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Str. 182 42. Jahrgang

1. Beilage des Vorwärts Der Volksblock rief...

Sonnabend, 18. April 1925

ibar

Der Aufmarsch in den Straßen.

Schon in ben friihen Nachmittagsstunden zeigte sich gestern das gewohnte Bild der unteren Potsdamer Straße start verändert. Un­aufhörlich marschierten mit Gesang starte Kameradschaften des Reichsbanners Schwarz- Rot- Gold mit wehenden Fahnen heran. Stürmisch begrüßte das Publikum, das links und rechts den Fahr damm säumte, die Anmarschierenden. Die Schupo, tatkräftig unter­fügt von Reichsbannerleuten, sorgte für eine glatte Abwicklung des Menschenanstromes. Berlin fah als Hauptstadt der Deutschen Re­publit viele und gewaltige republikanische Rundgebungen. Aber was sich gestern in der Botsdamer Straße abspielte, fäßt sich in Borten faum ausdrüden. Bereits turze Zeit, nachdem der Sportpalast seine Pforten geöffnet haife, er überfüllt. Und noch lange nach der polizeilichen Sperre des Haupteingangs versucht das immer wieder andrängende Bublifum, durch die Seiteneingänge sich Eintritt zu verschaffen. Bergeblich! Es bleibt nichts weiter übrig, als im Borgarten Aufstellung zu nehmen. Inzwischen ist der Zeiger der Uhr vor­gerüdt. Er zeigt die achie Abendstunde an, und noch immer will Der Ansturm fein Ende. nehmen. Schupo und Reichsbanner ver­fichern den Nachdrängenden, daß Mare auch vom Balkon sprechen wird. Hochrufe auf den Kandidaten des Bolts blods, die sich, orfanartig fortpflanzen. Bald aber ift auch der Vorgarten überfüllt. Jezt wird die Straße in Anspruch genommen. Und während draußen die Menge wie eine Mauer dicht gedrängt nebeneinander steht, ergreift im weiten Raume des Sport­palastes der erste republikanische Redner das Wort.

In der Riesenhalle.

Der Boltsblod rief und alle. alle ramen! Roch leg nicht über dem Riefensteinmeer Berlins das nächtliche Dunkel, noch wurden seine Straßenschächte nicht von Lichtern durchhellt, nech waren die Kontore und die Wertstätten nicht geschloffen, die Federhalter und die Werkzeuge nicht beiseite gelegt da öffneten fich die gewaltigen Tore des Sportpalastes, der nun bereits nad gerade zum Haus der Republik geworden ist. Indeffen Reichs banner von Anfang an in bewundernswerter Disziplin Ordnungs­hienst versah, stürmten die Massen in das noch halbdunkle Haus, besetzten den Soal, der ersten Ring, den zweiten Ring, die Seiten galerien und alle freien Pläge vor und hinter dem gewaltigen Rednerpodium. Bald war der Riefenbau überfüllt, so daß weiteren Besuchern fein Cinlaß mehr gewährt werden konnte. Das Bild, bas fich bot, ist ja nun tein neues mehr, da bereits oftmals die Mntwendigkeit vorlag, die Anhänger der Republik aufzurufen, um ban republifanifchen Gebanten in ferner ganzen Größe zu de­der Einbrud von monstrieren. Aber gestern abend war feltener Zuversicht, man fönnte beinahe jagen, von einer newissen Festlichkeit. Der Proletarier saß neben dem Bürger, der Mann, der den ganzen Tag über am Schraubstoc gewirkt hat, neben dem geistigen Arbeiter, die Frau aus der armseligen Boh mung des Berliner Nordens neben der Bewohnerin behaglicherer Räume. Ein Gemeinsames führte diesmal alle zu­Jammen, und der Geist williger Gemeinsamkeit, die das Not mendige, auch wenn es nicht sofort zum legten Ziele führt, gern zusammenschafft, lag über ber Bersammlung. Am Ende des Scales tar ein langes und breites Podium aufaebaut, dessen Mitte vom Orchester eingenommen wurde. An den Seiten standen harmonisch Ichließende Säulen. Vor dem Bodium ein langer Bressetisch, außerdem eine Anzahl Plätze, die vorläufig für die Redner des großen Abends frei blieben. Und Schwarz- Rot- Gold! Von der Scitenbalfonen, an den Eingängen, vorn, hinten, am Rednerpult, has beim Orchester untergbracht worden war, überall grüßten die arben der deutschen Nation. Am Ende des Saales, nicht nur symbolisch, sondern auch außerordentlich ästhetisch wirkend, das Reichswappen. Auch in der Masse selbst pulsierte jenes rege Reben, das uns immer und immer wieder beweist, daß die Deut fchen durchaus nicht so unpolitisch sind, wie ihre Ber- Führer uns gern glauben machen möchten

Sur finnentsprechenden Ausgestaltung des Saales trugen auch die zahlreichen angeschlagenen Platate bei, teilmeise zeigten sie den Ropf von Marg als den Träger der republikanischen Idee, zum Teil maren es Teriplakate, die zur Entscheidung über die Frage Rriegsgeneral ober Friedenspräsident" auf. forderten. Runft 48 hr durchbröhnte stürmischer, immer und immer wieder neuauflebender Beifall, ja sogar heller Jubel das Haus: durch die vom Reichsbanner gebildete Ehrenfette schritt mit dem Demokraten Erfelenz und dem Sozialdemokraten Her. mann Müller Reichsfanzler a. D. Wilhelm Marg, unser Präfi dentschaftskandidat, bem Rednerpodium zu. Stühle wurden erstiegen, Bänke erklettert, weit lehnte man sich auf den Galerien über die Brüstungen, alles drängte sich, um den kommenden Führer zu sehen und zu begrüßen. Der banft lächelnd, befindet sich bafb in regem

Gespräch mit seinen Begleitern und bleibt so ruhig bis zum eigent lichen Beginn der Versammlung auf seinem Plaz fizen, daß die vielen Photographen eine helle Freude haben. Wohl ein Duzend mal durchzuckte und durchschreckte auch Bliglicht den Bau. Und dann, auf die Sekunde um 8 Uhr, intoniert die Musik den Reichs. bannermarsch", während eine Abordnung des Reichsbanners selbst mit schwarzrotgoldenen Fahnen, Standarten und Wimpeln festlichen Einzug hält. Wieder endloser Jubel ein Augenblid, so schön, so erhaben, so hoffnungsvoll stimmend, daß ez faum zu bes schreiben ist. Rechts und linfs vom Podium nehmen die Bannerleute Aufstellung, dort verbleiben sie während der ganzen Beranstaltung, die sich ungestört und in schnellem Tempo abwidelt. Mit heller Stimme spricht nach der Begrüßung des Gauvorsitzenden Theodor hardi einen Prolog, dann ergreift Hermann Müller für die Sozialdemokraten das Wort, Anton Erkelenz spricht für die Demokraten und Reichstanzler a. D. Wilhelm Marx für uns alle. Sämtliche Redner wurden häufig von lebhafteftem Beifali unterbrochen, stürmisches Händeflatschen und Bravorufen bewies der Hörer Zustimmung stets am Ende, ungeheuerlich aber war der Jubel, nach dem Marg geendet hatte. Immer wieder jubelten die Massen Marg" und flatschten unaufhörlich in die Hände. Die Musit. die Bariationen über das Deutschlandlied intonierte, machte alles verstummen. Stolz verließ die Fahnenkompagnie des Reichsbanners die Arena. Stürmischen Jubel ermedten die schwarzrotgoldenen Farben abermals. Langsam leerte sich der Sporipalast, während unaufhörlich Hochrufe auf unseren Präsidentschaftsfandidaten aus­gebracht wurden.

Vor dem Sportpalast.

Um 8 Uhr war der große Borgarten sowie die gesamten an­fiegenden Straßenzüge von gewaltigen Menschenmassen dicht gefüllt. Zehntausende warteten auf die Ansprachen, die vom Ballon, der mit schwarzrotgoldenen Fahnen festlich geschmückt war, an die draußen versammelten Waffen gehalten werden sollten. Als furz nach 8 Uhr der republikanische Präsidentschaftsfandidat Wilhelm Margin­mitten eines Rreises fadeltragender Reichs bannerleute auf dem Balkon erschien, brach die Menge spontan in Ovationen aus. Oft von stürmischer Begeisterung unter­brochen wandte sich Marg gegen die Berfleischungspolitik der Nationa liften, die so antinational mie nur irgend möglich war. Bir laffen uns, so führte Marr mit erhobener Stimme aus, die Beimarer Verfassung und die demokratische Re publif von niemandem mehr rauben. Ich schwöre es Ihnen, daß ich aus innerster Ueberzeugung diese demokratische Ver fassung des Boltsstaates mit allen Fasern meines Herzens nerteidigen und hüten werde. Wählen Sie am 26. April so, wie es die Stimme Ihres Gewissens und Ihrer Bernunft verlangt.( Minutenlanger Beifall.) Genosse Müller Franken, von den Massen ebenfalls mit lautem Jubel begrüßt, wandte sich gegen die Katastrophenpolitit größen wahnsinniger Kadetten, die man dem deutschen Bolte auf oftronieren wollte. Wir werden die Republik zu verteidigen wiffen. Behe dem, der sie anzutasten wagt. Die Thälmann - Kandidatur der Rommunisten ist eine dirette Unterstützung des Monarchisten Hinden­ burg , und nur aus der verbogenen Berspektive fanatischer Ber­blendung überhaupt irgendwie verständlich. Der 26. April, er muß zu einer vernichtenden Niederlage der reaktionären Intriganten werden. Darum wählen die Republikaner Wilhelm Marg!( Stür. mischer Beifall und Händeflatschen.) Der Demotrat Ertelenz führte aus, daß es am Wahltage darum gehe, Deutschland vor der Diftatur der 24 000 Großgrundbefizer zu bewahren. Das ostelbische Juntertum und die Schwerindustrie werden sich die Zähne aus beißen, wenn sie gegen den Turm der Republit anstürmen sollten. Wir gönnen Hindenburg die Ruhe seiner Pension und wollen ihm daher durch die Wahl von Wilhelm Marg die auf regenden Umzugstoften nach Berlin ersparen Hindenburg lieb hat, wählt Mary!( Stürmische Hetterkeit und Händeflatschen.) Unter dem Gesang republikanischer Lieder fluteten die Massen in die Potsdamer Straße zurück, die einem wogenden Denschenmeere glich. Trozdem Rechts und Linksradikale versuchten, durch zwischenrufe Unruhen anzuftiften, ist es zu feinem Zusammen­stoß von Belang gekommen.

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Noch gegen 11 Uhr war die Potsdamer Straße dicht belebt. Die große Kundgebung der republikanischen Jugend für Wilhelm Marg findet am Sonntag, den 19. April, statt. Als Redner sind gewonnen: Dr. Friedländer( Soz.), Dr. Weber( 3.), Frau Dr. Gertrud Bäumer, M. d R., und Ernst Lemmer , M. d. R. Der Eintritt ist nur gegen Karten gestattet, die an folgenden Stellen unentgeltlich zu haben sind: Geschäftsstelle des Jungdemokratischen Berbandes, Bernburger Str. 18, der Windthorst- Bünde, Franzöfifche Str. 62, sowie in sämtlichen Ulstein- und Mosse- Filialen. Zur Rundgebung sind alle Freunde der Republikanischen Jugend, auch ältere, eingeladen.

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Ein Jahrestag.

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etwa Jahresfrist trat an Stelle der Emmingerschen Tot verordnung vom Januar 1924 seine abgeänderte Gerichts­perfaffung in Kroft. Sie hatte den Schwurgerichten endgültig den Garaus gemacht aufgehört hatten sie eigentlich schon im Januar, als durch die Spar"-Berordnung Not"-Gerichte eingesetzt murden. Die neuen Schöffengerichte, bestehend aus drei Richtern und sechs Schöffen, wurden trotzdem ungerechtfertigterweise offiziell und in der Presse auch weiter als Schwurgerichte" bezeichnet beschämendes Zeichen der Zeit, in der die Oberflächlichkeit im Denken und Fühlen ruhig Bezeichnungen hinnimmt, die inhaltslos und finn­widrig find.

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Emmingers Schwurgerichte" besaßen feines der Merkmale ber mahren Schwurgerichte: Die geschworenen Richter schufen nicht mehr Recht aus den Liefen ihrer Menschlichkeit heraus. Sie besaßen dafür aber alle Nachteile der Schöffengerichte. Die Laien bildeter nur noch Anhängsel der autoritativ handelnden gelehrten Richter, mit denten sie nun gemeinsam den Buchstaben des Gesezes in Anwendung brachten. Die Tat" feierte ihre traurigen Triumphe über den Täter. Es gab aber für die Urteile der Emmingerschen Schmurgerichte" im Gegensatz zu den üblichen Schöffengerichten, von denen sie sich im übrigen nur dadurch unterschieden, daß sie sich noch größere Ber antwortung in bezug auf das Sein oder Nichtsein ihrer Mitbürger aufluden, auch keine Berufung. Ihr Urteil war endgültig, mochte es juristisch wie menschlich noch so fragwürdig sein. Alle Bersuche der fozialdemokratischen Fraktion des Reichstages, die Emmingerschen Gefeßze rückgängig zu machen, sind bis zurzeit erfolglos geblieben: seine Nachfolger haben sich von den unheilvollen Wirkungen der neuen Schwurgerichte noch nicht überzeugen fönnen. Daß die früheren wahren Schwurgerichte, bei der Rückständigkeit unseres Strafgesetzbuches und der beruflichen Ueberheblichkeit einzelner Richter, ein notwendiges Regulativ waren, davon wollen sie nichts wissen. Daß die Todesurteile, die auf Grund des Mordparagraphen, der den Tod als einzige Sühne fennt, sich ungeheuerlich gehäuft haben, schert sie wenig. Daß jung und alt wegen geringfügiger Meineide, die früher ohne weiteres zum Freispruch geführt hätten, nun ins Zuchthaus fommen, macht auf sie nur geringen Eindruck. Bas tut es zur Sache, daß Berufs- und Laienrichter nicht selten selbst die ungerechtigkeit ihres eigenen Urteils bitter empfinden? Das Gesetz muß angewandt werden. Die Statistit des Jahres 1924/25 wird darüber Aufschluß geben, um wie vieles die Zahl der Todesurteile und der Zuchthausstrafen im Vergleich zum Vorjahre gestiegen ist und um wie viel die Zahl der Freisprüche fich ver­ringert hat.

Der jezige Reichsjustizminister Dr. Frenken hat neuerdings im Reichstage erklärt, man müsse die Resultate der Emmingerschen Reform noch abwarten. Kenn man es verantworten, wenn junge Menschenleben zerstört und in der Gemeinschaftshaft des Zuchthauses seelisch zugrunde gerichtet werden? Es wäre nur zu begrüßen, wenn alle Schöffen und Berteidiger aus dem ganzen Reiche alle die Fälle, in denen die Ungerechtigkeit der Urteile besonders traß zutage treten, in einer Sammelstelle niederlegen würden, damit auf diese Beise ein überwältigendes Material als Beweis für die Unhaltbar­feit der Emmingerschen Notverordnung herbeigeschafft würde. Daß aber die große Masse mit so großer Ruhe diese neue Entrechtung hinnahm, daß es sich nicht in stürmischen Bersammlungen gegen diesen Gewaltstreich auflehnte, liefert einen neuen Beweis dafür, mie wenig Berständnis für die Bedeutung der Strafjustiz in den breiten Massen der Bevölkerung vorhanden ist. Am Todestage der deutschen Schwurgerichte darf jedoch ein Wunsch nicht unterdrückt werden. Man sehe doch endlich ein, daß es in Deutschland feine Schwur­gerichte mehr gibt, und höre auf, die Schwurgerichte zu profanieren, indem man die Emmingerschen Schöffengerichte als solche bezeichnet.

Zählung im Stadt, Ring- und Vorortverkehr.

Am Donnerstag, den 7. mai, wird auf den Berliner Stabt, Ring- und Borortbahnen eine besondere eingehende Ber­fehrszählung unter Zuhilfenahme befonderer 3ählfarten or genommen werden. Diese Zählung foll der Reichsbahn im Intereste des reisenden Publikums eine flares und genaues Bild über die Berkehrslage schaffen. Sie steht mit einer Erhöhung von Fahrpreisen in feiner Berbindung, vielmehr sollen aus ihr die Belastungen der einzelnen Strecken zu bestimmten Zeiten, die Tagesschwankungen im Verkehr, die Uebergangsverkehre von Ring- und den Vorortstreden zur Stadtbahn und umgekehrt, die Berfehrsbeziehungen der einzelnen Stationen und Streden unter­einander u. a. genau erkannt werden, um auch für die spätere elettrische Inbetriebnahme der Stadt, Ring- und Ver ortbahnen genaue Unterlagen zu erhalten. Eine Verkehrszählung ist bei der Reichsbahn wegen der Mannigfaltigkeit der Fahrtausweise mit erheblicheren Schwierigkeiten verknüpft als bei den Hoch- und