Nr. 184 ♦ 42. Jahrgang
I. Heilage ües vorwärts
Sonntag, 14. ßptil 1425
W«r freut fid) über das nervenkitzelirde Drum und Dran des Wahltages wohl am meisten? Außer den Papierhochkonjunkturisten unsere schwarzweigroten Mtionklowns. Tatsächlich! Ilm die Psyche der pvlitischen Hysterie ist rs ein eigen Ding. Sie fördert ihre eigene Niederlage, indem sie die auegediente Wilhelmsuniform, deren körperlich nicht unbeträchtliche Füllung im Lauf der Jahre natur- gemäß aufgezehrt wurde, spazieren führt. Nicht das wird die pugigen Knaben in jenen Freudentaumel versetzen, wie wir ihn beim ersten Wohlgang so lieblich an der Kaiser. Wilhelm-GedächtuiS' kirche erlebten. Einmal im Jahre muh selbst der Temone lustig seinl Und so versammelt sich alles, was die viel örerterte arische Faust nur in der karierten Hosentasche ballen konnte, um mit fliegender schwarzweihroter Bettlakengarnitur heilsschmetternd durch die Ströhen zu jagen. Kaiserlich-republikanische Oberlehrer, die in blaublondem Schweiße ihres germanischen Haupt- und Balthaares unverdrosien und unentwegt das Gift der Beschimpfung oller republikanischen Institutionen in die ihnen anvertrauten keimenden Teutonenseelen säten, haben endlich Gelegenheit, ihr Maulwerk auf die Straße zu tragen. Es ist nationalistische Kirchweih. Der ge- samte Irrsinn des Nationalismus ist auf den bekümmerten Pafsan» ten losgelassen. Seht jenen fetten glatzkopfigen Recken mit der mannhaften Hühnerbrust und dem warzenübersäten Doppelkinn. Endlich hat er seinen wahren Beruf erkannt. In„Wilhelma " schwang sonst der Brave, Nacht für Nacht siegerkran-berauscht, die gefüllten Methkrüge, wild dampfte der Nationalgeist. Jetzt präsen- tiert der Wackere wild gestikulierend das Ergebnis seines Nach- dcnkcns:„Wat jagen Sie, Stinnes ein Christ? Der größte Schwin- del, Hie können es mir wirklich glauben. Rafsinierte Semitenmache. Die Mutter hieß Sara, der Vater Isaak. In Oftgalizien ist der gefährliche Knabe geboren." Di« Logik ist bestechend. Reoue der geistig Minderbemittelten, jede Nummer ein Schlager von übermal- tigender Wirkung Die traurigen Ritter der Vergangenheit lassen wir jetzt passieren, die Revue des Hohns, der Lächerlichkeit, der Erbärmlichkeit.„Reveille, das große Wecken." Also uns nach auf Holzpferdeul Der wilügeworSene Wahlvorsteher. ..Ja, Kinder, wenn Ihr nach Schmargendorf kommt, sagt, Ihr habet ihn toben gesehen, wie es der Loedall befahl." Ein sonderbar neuroschenischer Herr war der Wahlvorsteher im Wahl- lokal H e i n r i ch. v o n- K l e i st> G y m n a s i ii m. Es scheint für Republikaner sehr aefährlich, dem vortrefflichen Wotansstreiter mit nicht reinrassiger Physiognomie vor das leuchtende Antlitz zu treten. Neugierige seien gewarnt! Es ist nicht angenehm, für den abge- gebenen republikanischen Stimmzettel, mit dem Heldentod auf Alt- Germanias Erde zu büßen. Doch im Ernii gesprochen: Man saute sich dieses Muster vou Wahlaar'eher, das da glaubt, mit seiner Gummiknüppelgesinnung im Wohllokal eine imitierte Hakenkreuz- Versammlung zu installieren, ein wenig näher beschauen. Ein Leser gibt uns ein Stimmungsbild über die Atmosphäre, in der man im s?einrich.v.-Kleist-GymnasIum unter Lebensgesahr seinen Stimmzettel in di� Wahlurne beförderte oder— nicht beförderte. Er schreibt: „Wer die Wahl hat, hat die Qual, darf auch ich vom Wahltage sagen. Ich betrot mit meiner Frau gegen M:4 Uhr da, Gymnasium am Hohenzollerndomm, um mein vornehmste» Stoatsbürgerrecht auszuüben. Da» sonst nur dem Alltag dienende Heinrich-v.-Klcisi- Gymnasium hatte heute ein sonderbares Sountagsgesicht. Ein all- deutsch anmutender Jüngling überreichte mir und meiner Gattin den Wahlzettel nebst Umschlag. Ich machte ihn darauf aufmerk- lam, daß mein« Frau meines Beistandes bedürfe, und zeigte meiner Gattin an ihrer Wahlzelle, wohin sie das Kreuz zu zeichnen hätte. Als ich hierauf vor den Wahlvarsteher, einen Herrn L. trat, der in Wickelgamaschen und in einem schwarzweißroten Abzei- ch e n an der Brust„ueutralerweise" seines Wahlvorsteher-
und sagte brüst:„Ich bin hier Sitzungspolizei und schmeiße Sie raus, wenn Sie sich nicht anständig be- tragen, auch wen» Sie Professor sind!" Alsdann schrie er: „Machen Sie sofort, daß Sie raus kommen!" mir seinen Speichel aus den Mantel hauchend. Ich sagte ihm ganz ruhig, daß er mich nicht hindern dürfe, mein Wahlrecht auszuüben, woraus er hysterisch schrie:„Polizei! Polizei! Ich lasse Sief- st nehmen! Den ihm angebotenen Stimmzettel nahm Herr L. weder mir noch meiner Frau ab. Um jeden Konflikt zu oermeiden, entfernten wir uns, nachdem ich energischen Protest sowohl gegen sein Verhalten wie auch gegen sein deuischnationales Abzeichen eingelegt hatte. In der Meinung, daß ein Wahlleiter sein Amt niemand zu Liebe und niemand zu Leide auszuüben habe, rief ich den Vorsteher der Deutsch - Demokratischen Partei an und wurde an Oberbürgermeister Dr. Düllo im Grunewald oerwiesen. Mit diesem verständigte ich mich schnell über ein sofortiges Zusammentreffen vor dem Heinrich-von- Kleist-Gymnasium um ÄS Uhr, und begab mich abermals in» Wahllokal. L., der von seinem Temperament bei meinem Wieder- auftritt sichtlich in Mitleidenschaft gezogen wurde, nahm diesmal in Zeugeng-genwart des Herrn Oberbürgermeisters Dr. Düllo meinen verbrieften Stimmzettel ab, woraus ich ihn höflich nach seinem Namen fragte, in der inneren Absicht, gegen diesen Mann Straf- ontrag wegen öffentlicher Beleidigung zu stellen. Hieraus bekam der keineswegs gute Mann fast einen Tobsuchtsanfall und schrie: „Machen Sie daß Sie rauskomme nl Polizei! Polizei!" Er folgt« mir auf dem Fuß« zum draußen postierten Schupomann, und auch dos Dazwischentreten des Oberbürgermeisters Dr. Düllo oermochte nicht, seinen Jähzorn einzudämmen. Schein-
bar hatte er durch seine Ämteerhebunq einen Dünkelkoller bekommen. Ich habe gegen den famosen Herrn L. Strafantrag bei der Staats- anwaltschast III wegen öffentlicher Beleidigung gestellt. Pros. H. H*
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Wo» einem Staatsbürger im siebenten Jahre der deutschen Re- publik olles passieren kann! Hält man es nicht für augebracht, den Iarres-Streiter. der sicherlich heute mit hängendem Schnauzbart für Hindenburg « Belange streitet, ein«snig in die Ketten zu legen? Etwas Dcrdauungsspektakel mag ja, vom medizinischen Standpunkt au» gesehen, durchaus sörderlick ieln. Aber immerhin ist ein Wahl- lokal kein Sportplatz für Boxlustige. Der Monarchist als Hausbesitzer. Seht mal den Gcschwolleuen im zweiten Stock, dem das Haken- treaz in den Kopf gestiegen ist! Wie er im Grimm die Hände ballt. Er ist die prachtvolle Stütze vou Wilhelms geknicktem Thron und Altar: der d e u t j cki n a i i o n n l e Hausbesitzer� Zur bengalischen Beleuchtung dieser somosen Type folgende Zuschrift: „Der Wohlsonnlag am LS. Marz brachte dem„proletarischen
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Norden" der Stadt eine Ueberraschung, die ihn so recht an die ..großen Siege" im Weltkriege und an den letzten Hvhenzollern- kaiser erinnerte, der seine„ruhmreiche" Regierung durch>eme so schmähliche Flucht jäh beendete. So viele schwarzweitzrote Fahnen hatte man in dieser Gegend schon lange nicht mehr ge- lehen! Es trieb uns nachzuforsche», wer die waren, die ihre kaiserlich« Gesinnung im proletarischen Norden so tapfer demvn- strieren wollten. Und. siehe da!— Es waren die Wohnuu- gen von deutsch nationalen Hauswirten und Ge- ichäftsleuten, denen wir unsere„Proleten- g raschen" hinbrachten, die davon lebten und sich sogar eine kaiserliche Fuhne zugelegt hatten. Am 26. April verstecken sie Schwarz-Weiß-Rot hoffentlich genau so gut, wie seinerzeit ihren traurigen Korpus, als am S. November l9!8 das Kaiserreich Wilhelm» de» Legten vor dem Abgrund zusammenbrach. Di« A r b e i t e r s ch a f l der Gegend tut aber gut, aus diese Leute besser zu achten und ihren Bedarf— wenn er auch noch so bescheiden ist— künftig nur bei solchen Geschäftsieuten zu decken, die sich nicht ossensichtlich als reaktionäre Monarchisten zeigen, sondern sich als Anhänger. der Republik äffen tlich'zu erkennen geben." Der sihwarzwekFrote Lappen. Der„Lokal- An zeig er" des Herrn Hugsnberg ist ein gar zu putzige» Ding, da» Publikotionsorgau für sämtliche Narren und Seiltänzer des Deutschen Reiche». Dieser„Lokal-Anzeiger" ist einer der Haupthysteriker im deutschnationalen Blättenniß- geburkenwald. Im Verleumden, im Intrigenspielen unbestritten an der Spitze, passieren den Meistern des ehrenwerten schwer- industriellen Organs von Zeit zu Zeit peinliche Malheurchen. Man verspricht sich manchmal und sagt dann Wahrheiten, die dem Spießer unangenehm und für die Hugenberg-Kasse nicht honorierbar sind. Die Montagsausgabe des„Lokal-Anzeigers" vom 30. März bracht« einen Hymnus auf jene schwarzweißrol gesprenkelten Heils- brüller. die am Sonntag, des stärkenden Alkohol» und der Iarres- Begeisterung voll, mit Kirchweihkapellen und schwarzweißroten Windeln durch die Straßen randalierten. In diesem Erguß heißt es bei einer Schilderung der Straßenbeflaogungi Vereinzelt flatterten Fahnen von den Häusern. Einige rote Lappen, wenige s ch w a r z r o t g e l b e, dafür recht zahlreiche schwarzweißrote.
Der Lappen ist trotz aller verzweifelten Spekulationen, trotz deutschnaiionoler Eau de Cologne nicht mehr aufzusrischcu. Zu einem allein scheint er noch brauchbar zu sein. lind dieje Handlung wäre isymdol: Möge sich die nationalistische Journaille an dem karierten Bettuch ihren uierloscu Katzenjammer ausjchnäuzen. Da- für zu sorgen, ist Sache aller Republilaucr a m 2 6. Ap ri l. wer wählt HinSenburg' Nun, wer soll den greisenhaften unpolitischen Militär wohl anders wählen, als Hysteriker beiderlei Geschlechts, abgetakelte Ilm- formierte, ein paar hoffnungslos Minderbegabte, sowie die Manager dieser grotesken Kandidatur, die das deutsche Volk im Auslande wieder einmal unsäglich lächerlich gemacht hoben. Im Lande der unbegrenzten Dummheiten ist aber alles möglich. Da kam ich gestern in ein kleines Ä o i o n i a l w a r e u a e s ch ä f t des Südwestens. In dieser Stätte des nüchternen Handels ging es hochpolitisch her. Wahlprognosen. Wer hat die meisten Chancen? Ein hagerer Mensch tut sich im Streit der rüstigen Männer besonders hervor.„Was wollen Sie," sagte der wackere monarchistische Diener der Republik ,„alles wählt Hindenburg , den alten Haudegen. Keiner Marx." Und dann, man sah förmlich die schwarzweißrote Hurra- patnotengesinnung aus den blondbläuigeu Augen spritzen.„Der Marschall kommt mit starler Mehrheit durch. Alle Beamten werden ihn wählen, und olle Damen.(!) Sprach? nüt speckiger Prophetenstimme und verschwand unter trendeittscheni Räuspern. Ev mag sich immerhin in einigem verrechnet haben. Die Beamten allerdings, die, wie jener famose Ignorant, der so unglaublich un- moralisch ist, sich siine hetzerische Unfähigkeit von der Republik gut honorieren zu iasien, im Aktenstaub der wilhelminischen Amtsstube die kärglichen Reste ihres kümmerlichen Gehirns nerinottesi liehen, und die die allzuloyale Republik als unterminierende Belastung aus Barmherzigkeit übernahm, werden dem Greis ihre Stimme aebent Köstlich aber der fein« Unterschied, den der Rcchtkblockjünger zwischen „Frau" und„Dame" macht«. Welch putzige Spekulation aus gewii!« Instinkte. Das altweibliche Heer verwaschener Tränendrüsen steht dereit, die Püppe der Reaktion mit den entfesselten«trömen wünsch- los feuchter Liebe zu empfangen. Der alte Feld webelbart hak« s i h n e n angetan. Die werteschassende deutsche Frau aber wird sich nicht den: Krade zuwenden, ihre Stimme gehört der Zukunft und das ist: die Republik ! Die nationale Raöiowelle. Es geht bergab mit dem reaktionären Bettel. Trotz aller Hilst- rufe der verzweifelten Söhne Tsuts will sich der bärtig« Alte nicht mehr von seinem Lotterfell erheben Es mag sehr wohl sein, daß ihm seine entartetsten Produkte mit der Zeit auch zu unsympathisch lewurden sind. Man könnte e? bei Gott verstehen. Ein bankrott«»
den bersten, Skandal, daß auch der R u n d> u n k b e t r i e b immer mehr zu einer nationali st ischen Propaganda st ätte degra- d i e r t wird. Unparteilichkeit des Rundfunkyrogramms, die in jedem anderen Staate eine Selbstverstmidtichtett ist, kennt unser Rundfunk rächt. Nach„Tosca " ofserien man dem nationalen Magen die „Wacht am Rhein" und nach einem frisch geschmetterten Shimmy tritt man„zum Beten" an. Von allen Seiten sind uns bezüglich dieses Rundfunkmißbrauchs bitiere Klagen zugegangen. Wir greife, i hier ein Schreiben heraus, in dem folgendes gejagt wird: „Oft ist die Parteilichreit des Berliner Rundfunks kritisiert worden. Mit vollem Recht. Die Ansager des Rundfunks scheinen zu denke», jeder Abonnent ist ein Nationalist. Heldenlieder au.- Wilhelms glorreicher Niederlagenzeit sind beim Vormittagstonzert immer auf der Tagesordnung. Nun zu meiner Beobachtung am Wahlsonntag. Tanzmusik. — Erstes Lied:„Durch Nacht zum Licht."(Gemeint wahiichdulich durch Iarres.) Zweites Lied: „Husarenmorsch." Drittes Lied:(Inhalt: Es liegt eine Krone im tiefen Rhein .) Viertes Lied: Eichenblätter. Vevschiedsne Lieder, wie„Die Wacht am Rhein " usw. Beim Ansagen der Wo.hlresultate fiel es besonders auf, wenn der Name Iarres geiprod)en wurde, ersolgle eine längere Atempause und dann Bekanntgabe der Stimmen, zahl. Es ist doch mehr als seltsam, daß der Rundsunk ganz im Dienste einer Parlei mißbraucht wird. F. G." Die große Abrechnung. Nun haben sie also tatsächlich den müden Alten aus Hannover aus die Beine gestellt. Ein alter Mann, der sicherlich Zeit seines Ledens sein« militärische Pflicht ersüllte, wird in den Kamps gc-og-n um der deutschnationalen Parteibslange willen. Uns soll es recht sein, wenn der Monarchismus seine Unfähigkeit so klar und un- zweideutig vor aller Augen demonstriert. Mögen sie am kommen- den Sonntag mit ihrem erbettelten schwcrindustriellcn Geld nur wieder ihren antiquierten schwarzweißroten Fastnachtsscherz gebiß rasselnd durch die Straßen sahrem die Zukunsi wird der Republik gehören, wenn alle Republikaner am Cntschcidungstoge ihre verdammte Pflicht und Schuldigkeit tun. Aus der einen Seile der Niedergang, das geöffnete Grab, der widerwärtige Kuhhandel: mit einem Wort, die Tirpitzsche U-Aooc-Atmosphäre. Ein Greis, den man phrasenbekleckert durch die deutschen Straßen führt. Schmach diesen Leuten, denen nichts zu ausgesalien ist, um es für ihren vor- kümmerten Humbug zu verwende». Auf der anderen Sei!« Wilhelm Marx , der überzeugurigstreue Pazifist, der bewußte Repu- blikaner, der Mensch des Fortschritts. Laßt uns die politisch- Schwindsucht am 26.'April endgültig ins Massengrab legen. Die Bestattungsunkosten sind nicht sehr erheblich. Es gilt nur, die richtigen Totengräber zu finden. D a s a b e r i st u n j e r e S a ch«!