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2. Abendausgabe

Nr. 5142. Jahrgang Ausgabe B Nr. 25

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Vorwärts

Berliner Volksblatt

5 Pfennig

Freitag

30. Januar 1925

Berlag und Anzeigen@ bteilung: Geschäftszeit 9-5 Uhr

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Zentralorgan der Sozialdemokratifchen Partei Deutschlands

Otto Braun preußischer Ministerpräsident.

Im ersten Wahlgang mit 221 Stimmen gewählt.

Bei der Wahl des Ministerpräsidenten im Landtag wurden 435 gültige Stimmen abgegeben. Davon entfielen auf Otto Braun 221 Stimmen. Ferner erhielten der deutschnationale Kandidat Dr. von Kries 175 Stimmen, und der Kommunist Pied 39 Stimmen. Die absolute Mehrheit beträgt 218 Stimmen. Otto Brann ist damit im ersten Wahlgang gewählt.

Die heutige Landtagssigung begann um 43 Uhr bei überaus Kart besetztem Haus und überfüllten Tribünen. Präsident Bartels eröffnete mit den üblichen formalen Mitteilungen. Dann nimmt der greise Zentrumsführer Herold vor der Tagesordnung das Wort zu einer Erklärung: Mit Bezug auf verschiedene Preffe äußerungen stellt er fest, daß er nur durch einen Zufall, den er überaus bedauere und der ihm höchst unangenehm fei, bei einer der abstimmungen in der vorigen Gigung gefehlt habe. Er habe die Absicht gehabt, an allen vier Abstimmungen teilzunehmen und in jeder mit Rein zu stimmen. ( Beifall links und im Zentrum.)

Die Demokraten beantragten nun, ihren Antrag auf parla­mentarische Untersuchung des Standals bei der Preußischen Landespfandbriefanstalt auf die Tagesordnung der heutigen Sigung zu stellen, unter der Boraussetzung, daß er ohne Debatte erledigt werde.

Genosse Grzesinsky stellt der Zufazantrag, daß ein Unter. fuchungsausschuß des Landtages für diese Sache eingesetzt werde. Die Kommunist en verlangen, daß über diese Anträge bebattiert werde, da sie noch Zufazanträge zu stellen beabsichtigen ( offenbar sind sie im Augenblick mit dieser Nachahmung des sozial demokratischen Vorgehens, das sie überrascht hat, noch nicht sprung­fertig). Nach einigem Hin und Her beschließt das Haus, diefe An­träge auf die heutige Tagesordnung zu stellen und unter Ablehnung des kommunistischen Antrages auf Besprechung wird der demo Pratische Antrag mit der von den Sozialdemokraten beantragten Abänderung angenommen.

Der Kommunist Pied beantragt nun die in der vorigen Sigung unterbrochene Beratung des Ausschußberichts über den fom­munistischen Amnestieantrag fortzusetzen und damit weitere fom­munistische Amnestieanträge, sowie den sozialdemokratischen Amnesties antrag zu verbinden.

Dieser Obstruttionsantrag scheitert an dem Bider. spruch der rechten Seite. Die Rommunisten brüllen Schuft", Schurte, Schubiat"," Schieber".

Der Kommunist Sobottta verliest unter wiederholben Interbrechungen durch den Präsidenten und das Haus ellenlange Feststellungen" feiner Fraktion, daß die überwiegende Mehr heit des Hauses aus offenen und geheimen Agenten des Schmer­tapitals bestehe, welchen Ausbrüden sich endlose weitere Dredsprizer gegen die anderen Parteien, besonders gegen die Sozialdemokraten anreihen. Nach wiederholten fruchtlosen Mahnungen des Präsi denten zur Sache, und eine Minute, nachdem der Präsident ihm bas Bort entzogen hat was in der allgemeinen Unruhe allerdings nur von wenigen gehört wird fchließt er mit dem An'rag", daß der Landtag fich fofort auflöse und feine Neu­wahl angeordnet werde.( Beifall rechts.)

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Auch dieser Antrag scheitert am Widersprud, Präsident Bartels will nun in die Tagesordnung eintreten. Da beantragt" ein anderer Kommunist vor der Wahl des Minister­präsidenten erst über das Programm der verschiedenen Kandidaten zu debattieren.

Dieser lächerliche Antrag, über den sich auch die Kommunisten höchlichst ergößen, ist gar nicht zulässig, da, wie der Präsident feft­stellt, nach der Verfassung die Wah ldes Ministerpräsidenten ohne Aussprache erfolgt.

Die Wahl des Ministerpräsidenten beginnt. Gemäß der Geschäftsordnung haben die Abgeordneten unter Namensaufruf verdedte Stimmzettel abzugeben. Der Namensaufruf

beginnt endlich um% 3 Uhr.

Der Wahlaft war um 4 Uhr beendet. 12 Minuten später verkündete Präsident Bartels unter atemloser Span­nung folgendes Ergebnis:

Es find 441 Stimmzettel abgegeben, davon find 6 unbe­schrieben ungültig feiner. Von den übrigen 435 Stimmen beträgt die absolute Mehrheit 218. Es haben er­halten: die Abgeordneten

Offo Braun.

221 Stimmen

Das Zentrum geschlossen. Kundgebung des rheinischen Zentrums.

Trier , 30. Januar. ( Mtb.) Die Mitglieder des Parteivorstandes, die Bezirksvorsitzenden der Stadt Trier sowie die Mitglieder des Rednerzirtels der Zentrumspartei jakten nach einem eingehenden Bericht des Reichstagsabgeordneten Prälat Dr. Kaas über die Bolitik der Reichs- und Landtagsfraktionen des Zentrums eine Entschließung, in der zunächst das Einverständnis ausge­sprochen wird mit der Erklärung, in der die Zentrumsfraktion des Reichstags ihre parlamentarische Stellung zu der neuen Regierung dargelegt hat. Die Entschließung fährt dann fort: Ebenso billigt die Versammlung die Stellungnahme der preußischen Landtagsfraktion, sedauert aber aufs lebhafteste, daß sie nicht mit der im Interesse der Sache und dem Grundsatz der Partei disziplin nötigen Einmütigkeit erfolgte. Etwaige weitere Entschließungen in dieser Angelegenheit werden auf einen anderen Zeitpunkt verschoben, bis von dem Vorstand der preußischen Sentrumsfraktion einwandfreie Informationen über das Verhalten einzelner Abgeordneter eingetroffen find.

Bundesgenossen.

Kommunisten und preußische Reaktion.

Die Kommunisten greifen die Drohung der Rechtsparteien mit einer Staatsfrise cuf. Das ist es, was sie gewollt haben. Die Rote Fahne " schreibt:

Was das Zentrum in seinem Aufsatz verschweigt, ist die Tat­sache, daß die militaristischen Kreise im Zusammenhang mit der Schwerindustrie faltblütig einen neuen Aus= na hmezustand vorbereiten. Die Arbeiterschaft muß sich

auf sehr ernste 3uspigungen in nächster 3eit einstellen. lieber die Pläne der Staatsstreichler werden wir morgen tonkrete Angaben veröffentlichen."

Erste Tatsache: Schwerindustrie und Militaristen be­reiten einen neuen Ausnahmezustand vor- behauptet die Rote Fahne". Die Kommunisten im Landtag helfen Schweindustrie und Militaristen, die Regierung in Preußen zu erobern.

Schlußfolgerung: Die Kommunisten 100 II en einen neuen Ausnahmezustand. 3weite Tatsache: Die preußische Reaktion trägt jich mit Staatsstreichplänen.

Die Kommunisten im Landtag halten dem Block der preußischen Reaktion, der Junker und Schlotbarone, den Steigbügel.

Schlußfolgerung: Die Kommunist en wollen den Staatsstreich der Reaktion.

Bürgerblock in Bremen .

Bremen , 30. Januar. ( WTB.) Nachdem die Bildung der großen Roalition für den Bremer Senat gescheitert war und auáj die fleine Koalition feine Aussicht hatte, haben sich die bürger­lichen Frattionen dahin geeinigt. den Senat von sich aus ohne die Sozialdemokraten zu wählten. Die bürgerliche Vorschlagsliste für den am 30. Januar zu wählenden Senat sicht drei Deutschnationale, funi Mitglieder der Deutschen Bolfspartei und iechs Demokraten vor. Dieser Senat würde sich auf eine Mehr­heit von 65 Stimmen stützen. Voraussichtlich werden auch die Sozialisten und die Kommunisten je eine Lifte einbringen.

Der 700- Millionen- Skandal.

Hilflose Bertuschungsmanöver der Rechten.

Entsprechend der Haltung der Rechtsparteien im Haus haltsausschuß des Reichstages sucht auch die Rechtspresse den Finanzstanda: mit den Ruhrentschädigungen zu vertuschen oder zu rechtfertigen, Erneut taucht dabei die wissentliche Lüge auf, die Berantwortung dafür treffe die große Koalition, also die Sozialdemokratie. Daß die Kommunisten die großkapitalistischen Parteien bei dieser Lüge unterstügen, ist selbstverständlich.

Um dieser Lüge ein für allemal den fachlichen Boden zu rauben, stellen wir folgende Daten jest: am 3. Oktober 1923 ist der sozialdemokratische Reichsfinanzminister Dr. Hilferding zurückgetreten. Am 2. November 1923 traten die übrigen sozialdemokratischen Minister Dr. Radbruch, Schmidt und Sollmann zurück. Von diesem Augenblid an war die Regierung völlig sozialistenrein. Der erste Brief Stresemanns ist aber erst am 12. No= Dember 1923, alfo 10 Tage nach dem Austritt der Sozial demofraten, geschrieben. Der Abschluß der Micum= Berträge, für die die Entschädigungen gezahlt wurden, ist am 23. november 1923 erfolgt. Die Sozialdemo­fratie hat alfo weder in der Zeit, wo sie durch Minister in der Regierung vertreten war, aber auch nicht nachher irgend eine Verantwortung für den sich später entwickelnden Finanz­standal übernommen.

Die deutschnationale Presse mag nicht glauben, daß mit der Erörterung der Angelegenheit im Haushaltsausschuß des Reichstages das letzte Wort gesprochen sei. Im Gegenteil, auch menn alle beteiligten oder nicht beteiligten Stellen sich mit der Bertuschung noch fo große Mühe geben, wird sie nicht gelingen. 715 Millionen Goldmart, also fast derselbe Betrag, den Deutschland durch die auslän=

( Stürmischer langanhaltender Beifall links und im Zentrum.) dische Anleihe erhalten hat, ist eine jo gewaltige

Dr. v. Kries( Dnafl.). Pied( Komm.)..

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175 Stimmen

39

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99

Somit ist der Abgeordnete Otto Braun zum Mi niferpräsidenten gewählt.( Erneutet lang anhal­tenter Beifall der republikanischen Mehrheit.)

Der Präsident erbittet die Ermächtigung, Tag und Tages­ordung der nächsten Sigung festzusehen, fie werde Anfang tommender Woche stattfinden.

Summe, daß Aufklärung bis in das letzte Detail hinein not wendig ist. Wie unangenehm den Großkapitalisten die Auf­deckung dieser Angelegenheit ist, das beweist das Berhalten der 3eit", des Organs des Herrn Stresemann. Dieses Blatt bringt es fertig, aus dem amtlichen Bericht die Zahlen des Staatssetretärs Fischer zu unterschlagen.

Noch schamloser ist ein anderes Blatt. In der Deut schen Bergwertszeitung" vom 28. Januar 1925 wird in einem Leitauffaz den Gewerkschaftenderschärfste

Kampf angesagt, weil sie den Kampf für den Acht= stundentag erzwingen. Das sei nicht möglich, denn der In­duſtrie und dem Bergbau ginge es jämmerlich. Sie feien überschuldet, sie hätten die gesamten Micum­la st en getragen. Die entscheidende Stelle dieses Artikels lautet:

Die behauptete Besserung der Lage des Bergbous dürfte doch noch sehr problematisch sein. Er ist größtenteils noch verschuldeier, als die Eiſenindustrie und hat nicht minder schwere Zeiten durchgemacht. Der Fortfall der Micum- Lasten und die( bisher nur versprochenen) Entschädigungen durch das Reich werden dazu verwandt werden müssen, die dringendsten Schulden abzudecken und die notwendigen Berbesserungen der Bestände vor­zunehmen."

Nicht wahr, die Herren sind sehr wahrheitsliebend? Sie haben bereits 655 Millionen in der Tasche, fagen aber trotzdem ihren dummen Arbeitern: bisher haben wir feinen Pfennig erhalten. Warum sollte man auch die Wahrheit sagen, wo man annehmen durfte, daß das Reichsfinanzministerium unter der Leitung des Herrn Luther oder des Herrn von Schlieben mit den Zechenindu­striellen an einem Strang zog und wir begreifen völlig, daß alle die Herrschaften, die durch die Aufdeckung des Finanz­standals durch die Sozialdemokratie unangenehm berührt find, nicht gerade liebenswürdig über uns urteilen.

Montanwerte steigen.

Die Folgen des 700 Millionen- Geschenks. Die Börse sekte zu Beginn außerordentlich lebhaft ein. Der Ultimo ist völlig überwunden und die Spefulation schreitet wieder in großem Umfange zu Dedungen. Man hörte heute haupt­fächlich Geldkurse Auch aus dem Rheinland liegen größere Aufträge vor und so bewegte sich das Kursniveau ganz allgemein nach oben. Die Führung der Bewegung hatten, wie immer, die Montonwerte. Unter ihnen die ober­schlesischen Berte, die ihre Kurse erheblich verbessern konnten. Auch Phönig stand im Vordergrund des Jnteresses, ebenso Harpener und Hösch. Stärferes Interesse zeigte sich in Elektrowerten. Akkumula­toren setzten zu höheren Kursen ein. Die Stinnes- Werte lagen leicht abgeschwächt.