Abendausgabe
Nr. 163 42. Jahrgang
Ausgabe B Nr. 81
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Berliner Volksblatt
6. April 1925
Berlag und Angetgenebteilung:
Gefchäftszeit 9-5 Uhr
Lindenstraße 3
Zentralorgan der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands
Jarres darf wieder...!
Was sich im Rahmen des Loebell- Ausschusses zwischen dem Sonnabend und dem Montag abgespielt hat, ist bei= spiellos. Die Gefühle, mit denen die vernünftigen Menschen Deutschlands dieses Schauspiel verfolgen, schwantlen zwischen Schadenfreude und Entsetzen. Für die republikanischen Parteien ist es gewiß erfreulich, wenn sich ihre Gegner vor aller Welt bis auf die Knochen blamieren und damit selbst die einzige Aussicht, die ihnen geblieben war, die Aussicht auf eine ehrenvolle Niederlage, preisgeben. Aber betrachtet man diese Borgänge vom Standpunkt der Außenpolitit, fo packt einen ein Grauen. Man muß es von diesem Standpunft aus bedauern, daß der Loebell- Ausschuß den ernsten Kampf um die Reichspräsidentschaft zu einer Kasperle Komödie erniedrigt und der Welt Gelegenheit gibt, über deutsche politische" Ereignisse zu lachen, wie sie vielleicht seit den glorreichen Tagen von Köpenid nicht mehr gelacht hat.
Der Tatbestand.
Wie starte Gründe der Reichsblock hat, sich der Dinge, die er anrichtete, zu schämen, zeigt die Tatsache, daß er selbst einstweilen noch gar nicht dazu zu bringen ist, einen flaren Bericht über sie zu geben. Das einzige Blatt Berlins , das gestern über sie mit Ausführlichkeit berichtete, war der Borwärts". Die Rechtspresse vom Sonntag stellte sich unwissend. Nur der Lokal- Anzeiger" fonnte das volle Herz nicht wahren. Er verkündete:
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Die Bertagung der Verhandlungen( des Loebell- Ausschusses. Red. d. B.") ist darauf zurückzuführen, daß in der Kandidatenfrage für den zweiten Wahlgang ein neuer Borschlag aufgetaucht ift, zu dem die Parteiausschüsse der Deutschnationalen und der Deutschen Volkspartei Stellung nehmen müssen. Von deutsch nationaler Seite war angeregt worden, den Feldmarschall pon Hindenburg für die Reichspräsidentenwahl als Kandidaten aufzustellen. Es hat auch bereits eine Fühlungnahme mit Hinden burg stattgefunden, der sich im Prinzip bereit erklärt hat, einem folchen Ruf Folge zu leisten, wenn fich alle, dem Linksblod nicht angehörende Parteien auf seine Person einigen.
Am Montag morgen muß nun der„ Lokal- Anzeiger" mit teilen, daß Hindenburg abgelehnt hat. Seine Kandidatur war von den Deutsch nationalen angeregt m orden, während die Bolkspartei, wie ihre Presse zeigt, in allen Stadien der Berhandlung an Jarres fefthielt. Die Rechtspresse versucht zu bestreiten, daß im Loebell- Ausschuß 9 Stimmen für Hindenburg und nur noch 3 Stimmen für Jarres abgegeben wurden. Aber die Frage, ob eine förmliche Abstimmung stattgefunden hat, ist nicht entscheidend, das tatsächliche Kräfteverhältnis haben wir mit den Zahlen 9 zu 3 ganz richtig gekennzeichnet.
Hindenburg war, immer laut ,, Lokal- Anzeiger", bereit, die Kandidatur anzunehmen, wenn sich alle Barteten außerhalb des Linksblocks auf sie einigten. Nun hat er abgelehnt, also ist die Einigung nicht erfolgt. Sie fonnte nicht erfolgen, da die Bolkspartei, deren Führer bekanntlich der Außenminister Stresemann ist, diesen Dummenjungen streich unmöglich mitmachen konnte. Oder wäre vielleicht doch für Herrn Stresemann, für den der Reichswehrminister Geßler untragbar" war, der Feldmarschall v. Hindenburg ,, tragbar" gewesen? Das wird niemand annehmen.
Der Reichsblock" will aber nicht einmal soviel zugeben, wie der Lokal- Anzeiger" zugeben hat. Er veröffentlicht folgendes Produkt seiner tomischen Verzweiflung:
In verschiedenen Blättern sind Meldungen über die geftrigen Beratungen des Reichsblocks erschienen, die nicht den Tatsachen entsprechen. Der Reichsblod hat am Sonnabend die politische Lage, die durch den Zusammenschluß der Weimarer Koalition geschaffen ist, eingehend erörtert, und zwar nicht nur mit Bezug auf die Wahl vom 26. April, sondern auch mit Bezug auf die allgemeine politische Zukunft. Dabei wurde zunächst die Kandidaten frage nur unverbindlich besprochen. Auf der Basis einer völligen politischen Uebereinstimmung zwischen dem Reichsblock und Dr. Jarres und zwischen Dr. Jarres und dem Generalfeldmarschall von Hindenburg wurde die Möglichkeit einer Kandidatur des Generalfeldmarschalls erörtert. Eine Abstimmung hat im Reichsblod nicht ftattgefunden. Die endgültigen Verhandlungen des Reichsblocs merben, wie schon angedeutet, nach dem Abschluß verschiedener Be fprechungen und nach Beratung maßgebender Parteiorgane späte stens am Mittwoch stattfinden.
Wenn sich der Reichsblock" nicht nur mit der Reichs: präsidentenwahl beschäftigt, sondern darüber hinaus auch noch bie allgemeine politische Zukunft in seine bewährten Hände nimmt, so fann es ja noch gut werden!
Zur Sache verschweigt die offizielle Erklärung, daß Hin denburg am Sonnabend schon prinzipiell zugesagt hatte und daß er am Sonntag wieder abgefagt hat. Die Reichsblod wähler, die sich nach den offiziellen Erklärungen der ihnen vorgesezten Körperschaft orientieren, bleiben also bezüglich ber Frage Jarres oder Hindenburg ?" bis zum Mitt modh in einem angenehmen Schwebzzustand.
Mieder ein Musterbeispiel politischer Tattit!
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Der„ Reichsblock" in Verzweiflung.
#Die Wirkung.
und welche Wirkung hat das nun erledigte Zwischenspiel diefer Welche Wirkung hätte die Kandidatur Hindenburg gehabt? Kandidatur?
Heute darf gesagt werden, daß alle, die am 26. April einen möglichst glänzenden einen möglichst glänzenden Sieg der Republit wünschen, über die Nachricht, daß Hindenburg als Kandidat aufgestellt werden solle, heimlich gejubelt haben. Der Reichsblod jetzt, mie aus seiner Preffe deutlich hervorgeht, feine legte Heffnung darauf, daß ein Teil der sozialdemokratischen Wähler nicht für Wiarr stimmen, und daß dann Thälmann durch die Stimmen, die er Marr abnimmt, dem Reaktionär zum Siege verhelfen würde. Haben diese Toren nicht überlegt, daß sie mit der Hindenburg - Randidatur auch diese ihre legte Hoffnung zerschlugen? Wir möchten den sozialdemofra tischen, ja wir möchten den kommunistischen Wähler sehen, der nicht in disem Fall so stimmen würde, daß der Sieg der Rechten verhindert wird, nämlich für Marg!
Diele Wirkung fann aber auch nicht dadurch beseitigt werden, daß Hindenburg nun schließlich doch abgelehnt hat und daß nun doch wieder Jarres als màßiger Hindenburg - Erjah aus der Ecke hervorgezogen wird. Die Tatsache, daß der Reichsblock in seiner großen Mehrheit für die Kondidatur Hindenburgs war, fennzeichnet die Rich= tung seines Strebens und die Schärfe seines politischen Urteils.
Wir wollen sehen, wer jetzt noch zuhause bleibt oder den Kommunisten nachläuft, um am 26. April den Sieg diefer reaftionären Hampelmänner zu ermöglichen! Am Mittwoch wird nun wieder das Geschrei für den großen Mann", den ganzen Mann", den„ deutschen Mann", für den armen Jarres einsetzen.
Jarres und Mann? Herr Jarres brauchte tein großer Mann", fein ganzer Mann", er brauchte nur ein Mann zu sein, um für die Fortsetzung dieses Affentheaters zu danken. Jezt, wo offenkundig ist, daß die ganze Reflame für ihn ein bewußter Boltsbetrug war, jetzt wo offenfundig ist, daß der Reichsblod selber ihn mit großer majorität ablehnt, jet wäre es ein Gebot
der Mannesmürde für Herrn Jarres, die ihm angebotene Reichspräsidenten empfehlen als dadurch, daß er nach dem sichere Durchfallskandidatur abzulehnen. Herr Jarres fenn sich durch nichts schlechter zum Schindluderspiel, das man mit ihm getrieben, hat und das das aufrichtigste Mitleid selbst seiner Gegner für ihn erweckte, diese lächerlich gewordene Kandidatur überhaupt noch annimmt.
Im Reichsblock aber ist der Riß offenbar. Die Deutschnationalen rebellieren gegen die volksparteiliche Führung. hatte die Quertreiberei der Hindenburg - Kandidatur überhaupt einen politischen Sinn, fo fonnte es nur der sein, die JarresKandidatur, selbst für den Fall, daß sie blieb, zu unterminieren. Die Parteien der Weimarer Koalition find im ersten Wahlgang getrennt marschiert, sie werden nach glänzend gelungenen Aufmarsch am 26. April vereint schlagen. Die Rechtsparteien haben sich nach einer elend zusammengeflicten Einheitsfandidatur im ersten Wahlgang vor dem zweiten auseinandermanörriert, und wenn sie ihre Einigkeit notgedrungen noch einmal zusammenflicken werden, so sind sie heute doch nur noch ein verwirrter Haufen, der am 26. April geschlagen werden wird.
Das Zwischenspiel mit Doorn.
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Von Hannover aus wurde gestern die Nachricht verbreitet, der dort ansässige alte Herr v. Hindenburg hätte telegraphisch bei seinem„ Obersten Kriegsherrn" in Doorn angefragt, ob er ihm erlaube, die Kandidatur anzunehmen. Wir find nicht in der Lage, diese Nachricht nachprüfen zu fönnen, müssen aber unser Erstaunen darüber ausdrücken, daß der„ Lokal Anzeiger" sie als unsinnig entrüftet zurückweist. 3ugegeben, daß das Wort unsinnig" die Signatur des Tages ist. fo läßt sich doch die innere Logif der Nachricht nicht bestreiten.. Herr v. Hindenburg hat wiederholt erklärt, daß er sich durch den Treueid, den er dem früheren Monarchen geleistet hat, auch heute noch gebunden fühle, und er hat wiederholt in Fällen, in denen er im Zweifel mar, ob fich etwas mit diesem Treueid vereinigen lasse, in Doorn angefragt. Hätte er gestern das gleiche getan, so wäre das doch weiter nichts als
Sozialistischer Wahlsieg in Belgien .
Brüssel , 6. April. ( Eigener Drahtbericht.) Die Kammerwahlen vollzogen sich am Sonntag im ganzen Land in aller Ruhe. Das um drei Uhr nachts vorliegende Wahlergebnis weist sich immer mehr als ein großer fozialistischer Sieg aus. Jeder Wahlkreis weist ausnahmslos einen sehr starten soziaiftischen Stimmengewinn auf. In manchen Industriefreifen machen die fozialistischen Stimmen bis 75 Pro 3. aus. Das Hauptmerkmal der Wahl ist neben dem allüber gemeinen sozialistischen Sieg ein starkes Eindringen der Sozialisten in die bisher von der sozialistischen Bewegung noch unberührten landwirtschaftlichen Gebiete, namentlich in Flandern , aber auch in wallonischen Städten wie Namur . Tournai usw.
Das genaue Ergebnis wird wegen der komplizierten Beredteus am Dienstag vorliegen. Aber schon jetzt scheint ein nung der Liftenverbindung und der Borzugsstimmen erst frühesozialistischer Gewinn von mindestens 6 Mandaten sicher zu fein, nämlich eins, wenn nicht zwei Mandate in der Provinz Ant werpen , ein Mandat in Namur , eins im Hennegan, eins in West flandern , vielleicht eins in Diiflandern, wahrscheinlich ein Mandat in Vervier, wo die Wähler von Eupen- Malmedy dem sozia listischen Kandidaten Somershausen zum Siege verholfen zu haben scheinen und der liberale Kriegsminister Forthomme vermutlich durchfällt, und wahrscheinlich ein Mandat in der Provinz Brabant. Die Liberalen haben große Berluste erlitten, mehrere ihrer bekannten Führer sind durchgefallen. Die& atholiten scheinen sich im allgemeinen zu behaupten, werden aber bestenfalls ein oder zwei Mandate gewinnen. Die Anstrengungen der kommunisten waren in 12 Wahlkreisen vergeblich. 3m reinindustriellen Borinage sowie in Antwerpen haben fie faum ein paar hundert Stimmen erzielt, nur in Lüttich haben sie Aussicht, ihren einzigen Abgeordneten durchzubringen. Allerdings hätten die Sozleliffen ohne das Eingreifen der Kommunisten noch zwei bis drei Mandate erobert. Der fojialinische Sieg muß für belgische Verhältnisse als sehr bedeutend bezeichnet werden; er wird die politische Lage zweifellos start beeinflussen. Eine Regierungsbildung gegen die Sozialisten wird äußerst schwierig werden.
Aeußerungen von Parteiführern.
Brüffel, 6. April( BTB.) Zu dem Wahlergebnis erflärte der fozialistische Parteiführer Bandervelde, die bisherigen Nach. richten berechtigten zu der Behauptung, daß die Lage glanzend und ein großer Sieg der Sozialisten zu erwarten set. In jebem Wahlkreise hätten die Sozialisten Gewinne zu verzeichnen.
Der Führer der Katholiten, Rentin sagte, daß die bisherigen Ergebnisse große Berlufte ber Liberalen und Gewinne
der Sozialisten und besonders auch der Katholiken erkennen ließen. Alles in allem bedeute der Tag einen Sieg für die Katho liten und Sozialisten. Diese beiden Parteien würden fünftig einander gegenüberstehen.
Ein Blick auf den Kampsplay wird das Verständnis für insgesamt 1931 329 Stimmen abgegeben und 186 Abgeord die gestrige Schlacht erleichtern. Im Jahre 1921 wurden nete in die Kammer gewählt. Jezt dürften es vermutlich 187 werden. In Belgien sind alle Männer von über 21 Jahren Es besteht Verhältniswahl wie in wahlberechtigt. Deutschland , aber eine Reichsliste" gibt es nicht. Das Wahl ergebnis von 1921 zeigte das folgende Bild: Abgegebene Simmen
Katholiken Sozialisten. Ciberale
Flämische Frontpartei Kriegsteilnehmer
Drozent der
Gefam zahl
Mandate
774132
40,05
80
672 474
34.80
68
346 419
17,93
33
58 790
3.04
19 401
1,00
1
96,82
186
zersplittert. Die Kommunisten hatten nur im Brüsseler Die restlichen Stimmen waren unter fleinen Grüppchen ablkreis und in Verviers Kandidaten aufgestellt. Sie brachten es auf insgesamt 3165 Stimmen oder 0,18 Proz. der Gesamtwählerschaft. Sie brachten natürlich feinen Abgeordneten durch. Soweit das Gesamtresultat.
Belgien ist in neun Broringen und 30 Wah freise eingegroßen industriellen Provinzen des Hainaut( Hennegau ) teilt. Die Hauptstärke der Sozialisten liegt in den beiden und Lüttich . In den fünf Wahlfreifen des Sennegaus, die insgesamt 31 Abgeordnete wählten, eroberten unsere Ge noffen 18 Site. Sie vereinigten auf sich 55,54 Proz. aller in der Provinz abgegebenen Stimmen. Im Wahlfseis Mons erhielten wir 62,88 Proz. und im Wahlkreis Charleroi fogar 64.76 Broz. aller abgegebenen Stimmen. In den drei Wahlkreisen der Provinz Lüttich eroberten die Sozialisten von insgesamt 22 Mandaten 12 und erhielten 50,90 Proz aller abgegebenen Stimmen. In der Broving Antwerpen erhielten unsere Genossen 31,25 Broz, in der Broving Namur 31.05 Broz., in der Brovin: Brabant 29,07 Broz.. in der Provinz Oft flandern 26 98 Proz. und schließlich in der fast gänzlich landwirtschaftlichen völlig verflerifalifierten Provinz Limburg nur 6,94 Broz. aller abgegebenen Stimmen.