Nr.38 42. Jahrgang Ausgabe A r. 20
Bezugsvreis:
Böchentlich 70 Goldpfennig, monat lich 3,- Goldmark voraus zahlbar. Unter Kreuzband für Deutschland , Danzig , Gaar- und Memelgebiet, Defterreich. Litauen , Buremburg 4,50 Goldmart, für das übrige Ausland 5,50 Goldmark pro Monat.
-
Der ,, Borwärts mit der Gonntags beilage ,, Bolt und Beit" mit ,, Gied Lung und Aleingarten" fowie der Beilage Unterhaltung und Biffen" und Frauenbeilage Frauenftimme erfcheint wochentäglich zweimal, Conntags und Montags einmal.
-
Telegramm- Adresse: ,, Sozialbemokrat Berlin
Morgenausgabe
Vorwärts
Berliner Volksblatt
10 Goldpfennig
Anzeigenpreise:
Die einfpaltige Monpareille. zeic 0,70 Goldmart, Reklamezrite 4. Goldmarf. Aleine Anzeigen" bas feitgedruckte Bort 0,20 Goldmart( zulässig amei fettgedrudte Borte), jedes weitere Wort 0.10 Goldmart. Stellengesuche das crfte Bor: 0,10 Goldmart, jedes weitere Mort 0,05 Goldmart. Worte über 15 Buchstaben zählen filz zwei Worte. Familienanzeigen für Abonnenten Reite 0.30 Goldmark. Eine Goldmark- ein Dollar geteilt burch 4.20.
Anzeigen für bie nächte Summer müffen bis 4 Uhr nachmittags im Sauptgeschäft. Berlin SW68, Linden. firaße 3, abgegeben werden. Geöffnet von 9 Uhr früh bis 5 Uhr nachm.
Zentralorgan der Sozialdemokratischen Partei Deutfchlands
Redaktion und Verlag: SW 68, Lindenstraße 3
Redaktion:: Donhoff 292-295
Fernsprecher: Verlag: Dönboff 2506 2507
Freitag, den 23. Januar 1925
Vorwärts- Verlag G.m.b.H., SW 68, Lindenstr. 3
Voitichedfonto: Berlin 375 36 Bauftonto: Direktion der Distorto- Geiellichaft. Devoiitenkane Lindenstraße 3
Duldung der Rechtsregierung.
Weniger als die Hälfte der Abgeordneten stimmen für Luther !
Jm Reichstag wurde gestern bei der nament-] Elemente einer Regierungsmehrheit so wenig innerlich| Joseph Wirth , der es öffentlich angekündigt hatte, und lichen Abstimmung über den von Deutschnationalen, Bolkspartei, Zentrum, Wirtschaftlicher Vereinigung und Bayerischer Bolfspartei gemeinsam eingebrachten Billigungsantrag folgendes Abstimmungsergebnis festgestellt:
2tif 3 a stimmten 246, mit ein stimmten 160;
der Stimme enthielten sich 39.
Damit waren die von Sozialdemokraten und kommunisten eingebrachten Mitrauensanträge erledigt. Von den Parteien der Rechten fehlten nur wenige Abgeordnete, während das Zentrum große Lüden aufwies und auch bei den Demokraten eine verhältnismäßig große Zahl von 2bgeordneten sich an der Abstimmung nicht beteiligten.
Geschlossen stimmten für den Billigungsantrag die Deutschnationalen, die Volkspartei, die Wirtschaftliche Vereinigung und die Bayerische Boltspartei.
Dagegen ftimmten ebenso gefchloffen die Sozialdemofraten und die Kommunisten, ferner die beiden Zentrumsabgeordneten Dr. Wirth und 3mbusch.
Außer den Demofrafen enthielten sich der Zentrumsabgeordnete Adam Röder und die Nationalfozia listische Partei der Stimme.
Es fehlten vom 3entrum: Dr. Beufch, Diez- Baden ( der Freund Erzbergers), Garig, Giesberts, Groß, Höfle, Hofmann Ludwigshafen, Joos, Schlag, Donner, Frau Leusch und Tremmel; von den Demokraten: Rorell, Lemmer , Schulding, Schuldt. Steglit, Wieland;
von den Deutjánationalen: Bazille, Hoeksch; von der Volkspartei: Dr. Zapf; von der Wirtschaftlichen Bereinigung: Giewers; von den Nationalsozialisten: Ludendorff , v. Ramin , Echröder- Mecklenburg;
von den Kommunisten: Dengel, Münzenberg , Remmeie, Schlagewert, Urbahns, Zetkin ;
von den Sozialdemokraten: Frau Arming, Eggerstedt, Levi, Jäder, Schirmer- Dresden , Schmidt- Meißen, Frau Stege.
mann.
Das fogenannte Bertrauensvotum, das die Regierung Luther gestern vom Reichstag programmäßig erhalten hat, beschränkt sich auf die Formel:
Der Reichstag billigt die Erklärung der Reichsregierung." Bor etwa zwei Jahren begann auch die Regierung Cuno ihre parlamentarische Eristenz auf Grund der aleichen Billigungsformel. Die Spuren schreden. Damals hatte Herr Cuno, in dessen Kabinett allerdings fein Deutschnationaler fas, feierlich versprochen, die auswärtige Bolitik feines Bur gangers Wirth fortzusehen und hatte auf Grund dessen sogar die Stimmen der sozialdemokratischen Fraktion erhalten. Auch Herr Luther hat in feiner Erflärung feierlich versprochen, daß er die Außenpolitit feines Borgängers Dr. Marg fort sehen würde. Diesmal aber figen Deutsch nationale in der Regierung und deshalb wird es ihm einfach nicht geglaubt. Vor allem die Sozialdemokratie mußte es ableh nen, den Borten einer Regierung ihr Vertrauen zu schenken, deren personelle und parteipolitische Zusammenfehung im schroffsten Widerspruch zu allen Beteuerungen der Programmrede steht.
Es ist übrigens bezeichnend für die Schwäche dieser ersten ausgesprochenen Rechtsblockregierung, daß sie ihr Dasein einer Für eine fo vorsichtigen Billigungsformel verdanti. weitergehende Bertrauenserklärung wäre die 3enfrumsfrattion nicht zu haben gewesen. Jede Fraktion der Mehrheit dürfte übrigens die Billigungsformel verschieden auslegen. Das Zentrum stimmt dem Wortlaut der Regierungserklärung zu, weil es ja nach außen hin so tun will, als schente es der Bersicherung Glauben, daß die angekündigte Fortsegung der Politik von Marg aufrichtig gemeint sei. Die Deutschnationalen hingegen dürften herzlich wenig Wert auf die Lutherschen Phrafen legen und um fo größeren auf die Tatsache der Anwesenheit ihrer Bertrauensmänner Schiele, Schlieben und Neuhaus im Kabinett. Hätte Herr Dr. Luther wörtlich dieselbe Brogrammrede gehalten, jedoch ohne diese deutschnationalen„ Verbindungsmänner" an die Futterkrippe gefeht zu haben, dann hätten die Hergt und Genossen den felben oppositionellen Indianertanz aufgeführt wie unter Marr. Oder zweifelt jemand daran? Und wenn es parlamentarisch möglich gewesen wäre, über ein besonderes Ber trauensvotum für die Herren Schiele, Schlieben und Neu haus abstimmen zu lassen, dann hätten zweifellos sämtliche Zentrumsmänner rote Reinfarten abgegeben.
So tann man wohl sagen, daß noch nie die einzelnen
miteinander verbunden waren, wie in diesem Fall. Das muß am allerbesten das Zentrum empfinden tönnen. Es hat in den letzten Jahren wiederholt im Reich und in den Ländern an Koalitionen mit der Sozialdemokratie teilgenommen. Dabei fam es oft zu ernsten fachlichen Meinungsverschiedenheiten, die sogar nicht immer überbrückt werden konnten, sondern zu Regierungskrisen führten. Aber selbst in diesen fritischen Augenblicken herrschte zwischen Ministern des Zentrums und der Sozialdemokratie und zwischen den beiden Fraktionen ein hohes Maß von gegenseitigem tollegialen Bertrauen, von gegenseitiger persönlicher Achtung. Können diejenigen Mitglieder der Zentrumsmehrheit, die gestern mit " Ja" gestimmt haben, das gleiche von ihrem Verhältnis zu der neuen Regierung behaupten?
So wenig man gestern im Reichstag über das Bruttoergebnis der Abstimmung im Zweifel fein fonnte, so sehr war man darauf gespannt, welches Kräfteverhältnis im 3entrum die Abstimmung enthüllen würde. Es hat sich dabei gezeigt, daß der linke Flügel nicht ganz 15 Abgeordnete zählt, und zwar ungefähr diefelben, die bereits im Oftober durch ihren Widerstand die damaligen Bürgerblodpläne zum Scheitern gebracht hatten. Dr. Marr allerdings, der damals zu dem Fähnlein der dreizehn Aufrechten zählte, hat gestern mit der Mehrheit gestimmt. Wie er innerlich zu dieser Regierung steht, melches Maß von Bertrauen er feinen Rol legen von gestern entgegenbringt, die ihn nach monatelanger Maulwurfsarbeit gestürzt haben, das fann sich wohl ein jeder denken. Indeffen wäre es außenpolitisch für Dr. Luther der Todesstoß gewesen, wenn Marr, der sich im Gegensatz zu Stresemann und Luther im Ausland hoher Wertschäzung und größten Vertrauens erfreut, feinem Nachfolger die Jafarte versagt hätte. Su einem pofitiven" nein" haben sich nur zwei Mitglieder der Zentrumsfraktion durchgerungen: Dr.
der christliche Bergarbeiterführer Imbusch. Die Neinfarte des letzteren ist von besonderer politischer Bedeutung, denn sie bemeift, welch tiefer Groll in den Reihen der christlichen Arbeiterschaft Westdeutschlands gegen den Rechtsblock herrscht. Von den elf anderen Zentrumsabgeordneten, die nicht für die Regierung gestimmt haben, waren wohl die allermeisten anwesend, sie haben aber Stimmenthaltung durch Berlassen des Saales geübt. Es sind zumeist gleichfalls Arbeiterführer, z. B. Giesberts und Joos. Wenn die Zentrumspartei morgen eine Urabstimmung unter ihren Wählern über die gestrige Entscheidung veranstalten würde, fein Zweifel daran, daß die große Mehrheit zu Wirth und 3mbusch und nicht zu Klöckner und Stegerwald stehen würde.
Die Stellung des linken Flügels der Zentrumspartei war allerdings durch den Umstand nicht unwesentlich erschwert worden, daß die demokratische Fraktion eine Haltung einnahm, die zweifellos für die große Masse derer, die am 7. Dezember demokratisch gestimmt haben, eine Enttäu schung sein dürfte. Die etwas schwache Rede ihres Führers Roch am Mittwoch, das Frage und Antwortspiel mit dem Reichstanzler, das allzu sehr mie eine abgemachte Sache aus fah, ließ allerdings den Beschluß ahnen, den die demokratische Frattion am Donnerstagmittag faßte, nämlich Stimmenthaltung zu üben. Eine erhebliche Minderheit soll zwar energisch für eine positive Berweigerung des Berfrauens plädiert haben, aber sie drang nicht durch, vielmehr drückte die Mehrheit sogar den Fraktionszmang durch. Diefer Beschluß wird allerdings von demokratischen Blättern heftig angegriffen, die auf das Beispiel des Zentrums verweisen, das feinen Mitgliedern völlig freie hand gelassen hatte. Es wird erzählt, daß für die Mehrheit der Demokraten die Erwägung mitbestimmend gewesen sei, daß ein Mißtrauensvotum durch die demokratische Fraktion möglicherweise zu
Rechtsregierung und Verfassung.
4
Bersönlichkeit heraus wird die Kraft für die Entwidiung eines Staates überhaupt geboren, und so hoffe ich, daß unsere Berhandlungen hier von diesem einheitlichen Gedanken getragen werden, der am letzten Ende der echte und vaterländische ist."
Das Reichskabinett hat den einstimmigen Beschluß gefaßt,| haben, möglichst gepflegt werden solle. Aus der Gestaltung der daß die Staatsform nicht geändert werden folle. Das Kabinett Luther Schiele Neuhaus hat sich demnach) in einer seiner ersten Sizungen mit der Frage der Staatsform und den Verfassungsfragen beschäftigt. Es war für die neue Regierung nicht eine ohne weiteres felbstverständliche Tatsache, daß die Staatsform des deutschen Wolfes die Republit ist. Es gab für sie eine Frage nach der Staatsform, es gab für sie ein Problem, wo es für sie nur eine unantastbare Selbstverständlichkeit geben durfte. An dieser Feststellung ändert der materielle einstimmige Beschluß des Kabinetts nichts.
In diesen wenigen Sägen tehren die Gedanfengänge der Dentschrift wieder, die am 4. Januar 1924 der Reichsregierung von der bayerischen Regierung feierlich übergeben wurde, ohne daß die bayerische Boltsvertretung von dem Inhalt der Denkschrift unterrichtet war.
-
Diese Denkschrift bestritt menn auch in vorsichtiger Form die Rechtsgrundlage der Weimarer Ist für diese Regierung, in der zum mindesten vier erfassung. Sie bezeichnete das Berfassungswert Dort grundfäßliche Monarchisten fißen, die republi- Weimar als verfehlt und behauptete, daß die Weimarer fanische Staatsform schon problematisch, so liegt die Ber Berfassung nicht dem wirklichen Boltswillen mutung nahe, daß die demokratisch- parlamen: entspreche. Sie gipfelte in dem Schrei nach dem„ an= tarisme Berfassung mit starter 3entralgemalt gestammten Herrscherhaus". Das ist die Anregung, dieser Regierung noch problematischer ist. Herr Luther hat die der Monarchist und Deutschnationale Schiele als Reichs in feiner Regierungserklärung die Verfassungsfrage- wenn innenminister vor dem Reichsrat„ bankbar begrüßt": auch sehr vorsichtig formuliert angeschnitten. Im Hinblic auf den Beschluß über die Staatsform fragen wir die neue Regierung: hat sie auch Beschlüsse über die Ber faffungsfragen gefaßt, und wie lauten diese Beschlüsse? Diese Frage ist notwendig. Der neue Reichsinnenminister, der Deutschnationale Herr Schiele, ein Monarchist, hat gestern den Reichsrat mit folgenden Worten begrüßt:
„ Geftatten Sie auch mir einige furze Worte am Eingang meiner Tätigkeit. Die Aufgaben, die mir hier zu erfüllen haben, liegen auf dem Gebiete der Gesetzgebung und zum Teil auch auf dem Gebiet der Erefutive, aber über diese Tagesfragen, so wichtig und grundfäßlich fie sein mögen, ragi der vom Reichskanzler in der Regierungserflärung und auf der anderen Seite von dem Bertreter von Preußen soeben betonte Gedante, daß das Vertrauensverhältnis zwischen Reich und den Ländern so herzlich und innig gestaltet werben möchte wie nur möglich.
Die Kräfte, die einst das Reich geschaffen haben, follen im Eigenleben der Länder, so verstand ich den Borredner, geftüßt und gestärft werden. Es ist dankbar zu begrüßen, daß eine Anregung feifens der bayerischen Regierung nach dieser Richtung hin vor Jahresfrist gegeben worden ist, und in dieser bayerischen Denkschrift ift befonders hervorgehoben, daß der Bersönlichkeitscharafter eines Staates, und das ist ja eine der Kräfte, die das Reich geschaffen
Die praktischen Forderungen dieser Denkschrift waren: Rückkehr zum Bundesstaaten system, zum Glend der deutschen Zerrissenheit, Schwäch ung des Reichstages gegenüber dem Reichsrat, Einflußnahme des Reichsrats auf die Ausführung der Reichsgesetze und die allgemeine Reichsverwaltung.
Wir fragen: hat das Reichskabinett Beschlüsse gefaßt, die den Reichsinnenminister Schiele berechtigen, dieje bayerische Denkschrift vor dem Reichsrat zu begrüßen? Entspricht diese Haltung den Richtlinien der Politif, die der Reichskanzler zu bestimmen und zu verantworten hat?
Die Ausführungen Schieles sind ein Kommentar zu dem einstimmigen Beschluß des Reichskabinetts, daß die Staatsform nicht geändert werden solle. Sie besagen, daß die Regierung Luther die Staatsform zwar nicht ändern, aber durch Aenderung der Verfaffung fo von innen heraus aushöhlen will, daß sich ein Zustand ergibt, bei dem eine Aenderung der Staatsform fich erübrigt. Sie zeigen, wie die Deutschnationalen ihre Stellung in der Regierung ausnußen wollen.
Diese Regierung, in der vier grundsätzliche Monarchisten figen, will die Republit von innen heraus unters wühlen!