen in dem zur Erlangung schoben werden." Als öfonomische Erfüllungsnötigung beftimmt Artikel 430: Stellt während der Besezung oder nach Ablauf der oben vorgesehenen fünfzehn Jahre der Wiedergutmachungsausschuß fest, daß Deutschland   sich weigert, die Gesamtheit oder einzelne der ihm nach dem vorliegenden Bertrag obliegenden Wiedergutmachungsverpflichtungen zu erfüllen, so merden die im Artikel 429 genannten Zonen sofort wieder durch alliierte und assoziierte Streitkräfte ganz oder teilweise besetzt."

ber genannten Sicherheit für nötig gehaltenen Maß aufge­

Diefe letzte der genannten Erfüllungsnötigungen kommt für den vorliegenden Fall nicht in Betracht. Das Londoner  Abkommen mit der nachfolgenden, von der Reparations tommiffion anerkannten Durchführung hat den bis zu Poin­carés Ende hartnäckig festgehaltenen Einwand gegen die Räumung, daß Deutschland   nicht reparationserfüllt habe, in Stüde   geschlagen.

Aber auch die militärische Erfüllungsnöti­gung tann auf dem Wege rechtens von der Gegenseite nicht herangezogen werden. Sie macht sich einer Rechtsbeugung schuldig, wenn sie die Nichträumung mif ihrer Sicherheit" aus Artikel 429 Abfah 5 begründen will. Im Zu au einem Diel fammenhang mit dem ursprünglich früheren Zeitpunkt in Aussicht genommenen deut­fchen Böllerbundseintritt und mit dem später­bin nicht in Kraft getretenen anglo- amerikanischen Garantiepakt zu Frankreichs   Gunsten ist vorgesehen: Der Ein­wand der bedrohten Sicherheit darf nicht während, sondern erst bei Ablauf der fünfzehn Jahre erhoben wer­ben. Offenbar wollten England und Amerita Frankreich die Möglichkeit nehmen, die anderen Ajierten fortwährend zu Diskussionen über eine vermeintliche Bedrohung seiner Sicher­heit zu nötigen; deshalb sieht der Vertrag eine einmalige Auseinandersetzung über eine etwaige deutsche Angriffsgefahr nur am Ende der normalen Räumungsgesamtfrist vor. Ver­mutlich hat das Sichtlarwerden über den Sinn dieser Be­ftimmung die Distuffionen der Botschafterkonferenz so ver­längert und die Absendung der Note an Deutschland   so ver­zögert.

Juristisch genommen bleibt den Alliierten zur Begründung ihrer Nichträumung also nur die Berufung auf jene allge­meine Erfüllungsbedingung, die den Artikel 429 einleitet. Aus drei Gründen aber wäre ihre Anführung unzureichend.

Die Worte: Werden die Bedingungen des vorliegenden Bertrages von Deutschland   pünktlich erfüllt sind nichts als eine allgemeine Formel, die erst durch die nachfolgenden Ar­