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Nr. 48 42. Jahrgang

1. Beilage des Vorwärts

Die Wandlung des Kaffeehauses.

Die Wandlung, die sich in den letzten Jahren nach dem Kriege im öffentlichen Leben vollzogen hat, äußert sich besonders auch in dem veränderten Gesellschaftsbedürfnis der Menge. Fast überall ist eine deutliche Abfehr von dem nicht so geliebten Bergnügen des Aufenthaltes in großen, prozig eingerichteten Lokalen zu bemerken. Das stärkere Ruhebedürfnis der Menge nach getaner Arbeit mohl eine Folge verschärften Eristenzkampfes bevorzugt das Zurüd bevorzugt das Zurüd ziehen in fleinere Käume von intimer Wirkung. Das große Biet haus, das Jahre hindurch florierte, ist im Schwinden begriffen, ebenso das große pompös aufgezogene Kaffeehaus. Wo es noch besteht, ist man dabei, jeine Säle durch Teilungen in geschlossenere Raumwirkungen zu bringen.

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Aus der Geschichte.

Das Leben, wie es sich in unseren Kaffeehäusern abspielt, ist uralt. Die Kulturvölfer des Altertums, die eigentlich im Bergleich zu uns modernen Menschen unfagbar faul waren, haben diesem Zeitvertreib als einer vornehmlichen Lebensunter­haltung gehuldigt. Der freie, vornehme Mann tat in Friedenszeiten nichts. oder so gut wie nichts. Für jede Werftätigkeit hatte er seine Leute, und Gedankenarbeit ließ er woniöglich auch durch andere besorgen. Das Wichtigste, was er trieb, war die Politit, und das

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Das Musik- Kaffee gelhah entweder in den Kommunulgebäuden oder in den offenen Hallen, die überall auf dem Markte oder um Tempel gelagert waren, und wohin eben jeder Freie ging ja inan tann fagen bei der Aus­dauer, die die Alien dort zu vermeilen hatten: Sie lebten dort. Diese Hallen entsprachen genau unferen modernen Cafés. Nur hatten fie nicht die bequemen, mit Marmortischen, Sofas, mehr oder weniger hübschen Stühlen ausgestatteten Räume mit Nischen und Plauder

Der Apfel der Elisabeth Hoff.

Bon Wilhelm Hegeler .

7 Die Kinder begleiteten fie, um das Auto abfahren zu fehen, und einen Augenblid hörten sie hinter sich noch deren helle Rufe. Dann bog der Wagen um die Ede. Nach einer Beile hatten sie eine der breiten Straßen erreicht, die den Borort mit der Stadt verband. Große Häuserkasernen stan­den wie zu Bündeln zusammengepreßt, nebeneinander. Dann famen weite Streden freien Feldes, Gärtnereien, Schuttpläge, die zu Rummelplägen verwandelt waren. Elisabeth dachte plöglich an einen entfeßlich heißen Bormittag, an dem sie fich zu Fuß die Straße hingeschleppt hatte, mit brennenden Sohlen, während vor ihren geblendeten Augen glühende Funken tanzten. Da die Bretterwand- fie erinnerte sich fo gut endlos hatte sie sich gedehnt. Und jetzt flog sie in einem Husch vorbei. Wie herrlich war es, hinzusausen, die fühle Luftfülle zu durchschneiden und sich von ihr durchspülen zu lassen bis tief in die Lungen. Sie fühlte, wie die aufge­wühlte Unruhe ihres Innern, die sie nur mühsam gemeisteri hatte, nachließ, und befreit sich zurüdlehnend, dachte fie ein fach: gut haben's die reichen Leute.

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Aber ihr Nachbar trommelte unruhig mit seinem Spazier­stod auf den Boden und murmelte: Das ist die reine Tortur in dem Rumpelfasten. Nun stoppt der Kerl schon wieder wegen der alten Weiber da. Der Fahrdamm ist doch keine Kaffeestube. In Amerika ist das anders," wandte er sich an Elisabeth. Da ist der Fahrdamm für die Autos da. Wer fich überfahren läßt, wird megen Unachtsamteit bestraft. Da wird Tempo gefahren. Itokdem benügen in New York bie reichen Leute die subway Um Zeit zu sparen. Solch ein Autogedränge herrscht. In Amerika hat jeder fünfte Mensch

ein Auto."

In Deutschland hat jeher fünfte Mensch ein Hemd, dachte Elisabeth.

,, Benn's Ihnen recht( ift, fahren wir zuerst zur Deutschen Bant, Frau Hoff?"

Als das Auto hielt, fragte Elisabeth, ob sie nicht fizen bleiben follte, aber er bat fie mitzukommen.

Die Drehtür war in feter Bewegung. Im Kuppelsaal der Hauptkasse drängte sich ine dichte Menge, Menschen aller Stände, aller Kontinente: neben dem gebügelten Ariftofraten ein Megger in Bluse unter dem aus den Nähten plakenden Jadett. Ein gelber Mann aus China oder Japan zählte ein

eden, und zu essen und zu trinken gab's auch wenig, und zu rauchen fchon gar nichts. Damals ging alles aus. Auch die Gelehrten. Sofrates ift in's Café gegangen und Plato hat mit seinen Jüngern eine Stammede gehabt, und Sopholles hat sich hier Berfe aus gedacht und aufgeschrieben, genau wie Beter Hille und Peter Alten­ berg . Auch Leute sind in die Cafés in Athen und Rom und Allegan­drien gekommen, die in ihren Taschen Parfüms und Edelsteine hatten und an den Mann zu bringen suchten, wie es bei uns in den Schieber- Cafés auch geschieht, nur daß die Leute heute nicht mehr so offen handeln dürfen. Aber sie suchen mit Kennerblick und unauf­fälligem Gebaren ihre Käufer und werden ihre Sachen auch so los. 3m Rom der späteren Kaiserzeit waren die großen Thermen, die außer den Badebassins und Heißwasser- und Dampfbädern, vor

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Das Zeitungs- Kaffee

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allem einen schönen Garten, Wandelhallen, Sefezimmer und einen ziemlichen Restaurationsbetrieb hatten, unseren Saffeehäusern sehr ahnlich. In den füdlichen Ländern ist dies Leben und Treiben immer Sitte geblieben. In Italien ist es im Mittelalter und vor allem in der Renaissance die piazza. Der gepflasterte Blaz, nach dem alles brängt, das etwas fehen, hören, oder fich amüsieren will. An den Biag ist dann für den Fall, daß es regnet oder gar zu heiß wird schlimm mußte es freilich schon kommen, bis der Italiener sich dazu bequemte, hier unterzutreten eine Halle gebaut, die sogenannte loggia", oder auch eine Arkadenreihe, die man also in besagten Fällen aufsuchen tonnte.

Südländische Geselligkeit.

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Lebendig schildern uns das Leben uno Treiben auf der piazza die Ghirlondajos oder Capaccios oder Bellinis! Hier eine Gruppe gefeßter Männer, die regelrecht politifieren, und zwar so ernst und wichtig, wie bei uns im Barlament, da taufen sich ein paar Dandys eine schöne Feder für ihr Barett oder Blumen, dort geben fie fie ihren Mädchen und poussieren mit ihnen. Hier holt einer etwas zu effen aus feiner Tasche, dort hält eine Frau Wein in bandumwunde nen fiaschis" feil. Und wer einmal hierher gegangen ist, geht so raich auch nicht wieder nach Hause. Man ist äußerst fehhaft, oder vielmehr ftandhaft", denn Sikgelegenheiten gibt's nicht viele. Man muß mit Stufen oder den Sodeln von Säulen fürlieb nehmen, oder man feßt sich auf eine Balluftrade und schlenfert, da der Südländer nun einmal nie ganz ruhig sein fann, mit den Beinen. Heute num gibt's im Süden wie bei uns natürlich auch Cafés mit allem erdent­

Bündel Scheine durch, die er kurasichiig gegen feine Brille hielt. Eine dice roigeschminkte Dame stopfte die Scheine bündelweis in alle Taschen ihres Chinchillapelzes. Geschäfts­diener schoben die Scheine patetweise in ihre Ledertaschen. Zwei Kommis trugen einen ganzen Weidenkorb davon fort. Bor den Auszahlschaltern herrschte ein Summen und Säu­fein wie in einer Synagoge. Ditjuden in langen Kaftanen, mit 3widelbärten zeigten schmußige Ausweispapiere vor.

Mein Gott, hat sich das hier verändert," sagte Rysed zu feiner Begleiterin. Früher flingelte es hier von Gold, fett feht's aus wie in einer Zeitungsdruckerei."

Ein Diener führte die beiden zur Auskunftsstelle. Hier hörte Elisabeth, wie Rysed zu dem Beamten sagte: Es hordelt sich um eine Anweisung der Nevadabank in San Franzisto an Ihre Bant."

Donnerstag, 29. Januar 1925

lichen Komfort. Aber dem Südländer sigt es doch so tief in den Knochen, unter freiem Himmel und auf einem gepflasterten Blaze figen zu wollen. Wenn es das Wetter irgend erlaubt, figt man an den Tischen draußen auf dem Plaze, an dem der Cafémirt, wenn er flug ist, fein Lokal haben muß. Da fizt man und hört Musik unter fich Steine, um sich herum die Steine der Häusermauern und über sich den Himmel. Nach Grün fragt man nichts und in die herausgetragenen" Gärten, wie wit fie vor unseren Cafés so gern haben, würde sich im Süden tein Mensch sehen. Das beste und be fannteste Beispiel für ein südländisches Cafe, wie es sein muß, ist das Café auf dem Markusplatz in Benedig.

Das nordische Café.

Bei uns in Deutschland ist die Borliebe für Kaffeehäuser noch ganz jung. Wer ging vor 30 Jahren in's Café? Da saß man noch am biederen Stammtisch seiner Biertneipe, trant ein Glas nach dem anderen, politifterte ein bißchen, wunderie sich, wenn mal einer nicht tam, der doch sonst immer dagewesen war, und fultivierte im übrigen nach Herzensluft Stumpffinn. Um Mitternacht ging man dann, als sei das Naturgefeh, nach Hause. Wenn's aber hoch fam und man schon gar ein bißchen der neuen Mode nachgab, die sich aus unseren Nachbarländern, besonders Desterreich, anmeldete, ging man noch zu Bauer und tranf einen Schlummerpunsch. In einer Viertelstunde war man wieder draußen. In den Restaurants ißt man sich heute wesentlich nur noch fatt und nur noch fleine Kreise beweisen den alten Stammtischgeist. Aber das Hauptfontingent der Leute, die heute des Abends ausgehen, strömt in die Cafès. Da ist zuweilen Mufit, und da gibt's was zu sehen. So ist's im Café des Abends und die halbe Nacht lang. Am Tage stillt man im Café seinen Biffensdrang durch Zeitunglejen. Dann aber erledigen viele Menschen hier ihre großen und fleinen Geschäfte, und um sich gegen seitig nicht ins Gehege zu fallen bei den verschiedenartigen Händeln, hat man sich fepariert. So findet man bei uns um die Mittagszeit vor allem die Leute von der Börse, in der ersten Etage am Nach­mittag ausschließlich die Artisten der Barietés und Zirkusse und die Theaterleute. Am Abend verteilt sich dann wieder alles und Standesunterschiede find weniger bemerkbar, und nur an ein paar Stellen tonstituiert sich ein Bublifum aus Menschen, die das Gefühl haben, zu einander zu gehören. So findet man die Freunde des Billard und Brettspiels, in einem Café an der Gedächtniskirche nur Bohème und in einigen Cafés des Potsdamer Biertels finden sich still und bescheiden die armen Enterbten des normalen Liebesglückes zufammen..

Der Weg des Konsums.

Aus der Geschichte der Berliner Genossenschaft. Das Werden der Konsumgenossenschaftsbewegung in Berlin hat mun zum zweitenmal eine eingehende Darstellung erfahren von Baul Gange, Borsigender des Aufsichtsrats, Berlin 1924, im Bere lage der KGB.( zum erstenmal von Baul Göhre in seinem noch immer sehr lejensmerten Werke: Die deutschen Arbeiter- Konsum Dereine, 1910 im Borwärts- Berlag), jest anfäßlich des im Sommer gefeierten 25jährigen Bestehens der großen Genossenschaft, die als Zusammenfassung der Lebensträftigen alten Triebe geblieben und eine der bedeutendsten Unternehmungen ihrer Art geworden ist. die der Generalstaatsfaffenbuchhalter Liebre 1845 für die bettes­Welch ein Weg von der Almofen spendenden Spargesellschaft, Ganuz der höchsten Behörden und der königlichen Familie gründete, arme Bevölkerung des Bezirks am Hamburger Tor unter gnädigem

von den waderen anarchistischen Arbeitern, die 1895 nach Feierabend die Berkaufsstelle der Befreiung" in der Kottbujer Straße ein: richteten und dort die Warenverteilung betrieben, bis zu dem mäch tigen Gebilde der heutigen RGB. mit ihren( Ende Juni) 162 768 Mitgliedern, 184 Abgabestellen und ihrer Bäderei, die mit 75 Doppelauszugsöfen die größte der Welt ist! Wel chein Weg aber noch von diesem Betrieb mit seinem limfag von 12,8 Millionen Mart im ersten Halbjahr 1924 und seinen 1946 beschäftigten Ber fonen( am 30. 9. 24) bis zu einer genossenschaftlichen Durchbildung und Ausdehnung, wie sie im Berhältnis etwa der Allgemeine Kon fumverein Basel aufweist, oder gar gu der umfassenden sozialistischen Ordnung der gesamten Bolfswirtschaft, von der so viele träumen, ohne ernstlich einen Finger für ihre Vermirklichung zu rühren! Wie viele treugemeinte Bersuche mißglückt find, wie viel von der Ber­ liner Bartei in den entscheidenden Jahren versäumt und verfehlt worden ist, wieviel weiter mir wären, wenn alle, die berufen waren, Berständnis und guten Willen bewiesen hätten aber auch, wievie!

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des Gelächter ausgebrochen. Die Lehrerin selbst hatte mit­gelacht... Damals hatte sie alles munter und frei heraus­gesprudelt, und ihr Herz war wie ein blanfer Teller gewefen. Was sagten Sie vorhin?" fragte fie plöglich. Es handelte sich um eine Bantüberweisung für mich?

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Jawohl, für Sie," erwiderte Rysed, sich aufrichtend, mif der selbstzufriedenen Miene eines Mannes, der eine ange­nehme Mitteilung zu machen hat. Eine fleine Banküber weisung, die ich der Bequemlichkeit halber hierher habe schicken laffen. Wir haben nämlich noch abzurechnen. Sie erinnern sich wohl, daß Sie mir, als ich damals so eilig fort mußte, Geld borgten."

Ich gab es Ihnen."

" Für den Fall der Not. Es war ein wirklicher Freund­schaftsdienst. Ich nahm das Geld an. Ich konnte ja nicht wissen, wie's mir gehen würde. Aber nur unter gewissen

Für Sie?" fragte der Beamte. " Jawohl. Das heißt, unter meinem Namen für die Bedingungen. Sie erinnern sich doch?"

Dame

Für mich?" fragte Elisabeth erstaunt. Rysed niďte nur.

Ein anderer Beamter geleitete die beiden über weit. läufige Treppen, durch einen Schwibbogen, in dem eilfertige Kommis hin und herliefen, auf hellen Korridoren, mo man burd) Glasfenster in große Säle mit vielen, an Schreibpulten arbeitenden Angestellten sah, in eine Art Wartezimmer, wo hinter einem Verschlag ein junger Mensch saß, der seine Auf­merksamkeit zwischen Schreibarbeit und Frühstück teilte. Der junge Mensch ging, die beiden anzumelden. Nach einigen Augenblicken fam er zurück und sagte, der betreffende Herr wäre gerade belegt, die beiden möchten doch Platz nehmen. Einen Augenblid fah Elisabeth dem lang aufge fchoffenen Menschen zu, der unter der bis zu feiner Nasen­pige herunterge ogenen Hängelampe stirnrunzelnd und offen bar mit großer Selbstüberwindung etwas in ein Buch schrieb, um dann rasch zusammenzufniden und einen herzhaften Biß in sein Butterbrot zu tun. Dann richtete er sich befriedigt auf und machte, verstohlen fauend, ein überlegen nachdent­liches Gesicht.

Elisabeth mußte plötzlich daran denken, wie sie und ihre Freundinnen in der Schulstube heimlich Näschereien verzehri hatten. Einige waren dabei auf ähnliche Weise mit dem Kopf unter das Pult gefrochen. Sie aber hatte immer ganz unbe­fümmert drauflos gefaut. Und als einmal eine Lehrerin sie fragte, was sie da im Mund hätte, hatte sie seelenruhig ge­antwortet: Pralinees. Die ganze Klaffe war in schallen

Ich erinnere mich an diese Dinge nicht mehr." Birklich nicht? Sie sollten das alles vergessen haben? Ist das zu glauben?"

Nach einem fleinen Augenblid des Schweigens erwiderte Elifabeth scheinbar ganz ruhig:

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Ich habe diese Zeit natürlich nicht vergessen. Wie könnte ich wohl? Aber ich muß Sie bitten Sie werden das doch begreifen mich nicht daran zu erinnern. Ich will nicht!" Fast nur wie einen Hauch hatte sie dies Ich will nicht!" herausgestoßen, doch zugleich in solcher Spannung, daß der junge Mensch aus seinem Verschlag fragend hersah. Rysed aber hörte dies Wort wie einen ganz leise, ganz blaß aus fernen Zeiten herüberwehenden Erinnerungsflang an ein anderes Ich will nicht!" Und wie dies jetzt vernommene der gedämpfte Nachhall des damals gehörten war, glich die leije Aufwallung von Troß und entzückter Luft, die er jetzt verspürte, dem von einem Windstoß noch einmal belebten Aufglühen eines verbrannten Gebälts. Und während er den Mund betrachtete, der diese Worte hervorgestoßen, die so hoch­mütig geschürzten Lippen, die dennoch ein leises Beben nicht verbergen fonnten, erfannte er zum erstenmal unter den ges rundeteren Frauenzügen die schlanken Mädchenzüge voll selbst. herrlicher Kühnheit wieder.

..Richis fiegt mir ferner, Frau Hoff, als unlietjame Er­innerungen woeden zu wollen. Ich bin doch kein Narr! Ich mußte, ehe ich herüberfam, daß Sie sich anders entschieden haben." ( Fortfegung folgt.)