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Sonntag 19. April 1925

Beilage des Vorwärts

Unterhaltung und Wissen

Arbeiter Deutschlands, wahrt Eure heilen Glieder!

Der Strillone.

Bon Edward Stilgebauer  . ( Schluß.).

Cafés Mailands   fannte man iht. Man

thn

fuge.hand den Striüone". Morgens und abends, wenn die neuen Ausgaben erschienen waren, stellte er sich an den Haupteingang Der Galleria Vittorio Eminanuele auf dem Domplatz und schrie den Vorübergehenden zu:

,, Il Secolo di Milano, Signori... Un Soldo... Nuova Edizione

ilnermüdlich wiederholte er diese Worte.

Sie waren sozusagen das einzige, was er den ganzen Lag und die halbe Nacht sprach. Sie flangen aus seinem Munde wie von der Blatte eines Phonographen. Denn in Mailand   fannte er feinen Menschen und schloß sich an feinen an. Hier lebte er auf der Etraße. Nachts gegen ein Uhr, wenn man einen Teil der elektrischen Bogen­lampen auf dem Domplat abstellte, suchte Giovanni sein Lager auf, und am nächsten Morgen gegen sieben Uhr war er schon wieder am Bahnhof, um den Raisenden die Morgennummer des Secolo" an­zubieten.

So war es Jahre gegangen. Giovanni fannte nun jede Gasse, jedes Haus in Mailand  , aber feinen Menschen, denn er mußte laufen und laufen, um im besten Falle seine Lira zusammenzubekommen. Bei einem Menschen sich aufhalten, das durfte er nicht. Dazu hatte der Strillone feine Zeit.

In der glühenden Hize des Juni und Juli, in dem scharfen Winde des Dezember und Januar hatte er schon unzählige Male an dem Eingang der Gallerie gestanden. Denn dieser Strillone gehörte gewissermaßen des Morgens und Abends zum Bilde des Domplates. Seine Kunden, die regelmäßig an ihm vorüberfamen, stredten die Hand nach ihm aus, wie nach einem Automaten, dem man den ge= wünschten Gegenstand nach Einwurf eines Soldos entnimmt.

Und bald fam eine Zeit, da nannten ihn die Leute, er selbst wußte faum warum, den alten Strillone. Denn der zeilungs­spendende Automat begann zu wackeln, wenn er seinen Soldo in Empfang nahm. Die Maschine schien nicht mehr ganz in Ordnung zu sein.

Eines Morgens fiel einem Herren, der durch die Gallerie fam und der unwillkürlich, ohne viel hinzusehen, seine Hand nach dem Automaten ausgestreckt hatte, der Soldo auf die Erde. Erstaunt blickte er auf, dann nahm er sein Geld wieder an sich und steckte es ruhig in die Tasche. Zum erstenmal, seitdem sich der Herr erinnern fonnte, stand der Strillone nicht auf seinem Blak an der Galleria und dieser Platz blieb leer.

Nach einigen Tagen hatte man Giovanni Parmigiano, der sich zum Erstaunen aller nirgends mehr einfand, fiebernd in seinem Bette gefunden und der herbeigeholte Armenarzt hatte sogleich dessen Ueberführung in das Ospedale angeordnet, da sein Zustand im höchsten Grade bedenklich sei.

Noch einmal tam Giovanni über den Domplat, allein die leeve Stelle, seinen Platz an der Gallerie, auf dem er viele Jahrzehnte lang gestanden, den konnte er selbst nicht sehen, da er fiebernd in einem mit Segeltuch überzogenen Tragforbe des Krankenhauses Lag. Ein tribes Lächeln glitt über die Züge des Spitalarztes, als er am Bette des alten, fiebernden Strillone stand.

Auch er hatte ihn oft an der Gallerie gesehen... und ein leiser Schauer überlief ihn jetzt, als der jiebernde Kranke im Phantafieren die welke, zitternde Hand nach ihm ausstreckte und mit trockenen Lippen und gebrochener Stimme flüsterte: Il Secolo di Milano... Signori... Un Soldo... Nuova Edizione!

Der Arzt gab die Hoffnung auf. Das Alter und der Hunger, der Wind und das Wetter, die mangelhafte Ernährung... und wer wußte denn, was sonst noch alles, mußten. ja einen Körper auf die Dauer zu Grunde richten.

Fünf Tage lang lag Giovanni im Fieber. Man gab ihm Chinin. Endlich wich die Krankheit, aber die Kräfte tehrten nicht wieder.

Am Morgen des sechsten Tages, als die Macht des Fiebers, aber mit dieser auch die Lebenskraft des alten Strillone gebrochen war, hatte Giovanni einen wunderbaren Traum: Den ersten Traum in seinem Leben.

Er mar im Himmel.

Der Kranfenjaal lag dicht neben der Spitalstirche und es war an einem Sonntagmorgen.

Auf einmal hörte Giovanni eine wunderbare Musik, zu der die Engel in Chören sangen.

Er schlug die Augen weit auf... und zu seinen Häupten neigte fich... die Madonna!

Da breitete der Strillone sehnsüchtig seine Arme aus... und wirklich wieder, wie schon ein einziges Mal in seinem Leben, fühlte er eine weiche Hand auf seiner Stirn.

Das war die Hand seiner Madonna.

Und diese Hand wischte mit einem weichen Tuche alles Erden leid aus seinem Gesicht, und leiser und leiser tönte da mit einem male der herrliche Gesang und die himmlische Mufit, die er ge­hört hatte. S

Aber die weiche Hand ruhte weiter auf seinem Haupte und er lächelte mit den wellen Lippen.

Da fühlte er, wie sich ein warmes Angesicht zu ihm nieder­neigte... die Madonna... die Sinne wollten ihm bergehen, aber er fühlte noch, wie sie einen Kuß, den ersten, den er in seinem Leben empfangen, auf seine falte Stirn drückte und dann war alles aus. Als der Arzt in den Saal trat, meldete ihm die Schwester, daß der Krante im Bett Nummer. 7 Joeben gestorben sei. Der Doktor trát an das Bett.

Sittenlosigkeit, weshalb fie beim Bolt verachtet und verhaßt war. I Der Verfall der christlichen Sitte und die Verfälschung der christlichen Lehre trat immer deutlicher zutage: die Sitten- und Bußprediger zogen zu Hunderten durch die Lande, warnend und mahnend. Der Bapst in Rom  , der Bankier der Christenheit, ging der Geistlichkeit mit bösem Beispiel voraus, mit zynischer Frechheit wurde das Wort geprägt, das als Motto des päpstlichen Stuhles galt: Die Fabel von Jesus Christus   hat uns schon viel Geld eingebracht!"

In eine solch gärende Zeit fiel das Auftreten Luthers  , des Bergmannssohnes aus Eisleben  . Schon vorher hatten hervorragende Männer: Erasmus von Rotterdam, Johannes Reuch­ lin   und Ulrich von hutten  , in Schrift und Wort die damaligen Zustände gebrandmarkt und ihrer Mitwelt ins Gewissen geredet. Besonders Hutten, ein Jüngling voll Freiheitsfinn und Begeisterung, erstrebte die Wiedergeburt Deutschlands   durch eine geistige, religiöse, politische und wirtschaftliche Befreiung der Unterdrückten. In einem Schreiben an Luther   heißt es:" Wache auf, du edle Freiheit! Wir wollen mit Gottes Hilfe unserer aller Freiheit schützen und erhalten und unser Baterland von all dem erretten, womit es bisher unter: drückt und beschwert gewesen!" Und dem deutschen   Volte rief er zu: Mut! Mut! Hindurch, hindurch! Es lebe die Freiheit!" Be­fonders fein Gesprächsbüchlein Der neue Kursthans" rief in scharfen Worten Bürger und Bauern und auch den niederen Adel auf, alles zu vernichten, was die Gewissen, das Glück und das Eigentum des Bolles bedrücke. Hutten bewog feinen Freund Franz von Sidingen, den Kampf gegen die deutschen   Fürsten zu beginnen, um dem Rechte zum Siege zu verhelfen. Aber die Bewegung war noch nicht reif, Eidingen wurde befiegt und tödlich verwundet, er geriet in Gefangenschaft und erlag feinen Wunden. Hutten entfloh nach der Schweiz  , wenige Wochen nach Sidingens Tod starb er auf der kleinen Insel Uffnau im Züricher   See. Er war erst 35 Jahre alt, er hinterließ kein Buch, fein Gerät, nichts als seine Feder.

weltlichen

Sehr interessant ist der Entwicklungsgang, den Luther inner­halb weniger Jahre durchgemacht hat. In seinen Anfängen war er äußerst revolutionär und scheute vor Gewalttaten und Blutvergießen nicht zurück. Besonders richtete sich sein Haß gegen die geistlichen Fürsten, während er in dem damals aufkommenden Fürstentum mit sicherem Instinkt seinen Schuß und seine Stütze er­blickte. Zu Ende des Jahres 1517 forderte er die Fürsten   zum Ein­schreiten gegen die Römlinge auf, deren rasendem Wüten ein Ende gemacht werden müsse: So wir Diebe mit dem Strang, Mörder mit dem Schwert, Ketzer mit Feuer strafen, warum greifen mir nicht vielmehr an diese schädlichen Lehrer des Verderbens, diese Päpste, Rardinäle, Bischöfe und das ganze Geschwürm der römischen So­doma mit allerlei Waffen und waschen unsere Hände in ihrem Blute?" Als Sidingen den Kampf gegen die geistlichen Fürsten  begann, rief ihm Luther   zu: Wenn die geistlichen Fürsten nicht hören wollen Gottes Mort, sondern wälten und toben mit Bannen, Da lag der Strillone wie ein Berklärter, ein feliges Lächeln Brennen und Morden, was begegnet ihnen billiger als ein scharfer auf dem stummen Angesicht. Aufruhr, der sie aus der Welt ausrottet? Alle, die dazu helfen, die Leib, Gut und Ehre daran setzen, daß die Bistümer zerstört und der Bischöfe Regiment vertilgt werde, das find liebe Gottesfinder und rechte Christen, sie streiten wider des Teufels Ordnung." aber merkte, daß sich Sickingens Kampf auch gegen die weltlichen Fürsten   richtete, zog er sich zurück und schlug andere Töne an:" Ich möchte nicht, daß man das Evangelium mit Gewalt und Blutver gießen verfechte. Durch das Wort ist die Welt überwunden worden, und auch der Antichrist wird ohne Gewalt besiegt werden.

Reformation und Bauernbewegung.

Bon Franz Lauffötter.

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Als er

Die steigende Bedrückung des deutschen   Landvolks, an der welt­fiche und geistliche Grundherren in gleicher Weise beteiligt waren, und Die grausame Unterdrüdung aller Versuche der Bauern, zu ihrem Rechte zu kommen, steigerten die innere Empörung des Bolles zur Siedehize. Besonders richtete sich der Groll der breiten Maffen gegen die Geistlichteit. Die höhere Geistlichkeit führte ein wahres Luberleben, das gegen die Lebensfüh. rung des großen Weisen aus Nazareth   merkwürdig genug abftach, fie verstand es, ihre gläubigen Schafe durch allerlei Schwindelma­növer: Abläffe, Heiligenbilder, Reliquien, Bunder ufm. nach allen Regeln der Kunft zu fchröpfen. Dabei war fie völlig frei von Ab- liche Befreiung gerichtet war, fchlug seine Stimmung um und er gaben und trug zu den Ausgaben des Reichs und der Städte nicht bei. Die niedere Geistlichkeit war versunken in Unwiffenheit und

Eine gleiche zweideutige Stellung nahm Luther   der Bauern bemegung gegenüber ein. In den ersten Jahren feines Auftretens, als er die Freiheit eines Christenmenschen" forderte, stand er den Bestrebungen der Bauern freundlich gegenüber und lieh ihnen seine Unterstügung. Er wollte die Freiheit auf das geift. liche Gebiet beschränten, als er aber merkte, daß der Sinn der Bauern vor allen Dingen auf die rechtliche und wirtschaft wandte sich in scharfen Worten, wie es seine Art war, gegen die Bauern: Er trat offen auf die Seite der weltlichen Fürsten und

Frei nach Wilhelm Dorn.

W

unterstützte sie, wie sie ihn unterstützten. Dadurch verlor er viel von seinem Ansehen im Bolke, es bildete sich eine geradezu feindselige Strömung gegen den einstmals vergötterten Mann. Bollends offen­barte er seine wahre Gesinnung nach der Erstürmung Weinsbergs und dem von einem Teil der Bauern angerichteten Blutbad. Er verallgemeinerte den Vorfall und schrieb eine Schrift: Wider die mörderischen und räuberischen Rotten der Bauern", ohne zu unter­fuchen, ob nicht die größte Schuld auf seiten der Herren lag. Wie in sinnloser But brach er los: Man soll die Bauern zerschmeißen, würgen und stechen, heimlich und öffentlich, wie man einen tollen Hund totschlägt. Darum, liebe Herren, steche, schlage, würge fie, wer da kann. Bleibt du selbst darüber tot, mohl dir, seligeren Tod kannst du nimmermehr finden. Diejenigen sind selbst aufrührerisch, die sich derer erbarmen, derer sich Gott nicht erbarmt, sondern die er gestraft und verderbt haben will. Die Bauern hören nicht auf gute Worte, so müssen sie denn die Büchse hören. Das geschieht ihnen recht, lasset nur die Büchsen unter fie sausen, sie machen es sonst noch tausendmal ärger." Da darf es uns nicht wundern, daß selbst Luthers   Freunde sich darüber empörten und ihn zur Mäßigung er­mahnten.

er

in

Ein ganz anderer Mann war Andreas Karlstadt  , der Lehrer und Förderer Luthers  . Er hatte als Rektor der Universität Wittenberg   Luther   zum Doktor gemacht und galt allgemein als großer Gelehrter und Theologe. Buerst, beim An­fang der Reformation, ging mit Luther Hand Hand, aber als er merkte, daß dieser mit den weltlichen Fürsten   hielt und die Freiheit auf das religiöse Gebiet be­schränken wollte, wandte er sich von ihm ab und beschritt eigene Wege. Er stützte sich auf das Bolt, nicht auf die Fürsten  , der ge meine Mann", so sagte er, muß die Reformation zu Ende führen". Deshalb stellte er die wirtschaftlichen und rechtlichen Forderungen in den Vordergrund, das neue Christentum sollte das ganze Leben umgestalten. Der foziale. Charakter der christlichen Lehre tam in Karlstadt   zum Durchbruch, und um dem auch äußerlich Ausdrud zu verleihen, gab er seine Stelle an der Universität auf und hängte seinen Theologenrod an den Nagel. Er heiratete die Tochter eines Landmannes, ging aufs Land hinaus zu seinem Schwiegervater und wurde Bauer, den Doktortitel legte er ab und ließ sich fürderhin nur noch Bruder Andreas nennen. Bei feinem Fortgange aus Wittenberg   ermahnte er die Mönche, fie möchten ihr Faulenzerleben aufgeben, ein Handwerk lernen und sich durch ehrliche Arbeit ihr Brot verdienen. Den Studenten gab er den Rat, das theologische Studium zu verlassen und als Bauern aufs Land zu ziehen. Als Luther von der Wartburg heimkehrte und von dem Vorgehen Karlstadts erfuhr, geriet er in Wut und donnerte gegen ihn los. Karlstadt  , der als ein neuer Spartafus" bezeichnet wurde, mußte vor dem Zorn Luthers   fliehen und hielt sich zuletzt in Nürnberg   auf. Er setzte sich mit Thomas Münzer in Verbindung und durch ihn mit den Bauern, deren Freund und Fürsprech er wurde. Allerdings warnte er vor einer gewaltsamen Durchsehung ihrer Forderungen, deren Berechtigung er erfannte, er wollte vielmehr durch Unterhandlungen einen gütlichen Ausgleich herbeiführen.

Unter den Geistlichen jener Zeit, die sich der Reformation zu gewandt hatten, gab es zahlreiche, die den Standpunkt Luthers  nicht mehr teilten, indem sie das Hauptgewicht auf die wirtschaftliche Reformation legten. Sie mußten viele Verfolgungen erleiden, weil die Fürsten   und Obrigkeiten erklärlicherweise vor den wirtschaftlichen Folgerungen Furcht hatten. Das neue Evangelium war ihnen so lange gut, als es ihnen durch Einziehung der Kirchengüter Vorteil brachte, als die Reformation aber auch auf das weltliche Gebiet überzugreifen drohte, befämpften sie die Auswüchse der evangeli fchen Bewegung". Einer der hervorragendsten Vertreter des Ge­danfens einer weltlichen Reformation war der hochgelehrte Pfarrer Balthasar Submaier in Regensburg  . Mit reiner Be­geisterung nahm er sich der Sache des gemeinen Mannes an und obgleich er als Aufrührer und Volksverführer gebrandmarkt wurde, erhob er nach wie vor seine Stimme im Namen der Sozialgerechtigs