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fr. 148 42. Jahrgang

Kromm

Sonnabend, 28. März 1925

1. Beilage des Vorwärts DIE ERHOLUNGSPFLECE DER STADT BERLIN  

DÍE

Eine wesentliche Besserung des Gesundheitszustandes der Ber-| Winterverschidungen nachbewilligten. Auch vom Verein Land­liner Schulkinder kann bis zum heutigen Tage feineswegs feftaufenthalt für Stadttinder wurden Mittel in fast der gleichen gestellt werden. Dagegen ist eine ständige Steigerung der Zahl der Höhe dem Jugendamt überwiesen. Leider hat der Verein schon Kinder zu beobachten, die nach der Schulentlassung wegen darauf hingewiesen, daß er im nächsten Jahr in ähnlicher Weise ihrer schwachen Gesundheit nicht imstande sind, Mitteln, über die die Bezirksämter verfügen konnten, nicht einmal nicht wird helfen fönnen. Angesichts des Umstandes, daß mit den einen Beruf zu ergreifen. Vom wirtschaftlichen und be Dölferungspolitischen Standpunfte aus betrachtet, ein sehr beden?. liches Zeichen. Schon aus diesen Gründen ist die Erholungspflege ein Problem von außerordentlicher Bedeutung, dessen Wichtigkeit von jedem Menschen eigentlich erkannt werden müßte. Das schein: jedoch bei den Finanzgewaltigen und dem Magistrat des Berliner  Gemeinwesens nicht der Fall zu sein, wenn man die Vorverhand­lungen über den Berliner   Etat als Moßstab anlegt. Ausgerechnet bei der Jugendpflege, bei Kinderspeisung und Kinderverschickung mill man sparen, trotz der furchtbaren Jugendnot, die auch der Oberbürgermeister Böß in seiner Zusammenstellung über die Not in Berlin  " mit geradezu graufigen Zahlen belegt. Was nügen solche Broschüren des Stadtoberhauptes, wenn man nicht geneigt ist, zit ben notwendigen Taten zu schreiten. Mundspitzen genügt nicht, es nuß gepfiffen werden!

Geringe Mittel für Kinderverschickung.

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Im Etatsjahr 1924, das mit dem März zu Ende geht, war den Bezirksämtern für Kinderverschickung insgesamt ein Betrag von 140 000 m. zur Verfügung gestellt worden. Dazu kamen noc 100 000 m. als Nachtrag zur Durchführung von Winterfuren. Bei den jezigen Verhandlungen steht die Finanzverwaltung auf dem Standpunkt, im Höchstfalle etwa 200 000 m. für alle Berliner   Be­zirke bewilligen zu fönnen. Das entspricht feineswegs der Be­deutung des Aufgabengebietes. Wenn es im Jahre 1924 dazu ge fommen ist, nur verhältnismäßig geringe Mittel bereitzustellen, so ist dies zum Teil aus den Verhältnissen der vorhergehenden Sahre zu erklären. Die Stadt war gezwungen, überall dort zu sparen, wo es irgendwie möglich erschien. Bei der Kinderver­schidung schien diese Möglichkeit gegeben, da das Ausland in weit­gehendstem Maße helfend eingriff. Viele Taufende sind bisher jährlich in das Ausland, nach der Schweiz  , nach Skandinavien  , nach der Tschechoslowakei   und nach Desterreich verschickt worden. In größerem Umfange wurden ferner Auslandsmittel für Inland­verfchidungen zur Verfügung gestellt. Diese Leistungen fallen gänzlich fort. Dazu fommt folgendes: Während es noch vor einigen Jahren möglich mar, in ländlichen Einzelpflegestellen des Inlandes jährlich etwa 40 000 Berliner   Kinder unterzubringen, ist die Zahl dieser Erholungspflegeftellen in den letzten Jahren auf 6000 bis SC00 jährlich zurückgegangen. Die Aufnahmefreudigkeit der länd­lichen Bevölkerung hat also außerordentlich start nachgelassen. Biele Besizer sehen in jedem Berliner   Kind einen angehenden Spartafiften", außerdem sind die Kinder den Befizern meist zu schwach, um ihre Wohltat" durch Arbeitsleistung ausgleichen lassen zu können. Schon im Jahre 1924 haben sich daher die Etatsmittel für die Erholungspflege, obwohl noch zahlreiche Auslandsstellen und größere Auslandsmittel zur Verfügung standen, als völlig un­zureichend erwiesen. Die städtischen Körperschaften haben diesem Umstande bereits Rechnung getragen, daß sie 100 000 m. für

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Anthony John.

Roman von Jerome K.   Jerome.

4.

Auf den seltsamen Besuch des Wanderpeters folgte eine Periode des Wohlstands. John Sirong'nth'arm fehrte als anderer Mensch in die Werkstatt zurüd, oder zumindest schien dies dem kleinen Anthony so. Der Vater hatte sich in einen rührigen, selbstsicheren Menschen verwandelt, der während der Arbeit munter zu pfeifen pflegte. Die Bestellung, die er vor feiner Krankheit angenommen hatte, war gut ausgeführt und rechtzeitig abgeliefert worden; weitere Bestellungen gingen ein. Es famen sogar Zeiten, da der Vater in der Werkstatt der Hilfe eines alten Refselflickers und dessen halb blödsinnigen Sohnes bedurfte. Frau Strong'nth'arm liebte es im Ge­spräch mit den Nachbarn beiläufig ,, unsere Arbeiter" zu er= wähnen. Auch der Onkel in Australien  , oder anderswo, der in den letzten Jahren zu einem Schatten verblaßt war, er­schien wieder auf der Bildfläche. Erfüllt vom Aberglauben des Spielers, daß alles gut geht, wenn sich einmal das Glück wendet, betrachtete Frau Strong'nth'arm den plötzlichen Tod des Onfels als eine bloße Frage der Zeit. Sie fragte fich häufig, wie viel er ihnen wohl hinterlassen würde; hoffentlich genug, damit sie als Herrschaften leben fönnten.

Was sind Herrschaften?" fragte Anthony, dem gegen über sie dieser Hoffnung Ausdrud verliehen hatte.

Die Mutter erklärte, Herrschaften seien Leute, die ihren Lebensunterhalt nicht zu verdienen brauchen; Frau Strong's nth'arm hatte bei derartigen Menschen gedient und fannte sie. Es gab auch noch andere, die in Bureaus saßen und Befehle erteilten. Dieser niedrigere Rang fonnte durch Fleiß und Tugend erflommen werden. Vor allem aber mußte man hierzu die Schule besuchen und viel lernen. Die Mutter fchang die mageren Arme um den Knaben und drückte ihn leidenschaftlich an die flache Brust.

,, Du wirst ein Herr werden," prophezeite sie. Ich fühle es. Bete feit deiner Geburt jeden Abend darum." Sie erstickte ihn fast mit Küssen und stellte ihn auf den Boden. Sag dem Vater nichts davon," fügte sie hinzu. Das versteht er nicht."

Anthony John hoffte, der Onkel in Australien   werde thnen nicht allzu viel Geld hinterlassen. Er liebte die Arbeit; es behagte ihm, mit Dingen zu fämpfen, Herr über sie zu

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Denkt an diese!

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die Fälle dringendster Erholungsbedürftigkeit versorgt werden fonnten, hat sich daher die Konferenz der Bezirksjugend. amts dezernenten im November einmütig auf den Stand punft gestellt, daß für 1925 mindestens 800 000 m. erforderlich sind, um den Jugendämtern die Durchführung der Arbeit zu ermöglichen.

25 Proz. der Kinder erholungsbedürftig. Daß dieser Betrag das Mindestmaß dessen darstellt, was zur Durchführung der Erholungspflege erforderlich ist, dürfte schon aus folgender Aufrechnung klar hervorgehen: Im Sommer 1924 gab es in Groß- Berlin insgesamt 824 Schulen mit 402 479 Schülern.

werden, die Werkstatt aufzuräumen, die Hunde des Onkels zu kämmen. Sogar das Anstecken des Herdfeuers war ein Bergnügen, selbst dann, wenn es so falt mar, daß man nicht wußte, ob man überhaupt noch eine Nase habe und nur fühlte, was die Hände tun, indem man sie anschaute. Er zündete Papier   an, bließ auf die kleine Flamme, beobachtete, wie sie anwuchs, nährte sie, lenkte sie. Und hatte er gefiegt, so wärmte er sich die Hände. In den vielen Stunden, da er müßig sein mußte, hatte der Vater den leinen Anthony lefen gelehrt. Sie saßen nebeneinander auf dem Werkstatt­tisch, mit baumelnden Beinen, zwischen sich das offene Buch. Auch schreiben erlernte er auf etwas phantastische Art, nach dem er die Mutter darüber klagen gehört, daß sie es in ihrer Jugend nicht gelernt hatte. Die Mutter war überzeugt, daß er ein großer Gelehrter werden würde. Sie wollte ihn in eine erflusive Vorbereitungsschule" schicken, die von zwei alten Jungfern von unzweifelhafter Vornehmheit eröffnet worden war. Der Prospekt der Schule verkündete den Herr­schaften der Nachbarschaft", daß die Fräuleins Warmington besonderes Gewicht auf gute Manieren und korrektes Ber­halten legten.

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Der Bater wollte von dem Fräulein Warmington nichts wissen er hatte sie im Zusammenhang mit einem Kessel fennengelernt. Spöttisch ahmte er die hohe schrille Stimme des älteren Fräuleins Warmington nach. Sie würden den Knaben affig machen, ihn Dinge lehren, die nicht zu seinem Stand paßten. Weshalb sollte Anthony John nicht lieber die Gemeindeschule besuchen, die nur zwei Straßen weit entfernt liegt, und wo er mit Seinesgleichen zusammenkommt und nicht von oben herab behandelt wird? Die Mutter wollte nicht zugeben, daß die Kinder der Nachbarschaft Ihres gleichen" seien. Die Strong'nth'arms waren einst fast Herr schaften gewesen. In der Gemeindeschule würde der Knabe schlechte Manieren und eine gemeine Ausdrucksweise lernen. Sie fegte ihren Willen durch, wie dies letzten Endes immer geschah. Angetan in ihren besten Kleidern, führte sie den von Kopf bis zum Fuß mit neuen Gewändern ausgestatteten Anthony zu der erklusiven Vorbereitungsschule" der Fräuleins Warmington. Die Schule befand sich in einem der kleinen altmodischen Häuser, die zwischen der Altstadt und dem La­byrinth der neuen engen Straßen im Westen die Verbindung herstellten. Die beiden wurden in das Wohnzimmer geführt. Ueber dem Marmorkamin hing das Bild eines Offiziers mit hölzernem Gesicht, die Brust mit Orden bedeckt. An der gegen überliegenden Wand, über dem grünen Ripssofa, war eine

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Wenn man für die Verschickung eines Kindes auf 6 Wochen eine: Mindestbetrag von 70 m zugrunde legt, so kann man für 200 000 Mart rund 2500 Kinder im Jahr verschicken. Es tämen demnach ½ Proz. aller Schüler oder von jeder Schule etwa 2 Kinder auf 25 Broz. mehr sein können, da eine Anzahl der Verschickten in der städtische Kosten zur Verschickung. In Wirklichkeit werden es etwa Lage sein wird, einen Beitrag zu den Verpflegungskosten zu leisten. Immerhin dürfte aber auch dann die Zahl der in den Er­holungsaufenthalt verschickten Kinder so gering sein, daß von einer wirksamen Hilfsaktion faum zu reden ist, wenn man bedenkt, daß von den Schulärzten mindestens 25 Proz. aller Schulkinder als er­holungsbedürftig bezeichnet werden. Es darf in diesem Zusammen­hang auch darauf hingewiesen werden, was über die Leistungen der Etadt Wien  , der sozialistischen   Kommune, auf diesem Gebiete bc­fannt geworden ist. Wie die Gemeinde" in Heft 4( 2. Augustheft 1924) berichtet, will die Stadt Wien   nicht weniger als 50 000 Wiener Kinder 8 Wochen lang Erholungsaufenthalt in ihren Kinder­heimen gewähren. Außerdem hat die Stadtverwaltung beschlossen, daß jedes erholungsbedürftige Wiener Kind im Laufe feiner Schul­zeit mindestens zweimal je 8 Wochen in Erholung geschickt werden foll. Es geht aus den Mitteilungen der Zeitschrift klar hervor, daß die Leistungen Wiens ganz offensichtlich weit über diejenigen ber Stadt Berlin   hinausgehen. Der von dem Bezirksdezernenten an­geforderte Betrag von 800 000 20. dürfte jedenfalls das Mindest maß dessen darstellen, was für eine erfolgreiche Durchführung der Erholungsfürsorge erforderlich erscheint.

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Sollte der Magistrat bei den jezigen Verhandlungen nicht noch ganz wesentlich seine Stellung ändern, dann wird es Aufgabe unserer Genossen in Gemeindeparlament sein, dem mit aller Energie cntgegenzutreten. Jede Mark, die man an dem unterernährten Großstadtkinde sparen will, verursachen der Gemeinde und dem Staate später tausendfältige Kosten. Mehr Jugendpflege, mehr Sorge für das Großstadtkind in ideeller und materieller Hinsicht muß die Parole lauten, dann werden weniger Kranten- und Eiechenhäuser, weniger Fürsorgeanstalten notwendig sein.

Die Ueberfallkommandos.

Nach einer Uebersicht des Kommandos der Schuhpolizei sind die Ueberfalltommandos in der Zeit vom 16. Januar bis 15. März d. J. in nicht weniger als 720 Fällen alarmiert morden. Davon waren 657 Fälle begründet. Von diesen waren 280 Fälle von Erfolg, 236 Fälle ohne Erfolg und in 141 Fällen war der Borfall bei Eintreffen des lieberfallfommandos bereits von Polizeistreifen erledigt. Unbegründet waren die Alarmierungen in 63 Fällen. In 47 Fällen wird Strafanzeige gegen den Täter erstattet, in 7 Fällen auslösung der privaten Meldeanlage zurückzuführen. An der Spike fonnte der Täter nicht ermittelt werden, 9 Fälle sind auf Selbst­

der Alarmierungen steht das Ueberfallkommando Wilmersdorf  mit 107 Fällen, dann folgen die Ueberfallkommandos Charlotten­ burg   mit 96, Friedrichshagen   mit 91, Kreuzberg   mit 72, Steglitz   mit 46, Nord mit 44, Lichtenberg   mit 45, Spandau   mit 42, Neukölln mit 35, Tiergarten mit 33, Linden mit 32, Alexander mit 28, Schöneberg  mit 22, Tempelhof mit 15 und Zehlendorf   mit 12 Anrufen.

erschrocken dreinblickende Dame mit Loden und schlanken Fingern zu sehen. Fingern zu sehen. Frau Strong'nth'arm faß am äußersten Rand des Roßhaarfeffels; es fiel ihr schmer, nicht herabzu­gleiten. Anthony John auf einem ebensolchen Stuhl, be wältigte dieses Problem, indem er sich weit zurücklehnte und das eine Bein nach unten schob.

Wenige Augenblicke später erschien das ältere Fräulein Warmington. Eine hochgewachsene hagere Dame, mit einer hervorspringenden gebogenen Nase. Sie entschuldigte sich, weil sie Frau Strong'nth'arm hatte warten lassen, doch schien fie deren ausgestreckte Hand nicht zu sehen. Frau Strong'nth'arm wußte eine Weile nicht, was sie mit ihrer Hand anfangen solle. Sie erflärte den Zweck ihres Besuches, wurde beredt, da sie betonte, wie hoch sie und ihr Mann gute Manieren und ein herrschaftliches Benehmen schützten. Fräulein Warmington lauschte poller Teilnahme, aber ach, die erklusive Vorbereitungs­schule hatte keinen Platz für neue Zöglinge. Frau Strong'nth'arm, die den zarten Wink nicht verstand, sprach von Gerüchten, die das Gegenteil behaupteten. Es wurde nötig, offen zu reden. Dem Fräulein Warmington tue es äußerst leid, aber sie müßten auf die Eltern ihrer Schüler Rücksicht nehmen. Die Schule war eine Vorbereitungsanstalt für junge Damen und Herren; ein Schüler, der aus der Nachbarschaft von Platt Lane komme der Sohn eine Mecha­nifers- zweifellos eines ausgezeichneten Mannes, aber Frau Strong'nth'arm unterbrach das Fräulein. ,, Ein Ingenieur, der Arbeiter anstellt."

Das ältere Fräulein Warmington freute sich darüber, aber es blieb noch immer die Nachbarschaft von Platt Lane. Und auch Frau Strong'nth'arm selbst, die Mutter des Kindes, Fräulein Warmington wollte beileibe nicht unhöflich sein, habe ftets den Dienstbotenberuf für äußerst ehrenhaft gehalten, aber, wie gesagt, die Eltern der Schüler... Und Fräulein War­mington erhob sich zum Zeichen, daß die Unterredung zu ende sei. Bufällig fiel dabei ihr Blick auf Anthony John, der still dafaß, das eine Bein untergeschoben. Frau Strong'nth'arms Augen standen voller Tränen, und sie bemerkte nichts. An­thonn jedoch sah ganz genau den Ausdruck, der auf dem runz­ligen müden Gesicht des älteren Fräuleins Warmington er­schien. Er hatte den gleichen Ausdruck schon mehr als ein­mal bei Leuten, die ihn anblickten, bemerkt.

,, Sie sagen, daß Ihr Gatte Arbeiter anstellt?" fragte sie in verändertem Ton.

( Fortsetzung folgt.)