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Nr.140 42. Jahrgang Ausgabe A nr. 71

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Dienstag, den 24. März 1925

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Stresemann vor den Staatsgerichtshof!

Die Forderung der Alldeutschen.  - Der Rechtsblock in Verwirrung.- Ist die Regierung aktionsfähig?- Gefährdung des Sicherheitspaktes.

Durch die Beröffentlichungen des ,, Borwärts" und der Bossischen 3eitung" vom Sonntag hat die Deffent lichkeit Kenntnis erhalten von dem ernsten Konflikt, der zwischen dem Reichsaußenminister und der deutschnationalen Meichstagsfraktion über die Frage des Sicherheitspattes be steht. Die nervöse Hast, mit der die Reichsleitung und die deutschnationalen Führer zusammengetreten sind, um in der letzten Wahlwache die Einigkeit nach außen notdürftig aufrecht zuerhalten, ist Beweis für die innere Richtigkeit der von uns mitgeteilten Tatsachen. Die amtlichen Veröffentlichungen der Deutschnationalen geben den Sachverhalt zu. Sie versuchen nur, ihn zu verdunkein, um die Wirkung des Offenbarmerdens des Konfliktes abzubrechen. Die Rechtspresse versucht mit Schweigen und Ablenkungsversuchen den Schleier über den inneren Verhältnissen der Regierung wieder zuzuziehen. Ber­gebens; die Dinge sind flar genug, und die Besprechungen in der Reichskanzlei haben im Grunde genommen nur weitere Klarkeit geschaffen.

Indessen bleiben Fragen, die noch der Klärung be dürfen. Wer hat den Anstoß gegeben, wer hat den Konflikt ans Licht der Deffentlichkeit gezogen? Die Presse aller Parteien stellt darüber Betrachtungen an. Die Rechtspresse, soweit fie lügen mill, spricht von einem Wahlmanöver der Linfen  , soweit sie einfieht, daß es nichts mehr zu vertuschen ist; spricht sie von Vertrauensbruch. Wer hat den Ber­trauensbruch begangen?

Wer ist der Urheber?

Der Lokal- Anzeiger" hat von anonymen Buschriften ge­sprochen, die den Zeitungsredaktionen aus dem Reichstag zu gegangen wären. Nachdem der ,, Lokal- Anzeiger" selbst diese ſchließlich nur für die deutschnationale Reichstagsfraktion blamable Tatsache festgestellt hat, haben wir feinen Anlaß mehr, über die Herkunft unserer Informationen nicht zu reden. Wir erhielten am Sonnabend nachmittag eine anonyme Zu­schrift. Der Verfaffer nannte sich nicht. Mit einer gewissen Kunst war auf das Aeußere der Zuschrift Wert gelegt, so daß die Prüfung einwandfrei ergab, daß es sich um die Zuschrift einer politischen Persönlichkeit handele, und man mußte zu dem Schluß fommen: um eine Persönlichkeit aus der deutschnationalen Reichstagsfraktion. Nicht nur das Aeußere, sondern auch der fachliche Inhalt trug alle Rennzeichen der Zuverlässigkeit. Er stand im Einflang mit den bereits bekannten politischen Tatsachen. Die Erkundi­gungen, die wir über die Angaben der Zuschrift einzogen, be­ftätigten uns, daß es sich nicht um eine Erfindung oder um ein Gerücht, sondern um Tatsachen handelte. Eine gewisse Ge­reiztheit und ein gemisses Gefühl des Triumphes über den Reichsaußenminister Stresemann   fonnten die Wahrschein lichkeit nur erhöhen, daß es sich um den Bericht einer authen­tisch unterrichteten politischen Persönlichkeit handelte. Die Stellungnahme der Deutschnationalen hat inzwischen bestätigt, daß der lirheber dieses Schreibens nichts erfunden, sondern eine geheime Attion der Deutschnationalen öffentlich gemacht hat. Es bleiben zwei Rätsel zu lösen: 1. wer ist der Urheber dieser Zuschrift? 2. woher weiß der Lokal- Anzeiger", daß eine solche anonyme Buschrift an Zeitungsredaktionen ge­gangen ist? Das zweite ist die Sache des Lokal- Anzeigers". Ueber das erste stellt die Presse von gestern abend Betrachtun­

gen an.

Das Rätselraten über den Briefschreiber. Die Zeit", das Organ des Herrn Stresemann, das mohl unterrichtet ist, erzählt von einem höchst durch fichtigen demokratischen Manöver". Der Tag" spricht in seiner Nachtausgabe von einem ,, verzweifelten Schritt von Parlamentariern der Linken". Das sind sehr schlechte Manöver, die von der richtigen Spur abziehen sollen, Manöver, die auf politische Kindergemüter be­rechnet sind. Wer soll denn glauben, daß ein sozialdemokra tischer Abgeordneter oder Journalist, der von den Beschlüssen der deutschnationalen Reichstagsfraktion Kenntnis erhalten hätte, darüber dem Vorwärts" einen anonymen Brief ge schrieben hätte! Da wäre schon die Kombination der Ger mania" naheliegender, die der deutsch   nationalen Reichstagsfrattion zutraut, daß es sich nur um ein agitatorisches Manöver der Deutschnationalen selber handelt, mit dem sie auf die zum Rechtsabmarsch bereiten enttäuschten extremen Deutschnationalen und Wähler wirten mollen.

Wirft man aber die Frage auf, wer ein Interesse an einer solchen anonymen Information der Lintspreffe hat

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- und es handelt sich um eine authentische Information Hier zeige fidh am flarsten, wie bedentlich die Teil fo geminnt die Angelegenheit sofort ein politisches Gesicht. Es ❘nahme nationaler Parteien an einer handelt sich nicht um ein Wahlmanöver, wie die Presse des Jarres- Blods jezt glauben machen möchte, sondern um einen politischen Borstoß, der sich gegen den Reichsaußenminister einerseits, gegen die Beteiligung der Deutschnationalen an einer Regierung andererseits richtet, die eine Außenpolitik im Geifte der Erfüllungspolitik betreibt. Dieser poli­tische Vorstoß geht parallel mit den Borstößen, die der A11 deutsche Berband und mit ihm die Deutsche 3ei tung" gegen Stresemann   führen. Das 8- Uhr- Abend Blatt" zieht deshalb die Folgerung: anonymer Vorstoß des völkischen Flügels der Deutschnatio nalen.

Man darf annehmen, daß die deutschnationale Reichs tagsfraktion sich bemühen wird, wenigstens eine interne Lösung des Rätsels herbeizuführen. Die Herren müssen ja wissen, wie gut unterrichtet der Briefschreiber war.

Stresemann muß vor den Staatsgerichtshof! Der Kern des Konfliftes liegt flar. Mindestens ein Teil der deutschnationalen Reichstagsfraktion ist in offener Rebellion gegen Stresemann   und den Sicherheits: paft. Nur mit Mühe versucht die Rechtspresse die Schärfe des Gegenfazes abzubiegen. Die Deutsche Tageszeitung" spricht von nie ausbleibenden, aber lediglich taktischen Mei­nungsverschiedenheiten", und der Lokal- Anzeiger" gesteht:

Daß gegen den Gedanken, den Franzosen die Gewalt­grenzen des Versailler Bertrags garantieren 3u follen, außerordentlich wichtige Impondera bilien sprechen, das ist eine Tatsache, die hier immer wieder betont worden ist. Daß diche Bedenken vaterländischer Moral in den Reihen der Deutschnationalen Volks. partei ganz besonders start empfunden werden, ist gleichfalls eine Selbstverständlichkeit.... Es gehört die ganze Gewiffenlosigkeit der Linken in außenpoliti schen Fragen dazumen wundert es, bei dieser Gelegenheit die Boffische Zeitung" in derselben Reihe mit dem Vorwärts zu finden?- um diese Dinge im Augenblick in die Deffentlichkeit zu ziehen und durch die verlogene Form, in der das geschieht, der chauvinistischen Opposition in Frankreich   gegen Herriot   und damit dessen Gelüften, ihr nachzugeben, Borspann zu leisten."

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Das ist erstens ein offenes Geständnis. Zweitens eine Unverschämtheit gerade vom Lokal- Anzeiger", drittens eine Blamage für die nationale Opposition", der unterstellt wird, daß fie sich nur ganz im geheimen zu opponieren getraute, und viertens geht der erhobene Vorwurf an die falsche Adresse. Wer den Konflikt sehen will, braucht sich nur über die Tagung des Gesamtvorstandes des Allde ut schen Verbandes zu unterrichten und die Deutsche 3eitung" von gestern abend zu lesen. Da heißt es an leitender Stelle:

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Derweils aber erbietet sich der Reichsaußenminister Dr. Stresemann   aus eigener Willkür, ohne das Barla ment zu befragen, ja ohne das Reichstabinett zu unter­richten, und selbstverständlich ganz besonders ohne das deutsche Bolt zu hören, dem Feinde die im Friedensbittat fest. gelegten Gewaltgrenzen zu garantieren" und die Zusicherung freiwilligen Anerkennung Schmach auszusprechen, in der Millionen von Deutschen   getrennt vom Reich gehalten werden! Kein Schrei der Empörung und der Entrüstung über dieses ungeheuerliche Unterfangen aber durchbraufte das Land, tein einhelliges, vom Norden zum Süden, vom Osten zum Westen geliendes Ne in!" antwortete dem Manne, der dem deutschen   Volte das Anfinnen, zu stellen wagte, Verrat zu üben an den Brüdern draußen!" Berrat an den Brüdern draußen? Sind das taktische Meinungsverschiedenheiten"?

Da steht eine Rede des Justizrats C1a B, dem Borsigenden des Alldeutschen Verbandes  , in der es heißt:

Herr Stresemann führt Bismard gern und oft im Munde - mit dem Wesen bismardischer Staatsfunft hat sein Berhalten als Parteiführer und Minister leider nichts gemein. Er soll erfahren, daß die ehrliebenden Deutschen   sich gegen seine un­Derantwortliche Politit mit aller Leidenschaft auflehnen und sie verwerfen. Aber alle Welt soll missen, b'e fonders auch das feindliche Ausland, daß das deutsche Bolf seine natürlichen und unverzichtbaren Ansprüche an die Zukunft nicht durch einen Minister preisgeben lasse, der Ein tagspolitit betreibe,"

nicht eindeutig nationalen Regierung sei. Alle Hoffnungen, die man in den Kreisen, die darauf hin drängten, daran geknüpft habe, seien fo fort widerlegt worden, und als Ergebnis bliebe die entsetzliche Tatsache, daß es mindestens nach außen hin in den Parlamenten eine nationale Oppo fition nicht mehr gäbe. Was liege näher als die Gefahr, daß die nationalen Parteien damit sich selbst zugrunde richteten, indem sie jedes Vertrauen vor der Deffentlichkeit verlören? Trau rig sei auch das Verhalten der Presse, die man als deutschnational oder dieser Partei nahestehend bezeichne. Rirchhofsruhe ist eingetreten- eine Ruhe, die an die trostlosen Zeiten des Bethmannschen Burgfriedens erinnere, die mehr als alles andere die nationale Widerstandskraft zermürbt habe.

In solcher Hilflosigkeit der nationalen Kräfte stche noch der Eintritt Deutschlands   in den Völkerbund zur Er­Brierung, für den aufrechte Deutsche auch nur ein fal. testestes verachtungsvolles Mein haben müßten. Wer traut dem Auswärtigen Amt   oder der Leitung des Herrn Dr. Stresemann zu, daß hier die notwendige Widerstandskraft bewiesen werden würde? Aber das Maß ist voll Herr Stresemann   hat das Recht verwirkt, an der Leis tung der auswärtigen Geschäfte belassen zu wers den, und der Ruf mag durch das Land gehen: Fort mit einem solchen Minister! Das sollte eine Selbstverständlichkeit sein wird aber dem ungeheuren Maß von Schuld noch nicht gerecht, das dieser Minister auf geladen hat.

Herr Stresemann gehört vor den Staatsgerichtshof, damit er sich wegen feines Frevels verantworte.

wir draußen im Lande erwarten und verlangen, daß die vater­ländische Gruppe im Reichstag   die Antlage betreibe. Die Eintagsgrößen müssen endlich erfahren, daß sie mit Ewigkeitsmerten nicht spielen dürfen."

Stresemann vor den Staatsgerichtshof! In Berlin  leimen die Schiele und Schlieben   und Neuhaus mit Stresemann aus wahltaktischen Gründen die Einigkeit auf fünf Wochen, in Dresden   redet sie Herr Claß auseinander. Die Forderung: Stresemann   vor den Staatsgerichtshof! wird in einer Entschließung des Alldeutschen Verbandes  offiziell aufgenommen und wiederholt. Auf dieser Tagung des Alldeutschen Verbandes   waren die deutschnationalen Reichstagsabgeordneten Gof, der Werftdirektor von Blohm u. Boß, und der Landgerichtsrot Lohmann anwesend. Auch sie stimmten zu, auch ihr Ziel ist:" Berhinderung des Garantiepaftes!" Sie stehen nicht allein in der deutsch­nationalen Reichstagsfraktion! Für wen sprechen also die deutschnationalen Führer, die bis zur Wahl den Konflikt per­tuschen wollen? Ist es richtig, daß sie selbst erklären, sie fönnten für ihre Frattion nicht garantieren?

Bielleicht ist Herrn Stresemann bei so viel Einmütig­feif doch nicht ganz wohl. Vielleicht denkt er daran, wie der Ruf des Herrn Claß: vor den Staatsgerichtshof! auf natio­nalistische Heicksporne wirken kann. Vielleicht ist seine einzige Hoffnung, daß jetzt weder der Reichstag, noch die deutschnatio nale Frattion versammelt ist. Einmütigkeit also, weil keiner da ist.

Ueberhaupt eine famose Einmütigkeit! An der ist sogar die Deutsche Zeitung" beteiligt. Vorne ruft sie: Stresemann   vor den Staatsgerichtshof!", hinten auf der vierten Seite schreibt sie:

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die

,, Trotzdem haben sowohl der Vorwärts" wie Bossische Zeitung", die durch einen Vertrauensbruch Kenntnis von den Vorgängen im Reichstag erhalten hatten, es zu­wege gebracht, am gestrigen Sonntag in aufgeregten Aufsätzen Zweck und Ziel der ermähnten Besprechungen zu entstellen, um aus durchsichtigem Grunde, einen fchweren 3wiefpaft innerhalb der Reichsregierung zu erfinden."

Muß man noch einen Zwiespalt, in der Reichsregierung erfinden, wenn Zeitungen und Abgeordnete einer Regie­rungspartei rufen: den Außenminister vor den Staats­gerichtshof?

Dann geht es weiter in der Deutschen Zeitung":

Irgendeinem Zweifel darf es aber trotzdem nicht unterliegen, daß nicht nur die um den Alldeutschen Berband sich gruppierenden Vereinigungen und Voltstreife, sondern auch die ganze Deutschnationale Bolkspartei durchaus nicht gemillt ist, in 3ufunft eine Auslandspolitit zuzulaffen, die den Bes Langen bes beutschen Boltes piderspricht. So ehrlig und ge