Abendausgabe
Nr. 17742. Jahrgang Ausgabe B Nr. 87
Bezugsbedingungen und Anzeigenpreife And in der Morgenausgabe angegeben Redaktion: SW. 68, Lindenstraße 3 Ferafprecher: Dönhoff 292-293 Sel- Ubreffe: Sozialdemokrat Berlin
Vorwärts
Berliner Volksblatt
5 Pfennig
Mittwoch
15. April 1925
Berlag unb Anzeigenabteilung: Gefchäftszeit 9-5 Uhr
Berleger: Borwärts- Berlag GmbH. Berlin SW. 68, Cindenstraße 3 Fernsprecher: Donhoff 2506-2507
Wählerinnen und Wähler!
Millionen deutscher Boltsgenoffen haben am 29. März ihre Stimmen auf mich vereinigt. Sie haben damit der Sache, der ich diene, ihr Vertrauen befundet. Dafür sage ich ihnen herzlichen Dant. Stolz und achtunggebietend steht die Sozialdemotra. fische Partei nach diesem Wahlkampf da. Ja ruhiger Zuversicht fieht sie dem Tag entgegen, an dem das Bolt durch Mehrheitswillen fein Schidfal in ihre Hände legen wird.
der Reaktion die vereinten Kräfte der Republik entgegenzustellen. Kandidat aller Republikaner ist der frühere Reichskanzler Wilhelm Mary.
Es ist unser aller Pflicht, uns mit allen Kräften für feinen Sieg einzufetzen. Wilhelm Marg wird das hohe Amt, getreu feinem Gelöbnis, Im Geiffe unserer republikanischen Berfaffung unparteilsch verwalten, mie das Ebert tat. Das Staatsoberhaupt darf in seinem Amte nicht Parteimann fein.
Als Staatsmann von Rdng, als Politiker von Erfahrung, hat fich Wilhelm Marr hohe Achtung erworben. Das Ausland erblict in ihm einen würdigen und vertrauenswürdigen Repräsentanfen unseres jungen deutschen Volksftaates. Seine Irene zur Republit ist über jeden Zweifel erhaben.
Auf der anderen Seite steht jetzt Hindenburg ,
der, in politischen Dingen unerfahren, nur ein Werkzeug der Berbände ist, die sich hinter ihn gestellt haben. Sein Sieg wäre ihr Sieg, wäre der Sieg der Kapitalstonzerne, der Monarchisten, der rechtsputschistischen Gruppen, futz aller Kräfte, die Deutschland ins Unglüd gestürzt haben und die, unfähig aus der Geschichte zu lernen, an nichts anderes denken, als an neues Herrenregiment und neue Boltsentrechtung.
Manager Tirpit.
Endlich Erfolg nach zehn Jahren!
Herr v. Tirpit, dessen besondere Beziehungen zur egatten Darstellung von Tatsachen in der ganzen Welt bePannt sind, hat dem Generalfeldmarschall v. Hindenburg er. zählt, das ganze deutsche Bolt werde ihn mit überwältigender Mehrheit zum Reichspräsidenten mählen. Er brauche nur anzunehmen, und alle Röte des Rechtsblocks wären zu Ende und die herrlichen Zeiten der alten Monarchie würden von selbst wieder anfangen.
Der arme Mann hat es Tirpitz geglaubt, demselben Tirpig, der sich schon seit zehn Jahren überlegt, wie er am besten Hindenburg politisch hineinreiten foll! Mit diesen Gedanken und Absichten hat sich Tirpit feit 1915 getragen. Beweis: feine Erinnerungen". Dort schreibt er über ein Gespräch mit der verstorbes nen Raiferin:
Ich sagte ihr, falls Bethmann zusammenbräche, was ja doch möglich sei, müßte Hindenburg heran. Sie meinte, der täte es nicht, wäre wohl auch zu sehr reiner Militär."( Tirpitz, Erinnerungen", 21. April 1915, Seite 473.)
Damals schon wollte Tirpitz Hindenburg politisch managen. Aber Hindenburg war selbst den Hohenzollern zu sehr reiner Gamaschenfnopf, als daß fie ihn als Reichskanzler hätten brauchen können. Tirpiz machte das nichts aus. Er erwog, ob er nicht trotzdem Hindenburg herumfrtegen könne. Unter. dem 26. März 1915 schreibt er: " Hindenburg wäre die Rettung. Ich kenne ihn persönlich, aber nur ganz oberflächlich und habe gar fein Urteil, ob er auch etwas politischen Blid hat. Er soll ein fluger, besonnener Mann fein: der eigentliche spiritus rector für die fühnen und gewagten Unternehmungen im Osten soll Ludendorff sein. Wenn ich Hinden burg etwas fennte, und irgendeinen Vorwand hätte, würde ich zu ihm hinfahren. Ich habe übrigens erfahren, daß der Kron prinz in dieser Richtung tätig sein soll."
Es ist genau zehn Jahre her, daß Tirpit diese Gedanken und Absichten in seinem schlauen und bedenkenlosen Gehirn ermog. Hindenburg wäre die Rettung! So schrieb er vor genau zehn Jahren. Hindenburg ist die Rettung! so rief der Loebell- Ausschuß in diesen Tagen und entsandte Herrn v. Tirpih nach Hannover . Da hatte er seinen Borwand, um zu Hindenburg zu fahren. Genau zehn Jahre hat er darauf warten müssen. Dafür ist es ihm aber auch gelungen. Er hat den alten Herrn herumgefriegt. Ob er in diesen zehn Jahren sich ein Urteil darüber gebildet hat, ob Hindenburg auch etwas politischen Blick habe, steht auf einem anderen Blatt.
Genau so gewiffenlos, genau so oberflächlich, genau so phraseurmäßig wie 1915 hat er heute geschrien: Hindenburg wäre die Rettung. Die Herren werden sich über die Rettung noch sehr verwundern.
Die Bayern gegen Hindenburg . Bergebliche Hoffnungen.
Die Lüge von der Unterstützung der Kandidatur Hindenburg durch den Bayerischen Bauernbund , ist bisher von feinem beutschnationalen Blatt widerrufen worten. Man versucht im Gegen teil, ben Betrug troß des einstimmigen Beschlusses des Bayerischen
Welcher Sozialdemokrat, welcher Republikaner tönnte fich mit fchuldig machen wollen an dem namenlosen Unheil, das der Sieg jener Kräfte mit sich brächte!
Darum richte ich an alle Wählerinnen und Wähler, die am 29. März für mich stimmten, die Bitte und den eindringlichen Appell, einmütig am 26. April an die Urne zu treten und ihre Stimme abzugeben für Wilhelm Mary.
Laht Euch nicht täuschen! Wer nicht für Marg flimmt, hilft damit den Feinden der Arbeiterklasse und der Republit. Wer will das?
Auch die Minderheit, die am 29. März noch für den fommugreifen, daß die Wiederholung eines folchen Borgehens nichts anderes nistischen Zersplitterungskandidaten Thälmann ftimmte, muß bewäre, als ein den schlimmsten Arbeiterfeinden geleisteter Dienst. Wet Thälmann wählt, hilft Hindenburg !
Jenen, die da glauben„ national" zu wählen, wenn sie unserem Gegner die Stimme geben, fei zugerufen: Euer Vaterland ist auch unser Vaterland! Zu dem Bolt, das Ihr besonders zu lieben glaubt, gehören auch wir! Schändlich ist es, den Kampf fo zu führen, daß man seinem Gegner die nationale Gefinnung abspright! Erkennt doch, wie Ihr mißbraucht werdet, um dem Machtbedürfnis einer dünnen Herrenschicht zu genügen! Reißt Euch los und tommt zu uns!
3hr aber Freunde, verfäumt feine Gelegenheit, Aufklärung zu verbreiten! Kämpft mit all Euren Kräften, die 3hr am 29. März so glänzend bewährt habt, gegen unferen gemeinsamen Gegner, gegen die geeinte Reaktion!
Bauernbundes gegen Hindenburg aufrechtzuerhaften, und es ist fein anderer als Herr Graf West at p, der ihn in der heutigen Ausgabe der treuzzeitung" als wirkliches Ereignis hinzustellen versucht. Auf Der anderen Seite fingen die Deutschnationalen der Bayerischen Bottspartei für ihre Treue" ein großes Loblied, während in der 3eit schon seit mehreren Tagen nicht ein Wort mehr für Hindenburg zu finden ist. Sie macht große Bolitit, läßt Hindenburg den großen Feldmarschall sein und überläßt es der deutschnationalen Bresse, volksparteiliche Entschließungen aus dem einen oder anderen Bauerndorf aus Gründen der Reklame für Hindenburg zu verbreiten. Heute liegen wieder einige Pressestimmen von Zeitungen der Bayerischen Boltspartei vor, die zeigen, wie groß die Freundschaft der Bayern zu Hindenburg ist. So schreibt„ Der Freundschaft der Bayern zu Hindenburg ist. So schreibt Der Beobachter am Main in Afchaffenburg:„ Es steht heute schon fest, daß viele Wähler, die nicht zu den Parteien gehören, die Marg nominierten, troß der Empfehlung ihrer Führer ihre Stimme nicht für Hindenburg abgeben werden. Den Menschen und SolDen Menschen und Soldaten schätzen wir, den Reichspräsidenten Hindenburg müssen wir ablehnen. Das Echo aus der Wählerschaft wird nicht überall harmonisch zusammenklingen mit dem Münchener Beschluß. Gewissensfragen lassen sich nicht lösen durch Ausschußbeschlüsse."
Im übrigen nennt das Blatt die Kandidatur Hindenburg einen ber unglückseligsten Gedanken, der jemals aufgebracht worden ist. In ähnlichem Sinne wie„ Der Beobachter am Main in Afchaffen. burg nimmt das Organ der Bayerischen Volkspartei in Würz burg.„ Das Boltsblatt", entgegen der offiziellen Parole der Münchener Landesleitung Stellung. Es schreibt:
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Bäge jeder Fehler und Vorzüge ab und wähle den Mann, den er für den würdigsten hält und von dem er glaubt, daß er die Intereffen aller Boltsgenossen am besten vertritt. Marr mird 3weifellos auch aus anderen Parteien als denen, die ihn auf gestellt haben, viele Stimmen erhalten. So wird ihn u. a. eine Reihe Mitglieder der Bayerischen Boltspartei wählen." Ganz allgemein ist überhaupt festzustellen, daß es in ganz Bayern taum ein Blatt gibt, das sich uneingeschränkt und wie es die Deutschnationalen tun, mit aller Entschiedenheit für Hindenburg in den Kampf stürzt. Es zeigt sich eben tagtäglich mehr, daß die Kan didatur Hindenburg eine rein deutschnationale Barteifandidatur ist.
Neue Wahlergebnisse.
Der Vorsprung der republikanischen Parteien. Die endgültigen Ziffern der Präsidentenwahl am 29. März haben eine weitere Berschiebung zugunsten der republitanischen Barteien eine weitere Verschiebung zugunsten der republikanischen Barteien gebracht. Es haben erhalten:
Dr. Jarres Dr. Held Ludendorff
Thälmann
4
7 802 496
3 887 734
1 568 398
Zusammen 13 258 620
•
10 416 655 1 007 450 285 793 Zusammen 11 709 898
1 871 815
.
Abseits?
Die Verantwortung der kommunistischen Arbeiter.
Während alle politischen Kräfte und Bewegungen in ununterbrochenem Fluß sich befinden, ewigem Wechsel von auf und ab unterworfen find, scheint nur die Kommunistische Bartei starr und unverrückt in ihrer einmal bezogenen Stellung festzuhalten. Hier scheint nicht die Logit des poli tischen Kampfes ausschlaggebend zu sein, sondern ein start dogmatisches System von politischen Lehrsägen, das nicht einmal den Röpfen derer entsprungen ist, die in Deutschland als Beauftragte der Dritten Internationale die Diktatur über die Kommunistische Partei ausüben. Der Sinn dieses starren Systems iſt es, die Arbeiterschaft, die noch den Fahnen der Kommunistischen Partei folgen, abseits zu halten von dem großen Ringen, das die Massen des arbeitenden Volkes in Deutschland im Bunde mit allen republikanischen und wahr Reaktion zu führen haben. haft demokratischen Kräften gegen die politische und soziale
Die Arbeiter, die sich diesem wahnwigigen System der starr festgelegten kommunistischen Taktik einfügen, isolieren sich damit von der gesamten deutschen Arbeiterschaft. Sie reißen sich selbst heraus aus den großen, politischen und fozialen Auseinandersehungen in Deutschland . Sie leben politisch, als ob sie nicht auf der Erde und in Deutschland , sondern auf dem Monde lebten. Sie erörtern politische Probleme, als handle es sich nicht um Probleme des politischen Lebens, sondern als handle es sich um reine Erperimente, die nach der Isoliermethode durchgeführt werden.
Mögen aber die so aus der Arbeiterbewegung herausgerissenen fommunistischen Arbeiter auch geistig den Proble men der Arbeiterbewegung und des politischen Kampfes in Deutschland entfremdet werden, so sind sie doch noch da. Sie find ba bet allen Wahlen, die in Deutschland vorgenommen werden. Sie geben ihren Stimmzettel ab, bald für den und bald für jenen, wie die Zentrale befiehlt. Diese Stimmzettel werden gezählt und gewogen. Sie werden abgegeben auch am 26. April, und die Zentrale der Kommunistischen Partei befiehlt, fie für Thälmann abzugeben. Auch am 26. April fallen diese Stimmzettel ins Gewicht. Sie werden gezähli und gewogen gewogen für Hindenburg ! Partei hat seine eigene innere Logif. Es führt die tom Denn das starre tattische Snstem der Kommunistischen muni fti fchen Arbeiter unvermeidlich an die Seite der Reaktion. Der kommunistische Arbeiter, der trotz der Erfahrungen der letzten Monate das noch nicht eingesehen hat, braucht sich nur ein einfaches Rechenerempel vor Augen zu führen.
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nicht die absolute, sondern die relative Mehrheit. Das Bei der Präsidentschaftswahl am 26. April entscheidet heißt, der Kandidat gilt als gewählt, der die meisten Stimmen auf sich vereinigt. Es ist theoretisch möglich, daß dann ein Kondidat gewählt wird, der nur menig über die Hälfte der Stimmen erreicht hat, die seine Gegentandidaten auf sich vereinigt haben. Am 29. März hatten die republikanischen Parteien einen Vorsprung von rund 2 Millionen Stimmen gegenüber den Kandidaten aller politisch rechts von ihnen stehenden Parteien. Nimmt man an, daß am 26. April eine Verschiebung zugunsten der Rechtsparteien eintreten würde, daß die Stimmen der Bayerischen Volkspartei restlos auf Hindenburg fallen und daß es dem Rechtsblod gelingen Pönnte, aus den Reihen der Nichtmähler eine erhebliche Anzahl von Stimmen für Hindenburg heranzuziehen, so könnte in der Theorie das Ergebnis eintreten, daß Hindenburg etwa 100.000 Stimmen mehr als Marr auf sich vereinigt. In diesem Falle würden alle Stimmen, die nicht für Mart, sondern für Thälmann abgegeben worden find, die Wahl von Hindenburg sicherstellen. Würden in diesem Falle nur etwa 100 000 tommunistische Arbeiter der Stimme der pritischen Bernunft und nicht der Stimme ihrer Zentrale gehorchen, so würde felbst trotz des theoretisch angenommenen Bormarsches der Reaktion es auch dann noch möglich sein, die Reaktion zu schlagen, Hindenburg eine Niederlage beizubringen.
Dies einfache Erempel sagt mehr als die breiten Ausführungen, die die kommunistische Zentrale mit gewohnter talmudistischer Spigfindigkeit in tattischen Fragen in der Roten Fahne" den kommunistischen Arbeitern vorführt, um fie zu vermirren und auf die Stimmabgabe für Thäl mann, das heißt für Hindenburg festzulegen. Die fommunistische Zentrale ist nicht, in der Lage, ihren Anhängern vernünftige Gründe für die Stimmabgabe für Thäl mann in dieser Situation vorzuführen. Sie bewegt sich bes halb in Thefen und Bunftationen, deren Wesen es ist, wichtig. tuend, geheimnisvoll und unsinnig zu sein. Das ist das System, nach dem die kommunistische Zentrale Politik betreibt Denn ein vollkommner Widerspruch
Bleibt gleich geheimnisvoll für Kluge wie für Toren." Am 26. April aber handelt es sich um eine flare, eindeutige Entscheidung. Da muß jeder wissen, wo er steht und für wen er entscheidet. Da versagen die geheimnisvollen, vollkommenen Widersprüche der Kommunistischen Zentrale Tattit. Da heißt es, entscheiden für oder gegen die Reaktion. Ein drittes gibt es nicht. Der Kandibat her Reaktion heißt Hindenburg . Der Randidat der Ein hitsfront gegen die Reaktion und gegen Hindenburg heißt Marr. Jede Stimme, die dem Kandidaten Marr enf.
Bei Beurteilung dieser Ziffern muß man fich vor Augen halten, daß mindestens die für Dr. Held in Bayern abgegebenen Stimmen nicht restlos für Hindenburg in Betracht kommen. Selbst wenn bei einer wesentlich höheren Wahlbeteiligung es dem Reichsblod gezogen wird, gleichgültig, auf wen immer fie fallen mag. ist lingen follte, weitere Stimmen für Hindenburg zu mobilisieren, dann muß er sich noch erheblich anstrengen, um einen Borfprung von rund 1% Millionen der republitanischen Parteien einzuholen.