Diese Vetrage habe er aber an Gaul abgeführt, der ihn dazu auf- gefordert hatte, weil er verschiedene Posten zu decken hatte. Gaul gab auch zu, daß er etwa 7— 10 Marl von Fischer erhalten habe. aber niemals 46 Mark. Nachdem die Angeklagten Gaul und Schmalz erklärt hatten, daß Fischer von ihren Verfehlungen keine Kenntnis gehabt habe, wurde auf Antrag der Verteidiger der An- klagefall Fischer abgetrennt,. um nachher besonders verhandelt zu werden. Staatsanwaltschgftsrat von Spenda beantragte gegen Polizeioberinspektor Gaul eine Gesamtstrafe von 1 Jahr 9 Monaten Gefängnis, gegen Polizeiobersekretär Schmalz 1 Jahr ti Monate Ge- fängnis und bei dem Angeklagten Voß Freisprechung. Das Gericht erkannte den Polizeioberinspektor Gaul und den Polizeioberjekretär Schmalz schuldig, der schweren und einfachen Amtsunterschlaguug, der schweren Urkundenfälschung und gegen- seitiger Begünstigung und erkannte unter Zubilligung mildernder Umstände gegen Gaul auf 1 Jahr 9 Monate Gefängnis, gegen Schmalz auf i Jahr 3 Monate Gefängnis. Beiden Angeklagten wurden fünf Monate Untersuchungshaft an- gerechnet. Ein Antrag auf Aufhebung des Haftbefehls wurde ab- gelehnt. Der Angeklagte Voß wurde freigesprochen. In den Urteilsgründen wurde betont, daß es in hohem Maße beklagenswerr sei, wenn Beamte an der Spitze der Verwaltung ihre Stellung in so schamloser Weise mißbrauchten. Trotzdem hat das Gericht mil- dernde Umstände zugebilligt, weil Gaul eine minderwertige Per- sönlichkeit sei und Reue empfinde. Schmalz habe im Kriege den Arm verloren und sei durch den älteren Vorgesetzten verführt worden.
OZz Iahrprewerhöhung für Iugenöliche. Ein prolesk der deutschen Jugendverbände. Der Ausschuß der deutschen Jugendoerbände teilt mit: „Der Ausschuß der deutschen Jugendverbände als Vertreter von 69 Reichsjugendverbänden, die mehr als 5% Millionen Mitglieder aller Weltanschauungen und Richtungen umfassen, hat gegen die Verfügung der Reichsbahngesellschaft, die Fahrpreisermäßigung zu- gunften der Jugendpflege von 50 Proju auf 33% Proz. herabzusetzen, entschiedenen Einspruch bei derReichsregierung und bei allen Fraktionen des Reichstages erhoben. Der Ausschuß der deut- schen Jugendoerbände hat mit großem Befremden feststellen müssen, daß die Reichsbahngesellschaft der deutschen Jugend ein jahrelang gewährtes soziales Recht genommen hat, ohne es für nötig befunden zu haben, mit den Vertretern der deutschen Jugendoerbände sich vorher ins Benehmen zu setzen. Alle gesundheitsstatistischen Er- Hebungen der Nachkriegszeit bezeugen immer wieder die dringende Notwendigkeit, daß die Jugendlichen aus den Großstädten durch Wanderungen und Freizeiten auf das gesündere Land geführt und dadurch in ihrer Widerstandskraft gestärkt werden müssen. Anderer- seits wird durch die Wanderungen und Fahrten ein nicht abzu- schätzender geistiger und seelischer Gewinn der Jugendlichen erzielt, die dadurch Land und Leute, Natur und Kultur kennen lernen. Gerade die großstädtische Jugend bedarf dieser Fahrten besonders, da nur auf ihnen das in der Stadt nicht zu erzeugende Heimatgefühl und die Verwurzelung mit unserem deutschen Volk und Vaterland erweckt werden können.
Das Rundfunkprogramm. Sonnabend, den 18. April. Äußer dem üblichen Tasresprogramm: 8.3S Uhr nachm.: Hans-Bredow-Schnle.(Abteilung Bildongs- turac). Sprachunterricht: Direktor Julius Glück;„Esperanto ". 4.30 Uhr nachm.:.Tugendbühno. Leitung s Alfred Braun . Prinz Friedrich von Homburg . Ein Schauspier von Heinrich v. Kleist.. Friedrich Wilhelm, Kurfürst von Brandenburg; Die Kurfürstin' Prinzessin Natalie von Oranien, seine Nichte, Chef eines Dra- gonerregimonts• PeldmarBcball DörHing; Prinz Friedrich Artur von Homburg, General der Reiterei; Ohrist Kottwitz, vom Regiment der Prinzessin von Oranien; Hennings und Graf Truchss, Obersten der Infanterie; Graf Hobenzollem, von der Snite des Kurfürsten; Rittmeister von der Goltz; Graf Georg v. Sparren, Btninz, Siegfried v. Mömer, Graf Rouß, Rittmeister; Ein Wacht- meister: Offiziere, Korporale nnd Reiter, Hofkavaliere, Hofdamen, Pagen, Heiducken, Bedienten, Volk jeden Alters und Geschlecht«. 8.40 Uhr abends: Generaloberarzt Dr. Comolins:.Die Nerven- punktmoesage". 7.18— 8.18 Uhr abends: Hans-Bredow-Schnle.(Abteilung Hochsehulkurse). 7.15 Uhr abends: Professor Dr. Gustav Deithäuser;„lieber die Ernpfangstechnik der drahtlosen Tele- graphie und Telephonie". 7.80 Uhr abends:(Abteilung Büdungs- kurae). Literatur und Kunst: Dr. Richard H. Stein:.Einführung in die russische Musik". 4. Vortrag..Alexander Dargomysohskij". 8.30 Uhr abends: Pnnfcrevue in sechs Hörbildern. Das hat Rerlin noch nicht gehört! 200 Mitwirkende. Zwei Dirigenten. Zwei Orchester. Massen chöre. Nie gehörte Ausstattung. Ein Ensemble von Punlcstars. Anschließend: Dritte Bekanntgabe der neuesten Tagesnaehrichton, Zeitansage. Wetterdienst, Sportnachrichten, Theater- und Pilmdienst. 10.30—12 Uhr abends: Tanzmusik. ICJIMMIBH—— HBBBaBaHW— WHllMiHWIIHWHIWi
Nachdem die Herabsetzung der Fahrpreisermäßigung am 1. April d. I. stattgefunden hat, zeigt sich, daß der von der Reichsbahnver- waltuna durch die Erhöhung erhoffte Mehrgewinn nicht eintreten wird, da die wenig oder nichts verdienenden Jugendlichen jetzt weniger als zuvor in der Lage sind, weite Fahrten mit der Eisen- bahn zu machen. Die zu Ostern abgehaltenen Jugendtagungen und Kurse haben erwiesen, daß die T e i l n e h m e r z a h l an diesen Ber- anstaltungen durch die Verteuerung des Fahrgeldes stark obge- nommen hat. Dadurch ist auf der einen Seite der Reichsbahn- gesellschaft ein Gewinnaussall entstanden, und aus der anderen Seite sind Jugendliche verhindert worden, aus den Städten hinaus in die Natur zu wandern. Der Ausschuß der deutschen Jugendver- bände als Ausgabestelle der Berechtigungsscheine zur Erlangung der Fahrpreisermäßigung hat beobachtet, wie die Fahrpreisermäßigung von 50 Proz. auf die Ortsgruppen der Verbände in zunehmendem Maße anreizend wirkte, größere Fahrten durch Deutschland zu machen. Jetzt werden das für die Gesundheit unseres Volkes unbe- dingt wichtig« Iugendwandern und das dieses unterstützende Jugend- Herbergswesen durch die bevölkerungspolitisch unverständliche Maß- nähme der Reichsbahngesellschaft auf das stärkste bedroht. Es ist klar, daß in den zurückbleibenden Jugendlichen ein vielleicht nicht wieder gänzlich zu beseitigendes Gefühl der Erbitterung entsteht gegen das unsoziale Verhalten einer öffentlichen Körperschaft und damit zugleich gegen den Staat. Die Folge der Beschränkung des Jugendwanderns infolge der Herabsetzung der Fahrpreisermäßigung wird sein, daß ein Teil der Jugendlichen nicht mehr den Gefahrenguellen unzweckmäßiger Be- schäftigung in ihrer Freiheit entzogen werden können und leichter der Verwahrlosung anheimfallen, als wenn sie in Gemeinschaft von Kameraden hinauswandern können und gestärkt an Leib und Seelb heimkehren. Die in der Jugendwohlfahrt allgemein bekannte Er- kenntnis, daß Vorbeugen besser, billiger und bevölkerungspolitisch weiser ist als Heilen, hat sich die Reichsbahnverwaltung bedauer- licherweisr nicht zu eigen gemacht."
Karl Fischers letzter Weg. Im Wilmersdorfer Krematorium haben wir gestern nach- mittag von unserem Karl Fischer Abschied genommen. Um die Witwe und die Verwandten unseres jäh verstorbenen Mitarbeiters gruppierten sich neben anderen seiner Freunde die Kollegen vom „Vorwärts", unter ihnen sein ältester, nun schon im Ruhestand lebender Berichterstatter G. Reinke. Der Sarg verschwand unter Blumen, Kränzen und letzten Worten der Liebe und Kollegialität. Karl Fischer war in der Wilmersdorfer Parteiorganisation wohl- bekannt, war ein Freund und Förderer der Arbeiterjugend, und darum sangen ihm ein Süngerquartett den parteigenössi« schen Totenruhm nach:„Ein Sohn des Volkes wollt er sein und bleiben." Franz K I ü h s entrollte in bewegter Rede das Lebens- bild des Zeitungsschreibers, der in jugendlichem Idealismus diesen Beruf der hastenden, alle Rücksicht auf sich selbst ablehnenden Ar- beit sich zugewendet hat und in ihm sein Genügen, seine Befriedi- gung findet, obschon er materiellen Besitz den allermeisten seiner Jünger nicht bringt. In Karl Fischers Sinn sei es, daß das Leben den Tod überwinde: weiterleben— weiterarbeiten! Als diese Worte im Beileid an Karl Fischers Witwe»er- klungen waren, hallte der Sang„Ueber allen Wipfeln ist Ruh'" durch die Halle und unter Orgelwellen versank der Schrein in die Tief«. Draußen aber brauste der Frühlingswind, und die Sonne leuchtete dem Lehen, da? Karl Fischer so gut zu sehen und zu( schildern wußte._. iL. Auch weilet billige Milch für Hilssbedürflige. Das Jugendamt!ljV der Stadt Berlin teilt mii: In letzter Zeit werden vielfach Meldun-/; gen verbreitet, daß die Milchverbilligung zugunsten Hilfsbedürftiger aufhöre, weil das Reich keine Mittel mehr für diesen Zweig so- zialer Tätigkeit liefere. Diese Angabe trifft nur insofern zu, als das Reich keine Mittel mehr zur Verfügung stellt. Die Milchver- billigung wird ober im bisherigen Ilmfange fortge- führt werden, und zwar aus städtischen M i t t e ln. Die Stadt wird voraussichtlich etwa 806 666 M. i>n Etat 1925 für die Milchver- billigung auswerfen. Dieser Betrag bleibt nur wenig hinter dem Betrage zurück, der für die 26 Bezirke im abgelaufenen Rechnung?- jähre 1924 verfügbar gewesen ist. Der Lunapark hat die Eröffnung der Saison 1925 auf Sonn- abend, den 2. Mai, festgesetzt. Ordner der prolelarlsche» Aeierstunden. Treffpunkt zur grüblinasseier der so, alisUschrn Arbeilerjugend Sonntag, den 19. April, vorm. 9 Uhr, im Grotzeni Schauspielhaus.
Untergrundbahnen, wo derartige Erhebungen ständig auf Grund der Lochzeichen der obgenommemm Fahrkarten vorgenommen werden. Di- Zählung wird bei der Reichsbahn so vorgenommen, daß am Tage der Zählung jedem Reisenden beim Passieren der Sperre der Reiseantrittsstntion neben seinem Fahrtausweis eine besondere Zählkarte ausgehändigt wird, die der betreffende Reisende an der Sperre der Zielstation— also nach Beendigung der ganzen Fahrt— abzugeben hat. Die Zählkarten selbst sind in drei Sorten eingeteilt. Es werden je besondere Slrten für Monatskarten, für Wochenkarten und für Einzelkarten ausgegeben. Je nach der Streckenlags des Bahnhofs haben die Zählkarten ihre besondere Farbe, aus ihnen ist die Strecke selbst durch einen großen Buchstaben und der betreffende Bahnhof mit seiner Nummer angegeben. Sollten sich durch die besondere Ausgabe von Zählkarten an den Sperren der Bahnhöfe mit großem Berkehr wider Erwarten kleinere Ber- zögerungen in der Flülstghaltung nicht oermeiden lassen, so wird das reifende Publikum gebeten, diese mit Ruhe und Besonnenheit der Sache wegen hinzunehmen. Die Reichsbahndirektion Berlin bittet die Reisenden, die Zählung durch williges Einhalten der aus allen Bahnhöfen aushängenden Bestimmungen zu unterstützen.
Die Unterschlagungen bei öer Haupffunöftelle. Polizeioberivspekior und seine Freunde unier Zluklage. Di« sortgesetzten Unterschlagungen bei der Hauptfundstelle des Polizeipräsidiums fanden gestern vor dem erweiterten Schössen- g e r i ch t Mitte unter Vorsitz von Amtsgerichtsrat Liebegott ihre gerichtliche Aburteilung. Auf der Zlnklagebank erschienen der Polizei- oberinspektor Friedrich Gaul, der Polizeiobersekretär Richard Schmolz, der Amtsgehilfe Friedrich Voß und der Polizeibeamte Gustav Fischer. Es handelte sich um eine ganze Reihe von Unters chlagun- gen von Fundgegenständen, insbesondere von Geldern, sowie um die Erhebung höherer Verwaltungsgebühren und die Ein- tragung größerer Finderlöhne, als tatsächlich vereinnahmt worden sind. Durch falsche Eintragungen sind die Veruntreuungen verdeckt worden. Gaul und Schmalz, die beiden Hauptbeteiligten, sind geständig, sie waren defreundet, Trintkumpane und Säufer, Schmalz außerdem großer Liebhaber von Frauen. Teils gemeinsam, teils allein haben sie große Trinkgelage veranstaltet und Or- gien gefeiert. Wenn das Geld ausging, haben sie sich aus der Kasse des Fundamtes und aus den abgelieferten Fundgegenständen neue Mitte! geholt. Oft wurde die Sache so gemacht, daß Schmalz von den Leuten zwei Quittungen bei der Aushändigung der Fund- gegenstände unterschreiben ließ. Aus dem dem'Abholer ausgehändig- ten Formular waren die Gegenstände richtig angegeben: auf dem zweiten Formular, das als Durchschlag zurückblieb, waren aber auch noch andere Funde mit aufgeführt. Der Angeklagte Schmalz dagegen behauptete, daß Gaul der Anreger gewesen sei, indem er sagte:„Wir können uns auf leichte Weise Geld verschassen." Er gibt auch zu, daß der Erlös für Alkohol und für Weiber durchgebracht war- den ist. Die Verfehlungen des Mitangetlagten Voß erstrecken sich nur daraus, daß er mit Gaul und Schmalz zusammen drei Flaschen Sekt, die im Keller als ein Fund aufbewahrt wurden, ausgetrunken habe. Gaul habe ihm eines Tages die Weisung gegeben, eine Flasche Sekt zu öffnen. Es sei auch eine Frau dabei gewesen. Der An- geklagte will der Meinung gewesen sein, daß Gaul berechtigt war, darüber zu verfügen. Gaul und Schmalz müssen auch zugeben, daß sie sich gegenseitig unterstützt haben, um die Unterschlagungen bei vorkommenden Revisionen zu decken. Medizinalrat Dr. Stör- mer hat eingehende Untersuchungen über die Trinkgewohnheiten Gauls vorgenommen. Er bezeichnet ihn als einen chronischen Trinker. In seinem Bureau hatte er ständig Schnapsslaschen stehen, und er hat sich auch degradiert, indem er mit Unter- gebeneiv zechte. Vorher war Gaul Direktor des Polizeigefängnisfes und hat auch da sich mit den Untergebenen derartig eingelassen, daß er aus dem Gefängnis eine Art Fledermaus-Betrieb machte. Er kam dann in den Verdacht, der Entweichung eines Ein- brechers Borschub geleistet zu haben. Di« Disziplinaruntersuchung verlief jedoch glimpflich, und er wurde nur versetzt. Trotz aller Zechgelage hat Gaul die Fähigkeit besessen, seinen Posten voll aus- zusüllen. Er war daher durch die Trunksucht nicht derartig ver- kommen, daß er für seine Taten nicht verantwortlich gemacht werden konnte. Der vierte Angeklagte, Fischer, wird beschuldigt, in 22 Fällen sich strafbar gemacht zu haben, indem er höhere Verwaltungsgebühren für ausgehändigte Fundgegenstände und höhere Finderlöhne erhob und die Differenz für sich verwendet hatte. Im ganzen soll er auf diese Weise 46 Mark in die Tasche gesteckt haben. Der Angeklagte erklärte sich für unschuldig, er habe keine Unterschlagung begangen und könne sich zu den einzelnen Fällen nicht äußern. Es sei ja möglich, daß er gelegentlich infolge Arbeitsüberlastung eine irrtüm- «che Eintragung gemacht habe, aber das fei nie bewußt geschehen. Allerdings habe es sich manchmal nicht umgehen lassen, Trinkgelder anzunehmen, obwohl das verboten war.
Anthony Zahn. Roman von Zerome S. Zerome. Vielleicht hätten ihm auch die Armen, die nicht so streng auf Etikette halten, das Eeigenspiel, ja sogar, da ihnen das strenge Anstandsgefühl des Mittelstandes fehlt, die Oden an„Irene" verziehen. Ein exzentrischer, wunderlicher Schul- meister, der sich seinen Träumen zuliebe mit der Armut ab- gefunden hätte, wäre imstande gewesen, sich sein eigenes Leben zu leisten. Hätte er doch nicht Erfolg gehabt! Hätte ihn doch nicht der Erfolg, dieses energische Westn, so fest beim Arm gehalten, ihm unentwegt von den herrlichen Dingen er- zählt, denen es ihn zuführte: ein großes vislzimmriges Haus, schön möbliert, umgeben von einer hohen Steinmauer mit mächtigem Eisentor, livrierte Männer und Frauen, die für seine Nahrung, Kleidung und für seinen Schlaf sorgen. Und an den hierzu bestimmten Tagen wird er in die Kirche gehen. Eine festgesetzte Anzahl Stunden wird der Körperbewegung und auch ehrbaren Vergnügungen gewidmet sein. Bisweilen werden ihn seine Freunde besuchen. Emanuel Tetteridge kam es vor, als lauschte er der Schilderung eines Gefängnislebens, ober Frau Tetteridge versicherte ihm, es handle sich um einen Palast. Was den Eindruck des Gefängnisses in ihm noch stärker erweckt«, war Frau Tettsridges Mitteilung, daß er. ehe er diese herrliche Welt betrete, seine gewöhnlichen Kleidungs- stücke ablegen und einen schwarzen Rock mit hohem schwarzen, hinten am Hals zugeknöpften Kragen anziehen müsse. Dies wird, so lange er im Dienst ist, seine Tracht sein. Zuerst hatte er sich gewehrt: Frau Tetteridge jedoch hatte zu weinen be- gönnen, und wenn sie weinte, verschwand die Härte aus ihren Äugen, und sie sah hübsch und rührend aus. Tetteridge fühlte sich als Rohling und Verräter an der Liebe. Deshalb kam der Tag, da er für immer und ewig die bequemen Alltagskleider ablegte und den langen schwarzen Rock mit dem hinten zuzu- knöpfenden Kragen anzog. Frau Tetteridge hatte ihm beim Zuknöpfen des Kragens geholfen, dabei lachend in die Hände geklatscht und ihn geküßt. Als sie ihn verließ und hinter sich die Tür schloß, siel Herr Tetteridge auf die Knie und bat Gott , ihm seine Heuchelei zu verzeihen. Er kniete lange auf der Erde, und Tränen rannen über sein Gesicht. Als er sich erhob, deuchte es ihm. als ob Gott , auf ihn niederblickend, traurig lächelte und ihn„armer Zutzge" nannte. Deshalb tröstete er sich ein wenig mit dem Gedanken, daß Gott begreife, wie
schwer das Leben sei und ihm vielleicht noch eine andere Chance gewähren würde. Frau Tetteridge behauptete, es sei an der Zeit, in eine andere Gegend zu ziehen. Das Endziel, ein Landhaus mit eigenem Grund und Boden, war noch nicht in Sichtnähe. In- zwischen begnügte sie sich mit einer Uebergangsstation, einem geräuyiigen, seltsam geformten Haus, südlich von der St. Aldys-Kirche. Das Gebäude war einst ein Kloster gewesen: später hatte es ein alter indischer Kaufmann, der Witwer dreier Frauen, häuslichen Zwecken dienstbar gemacht. Seine zahl- reiche Nachkommenschaft hatte bei ihm gewohnt, und er be- durfte vieler Räume. Da das Haus den meisten Leuten zu groß und zu häßlich erschien, stand es viele Jahre unbewohnt. Es gehörte einem Klienten der Firma Mowbray, und Frau Tetteridge meinte, dieser würde selbst eine billige Miete für besser halten, als gar keine. Auf ihre Bitte traf sie eines Tages mit Anthony vor dem Haus zusammen; er brachte die Schlüssel mit. Das rostige Eisentor knarrte; sie überquerten einen gepflasterten Hof. stiegen Steintreppen hinan. Das Schloß der mächtigen Eichentür stöhnte, als Anthony es zu öffnen versuchte. Schließlich gab es nach; frostige Luft kam aus den Kellerräumen geströmt, hüllte die beiden ein. Frau Tetteridge vermochte kaum ihre Begeisterung zu verbergen. Die langen wnnelsörmigen Räume im unteren Stockwerk hätten eigens für Klassenzimmer erbaut sein können. Im oberen Stockwerk befand sich ein großer Empfangssaal. Es gab Schlafzimmer für etwa ein Dutzend Pensionäre. Der von einer hohen Mauer umfriedete Garten war leer bis auf einige verstümmelte Bäume und Büsche, die leicht fortgeräumt werden konnten. Etliche Karrenladungen Kies würden ihn in«inen idealen Spielplatz verwandeln. Sie kehrten ins unterste Stockwerk zurück.' Am Ende des Steinkorrldors entdeckte Frau Tetteridge eine Tür, die sie früher nicht bemerkt hatte. Sie führte in ein hohes Kuppelzimmer mit einem riesigen schwarzen Marmorkamin, der zwei Elefanten dar- stellte, die einen kHnen Tempel trugen. Frau Tetteridge betrachtete ihn befriedigt.„Dies wird Emys Studierzimmer sein", sagte sie entschlossen. Sie sprach zu sich selbst, hatte Anthony völlig vergessen. Dieser lehnte sich gegen einen der Elefanten.„Armer Teufel!" brummte er. Trau Tetteridge blickte auf, sein seltsames Lächeln um den hübschen Mund.„Sie können mich nicht leiden", sagte sie. „Ich hätte Si« ganz gern", entgegnete Anthony", wenn ich Emy weniger gern haben würde." Sie trat auf die andere Seite des Kamins, stützte sich auf
l die Marmorplatte.«Nun, da wir allein hier sind, will ich I mich einmal mit Ihnen aussprechen. Es tut mir leid, daß ich Ihnen unsympathisch bin, denn ich kann Sie gut leiden. Aber nicht darum handelt es sich: ich will nicht, daß Sie bei Emy gegen mich Partei ergreifen. Sie besitzen großen Einfluß auf ihn, und ich fürchte Sie.� Anthony wollte etwas erwidern; sie machte eine Gebärde. „Lassen Sie mich ausreden, damit wir beide wissen, woran wir sind. Sie glauben, daß ich fein Leben verderbe, ihm seine Träume raube? Ein wenig Komponieren, ein wenig Dichten. Er hätte nie genug verdient, um davon leben zu können. Viel- leicht wäre es ihm vor seinem Tode gelungen, etwas zu kom- ponieren, das dem Mufikverleger Tausende eingebracht hätte. Oder seine Gedichte würden ihm, wenn es zu spät ist, Berühmt- heit verliehen haben. Einen tatsächlichen, greifbaren Erfolg hätte er nie gehabt. Und bei dieser Art Arbeit könnte ich ihm nicht helfen, er aber ist ein Mensch, der ohne Hilfe nicht weiter- kommt. Bei semer Schulmeisterarbeit hingegen vermag ich ihn zu unterstützen. Er besitzt die Begabung und ich besitze den Geschästsgeist. Ich will nichts mit Träumern zu tun haben. Mein Vater war ein Träumer; er mochte chemische Entdcckun- gen, die ihm, würde er si« verwertet haben, ein Vermögen eingetragen hätten. Aber die Verwertung langweilte ihn. Er entdeckte ein Mittel, um die Atmosphäre zu verändern. Ich erinnere mich nicht an die Einzelheiten, entweder ein Gas wurde entbunden, oder ein Gas wurde ausgeschaltet, oder ein anderes Gas wurde hinzugetan. Es hatte mit Gas zu tun. mehr weiß ich nicht. Anstatt Ermüdung und Niedergeschlagen- heit einzuatmen, werden die Menschen Frohsinn und Kraft aus der Luft saugen. Es klingt wie ein Märchen; aber wenn Sie meinen Bater reden gehört hätten, so würden Sie über- zeugt gewesen sein, es handle sich hier nur um eine Frage der Zeit; war einmal das Geheimnis entdeckt, so würde der ganzen Menschhett zumute sein, wie einem Gefangenen, der aus dem Verließ gekommen ist. Das war fein Traum, und er hielt die Verwirklichung für möglich. Diesem Traum zuliebe unter- richtete er an der St. Zlldos-Schuse für hundertlechzig Rfund im Jahr. Weil er derart über genügend freie Zeit verfügte. Und wir Kinder mußten dafür zahlen. Mein« beiden Brüser waren intelligente Knaben. Wären ihnen Möglichkeiten ge- währt worden, sie hätten in der Welt Erfolg errungen. Der eine ist heute ein Handlungsreisender und der andere arbeitet, wie Sie ja wissen, in Ihrem Bureau, erhält im Jahr achtzig Pfund. 1(Fortsetzung folgt.)