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Sonnabend

10. Januar 1925

Unterhaltung und Wissen

Der Gent   und das kleine Mädchen.

Zwei moderne Typen.

Von Felig Scherret.

Der Gent   ist von bescheidener Veranlagung, begnügt sich mit der ersten Silbe des englischen   gentleman und ist also ein halber, ein Beinahe- Herr. Er nimmt seinen Ausgangspunkt von der Ver= waltung eines Kontorpostens und bemüht sich, den Eindruck hervor. zurufen, als ob er viel Geld habe. Der Gent   gedeiht in jeder Ge­sellschaftsschicht, durchdringt alle Kreise. In seiner Volontärzeit ist ir an seinen merkwürdig gebügelten Hofen zu erkennen. Sie haben Salten, die mit Hilfe einer fabelhaften Technik im Bett gepreßt 10orden sind. Es gibt natürlich verschiedene Genttypen, die aber alle ein gemeinsames Moment aufweisen: eine tiefe Unbildung, die sich hinter modernen Anzügen und schick sein sollenden Allüren ver­birgt. Der Gent   weiß eigentlich nichts. Bielleicht ahnt er noch aus iciner Geschäftsforrespondenz, daß Brasilien   in Südamerika   liegt, jehr fieberheiß ist und Milreis als Währung hat, der" Faust" fönnte aber doch letzten Endes von Schiller   sein. Man liebt über­haupt Gedrucktes nicht, höchstens den Kurszettel, der aber auch nie ganz verstanden wird. Dagegen schwärmt der Gent   für Sport. Ben Breitensträter spricht er nur mit einem Tenortremolo.

Im Film hat er in gefürzter Form die Anstandslehre verdaut und in der Diele, seinem Salon, zeigt er, was er gelernt hat. Er trinft dort Mokka oder Likör und entfaltet noch andere liebenswür­bige und betörende Eigenschaften. Dabei tanzt er ruhig, mit tot­crustem Gesicht, Würde und Anmut adelt sein Wesen. Allerdings macht er zu tiefe Kniebeugen, fämpft überhaupt ständig mit seinem Temperament. Die Stimme wird mühevoll durch die Nase gehaucht, roas als Ausdruck fultiviertester Vornehmheit gedeutet werden soll. Sport und Erotit sind die Zentren, um die sein Leben freist. Proletarier im Saffoanzug, mit sauberen Händen, aber Enterbte wie der Arbeiter, nur ohne dessen Klassenbewußtsein und Rüdgrat, hat er feinen Willen, feinen Troy, fein Aufbegehren. Gefügiges Berkzeug in den Händen der Klugen, abhängig von einer höheren Instanz: unterwürfig, gefügig und liebedienerisch dem Herrn gegen­über, ist er anmaßend zu Schwächeren. Trog eventueller Horn­brille und Bartlosigkeit gleicht er nie einem Gelehrten oder Schau­spieler. Scharf geplättete Bügelfalten um den Mund sind sorgsam vor dem Spiegel einstudiert, werden bevorzugt, weil sie augenblic lidh à la hausse notiert werden. Sein größtes Berlangen, als Welts und Lebensfenner zu gelten, der sich in allen Gossen Europas  herumgewälzt hat. Aber ihm fehlen elementarste Boraussetzungen zum Berführer, höchstens in billigen Dielen fann er das Air des Weltkundigen aufrechterhalten.

Er stammt aus der erotisch parfümierten Atmosphäre des Kon­tors, plätschert dort vergnügt herum und erschöpft sich in mehr oder minder deutlichen Wizen und Anspielungen, deren Pointe did auf­getragen ist und die immer nur das eine Thema umkreisen. Die Frau hat das Kontor umgestaltet, hat es erotisiert, ihm erst die cha­rakteristische Färbung verliehen, aber die Frau ist selbst Opfer des Kontors geworden, hat sich eine Metamorphose gefallen lassen müssen; es entstand das kleine Mädchen, das Pendant zum Gent. Es hat Gestalt gewinnen in diesem Milieu von Dollarglanz, Talmiaufmachung, Konjunkturnasen und dumpfiger Muffigkeit. Das fleine Kontorfräulein gewann den Sieg über die Berkäuferin, die zur Zeit, da Zola   fein Paradies der Damen" schrieb, im Zenith ihres Ruhmes stand; das fleine Mädchen ist ein merkwürdiges Kom promiß von Dame und fleinbürgerlicher Unbedeutendheit. Das Ideal ist die große Dame, und das Blut ist belastet mit traditions­ireuem Moralin, mit der Erinnerung an eine Stube, in der viele fleine Geschwister schlafen. Das Leben des fleinen Mädchens be deutet einen ständigen Kampf um die Eleganz, um die Selbstver­ständlichkeit freien Auftretens.

"

In Haltung und Geste wird irgendein Filmstar kopiert, der gerade als besonders mondän und raffiniert gilt. Die Bewegungen verden gewissenhaft topiert, aber es fehlt das Maß, der Taft, die Haltung ist zu straff oder forciert nachläffig. Schon bei der Be­grüßung beginnt das Malheur. Entweder beschattet das leine Mädchen ihr Gesicht zu stark mit Lebensernst oder sie läßt ein über jonniges Lächeln herumrangieren und dies Schwanken zwischen den Criremen entspringt dem Kompromiß von Damenideal und häus­licher Flanellatmosphäre, die nur von menigen überwunden wird, auch wenn sie Seide tragen. Alles unterstreicht das kleine Mädchen zu start, sie gibt das meiste im Spertdrud. Ihr Gang ist eine emzige Bointe, befonders wenn sie sich beobachtet weiß. In den Hüften fitzen Scharniergelenke, die die fallippgischen Reize unent­wegt gegen den Oberkörper hin rotieren lassen, und die Hände halten die Zigarette jo, daß das elektrische Licht aus den stilvoll manifürten Fingernägeln ein hübsches Bonmot entfesselt.

מעון.

Beilage des Vorwärts

Abschied von der großen Koalition.

ALL

Чили

V.Richter

что

Behüt dich Gott, es wär' so schön gewesen Behüt dich Gott, es hat nicht sollen sein!"

Braun

O.KOESTER.

Das fleine Mädchen und der Gent   find die Produktion des| leicht vor 1492 geschnitten sein dürfte. Sie trägt die Aufschrift: gleichmachenden Kontorlebens. Beide beschränken sich auf die Inszenierung, glauben damit alles zu erledigen. Letzter Schrei der Mode foll fehlendes Gehirnschmalz ersehen. Persönliche Nu­ancen scheinen ausgelöscht. Der physiognomielose Menschenbrei, durch den fich der europäisch- amerikanische Kulturkreis augenblicklich, aus­zeichnet, zeigt nur Typen.

Wann erscheint Berlin   zuerst auf den Landkarten? Berlin   hat um 1240 Stadtrechte erlangt, es hat dem Hansabund als Mitglied angehört und als Handelszentrum der Mart eine gewiffe Bedeutung gehabt; dennoch taucht sein Name erst um 1500 auf der Landkarte auf. Noch auf der dem Nikolaus Cusanus   zugeschriebenen großen Deutschland  - Karte von 1491 fehlt er. Zuerst ist er auf einer Holz schnittfarte des Nürnberger   Kartographen und Sonnenkompaß machers Erhart Eglaub( 1532) zu finden, die nach 1483 und viel

Der Sturm auf das Frauenbad.tgegen. Neben der Tür Eniete   eine junge Mutter und blidte

3]

Bon Armin 3. Wegner.

Plöhlich rief eine Stimme: In den Bädern!"

Ein Zittern lief durch den Leib der Menge. Die Köpfe wandten fich; mit vorgebogenem Hals, ineirandergekrallt, schoben sie sich die Gaffe fort. Der vereinsamte Platz füllte sich mit dem Rauch der Stathedrale, über deren zitternde Menschenspaliere die Hände der Flammen tafteten. Der Atem der Tausende feuchte. Glut stand in den geröteten Augen. Die Bordersten, von ihrer Begierde gehetzt, jogten über die freie Straße. Die schwarze Masse, zusammengeballt, bebend vor Brunft, folge ihnen über den Schrei zertretener Kinder, rafte den Hügel hinat, durch die Höhlung, über den Blag und stieß an die Pforte der Bäder.

Das Gebäude lag schweigend mit seinen runden Ruppeln, aus deren Luten weißer Dampf in die Winterluft stieg. Das tahle Haupt einer Bärterin erschien auf der Edwelle.

Rizle sie in den Bauch!"

Der Soldat hob das Bajonett. Sie riß die Arme hoch und fiel mit dem Rücken auf die Fliesen. Sie drangen in den gewölbten Raum, auf dessen hölzernen Betten die Frauen, von den heißen Bädern ermüdet, ruhten. Blaues Licht fiel durch die Kuppel herab, der Duft von Opium und Zigaretten durchwehte die Stammern. In weiche Lücher gehüllt, erhoben fie fich von den Plätzen, die über einandergestuft in rundem Bogen den Raum umschloffen:

heilig?"

Seid ihr Moslems? Ist das Eigentum der Frauen euch Die Soldaten stuzten. Kaffeeschalen flirrten zu Boden. Ihre Augen begannen zu fladern, sie zerrissen das Band ihrer Hose und marjen sich über die nachten Leiber; ihre verwitterten Hände, fnor= riges Wurzelwert, umspannten ihr zartes Fleisch. Das spiße Kreischen der Geschändeten durchgellte den Raum. Ihre bloßen Füße stemmten sich gegen den Bauch der Rasenden, die immer von neuem über die zudenden Leiter hinfielen.

Bor der Tür des Badehouses, ineinandergeteilt, drängte sich die Menge, die vergeblich versuchte, die enge Bjorte zu sprengen. Aus ihrer Mitte, die schmerzenden Hüften zwischen die Maffe geteilt, erhob sich Lutfi; die Lammfellmütze in der schweißigen Etirn, ihre Röpfe mit Gewalt beiseite schiebend, ruderte er mit den Armen: Macht Platz für den Sohn des Bali!"

Als er die Halle betrat, schlug ihm der süße Dampf des Blutes mit versteinerten Augen auf ihr erwürgtes Kind. Eine schwangere Frou lag auf dem Boden.

Lutfi durchschritt den Raum, dessen Boden von Seifenschaum glänzte; eine Schwäche zuckte in seinen Knien. Er stieß die Türen der Badekammern auf, in denen man die Frauen gesammelt hatte, die für den Bali bestimmt waren. In den mormornen Beden fpru­delte heißes Wasser, Kämme und Bürsten lagen auf der Erde ver­ftreut. Mit qualpollen Blicken durchsuchte er die Reihen und er fand sie in der hintersten Kammer.

Sie war nadt. Ihre hohe Gestalt stand gebeugt, und unter den feuchten Haaren irrien die Augen verstört auf ihn zu, während fie die Blöße unter den zusammengerafften Kleidern verborg. Sie erkannte ihn wieder:

Ich Ein Witwe. Was willst du?"

Sein Herzschlag nahm ihm den Atem. Dann hob er den Kopf. Ich will dir helfen, Sirpuhi."

Er schloß die Tür und winfte der Mache: Für den Bali!"

Als er sich wandte, sah er seinen Bater in der Halle stehen. Er breitete die Arme vor die Kammer; ihre Blide stießen an sich vorüber durch die Luft. Der Bali sagte: Ich schent sie dir. Berne  , mein Sohn, wie man Ungläubige

tötet."

Lutfi ließ seine Arme sinken und ein Zittern durchlief ihn bis in die Epißen der Finger.

hatte, wurden hereingeführt. Kurdische Reiter stürzten sich auf fie, um sie zu entfleiden. Der Vali hob feine Hand: Bindet sie!"

Smei armenische Männer, die man auf der Straße gefangen

Das ist der Rom   Weg von meŋlen zu meŋlen mit puncten ver­zenchnet von enner stat zu der andern durch deutsche   Lantt." Der Namie Berlin  " mit dem Drtzeichen befindet sich dort, wo die weiter hin über Regensburg  - Rosenheim  - Brenner führende Straße auf der Strecke Wittenberg  - Stettin   die Spree freuzt. Bon den großen Weltkarten ist die erste, die den Namen Berlin   enthält, diejenige des Martin Waldseemüller   aus dem Jahre 1507; mit Berlin   er scheint auf dieser Karte, die zuerst den Entdeckungen um die Jahr­hundertwende Rechnung trägt, zum erstenmal auch der neue Erdteil Amerika  . Chr. Voigt, der auf Grund der Forschungen Jos. Fischers und Wolfenhauers im Organ des Vereins für die Geschichte Berlins diese Mitteilungen macht, erklärt das lange Fehlen Berlins   auf den Karten mit der Rückständigkeit der zeitgenössischen Kartographie, die erst des gewaltigen Anstoßes der neuen geographischen Entdeckungen bedurfte, um sich allmählich aus ihren Fesseln zu befreien.

In der Dunkelheit fehrte Lutfi zurück.

Er trug einen Frauenmantel über dem Arm, sandte die Woche von dem Eingang der Badekammer und öffnete die Tür: Komm!"

Bor Kälte zitternd, trat Sirpuhi heraus. Sie zog die blutigen Röde von den Gliedern der Toten und fleidete sich an. Lutfi warf ihren den Frauenmantel über das Gesicht, ihre Haut schauderte unter bem feuchten Tuch.

Sie gingen. Die Straße war schwarz von Leichen. Gewehr. nate fuhr von der Zitadelle über die Dächer herab und sple eine Wolfe von Staub in die Nacht.

falven tönten aus den armenischen Stadtviertel herüber, eine Gra

Bor einer Hütte in Aigestan blieben sie stehen. Es roch nach verbranntem Menschenfleisch. Die Fensterflügel schrien im Winde Sirpuhi sagte:

Wo ist mein Knabe?"

Sie öffnete die Klappe des Mehitostens, auf deffen Boden ein geheimer Decet aufschlug. An einem Strid ließ sie sich in das schwarze Loh.

Drei Tage blieb Sirpuhi in den unterirdischen Gängen, die armenische Verschwörer in die Erde gegraben hatten, um sich vor den Ueberfällen der Türken zu schüßen. Lutfi warf ihr Essen in einem Sad hinunter. Sie froch durch die finsteren Wände der Böhlungen, die fich unter den Häusern hinzogen, ihren Knaben zu fuchen. Männer und Frauen hodien aneinandergedrängt in der von Unrat ftidigen Luft. Gewehre lagen in die Winkel gestapelt, die Gruben waren mit Broten gefüllt. Aber sie hatten tein Wasser. Es war Nacht, als Lutfi die Zitadelle verließ.

Der gelbe Schein der Petroleumlampe aus dem Zimmer des Bali fickerte durch die Spalten der Tür, hinter der er auf seinen Bolstern   ruhte. Zu beiden Seiten des Bettes standen zwei arme­

" Soldaten ergriffen die Frauen und schürten sie mit den Männische Greife feit zwanzig Stunden aufrecht, ohne Speise und Trant. nern zusammen; man legte sie auf das Beit. Schlaft füß, meine Täubchen!"

Sein Degen durchschnitt ihren Hals und verfing sich in den Haaren der Frau. Das Blut Lutfis freifte durch seine Schläfen, mit zögernden Füßen ging er zur Tür, als schritte er über Gis. Der Bali bestieg das Pferd; seine Hufe traten in den Mund der Toten, die die Straße bebedien. Die Menge teilte sich. Den Hügel hinauffprengend rief er:

"

Wenn sie die Augen öffneten, fiel the Blick auf die entblößten Ge stalben ihrer Töchter, von Küssen und Nadeistichen blutend, in deren Armen der Bali schlief. Sein Kopf, gebläht von Dattelschnaps, war heratgesunken wie das hängende Maul einer Dogge:

Schaut sie nur, die zuckenden Reiherflügel!" Seine öligen Augen, blind von der Macht des Genusses, richteten sich auf das bleiche Gesicht der Greise. Sie schwankten; aber sobald Die Kraft fie verließ, stürzten Wachen hervor und brannten sie mit

Bohlan, meine Kinder! Seid rührig. Hört nicht auf zu glühenden Eifen im Rüden. plündern, zu teten und zu töten für den Sultan!"

( Schluß folgt)