Abendausgabe
Nr. 25+ 42. Jahrgang Ausgabe B Nr. 12
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Vorwärts
Berliner Volksblatt
5 Goldpfennig
Donnerstag
15. Januar 1925
Berlag und Angeigenabteilung Geschäftszeit 9-5 Utr
Berleger: Borwärts- Berlag GmbH. Berlin S. 68, Lindenstraße 3 Zerniprecher: Dönhoff 2506-2502
Zentralorgan der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands
Luthers Schwierigkeiten.
Sitzungen, nichts als Sitzungen
In der Milfagsffunde meldel Telegraphen- Union: Der Borstand der deutschnationalen Reichstagsfraktion ift um 11 Uhr zu einer Beratung zufammengetreten, an die fich eine Sitzung der Gesamtscaftion schloß. Die Reichstagsfraktion des Zentrums trat bereits um 11 Uhr zufammen. Die Sozialdemofraten fitzen feit 11 Uhr. Später follen auch die anderen Fraklionen zusammentreten.
Bon entscheidender Bedeutung für die Gestaltung der Dinge sind die Fraftionsfitungen der Deutschnationalen und des Zentrums. Die Parteien sollen sich über ihre Stellungnahme zur Bertrauens. frage für das kabinett Culher flar werden. Während die Zentrumsfraktion vorläufig Anträge berät, hatte der Reichsfinanzminister Dr. Cuther furz nach 11 Uhr eine Aussprache mit dem bisherigen Reichsarbeitsminister Dr. Brauns.
Sobald die Deutschnationalen und die Zentrumsfraktion ihre Entscheidungen getroffen haben, und das Bertrauensoolum für die neue Regierung durch entsprechende 3ufagen gefichert erscheint, wird Dr. Culher den Reichspräsidenten aufsuchen und sich
mit der Kabinettsbildung offiziell betrauen laffen. Die endgültige Aufstellung der Ministerliste dürfte dann nur noch eine Frage von Stunden sein
Nach der Besprechung mit Reichsarbeitsminister Brauns empfing Dr. Cuther Herrn Stingl, der für das Poſtminifterium im neuen Rabinett in Aussicht genommen ist. Seit 10 Uhr vormittags lagt im Reichstag auch die Fraktion der Bayerischen Bollspaclei. Nach der heutigen Plenarsihung des Reichstages frelen weitere 15 Ausschaffe zu ihrer Konflituierung zusammen. Es handelt fich hauptsächlich um Ausschüsse, die bereits im vorigen Reichstag tätig gewefen find.
So schwierig wie das Zustandekommen der Luther - Regierung gewesen ist, scheint auch die Zukunft dieses neuen Euno- Regimes werden zu sollen. Niemand möchte sich gern zu ihm befennen. Sein Vertrauen will das Zentrum Dem neuen Kabinett nicht aussprechen, im Gegenteil, die
Germania " schreibt ausdrücklich:
Heute schon läßt sich fagen, daß das Zentrum der neuen Regierung in völliger Freiheit gegenübersteht. Luther will ein überparteiliches Rabinett bilden, trotzdem die Art der Verhandlungen den Eindruck erweckt, als ob der Reichsfinanzminister die Bildung einer parlamentarijchen Regierung erstrebe. Aber die Regierung Luther wnd teine parlamentarische Regierung sein, wenigstens foweit das Zentrum in Frage kommt.... Weil in der Tat nur ein Ausweg übrig bleibt, mill ihn das Zentrum nicht versperren. Grundfäßliche Opposition widerstrebt dem Charakter unserer Partei. Aber die neue Regierung muß sich darüber klar sein, daß sie vom Zentrum lediglich nach ihren Taten beurteilt und behandelt werden wird."
Und die Taten des neuen Kabinetts? Die Taten wird man sehen. Und nicht nur das Zentrum wird gezwungen fein, zu den Taten des Kabinetts Stellung zu nehmen. Sein Stempel mird ihm aufgedrückt durch den Willen der Deutsch nationaeln, die verloren gegangene Regierungsgewalt wieder zu übernehmen, die Republif abzubauen und durch den Willen der Schwerindustrie wirtschaftlich freie Bahn zu haben. Die Zeit" wird deutlich: Lange zanfte man sich um das parteitaftische Problem der Be teiligung der Deutschnationalen an der Regierungsbildung heruin
England und das Genfer Abkommen.
Noch keine endgültige Entscheidung. London , 15. Januar. ( Eigener Drahtbericht.) Wie Morning Bost" erfährt, ist die Regierung entgegen der allgemeinen Auffassung entfchloffen, feineswegs über das Schicksal des Genser Protokolls zu entscheiden, ehe eine persönliche Befragung der Dominions ftatt gefunden hat. Da mit Ausnahme Indiens und Neufundlands alle Tominien eine englische Sonderreichskonferenz im März abgelehnt huben, wird nunmehr geplant, die Beratung über das Genfer Proto foll der nächsten regelmäßigen Reichskonferenz vorzubehalten und lediglich diese Reichskonferens früher einzuberufen. In diesem Falle würde die Entscheidung Englands über die endgültige Stellungnahme zum Genfer Protokoll in der zweiten Hälfte des Jahres stattfinden.
Konferenz der baltischen Staaten. Helsingfors , 15 Januar( WTB.) Die am 16. und 17. Januar stattfindende Konferens der Außenminister Finnlands , Est. lands, Lettlands und Polens wird von der finnländischen Breffe durchmeg sehr freundlich begrüßt. Die Blätter heben die be deutenden gemeinsamen politischen, wirtschaftlichen, Handels- und Berkehrsintereffen der Konferensländer hervor, welche gemeinfame Beratungen erforderten Hinsichtlich der im Auslande erschienenen Aeußerungen, daß die Ziele der Konferenz irgendwie auf eine politische Entente oder sogar einen Verteidigungsbund hingingen, heben die Zeitungen hervor, daß feine solche Frage auf dem Konferenzprogramm stehe und daß man von feiten Finnlands auch keine nennenswerte Reigung dazu erwarten könne Diese Auffassung tritt in den Aeußerungen der Zeitungen der verschiedenen Lager flar hervor.„ Suomen Sozialdemokratti"( das sozialdemokratische Zentral. organ) wünscht Zusammenarbeit und Freundschaft zwischen den Konferenzftaaten, sofern feine Rede sei von einem Bund, der die politische und wirtschaftliche Zukunft Finnlands mit der der anderen gujammeninüpfe. Finnlands Geschichte, Kultur und Eigenart trenne
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und sieht gar nicht, daß nach Dames- Plan und Londoner Abkommen für Deutschlands Politik zunächst die Etappe der Wirtschafts. politit herauf zieht, für die die Grundfrage nicht mehr Republit Monarchie?" oder ähnliche Formulierungen, sondern für die allein das Grundproblem Privatwirtschaft- sozialistische Wirtschaft?" ist.
Mogen sich diese politischen Preise vor der Erfenntnis folcher Wahrheit vorläufig noch sträuben, auf die Dauer wird das Sträuben vor der zwingenden Gewalt der tatsächlichen Entwicklung unmöglich werden. Deutschland wird den Weg des Dawes- Plans nur gehen tönnen, wenn seine wirtschaft die Mittel dazu bereit stellt. Die politischen Kräfte müssen dazu im Sinne privatwirtschaft. licher Anschauung mit allen erforderlichen Mitteln helfen, sonst- fabotieren sie den Dames- Plan! So mird die nächste Zeit und die nächste Kräftegruppierung die Periode entschloffener bürgerlicher Wirtschaftspolifit fein müffen."
Die Großindustrie zieht das Bündnis mit den Junfern vor, weil das Portemonnaie wichtiger ist als alles andere.- Das ist der Kern der Situation Die Unternehmer wollen alleine regieren und Herren im Hause sein. Auch hier wird es heißen: Wer zulegt lacht, lacht am besten.
Ein lutherischer Ministerkandidat. Neuhaus aus der Rathenan- Beit.
Die Deutsche Liga für Menschenrechte hat an den Reid) spräsidenten folgendes Telegramm gerichtet:
Sehr geehrter Herr Reichspräsident!
Der mit der Kabinettsbildung betraute Reichsfinanzminister Dr. Cuther hat neben anderen Persönlichkeiten auch den Ministerialdirektor a. D. Neuhaus als Mitglied feines Kabinetts In Aussicht genommen.
Das bayerische Konkordat.
Das bayerische Unterrichtsministerium hat dem bayerischen Landtag den. Entwurf eines Mantelgesetzes samt einem Konkordate mit der fatholischen Kirche und Verträgen mit den evangelischen Kirchen zur verfassungsmöglichen Behandlung vorgelegt. Man könnte die Frage auswerfen, ob der Freistaat Bayern heute überhaupt berechtigt war, ein neues Konkordat mit dem Päpstlichen Stuhle zu schließen, ob Bayern die Berechtigung hatte, in dem vorliegenden Umfange Entscheidungen des Reiches vorzugreifen. Es mag nur darauf verwiesen werden, daß das Konkordat in feinem Artikel 6 eine authentische Erklärung des Begriffes geordneter Schulbetrieb" gibt, obwohl die Reichsverfassung in ihren Artifeln 174 und 176 Abfak 2 die Beantwortung diefer Frage seiner Gefeßgebung vorbehält.
Es genügt zur Charakterisierung des unerhörten und von der deutschen Deffentlichkeit noch lange nicht hinreichend gewürdigten Rückschrittes auf fulturellem Gebiete auf die Bestimmungen des Konkordates hinzuweisen. Die Ver. träge, die zwischen dem bayerischen Staate und der evange lisch- lutherischen Kirche in Bayern rechts des Rheines und der vereinigten proteftantisch- evangelisch- chriftlichen Kirche der den staatspolitischen Auffassungen an, die in dem Konkordate Pfalz abgeschlossen worden sind, schließen sich grundsäglich deutlich genug zutage treten. So ist der verfassungswidrige Artikel 5 des Konkordates, der für die katholische Kirche ein verfassungswidriges Schulaufsichtsrecht vorsieht, in seinen wesentlichen Teilen wörtlich in den Vertrag mit der protestantischen Kirche rechts des Rheines aufgenommen worden.
Die spißfindigsten Auslegungsfünfte derer, die in den neuen bayerischen Kirchenverirägen einen Sieg ihrer Weltanschauung erblicken, ändern nichts an der nüchternen Tatfache, daß Konkordat und Protestantenverträge ein eindeutiger Schritt in der Richtung sind, die Beziehungen zwischen Staat und Kirche entgegen dem reichsrechtlichen Verfassungsdes Konkordats erkennt der bayerische Staat das Recht der grundsatz von der Trennung des Staates und der zeltir dhe immer enger zu schließen. In dem§ 2 des Artikels 1 Kirche an. im Rahmen ihrer Zuständigkeit Gesetze zu erlaffen und Anordnungen zu treffen, die ihre Mitglieder binden". Dieser Satz ist geradezu ein hohn auf die Reichsverfaffung, auf die staatspolitischen Grundsäke des 20. Jahrhunderts und man vermißt eigentlich nur noch die Bereitwilligkeit des Staates, der Kirche zur gewaltsamen Erzwingung ihrer Gesetze den ,, weltlichen Arm zu leihen Zum mindesten hätte diese Bindung" der Kirchenmitglieder nur 3ur Feststellung einer solchen Bindung dem Gewissen nach als eine Bindung im Gewissen festgelegt werden dürfen.
darauf hinzurelfen, daß Ministerialdirektor Dr. Neuhaus seinerzeit Wir halten es für unsere Pflicht. den Herrn Reichspräsidenten nicht nur den Eid auf die Berfassung verweigert hat, sondern auch als Ehrenvorfihender des deutsch . nationalen Jugendbundes die Berbindung zwischen dem später wegen Teilnahme an der Ermordung Rathenaus verurteilten Leutnant" Günther und dem General Cuden dorff vermittelt hat sowie an dem berühmten nesta bend des DN3B. am 24. Juni 1922 zugegen war, auf dem Günther als Mörder Rathenaus gefeiert wurde.( Beweismaterial: Amtliches Stenogramm des Rathenau - Prozesses.)
Die Kenntnis diefer Tatsache dürfte zur Bewertung des in Borfchlag gebrachten Ministers der Republik genügen.
Deutsche Liga für Menschenrechte. gez.: von Gerlach.
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Herr Cuno präsentierte feinerzeit in feinem überpartei lichen" Kabinett den Separatisten Müller Bonn, von dem jetzt gemeldet wird, daß er wegen Betrügereien aus feiner Stellung als Geschäftsführer des Rheinischen Bauern. bundes ausgefchloffen sei.
Herr Luther bildet ein überparteiliches" Kabinett, das einen Eidesverweigerer und einen Freund der Rathenau - Mörder enthält! Braucht es mehr zu seiner Charakterisierung?
Standinavien mit seinem rein westeuropäischen Gepräge. es mehr von den Ländern südlich des finnischen Meerbusens als von London , 15. Januar. ( WTB.) Der diplomatische Bericht. erstatter des Daily Telegraph " schreibt zu der bevorstehenden Kon ferenz der baltischen Staaten in Helsingfors , der estländische Gesandte Rallas habe gestern auf dein Foreign Office eine Unterredung mit Chamberlain gehabt. Der Berichterstatter erklärt, der wichtigste Punkt der baltischen Sonferenz, nämlich der mögliche Abschluß eines Defensiobündnisses zwischen Finnland , Bolen, Lettland und Estland werde nicht auf dem offiziellen Bro. gramm: fiehen infolge des Argwohns und der Empfindlichkeit Sowjet rußlands. Diese Frage werden jedort außerhalb des Konferenz zimmers erörtert werden. Es brauche jedoch nicht angenommen zu werden, daß irgendein konkreter Abid, fuß über die Frage eines der
antigen Battes unter den augenblicklichen Umftanden gefaßt werde. Es werde vielleicht als praftisch angesehen, den Abschluß zu ver schicben, bis das Schicksal des Genfer Biotokolls endgültig bes fannt fci .
Die Opposition gegen Mussolini .
Rom , 15. Januar. ( WTB.) Giolitti, Salandra, Orlando und ihre Anhänger brachten in der Kammer folgende Tagesordnung ein, die in der Freitagsigung der Kammer durch Orlando näher begrün det werden soll: Die Kammer ist der Ansicht, daß alle Fragen, welche Neuwahlen betreffen, voll und ganz vorausfeßen, daß der Bolts wille berücksichtigt wird, welcher sich gang frei aussprechen muß. und zwar von den einzelnen Bürgern in Haus, in der Preffe, in Bersammlungen und in Bereinen. Da ein solcher 3uftand aber ogenblicklich nicht vorhanden ist und auch in anbetracht der be stehenden Regierungsmethoden nicht vorhanden sein kann, geht die Rammer zur Tagesordnung über.
In den Kreisen der Opposition ist man der Ansicht, daß nach Einbringung einer solchen Tagesordnung, welche sich mit den For derungen der Aventin - Opposition deckt, Neuwahlen unter der jezigen Regierung nicht stattfinden werden.
märe aber überhaupt ein Konkordat eben gar nicht nötig gewesen; denn ein derartiges Recht der Kirche besteht auch ohne Konkordat. Eine solche ausdrückliche Zusicherung gegenüber der Kirche erscheint allerdings am Blake in einem Konkordat, in dem sich ungefähr 50 bindende Rechtsverpflichtun gen des Staates gegenüber der Kirche vorfinden, wäh rend die Kirche dem Staate faum 5 Zusicherungen macht.
von
Die firchenpolitische Gesezgebung Bayerns im vorigen Jahrhundert und namentlich in dem zweiten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts erscheint im Bergleiche zu dieser neuesten Gefeßgebung als eine abfolute Sicherung der staatlichen Oberhoheit gegenüber den Ansprüchen der Kirche. In dem baneriJchen Konkordat des Jahres 1924 findet sich kein Rechtssag, daß die Grundgefeße des Staates den Kirchengesetzen vorgehen In der banerischen Kirchengesetzgebung des verflossenen Jahrhunderts fonnte man allerdings noch etwas den unveräußerlichen Majestätsrechten des Regenten" in der zweiten Berfaffungsbeilage, dem fogenannten Religionsedikte, lesen. Noch in einer banerischen Ministerialentschließung vom der stets geltenden Auffassung erklärt, daß die bestehen. Jahre 1873 wurde ausdrücklich in fonfequenter Fortführung den Grundgefeße des Staates fowie die übrige hierher bezügliche Gesetzgebung des Landes die Norm geben zur Anwendung gebracht werden". und nach den Regeln des Rechts ihrem ganzen Inhalte nach
Nahezu in allem, was das Kontordat über die Schule feftfeßt, reiht sich ein Borstoß gegen die Reichsverfassung an den anderen. Die Beftimmungen über die Vorbildung und rechtliche Stellung der Lehrer, über die Beaufsichtigung der Schule und Lehrer im Religionsunterricht, über die Errichtung von fonfeflionellen Sonderschulen find trasse Ber letzungen der Reichsverfassung dem Sinne und dem Worte nach.
Nach Artikel 5 des Ronfordats wird der Unterricht und die Erziehung der Kinder an den katholischen Bolksschulen nur solchen Lehrkräften anvertraut werden, die geeignet und bereit sind, in zuverlässiger Weise in der fatholischen Religionslehre zu unterrichten und im Geifte des tatholischen Glaubens zu erziehen. Keine Rabuliftit kann über die Tat fache hinwegtäuschen, daß in dieser Bestimmung des Konfordals eine glatte Berlehung des Artikels 149 Abs. 2 der Reichsverfassung enthalten ist, der es bekanntlich der freien Willens erflärung des Lehrers allein vorbehält, ob er religiösen Unterricht erteilen und firchliche Berrichtungen vornehmen will. Nach dem Konkordat wird es fünftig nicht nur ohne weiteres möglich sein, sondern auch sicher eintreten, daß der noch nicht unwiderrufliche Lehrer in Bayern entlassen und der unwiderrufliche Boltsschullehrer gemäß Art. 39 3iffer 3 des