Abendausgabe
Nr. 43+ 42. Jahrgang Ausgabe B Nr. 21
Beangsbedingungen unb Anzeigenpreffe Find in der Morgenausgabe angegeben Redattion: SW. 68, Cindenstraße 3 Jerafprecher: Dönhoff 282-295 Tel- dreffe: Sozialdemokrat Berlin
Vorwärts
Berliner Volksblatt
5 Pfennig
Montag
26. Januar 1925
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Zentralorgan der Sozialdemokratifchen Partei Deutschlands
Albert Thomas über Washington .
Deutschlands Zustimmung zum Achtstundentag- Abkommen.
Einer unserer Redakteure hatte mit dem Direktor des Internationalen Arbeitsamtes, Albert Thomas , der sich in Berlin aufhielt, eine längere Unterredung. Unser Genosse fragte Albert Thomas insbesondere nach dem internatio nalen Stande der Ratifizierung des Abkom mens von Washington . Die Ratifizierung durch das Deutsche Reich mürde nicht unwesentlich beeinflußt werden durch die Ratifizierung in den anderen Ländern, insbesondere in Frankreich und England, aber auch Belgien . Was Frankreich betrifft, antwortete Albert Thomas , fo hat befanntlich der Arbeitsminister ber Kammer einen Gefehentwurf unterbreitet, der die Ratifizierung des Abkommens von Washington ausspricht. Der Entwurf wird voraussichtlich im Februar nach Berabschied: ing des gegenwärtig zur Beratung stehenden Budgets um Plenum verabschiedet werden.
Frage: Wird der Senat nicht Schwierigkeiten machen? Antwort: Ich glaube nicht. Und zwar deshalb nicht, weil die Vorlage die Klausel enthält, daß die Ratifi. zierung in Kraft tritt, wenn und sobald auch das Deutsche Reich das Abkommen ratifiziert. Diese Bindung halte ich für besonders glüdlich. Die beiden Länder sind wirt fchaftlich und kulturell eng miteinander ver. bunden, ganz unabhängig davon, ob diese Berbundenheit auf der einen oder der anderen Seite immer als wünschensmert angesehen worden ist. Wenn hierzu noch die soziale Berbundenheit tritt, so fann dies nur günstige und fruchtbare Folgen für die Beziehungen der beiden Länder
haben.
Soweit England in Betracht kommt, so fann ich gegenwärtig feine beſtimmten Erklärungen über die Absichten des eng'ischen Kabinetts machen. Ich reise von hier nach London , um mich mit den zuständigen Mitgliedern des englischen Kabinetts über diese Frage zu unterhalten. Ich kann also dieser Unterhaltung nicht durch eine öffentliche Ertlärung borgreifen. Ich darf jedoch wohl daran erinnern, daß der Ministerpräsident Baldwin vor den legten Maiwahlen in einer Rede in Swansea erklärt hat, daß der beste Schuß der englischen Industrie darin besteht, daß die Arbeit in den rückständigen Ländern geschützt ist. Ich fann wetter daran erinnern. daß das englische Kabinett in der Thronrede erflärt hat, daß die drei maritimen Abkommen dem Parlament zur Ratifizierung vorgelegt würden. Da diese Abkommen vom englischen Standpunkt gesehen besonders einschneidend find, fann man aus dieser Ankündigung gewiffe Schlüffe ziehen.
Was Belgien betrifft, führte Albert Thomas weiter aus, so fann man sagen, daß die Ratifizierung des Abtommens über den Achtstundentag durch Deutschland , England und Frankreich unvermeidlich auch die Ratifizierung durch Belgien zur Folge haben wird. Bor einigen Wochen hat der belgische Arbeitsminister in einem Artikel, der viel Aufsehen erregt hat, in der Revue Belge " erflärt, daß die foziale Politit Belgiens eine Politit der Ratifizierung sei. Frage: Sind nicht in der letzten Zeit in Belgien gewiffe Ausnahmen besonders in der Schuhindustrie geftattet worden?
Antwort: Solche Ausnahmen, wenn sie für eine beftimmte Industrie auf eine beschränkte Bett gestattet werden, befinden sich durchaus in Uebereinstimmung mit dem Artikel 6 des Abkommens von Washington . Und das ist in Belgien
Die preußische Krise.
Pläne und Hoffnungen der Rechtsparteien. Die tnappe Zeitfpanne bis zum Freitag wird von den Rechtsparteien zu fieberhafter Arbeit benußt. Sie wollen das Rentrum in der einen oder der anderen Form als Borfpann für die Bildung einer Rechtsregierung in Preußen benutzen. Der Wille der Rechtsparteien ist da, aber wie machen?
Auf alle Fälle legt der Tag" dem Zentrum den Gebanten eines Rabinetts nach dem Mufter des Kabinetts Steger wald mit entscheidendem Ein luß der Rechten nahe:
„ Die Wahl des Abgeordneten Borsch( 3entrum) zum M'nisterpräsidenten würden, wie aus unverbindlichen Aeußerungen entnommen werden fann, auch die Rechtsparteien unter der Voraussetzung unterstüßen daß Ministerpräsident Borsch fein Ministerium hauptsächlich aus den Parteien der Rechten zufammenfeßt.
Indessen sind die Hoffnungen der Rechtsparteien auf eine folche Lösung recht gering. Die Germania " gibt ihnen bie Aussichtslosigkeit folcher Pläne deutlich zu verstehen. Sie erklärt der Rechten, daß die preußische Zentrumsfraktion ihre nächste Politit im Grundsäglichen so festgelegt habe, daß den Saboteuren der preußischen Aufbaupolitit hier teine grünen Halme wachsen tönnten. Iŏrichte Hoffnungen" ist diese fühle Abweifung überschrieben.
der Fall. Im übrigen ist das belgische Gesetz über den Achtstundentag sehr streng und schon deshalb hat man in Belgien ben Wunsch, daß das internationale Abkommen streng ge handhabt wird.
Wir fragten dann Albert Thomas , ob die Beziehungen zwischen Deutschland und dem Internationalen Arbeits: amt, die manchmal zu wünschen übrig ließen, sich gebessert haben. Bon deutscher Seite ist das Internationale Arbeitsamt insbesondere auch finanziell vernachlässigt worden, wäh rend man gleichezitig Beschwerde führte über die Zurüd fegung Deutschlands in sprachlicher Beziehung und auch darüber, daß Deutschland im Internationalen Arbeitsamt nicht so vertreten fei, wie es seiner Bedeutung zukomme. Antwort: Darauf fann ich nur erwidern, daß zu feinem Zeitpunkt zwischen dem Deutschen Reich und uns gespannte Beziehungen bestanden haben. Wir waren immer bestrebt, in Uebereinstimmung mit den zuständigen deutschen Stellen zu handeln, um herzliche Beziehungen herzustellen. Wenn die finanziellen Schwierigkeiten Deutschlands Rüd Stände in der Beitragszahlung seinerzeit verursacht haben, so hat das niemals die Personalpolitik des Internationalen Arbeitsamtes beeinflußt. Wir sind dabet, die ent fprechenden Lösungen zu finden im Geiſte des herzlichen Einvernehmens, in dem ich immer gehandelt habe. Es hat mich besonders gefreut, eine freiwerdende Stelle eines Settionschefs im Arbeitsamt vor furzem mit einem Deutschen besetzen zu fönnen. Im übrigen habe ich von dem Recht, das mir der Berwaltungsrat in sprachlicher Beziehung gab, zugunsten der deutschen Sprache den weitesten Gebrauch gemacht. Ich kann sagen, daß seit zwei Jahren in dieser Reziehung keinerlei Beschwerden von deutscher Seite zu meinen Ohren gekommen find.
Ich wünsche selbst, daß die Beziehungen mit Deutschland noch einen viel größeren Umfang annehmen und daß Deutsch land einen größeren und intensiven Anteil an dem Leben und der Entwicklung des Internationalen Arbeitsamts nehme. Bir find weit davon entfernt, die Bedeutung Deutschlands zu verkennen. Das Deutsche Reich ist heute vielleicht mehr als jemals eine foziale Großmacht. Und deshalb habe ich den dringenden Wunsch, daß es entsprechend seiner Bedeu tung an den Aufgaben des Internationalen Arbeitsamts mit
arbeitet.
Wir dankten den Direktor der Internationalen Arbeitsamtes für seine Erklärungen und fragten schließlich nach seiner Ansicht über den Eintritt Deutschlands in den 23ölterbund.
,, Bei aller Freundschaft für den Borwärts", erwiderte Genosse Albert Thomas , werden Sie ohne weiteres begreifen, daß mich meine Stellung zu einer gewiffen Reserve verpflichtet. Ich fann jedoch sagen, daß mein Wunsch dahin geht, daß für Deutschland der Eintritt in den Bölferbund ermöglicht wird. Ich fann hinzufügen, daß heute alle Mächte den Wunsch haben dem Deutschen Reich diesen Bei tritt zu erleichtern. Ich bin überzeugt, daß der Artikel 16 des Böllerbundsvertrages feine Schwierigteiten machen wird, den allseitigen Bunsch nach Deutschlands Beitritt. den ich auch hier in allen Kreisen gefunden habe, zu ermöglichen Nach meinen Empfindungen find wir auf dem Wege der Wiederherstellung der internationalen Stabilität der Beziehungen auf der Grundlage des gegenseitigen Respetts."
Rechtsparteien nicht aufgeben tönne. Selbst die unter der Führung des Abgeordneten Herold stehende alte, aus landwirtschaftlichen Kreisen fich zusammensetzende Opposition des rechten Flügels der Fraktion glaube, sich von der Mehrheit bei der Wahl des preußischen Ministerpräsidenten nicht trennen zu fönnen.
Angesichts diefer Sachlage hoffen die Rechtsparteien, burch eine Berschleppung der Krise mit all den üblen Begleiterscheinungen, die wir vom Reiche her bis zum Etel tennen, die Zentrumsfraktion zu zermürben. Die Telegraphen- Union erzählt.
Immerhin ist. Aussicht vorhanden, daß bei fiugem Ent. gegenkommen ber Rechtsparteben sich aus diesen Kreisen( den Kreisen des rechten Zentrum um Herold Reb. b.„ B.") noch einige 26. geordnete der Oppofition der Abgeordneten v. Bapen, Lönary und Roeingh anschließen werden."
Ohne das Zentrum fönnen die alten Ronservativen in Breußen nicht zur Macht gelangen. Ohne das Zentrum tönnen sie die Etappe der Rechtsregierung auf dem Bege zum Dreiklassenpreußen nicht gewinnen. Geht es nicht mit bem 3entrum, fo foll es auf Kosten des Zen. bem 3entrum, fo foll es auf Kosten des 3en. trums gehen. Einesteils Liebesmerben, andernteils die drohende Fauft. Liebe mich, oder ich zerhade dir die Kommode.
leber bie Stellung ber Preußenfraftion des Zentrums Rechtsturs in Finnland ? Bon ben nun vollständig gewählten macht sich die Rechte deshalb zunächst wenig Hoffnungen. Ein 300 obimännern zur finnischen Bräfidentenwohl find 69 Bauern Bericht der Telegraphen- Union meint, baß die Frattion partei, 68 Sommunespartei 35 Schwedische Beltspartei, 33 F bes Sentrums bei der Bahl des preußischen Minister muniften. Im Beroleich zu den lehren Reichstagswahlen ergaben präsidenten am Freitag ihre einmal eingenommene abbie Wahlen Berlufte für die Seztemotraen und Kommunisten. lehnenbe Saltung gegenüber den Bestrebungen der Die Bräsidentenmahl findet am 16. februar ftatt.
Das kranke Musolinien.
Eine verfrühte Illumination.
( Bon unserem römischen Rorreiponbenten.. Rom , im Januar 1925. In vier Stunden hat die italienische Kammer ein neues Wahlgefez angenommen, das vollständig mit dem bisher herrschenden Wahlsystem bricht Trozdem hat die Sache niemand ernstlich interessiert. Man hat in aller Schnelle gearbeitet, damit das Gefeß, wie angeordnet war, bis zum Samstagabend geliefert werden konnie, ,, Kleinig feiten" find weggefallen, wie das Recht bevorzugter Schichten auf mehrere Stimmen. Rossoni erklärte:„ Ich habe die faschistischen Korporationen gefchaffen und weiß, daß man die Rechte der Arbeiter nicht vermindern kann" und die Sache war abgetan Daß ein Kandidat, nach englischem Muster, gewählt ist, sobald er feinen Gegenfandidaten hat, ist durchgegangen, obwohl die Kommunisten diese Bestimmung als Aufreizung zur Ermordung der Kandidaten bemängelt hatten. Als ob man gerade ermorden müffe, um einen zum Rücktritt zu zwingen! In dem früheren Gefeßz mußte jeder Kandidat von 300 Wählern vorgestellt werden, und damals zerfiel ganz Italien in 15 Wahlkreise; das neue Gesez fordert 400 Unterschriften, und die Zahl der Wahl. freise beträgt 560! Ohne Kandidaten zu ermorden, braucht man nur ein paar Dußend der vorgeschlagenen Wähler burchzuprügeln, ihre Häuser zu verbrennen oder sie auch nur arbeitslos zu machen; damit erzielt man auf dem Lande die Kandidatur ohne Gegentandidaten", und das ganze macht nicht halb soviel Lärm wie die Ermordung der Kandidaten. Aber wir wollen uns jeder fritischen Würdigung des neuen Gefeßes enthalten, das wahrschein ich im Senat etwas wie eine Diskussion hervorrufen wird. Hat es die Kammermehrheit nicht interessiert, hat es die öffentliche Meinung falt gelaffen, so soll es uns auch nicht interessieren. Inter esant ist heute gerade der Mangel an Inter effe, die weitgehende Gleichgültigteit gegenüber einem Gefeß, das in einem normalen Lande lebenswichtig wäre. Nichts beleuchtet die italienische Lage beffer als gerade die Tatsache, daß heute das Wahlsystem in Italien nicht lebenswichtig ist. Wenn die faschistische Regierung das Bahlrecht handhabt, mit ihrer Miliz, mit ihrem Terror, mit ihrer Wahlmogelei, so ist das Wahlgejet das gleichgültigſte Ding der Welt.
Während der ganzen Wahldebatte hat Mussolini geschmiegen. Geredet haben für ihn Farinacci und e berzoni. Farinacci hat gegen die Balutatrife die Berhaftung des Generaldirektors der Banca Commer ciale" empfohlen, welche Anregung der im Solb einer Konturrenabant stehende Messaggero" mit Mommen aufgreift, hat Giolitti Mangel an politischem Berständnis vorgeworfen und hat schließlich erklärt, daß man ,,, um die Regierung zu stürzen, die Institutionen des Staates mit Füßen treten muß, fich gegen die Miliz und gegen die Schwarzhemden stellen, die bereit sind, für Mussolini zu sterben". Federzoni vertrat als Minister des Innern die Auffassung, daß die Lebensnotwendigkeiten der Nation höher stehen als die Säge der Verfassung. Läßt man die Gleichung gelten, daß Mussolini und sein Klüngel die Nation darstellen, so ist alles in Ordung.
Muffolini hat fich auch von einem außerordentlichen Berichterstatter des Daily Expreß " interviewen lassen, dem er erklärt hat, Italien wäre heute nicht unruhiger als irgendein anderes Land Europas ". Das ist ganz unsere Ansicht, wenn man von den hausbadenen Faschistentrawallen absieht, von denen der Erzbischof Maffi gefagt hat, daß er sie ,, als Bischof bemeine, als Italiener über sie erröte".
Wenn aber ein Land so ruhig ist, warum enthält man ihm dann alle Zeitungen vor, außer denen der herrschenden Bartei, warum verbietef man seine Bersammlungen, außer denen der herrschenden Partei, warum heht man fein Roalitionsrecht auf, außer für die berrschende Partei? Wie verträgt sich die Energie im Niedersch agen der J- furraktion mit der ausdrücklichen Erflärung, daß diese Infurrektion nicht besteht?
Muffolini hat in feinen Ansichten nicht fefte Breise". Bor furzem unterbrach er einen Redner in der Kammer, um zu fagen, daß der Faschismus alle Schichten der Bourgeoisie gegen fich" hat: neuerdings erklärte er dem ,, Daily Expreß ": Der Faschismus breitet sich aus Man findet ihn nicht in den parlamentarischen Institutionen: man gehe a'er in die Schulen, in die Theater, zu den Rünftlern und in alle Zweige der Bourgeoisie, und man wird ihn finden."
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So wird uns der Falchismus einmal vorgebändigt als ein urwüchfiges Produkt der Boksseele, schlicht, lauter und gottesgläubig. Gehen Sie auf das Land," fagt der Minifter des Innern einem Sonderberichterstatter des„ Echo de Paris", der Landmann ist glücklich. Er ist Faschist. denn er weiß, was er dem Faschismus schuldet, der ihm den Boden erhalten hat, den er in Mühsal bestellt." Neben diesem Faschismus, der mit Lämmern spielt und Gänseblümchen pflückt, haben wir den Foschismus des le bermenschentums, ben man mit einem Abziehbild der Nießscheschen Theorien hergestellt hat, mit einigen Berschiehungen, wie fich das beim Abziehen ergehen fann. Nach ihm lechzt bas Impero, dem die vier Stunden Bahlrechtsberatung schon zu viel find:
Mir find feffiert und enttäuscht. daß der Faschismus, nachdem er gehofft hatte, neuen Infitturen Leben zu verleihen, sich jeben Lag