Einzelbild herunterladen
 

Abendausgabe

Nr. 4142. Jahrgang Ausgabe B Nr. 20

Bezugsbedingungen und Anzeigenpreife fub in der Morgenausgabe angegeben Rebattion: Sw. 68, Cindenstraße 3 Fernfprecher: Donhoff 292-295 Tel- Adreffe: Sozialdemokrat Berlin  

Vorwärts

Berliner Volksblatt

e

5 Pfennig

Sonnabend

24. Januar 1925

Berlag und Anzetgenabteilung: Gefchäftszeit 9-5 Uhr

Berleger: Borwärts- Berlag GmbH. Berlin   S. 68, Cindenstraße 3 Fernsprecher: Dönhoff 2506-2507

Zentralorgan der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands  

Jubel über gestern...

Der Jubel in der Rechtspresse über den Rüdtritt der preußischen Regierung ist ungeheuer. Begreiflicher weise. Denn in Preußen lag alle Hoffnung für die Reaktion. Fort mit Severing!" das war der Schlachtruf, mit dem die Deutschnationalen in den Wahlkampf zogen. Nie mieder Severing!" schreien sie heute. Aber während sie Severing sagten und sagen, meinen fie die ganze Zusammen­arbeit der in der großen Koalition tätigen Parteifräfte.

Jetzt haben sie es endlich geschafft und das Kabinett Braunist zurüdgetreten. Die Zeit", Herrn Strese manns unzulängliches Sprachrohr, glaubt heute die Deutsch­nationalen noch übertrumpfen zu müssen. Sie erzählt, Braun habe ein unrühmliches Ende einem rechtzeitigen Rück­tritt vorgezogen" und damit habe er feine Rolle als Staats­mann ausgespielt".

Diese eine Aeußerung zeigt die ganze politische Berbohrt: heit der Kulissenschieberpartei. Ein rühmliches" Ende ist für die Volkspartei nur dann gegeben, wenn ein Minister auf einen zarten Wint Stresemanns oder feiner Gefolgschaft in der Versenkung verschwindet. Ber aber den Mut aufbringt, vor das Parlament zu treten und in offenem parlamentarischen Kampfe die Parteien zur fichtbaren Entscheidung zu zwingen, der hat nach der Meinung Der Volksparteiler ausgespielt"!

Aber Sorgen um morgen!

im Sinne der Reaktion leistete". Es sei lächerlich, fährt die Germania  " fort, dem Ministerpräsidenten und dem Gesamt­fabinett Kleberei am Amte vorzuwerfen. Ihn bewegten staatspolitische Gesichtspunkte:

Die Große Roalition hat sich über drei Jahre bestens bewährt, wie Herr von Richter selbst bezeugt hat. Diese Position mollte das Ministerium nicht ohne 3wang aufgeben, zumal fein Mensch weiß, was jeht geschehen soll. Nach dem Verhalten der Deutschen Boltspartei, insbesondere nach ihrer Entwicklung in den legten Wochen, fönnen wir uns eine Zusammenarbeit mit ihr in preußen nur noch sehr schwer vorstellen... Die Bildung einer bürger­lichen Koalition fann für das Zentrum nicht in Frage fommen, ganz abgesehen davon, daß auch die Teutschdemokratische Partei dies in Breußen noch viel weniger mitmachen würde als im Reiche. Die Rechtsparteien haben im trauten Verein mit den Kommunisten den Schlag gegen Preußen geführt und auf ihnen ruht daher auch die Verantwortung für das, was fommen wird. Der Gedanke, daß die Sozialdemokratie, die nunmehr im Reiche schon in schärffter Opposition steht, in Preußen in dieselbe Oppo­fition hineingedrängt werden soll. ist eine ungeheure Gefahr, vor der niemand meniger die Augen verschließt als die Fraktion des Zen trums im Preußischen Landtag  

Nach der Herostratenarbeit, die die Volkspartei geleistet habe, müsse ihr die Verantwortung dafür bleiben, was die Bukunft für Preußen bringe.

Ganz ähnlich äußert sich das große rheinische Zentrums­blatt, die ,, Kölnische Bolkszeitung":

Wenn die Sozialdemokratie ihre Position in Preußen preis­geben sollte, würde sie dem Beispiel ihrer Reichstagsfraktion folgen und in die Opposition treten und ganz ohne Zweifel einen Kampf entfefjelu, bei dem vielleicht mehr in Trümmer geht, als gestern nachmittag zerschlagen wurde.... Mögen die Schuldigen überlegen, was dann kommt. Nichts Gutes wird fommen und ge­rabe diejenigen, welche geglaubt haben, daß ieht die Stunde gekom über die agitatorische Riefenstärke, die diese Partei in den letzten men sei, die Sozialdemokraten zu verdrängen, werden Augen machen Tagen erlangt hat."

Ach nein, so liegen die Dinge nicht. Der bisherige Mi nisterpräsident Braun mar schon seit Tagen ent fchloffen, von seinem Amte zurückzutreten, wenn sich eine Mehrheit gegen ihn ergab, felbst wenn es nicht die verfassungs­mäßig vorgeschriebene Mehrheit sei. Aber worauf er vor allem bestehen mußte, war, daß die Parteien nicht im Dunkel des Kuddelmuddels und Kuhhandels, fon dern im Parlament vorber Deffentlichkeit und vor den Augen ihrer Wähler sich entscheiden! Das hat er erzielt. Er hat es flor vor aller Welt aufgezeigt, wie Deutschnationale und Bolt sparteller traurade teste Brüderschaft mit den Kommunisten machten. Wie die Junkerpartei, die das Wort Severings von den politi fchen Kindern im Wahlkampf nicht genug abwandeln fonnte, mit diesen selben politischen Kindern" im Landtag Hand in hand atrbeitete, mie sie treuherzig für den fommunistischen Mißtrauensantrag stimmten, der der Politik der Volkspartei und der Deutschnationalen einen Schlag nach dem anderen ins Gesicht versetzte!

Aber so groß der Jubel auch ist, der Razenjammer folgt auf dem Fuße. Denn, nachdem die Regierung zurüd geireten ist, entsteht sofort die Frage, wer ihr Nach. folger werden soll! Und da steigt die bange Sorge auf, daß es der neuen Koalition von Baeder über Campe und Bulle bis Bied nicht möglich ist, eine Regierung zu bilden. Deshalb geht jetzt schon das Betteln um die Gunst des Zentrums los, desselben Zentrums, dessen Minister Am Zehnhoff und Hirtsiefer Deutsch­nationale und Bolfsparteiler gestern erst durch Zustimmung zum fommunistischen Antrag ihr Mißtrauen ausge­iprochen hatten.

Baul Baeder, der Chorführer der Mißtrauenskoalition, umwinjelt die Bartei Hirtsiefer  - Am Zehnhoff in der Deut jden Tageszeitung":

Bir möchten mit dem Ausdruck der dringenden Hoff ung schließen, daß das Zentrum, dessen Zurüdhaltung bei ben gestrigen Debatten bereits allgemein bemerkt wurde, fich schneil und rückhaltlos entschließen möchte, nunmehr auch in Preußen den Schritt zu tun, den es im Reiche bereits getan, dort aber noch mit Halbheiten und Borbehalten begleitet hat, die der nötigen Jeftigung unserer politischen Berhältnisse nicht förderlich sein können. Für den Fall, daß das Zentrum auf solches Liebes­merben nicht hereinfallen follte, droht die ,, Kreuz- Zeitung  " alsbald mit der Peitsche:

Eins ist jedenfalls flar, ein Rabinett, in dem Sozialdemokraten fitzen, ist jetzt eine Unmöglichkeit geworden. Jede Regierung, wie fie anch ausfallen möge, wird gegen die Sozialdemokratie regieren müssen. Und wenn das Zentrum ein solches Kampffabinett nicht will, so wird es einfach durch den Druck der Verhältnisse dazu ge­zwungen werden.... Bersagt sich das Zentrum dieser Forderung des Tages, so mürbe nichts anderes übrig bleiben als eine Land­tagsauflösung.

Da ist die Kugel aus der Bistole! Landtagsauf­lösung und Neumahl diefes Parlaments. Wir fönnen dem Ruse nur zustimmen. Löst den Landtag auf, damit die Wähler forrigieren fönnen, was sie am 7. De­zember noch verfehlt haben. Laßt die Wähler darüber entscheiden, ob ob fie dem Bundespaft zwischen Baeder, Campe und Pied ihre Zustimmung geben mollen. Stellt die neue Koalition den Wählern vor und laßt fie die Wahi treffen! Wir zweifeln nicht an dem Ausgang diefes Ringens.

"

Borläufig scheint jedoch das Zentrum gar nicht geneigt, auf die Werbungen hereinzufallen. Die Germania  " fenn­zeichnet in erfrischender Schärfe die, Schuld der Deut fchen Boltspartei, die sich erwiesen habe als eine Buppe, die von der fräftigen Hane des stärkeren Bruders auf der Rechten gezogen wurde und willenlos ihre Dienste

politischer Sieg, morgen fann er sich in ein Ungfud für das ganze deutsche Boll verwandeln. Der tumultuarische Schluß der Landtags fizung ha: den Krisenmachern zu denken gegeben.. Es ist möglich. aber nicht sehr wahrscheinlich, daß sich in den nächsten Tagen die Bogen etwas glätten und die verantwortlichen Führer der Deulichen Boltspartei zur Erfassung der vollen Schwere der Situation fommen, die sie geschaffen haben. fommen, die sie geschaffen haben. Es ist aber auch mog lich und sehr wahrscheinlich, daß die Volkspartei verftodi bleibt. Für diesen Fall könnte die Möglichkeit gegeben sem, daß das 3en. trum Gewehr bei Fuß steht und sich einer Lösung verjagt, me fie im Reich gefunden ist. Dann würde sich die Frage ergeben, wer denn eigentlich die Regierung bildet. Das Berhalten des Zentrums bei der Bildung der Regierung Cuther schließt absolut nicht den 3wang in fich, auch in Preußen den gleichen Bod zu machen. Denn lange Zeit waren die Verhältnisse in Preußen und im Reia, Der­schieden, und man muß zugeben, daß darin sogar ein guter Ge fahrenausgleich lag. So ist der Fall also gar nicht aus geschlossen, daß das Zentrum in Preußen weder seine Billigung noch seine Mißbilligung, sondern einfach für das Staatsinteresse Uninter. effiertheit zeigt. Es dürfte auch für die Demokraten kaum von Gewinn sein, durch ein taudinisches Joch zu gehen. Das bedeutet, daß die Rechte allein verfuchen muß, eine Regierung zu bilden. Mag fie's probieren!"

Die ,, Germania  " gibt noch dem besonderen Bedauern Ausdruck, daß es nicht gelungen ist, die Geschlossenheit der Zentrumsfraktion aufrechtzuerhalten. In der kritischen Stunde, wo es auf jede Stimme anfam, mußte man von jedem Vertrauensmann der Zentrumswähler Disziplin ver­langen. Die deutschnationalen Mißtrauensanträge fonnten nur deshalb eine einfache Mehrheit erzielen, weil brei Abgeordnete des Zentrums( es sind dies der Landrat Lönark aus Bitburg  ( Eifel) und die beiden Gutsbefizer v. Bapen und Roeingh aus dem Münster­lande. Red. d. V.") nicht mit der Gesamtfraktion stimmten, d. ,, B.") sondern sich der Abstimmung fernhielten.

Daß die demokratische Bresse einmütig ist in der Berurteilung der Krisenmacherei in Preußen, ist selbstver Das große rheinische Zentrumsblatt, die Röständlich. Die Vossische Zeitung" macht besonders darauf niche Boltszeitung", fommentiert das Ende der großen Koalition in Preußen wie folgt:

Men reiche der Deutschen Volkspartei   den Lor. beer, denn ihr gebührt er reftios, und man zeige die Organisatoren des Sieges in firahlender bengalischer Beleuchtung dem ganzen Bolfe. Dieser Sieg einer Bartei, die bestrebt ist, auf dem Wege ihrer Doftrin vom Sweiparteieninftem das Sentrum in wel hälften auseinanderzufprengen, ist heute ein partei

aufmerksam, daß der Bund zwischen Deutschnationalen und Kommunisten zwar eine Regierung stürzen könnte, daß sie zmar in der Lage sei, Gewalt anzuwenden, aber nicht selbst regieren fann.

Auch die nationalistische Deutsche Zeitung" sieht schwarz in die Zukunft: Wie im nunmehr beendeten Kampf gegen die Machthaber von gestern, mird man in den heute beginnenden Verhandlungen zu

Rechtskurs und Erwerbslose.

Ein Kampf um die Unterstützung arbeitsloser Mütter.

Die neue era fangi gut an, die neue Roalition wirfi

fic in der Sozialpolitif gut aus!" rief gestern der Demotrat 3iegler im Reichstage aus. Die Regierung, die Deutschnationalen, und vor allem die Deutsche   Bolkspartei offenbarten bei der Beratung der Sätze der Erwerbslosenunterstüßung ein folches Maß lozial­reaktionärer Gesinnung, daß fie einen Sturm der Entrüstung ent­falteten.

Auf der Tagesordnung der gestrigen Reichstagsfizung fland ein Ant.ng des Reichstagsausfchuffes für sozialpolitische Angelegen heiten, die Unterstügungsläge für die Erwerbslojen um ungefähr 25 Broz. zu erhöhen. Dieser Antrag ist gestern morgen im Ausschuß gegen die Etimmen der Sozialdemokraten, Komm­nisten und Demokraten mit drei Stimmen Mehrheit angenom. in en worden. Unsere Partei hatte verlangt, daß die Unterstugun­gen um 50 Pro3. erhöht würden, dies mar um so berechtigter, da nicht nur die Erhöhung um 25 Broz. völlig angenügend ist, sondern auch die Mittel für die Erhöhung um 50 Pro3. vorhanden sind aus den Beiträgen, die die Arbeiter und Arbeit­geber für diese 3weke leisten müssen. Unser Antrag wurde aber ebgelehnt.

Es handelte sich ferner darum, den Unterschied zwischen den Unterstützungsfäßen für Männer und denen für rauen vollständig zu beseitigen. Die Regierung hat fich bisher dagegen aufs äußerste geft raubt. Jegt hat fie in allem bis auf einen Bunki nachgegeben. Dieser eine Punkt bezieht sich auf den Höchstbetrag bei tinderreichen Familien. Dieser Höchstbetrag sollte dann, wenn die Frau für ihre Familie zu sorgen hat, geringer sein als wenn ein Mann diese Berpflichtung zu erfüllen hat. Die Regierung begründete thre Ansicht damit, daß es in einzelnen Betriebszmeigen oder wenigstens in einzelnen Betrieben noch solche Schundlöhne für Frauen gibt, daß der volle Arbeitslohn ciner Arbeiterin geringer fein tönnte als der Höchstbetrag der Unterstügung. Die Sozialdemokraten und ihnen schlossen sich auch die Demofraten und das 3entrum an erflärten, doß diefe Ehundlöhne nicht geschügt werden dürften und deshalb eine Herunterdrückung der Höchstbeträge für alle Frauen nicht durch die Rücksicht auf die Schundlöhne gerechtfertigt werden könne.

-

|

Im Plenum erhob aber die Deutsche Volkspartei   durch den Abg. Prof. Moldenhauer Widerspruch dagegen, daß der Antrag des Ausschusses auf die Sitzung der gestrigen Tages ordnung des Plenums gesetzt werde. Dies skandaloje Ber­halten der Deutschen Volkspartei   fand nur bei dem Re­gierungsvertreter und den Deutsch nationalen 3- stimmung. Die anderen Parteien wandten sich mit allem Nachdruc dagegen. Die sozialdemokratischen Vertreter vor allem erhoben scharfen Einspruch gegen dies unehrliche Berfahren und geißelten es als den Versuch, solche Unternehmer zu schützen, die ihre Arbeiterinnen mit schamlofen Schundlöhnen abfinden. Dic'er Einspruch fand so starken Beifall bei der großen Mehrheit des Reichstages, deß schließlich die   Deutsche Bolksparter den Mut verlor und Prof Moldenhauer seinen Einspruch zurüdzog. Die große Mehrher: des Reichstages nahm dann den Antrag des Aus schuffes unverändert an, also auch mit dem Berlangen, daß die Spanne der Unterstügungssäge zwischen mann. lichen und weiblichen Erwerbslosen sowohl in den Einzelbezügen wie auch in den höchftfäßen weg­

fällt

Durch den sozialdemokratischen Vertreter ist die erste reaktionäre Aktion des Rechtsblods und feiner Barteien mißlungen. Die Holtung der Rechtsregierung und der Deutschen   Volkspartei zeigt, was ihre sozialpolitischen Ziele find: Schuß des schlimmsten Ausbeutertums, Verhinde rung von sozialpolitischer Reformarbeit. So sieht die Sozial. politit des Rechtsblods in der Praxis aus- sehr im Gegensatz zu den Worten seiner Regierungserklärung.

Die Rote Fahne erzählt heute ihren Lefern, die Sozialdemo fraten feien mit   Luther gegen die Erwerbstojen gegangen". Wieso und warum? Weil die Sozialdemokraten auf weitergehende An träge für den Augenblick verzichtet hatten Und warum hatten sie darauf verzichtet? Weil sonst nach dem Willen der Mehrheit die ganze Sache verschleppt worden wäre.

25 Broz. Erhöhung ist wenig. Kommunistische Agitationsanträge find 0,0 Proz. wert. Und das kleinste Stüd Brot ist für die Arbeits. lojen mehr als der größte fommunistische Klamaut.